Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Einstellung des Asylverfahrens – fehlende ordnungsgemäße Belehrung

Aktenzeichen  M 21 S 16.32737

Datum:
8.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

1 Im Falle einer fehlerhaften Verfahrenseinstellung insbesondere nach § 33 AsylG ist nur die Anfechtungsklage statthaft, um die zunächst dem Bundesamt vorbehaltene Sachentscheidung über den Asylantrag zu erhalten. Den Verwaltungsgerichten ist es in solchen Konstellationen verwehrt, zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden.(Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 33 Abs. 4 AsylG ist zu entnehmen, dass die in ihm angeordneten Hinweise jedenfalls dann in einer für den Asylbewerber verständlichen Sprache erteilt werden müssen, wenn dieser nicht anwaltlich vertreten ist. Eine allgemeine Belehrung über Mitwirkungspflichten, wie sie der Antragsteller in der Belehrung für Erstantragsteller in der für ihn verständlichen englischen Sprache gegen Empfangsbestätigung erhalten hat, genügt den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG nicht. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren M 21 K 16.32736 gegen Ziffern 1. und 3. des Tenors des Bundesamtsbescheids vom 23. August 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach letzten, eigenen Angaben lediger und kinderloser Staatsangehöriger der Republik Gambia vom Volk der Sarahuli ohne Personalpapiere oder andere Identitätsnachweise.
Laut der vom Antragsteller am 19. April 2016 unterschriebenen Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender der AE München vom 19. April 2016 soll der Antragsteller Staatsangehöriger Malis mit französischen Sprachkenntnissen sein.
Er stellte am 12. Juli 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden kurz: Bundesamt) in Regensburg einen Asylantrag.
In der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten, die der Antragsteller vom Bundesamt laut der von ihm am 12. Juli 2016 unterzeichneten Empfangsbestätigung schriftlich auf Englisch erhielt (Bl. 15 der Bundesamtsakte), wurde er insbesondere darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn er zum Anhörungstermin nicht erscheine, ohne vorher seine Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben. Der Asylantrag gelte insbesondere als zurückgenommen, wenn das Verfahren nicht betrieben werde. Wann ein Nichtbetreiben vermutet werde, bestimme das Gesetz.
Zur Niederschrift über das in englischer Sprache geführte persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller am 12. Juli 2016 gegenüber der Außenstelle des Bundesamts in Regensburg im Wesentlichen an, er habe sein Herkunftsland Gambia erstmalig am 1. Januar 2014 verlassen und sei nach einer Reisedauer von 19 Monaten am 14. Juli 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Ca. im Januar 2015 sei er für ca. sechs Monate zuerst in den Mitgliedstaat Italien eingereist. Die Frage, ob er in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen habe, verneinte der Antragsteller.
Die EURODAC- Recherche ergab am 12. Juli 2016 hinsichtlich des Antragstellers zwei Treffer (CH19077517461; IT1IM014LH).
Mit Schreiben vom 12. Juli 2016 wurde der Antragsteller in deutscher Sprache von der Außenstelle des Bundesamts in Regensburg über seinen dortigen Termin zur Anhörung gemäß § 25 Abs. 4 AsylG am 20. Juli 2016 um 8:00 Uhr benachrichtigt. Dieses Schreiben enthält insbesondere keinen schriftlichen Hinweis auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen. Der Bundesamtsakte lässt sich auch nicht entnehmen, dass es dem Antragsteller gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt wurde.
In einem Aktenvermerk vom 3. August 2016 (Bl. 37 der Bundesamtsakte) hielt das Bundesamt fest, der Antragsteller sei zu seinem Anhörungstermin am 20. Juli 2016 nicht erschienen.
Durch Bescheid vom 23. August 2016 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Ziffer 1.), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 2.), drohte dem Antragsteller mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Gambia an (Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Antragsteller das Verfahren nicht betreibe. Er sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. AsylG nicht betreibe. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG seien weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens sei ein deutliches Indiz dafür, dass der Antragsteller bislang keinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG im Herkunftsland ausgesetzt gewesen sei und ihm diese Gefahren auch bei einer Rückkehr nicht drohten. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG. Laut Aktenvermerk wurde dieser Bescheid am 25. August 2016 als Einschreiben zur Post gegeben (Bl. 56 der Bundesamtsakte).
Am Montag, den 5. September 2016 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 23. August 2016 aufzuheben und festzustellen, dass das Asylverfahren nicht zurückgenommen ist oder als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren nicht eingestellt ist, sondern weiter läuft, der Kläger asylberechtigt ist, die Flüchtlingseigenschaft bei ihm vorliegt, der subsidiäre Schutzstatut bei ihm vorliegt und Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihm vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 16.32736) ist noch nicht entschieden.
Zugleich ließ der Antragsteller am 5. September 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bundesamtsbescheid vom 23. August 2016 anzuordnen.
Zur Klage- und Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 5. September 2016 im Wesentlichen ausgeführt, es sei unzutreffend, dass der Antragsteller sein Asylverfahren nicht betrieben habe. Er habe eine Anhörung gehabt, die er in Regensburg auch wahrgenommen habe. Bei dieser Anhörung sei ihm ein Zettel übergeben worden. Der Antragsteller gehe davon aus, dass dieser Zettel der nächste Interviewtermin gewesen sei. Diesen Zettel habe er aus Aufregung verloren. Am nächsten Tag habe er dies seiner Ausländerbehörde mitgeteilt und darum gebeten, dass man ihm den Termin mitteile. Telefonisch habe er beim Bundesamt niemanden erreichen können. Er habe seine Anhörung deswegen ohne Verschulden versäumt. Seine Asylgründe werde er in einem eigenen Schriftsatz geltend machen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere statthafte (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO, §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG) Eilantrag ist begründet.
Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage insbesondere in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs vorzunehmen. Diese Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten des Antragstellers aus, weil seine bei interessengerechter Auslegung (§ 88 VwGO) sowohl gegen die im angegriffenen Bundesamtsbescheid ausgesprochene Einstellung des Asylverfahrens (Ziffer 1.) als auch gegen die in dessen Ziffer 3. enthaltene Abschiebungsandrohung gerichtete Anfechtungsklage nach summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig und begründet ist.
Die Anfechtungsklage des Antragstellers ist in beiden genannten Anträgen mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig.
Entgegen der im Wortlaut der bisherigen Klageanträge zum Ausdruck gekommenen Ansicht der Bevollmächtigten des Antragstellers ist nur die Anfechtungsklage statthaft, um im Falle einer fehlerhaften Verfahrenseinstellung insbesondere nach § 33 AsylG die zunächst dem Bundesamt vorbehaltene Sachentscheidung über den Asylantrag zu erhalten. Den Verwaltungsgerichten ist es in solchen Konstellationen verwehrt, zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung zu entscheiden (vgl. nur BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Deswegen sind die auf Sachentscheidungen über das Entscheidungsprogramm des Bundesamts gerichteten, bisherigen Verpflichtungsanträge der Bevollmächtigten des Antragstellers unzulässig.
Die Anfechtungsklage des Antragstellers ist auch in beiden genannten Anträgen mit hoher Wahrscheinlichkeit begründet.
Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt (§ 33 Abs. 1 AsylG). Es wird insbesondere vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG). Diese Vermutung gilt nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer insbesondere auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Gemessen an § 33 Abs. 4 AsylG ist die auf Basis des § 32 AsylG statt aufgrund § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG ausgesprochene Einstellung des Asylverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach der maßgeblichen Vorstellung des Gesetzgebers, die im Einklang mit der Systematik des § 33 AsylG steht, knüpft in den Fällen des neuen § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG eine Einstellung wegen einer stillschweigenden Rücknahme an eine ergangene ausdrückliche Aufforderung an den Ausländer an, die mit dem Hinweis nach § 33 Abs. 4 AsylG verbunden ist (vgl. BT-Drucks. 18/7538, S. 17). § 33 Abs. 4 AsylG ist somit zu entnehmen, dass die in ihm angeordneten Hinweise, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dann in einer für den Asylbewerber verständlichen Sprache erteilt werden müssen, wenn dieser – wie hier damals – nicht anwaltlich vertreten ist – (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 31, dort auch zur Pflicht des Bundesamts, darüber zu belehren, dass es im Fall der Beendigung des Verfahrens ohne weitere Anhörung nach Aktenlage über etwaige Abschiebungsverbote entscheidet, § 32 Satz 1 AsylG) in der Aufforderung im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG zu erfolgen haben, hier also – auch wenn eine solche Vorgehensweise wegen des auch in § 33 Abs. 4 AsylG enthaltenen Erfordernisses der Belehrung gegen Empfangsbestätigung praktische Schwierigkeiten bereiten kann – in der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG hätten enthalten sein müssen.
Solche § 33 Abs. 4 AsylG entsprechenden Hinweise enthält das Schreiben vom 12. Juli 2016, mit dem der Antragsteller in deutscher und damit in für ihn nicht verständlicher Sprache von der Außenstelle des Bundesamts in Regensburg über seinen dortigen Termin zur Anhörung gemäß § 25 Abs. 4 AsylG am 20. Juli 2016 um 8:00 Uhr nicht gegen Empfangsbestätigung benachrichtigt worden ist, aber nicht. Eine allgemeine Belehrung über Mitwirkungspflichten, wie sie der Antragsteller in der Belehrung für Erstantragsteller in der für ihn verständlichen englischen Sprache gegen Empfangsbestätigung erhalten hat, genügt den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG nicht (so auch etwa Berlit, NVwZ – Extra 4/2017, S. 9).
Die Vorgabe der Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG ist für den Eintritt der Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG unerlässlich, weshalb ihr Unterbleiben zur Rechtswidrigkeit der Einstellung des Verfahrens führt (vgl. nur Heusch in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 33 AsylG Rn. 9 m.w.N.).
Infolgedessen sind auch die weiteren im Tenor des angegriffenen Bundesamtsbescheides ausgesprochenen Entscheidungen, insbesondere die in der Ziffer 3. enthaltene Abschiebungsandrohung, für die § 34 AsylG gilt, (vgl. dazu nur BVerwG, U.v. 17.12.2009 – 10 C 27/08 – juris Rn. 11 f. m.w.N.) mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bei der in Ziffer 1. des angegriffenen Bundesamtsbescheides enthaltenen Entscheidung, das Asylverfahren einzustellen, handelt es sich um einen im weiteren Sinn vollzugsfähigen, ausweislich § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage zugänglichen, feststellenden Verwaltungsakt (vgl. zur Rechtsnatur des Einstellungsbescheids nur Heusch in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 33 AsylG Rn. 39.). Die ausgesprochene Abschiebungsandrohung würde die Basis für eine Abschiebung des Antragstellers bilden. Daher entspricht es seinem durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geschützten Interesse an effektivem Rechtsschutz, dem Eilantrag im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Das Bundesamt hat nun mit ordnungsgemäßer Belehrung erneut auf eine Anhörung des Antragstellers hinzuwirken.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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