Verwaltungsrecht

Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter familienbezogener Leistungen

Aktenzeichen  3 ZB 19.1936

Datum:
31.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27516
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBesG Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2
BGB § 812
VwGO § 124 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der Mangel des Rechtsgrundes ist für den Empfänger einer Überzahlung dann offensichtlich, wenn er ihn nur deshalb nicht erkannt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat oder er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass dabei individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beamten maßgeblich sind, darf nicht dahin missverstanden werden, dass es in das Belieben des Beamten gestellt wäre, ob und inwieweit er sich mit den für ihn bedeutsamen rechtlichen Zusammenhängen vertraut macht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Einwand, in der angefochtenen Entscheidung sei der gesetzgeberische Wille der Förderung von Familien und insbesondere von Kindern nicht bedacht worden, ist schlagwortartig und mangels rechtlicher Ausführungen nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der angefochtenen Entscheidung darzulegen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die schlichte Behauptung, der zur Aufrechnung gebrachte Betrag sei deutlich höher als der zivilrechtlich pfändbare Betrag, vermag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darzulegen. Hierfür wäre darzulegen, dass das gesetzliche Netto nach der Aufrechnung unter der zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids gültigen Pfändungsfreigrenze liegt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 18.339 2019-07-29 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 7.639,89 € festgesetzt.

Gründe

1. Streitgegenstand des Zulassungsverfahrens ist der Bescheid des Landesamts für Finanzen vom 27. Dezember 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2018, der folgende Regelungen enthält: Im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Juli 2008 und vom 1. Dezember 2008 bis 31. Oktober 2017 habe für den Kläger kein Anspruch auf den Kinderanteil im Familienzuschlag bestanden (Ziff. 1), die überzahlte Besoldung werde für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Oktober 2017 wegen der Berücksichtigung der erhobenen Einrede der Verjährung zurückgefordert, wobei auf die Rückforderung in einem Umfang von 30% des überzahlten Betrages (3.272,10 €) verzichtet werde. Es werde demnach von einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 10.106,99 € nur noch ein Betrag von 7.634,89 € geltend gemacht (Ziff. 2). Der zurückgeforderte Betrag werde in Raten von monatlich 500 € gegen den laufenden Bezügeanspruch des Klägers aufgerechnet.
2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung, der sich auf alle Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO stützt, hat keinen Erfolg.
a. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen, da die Überzahlung rechtsgrundlos erfolgt ist und ein Rückforderungsanspruch nach Art. 15 Abs. 2 BayBesG i.V.m. §§ 812 ff. BGB besteht.
(1) Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung so offensichtlich war, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBesG). Der Einwand des Klägers, die Belehrung über die Voraussetzungen für den Bezug des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags in der von ihm im Mai 2007 unterschriebenen Erklärung zur Überprüfung des Anspruchs auf familienbezogene Leistungen (sog. FL-Erklärung) verliere mit der Zeit an Bedeutung und könne z.B. im Jahr 2017 ein Erkennenmüssen der Überzahlung nicht mehr rechtfertigen, verfängt nicht. Hinsichtlich des Erkennenmüssen des rechtlichen Grundes ist in erste Linie darauf abzustellen, dass der Kläger im Jahr 2008 die Pflicht gehabt hätte, dem Beklagten die Wiederaufnahme der Diensttätigkeit durch seine Ehefrau als Kindergeldbeziehende anzuzeigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Mangel des Rechtsgrundes für den Empfänger dann offensichtlich, wenn er ihn nur deshalb nicht erkannt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat oder er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 4.11 – juris Rn. 10). So liegt der Fall hier. Der Kläger hätte den Fehler durch schlichtes Nachdenken erkennen müssen, weil bei einem aktiven Beamten Grundkenntnisse des Besoldungsbestandteils Familienzuschlag vorauszusetzen sind (vgl. zum besoldungsrechtlichen Grundwissen: Bodanowitz in Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 9. Aufl. 2017, § 15 Rn. 43). Es ist allgemein bekannt, dass der kinderbezogene Teil des Familienzuschlags nur an einen der Ehepartner ausbezahlt werden kann, sodass der Kläger gehalten gewesen wäre, dies mit der Bezügestelle zu klären. Die These von der Maßgeblichkeit der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beamten (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 ZB 13.245 – juris Rn. 18) darf nicht dahin missverstanden werden, dass es in das Belieben des Beamten gestellt wäre, ob und inwieweit er sich mit den für ihn bedeutsamen rechtlichen Zusammenhängen vertraut macht. Es war für den Kläger jedenfalls hinreichend deutlich, dass die Zahlung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags davon abhängt, ob die – hier – kindergeldberechtigte Ehefrau in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder ohne Bezügeansprüche beurlaubt ist. Die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses war dem Kläger als aus seiner Sphäre stammend naturgemäß bekannt und hätte daher angezeigt werden müssen.
(2) Die Billigkeitsentscheidung gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG erfolgte ermessensfehlerfrei. Die Einwände des Klägers, in der angefochtenen Entscheidung sei fälschlich von „Anwärterbezügen“ die Rede und der gesetzgeberische Willen der Förderung von Familien und insbesondere von Kindern sei nicht bedacht worden, beziehen sich zum einen auf eine ersichtliche Unrichtigkeit (gemeint sind „Bezüge“) und sind zum anderen schlagwortartig und mangels rechtlicher Ausführungen nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der angefochtenen Entscheidung darzulegen. Auch mit der schlichten Behauptung, der zur Aufrechnung gebrachte Betrag sei deutlich höher als der zivilrechtlich pfändbare Betrag (vgl. Art. 12 Abs. 2 Satz 1 BayBesG, § 850c ZPO i.V.m. § 394 BGB), vermag der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darzulegen. Hierfür hätte er darlegen müssen, dass sein gesetzliches Netto nach der Aufrechnung entsprechend der zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids gültigen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 28. März 2017 (BGBl I 2017, 750/756) unter 3.475,79 € liegt. Dieser Obliegenheit ist der Kläger nicht nachgekommen.
(3) Der Rückforderungsanspruch des Beklagten unterliegt der zehnjährigen Verjährung. Es ist rechtlich zutreffend, dass mit der in Art. 13 Satz 1 Halbs. 2 BayBesG genannten Leichtfertigkeit ein der groben Fahrlässigkeit vergleichbarer Maßstab gemeint ist (vgl. zum Begriff der Leichtfertigkeit im Bayerischen Beamtenversorgungsgesetz: VG München, U.v. 28.1.2016 – M 12 K 15,4783 – juris Rn. 46; Kazmaier/Schilder in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Mai 2019, Art. 8 BayBeamtVG Rn. 12).
Soweit der Kläger meint, es fehle an der Kausalität zwischen der angeblich leichtfertigen Unterlassung der Anzeige und der Überzahlung, weil der Bezügestelle bekannt gewesen sei, dass die Ehefrau des Klägers ihren Dienst angetreten habe, legt er ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dar. Im Übrigen hat der Beklagte diesen Umstand zutreffend im Rahmen seiner Billigkeitsentscheidung (Verzicht auf Rückforderung in einem Umfang von 30% des überzahlten Betrages) berücksichtigt.
b. Der Rechtsstreit weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Da der Kläger im Jahr 2008 die Pflicht gehabt hätte, dem Beklagten die Wiederaufnahme der Diensttätigkeit durch seine Ehefrau als Kindergeldbeziehende anzuzeigen, kommt es nicht darauf an, ob ihm auch „noch in den konkreten Empfangssituationen in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017“ die 2007 unterschriebene mit dem darin enthaltenen Hinweis vor Augen stehen musste.
c. Der Rechtsache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Die vom Kläger aufgeworfene Frage:
Sind die Voraussetzungen des Art. 13 Satz 1 Halbs. 2 BayBesG hinsichtlich der dort geforderten Leichtfertigkeit trotz der unterschiedlichen Formulierungen im Wortlaut des Gesetzes inhaltlich deckungsgleich zu den in der Rechtsprechung bereits anerkannten Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG?
ist nicht klärungsbedürftig. Der bayerische Gesetzgeber wollte mit Art. 13 Satz 1 Halbs. 2 BayBesG eine zehnjährige Verjährungsfrist bei pflichtwidrigem Verhalten bestimmen (vgl. LT-Drs. 16/3200, S. 365); er hat jedoch den Begriff der „Leichtfertigkeit“ nicht definiert. Da eine einheitliche Rechtsauslegung geboten ist, bietet sich an, auf die einschlägige Definition der Begriffs der Leichtigkeit im Strafrecht zurückzugreifen. Danach entspricht Leichtfertigkeit in objektiv Hinsicht der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts (Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 15 Rn. 55; Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 106 und 205). Davon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen.
d. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) wird eingangs der Zulassungsbegründung zwar angesprochen, aber nicht weiter ausgeführt. Gleiches gilt für den ebenfalls lediglich benannten Verfahrensverstoß (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insoweit hat der Kläger keine Zulassungsgründe geltend gemacht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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