Verwaltungsrecht

Rückforderung von Zuwendungen

Aktenzeichen  M 31 K 18.2422

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42571
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 162 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 2 S. 2
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 2, Art. 49a

 

Leitsatz

1. Vor Erlass des Schlussbescheids ist eine Erstattungsforderung nicht durchsetzbar und kann deshalb zuvor nicht verjähren. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf eine ausdrücklich vorbehaltene Regelung über die Höhe einer Vorsteuerrückerstattung finden Art. 48 Abs. 4, 49 Abs. 2a S. 2 BayVwVfG weder unmittelbar noch analog Anwendung. Denn die Wirkung des Vorbehalts einer endgültigen Regelung liegt gerade darin, dass die Behörde die vorläufige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der Art. 48, 49 BayVwVfG gebunden zu sein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gestaltungsbefugnis der Verwaltung, einen vorläufigen Verwaltungsakt durch einen endgültigen Schlussbescheid zu ersetzen, unterliegt als Gestaltungsrecht der Verwaltung grundsätzlich nicht dem allgemeinen Verjährungsrecht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Befugnis zum Erlass eines Schlussbescheids und zur Geltendmachung der sich ergebenden Überzahlung ist spätestens nach Ablauf von 30 Jahren verwirkt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom … April 2018, Az.: … …, wird dahingehend abgeändert, dass der Betrag von 519.528,87 EUR durch einen vom Beklagten nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu berechnenden Betrag ersetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte 1/10 und der Kläger 9/10. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann aufgrund des Einverständnisses der Prozessparteien gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne weitere mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Die zulässige Klage ist nur im zweiten Hilfsantrag begründet, während sie sich im Hauptwie im ersten Hilfsantrag als unbegründet erweist. Der Beklagte hat dem Grunde nach zu Recht die dem Kläger vom Finanzamt erstatteten Vorsteuern inklusive gezogener Zinsen anteilig zurückgefordert. Der Anspruch auf Erstattung der erbrachten Leistung ist insbesondere weder erloschen, noch verjährt oder verwirkt. Die Berechnung des an den Beklagten zu erstattenden und im streitgegenständlichen Bescheid insoweit fehlerhaften Betrags erfordert jedoch einen nicht unerheblichen Aufwand im Sinne des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO, so dass diese dem Beklagten überlassen wird. Eine Entscheidung nach § 113 Abs. 3 VwGO ist nicht möglich.
1. Der Beklagte konnte trotz der langen Verfahrensdauer die dem Kläger vom Finanzamt erstatteten Vorsteuern inklusive gezogener Zinsen anteilig zurückfordern. Bei der im Bewilligungsbescheid vom … Dezember 2000 enthaltenen Bestimmung zur Vorsteuerabzugsberechtigung (Nummer 5.4 des Bescheids) handelt es sich nicht um eine auflösende Bedingung im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) bzw. § 32 Abs. 2 Nr. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X), sondern um einen Vorbehalt.
1.1 Eine Bedingung wird nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG (bzw. § 32 Abs. 2 Nr. 2 SGB X) dadurch charakterisiert, dass sie den Eintritt oder den Wegfall einer Vergünstigung oder Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig macht. Unter den Begriff des Ereignisses fallen nur von der Außenwelt wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse. Dass es sich bei dem in Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG genannten „Ereignis“ um einen empirisch nachprüfbaren Vorgang handeln muss, legt der semantische Zusammenhang zum „Eintritt“ des Ereignisses nahe, der den Zeitpunkt bestimmt, ab dem der Verwaltungsakt einen anderen Regelungsgehalt erhält. Da das künftige ungewisse Ereignis kraft Gesetzes ohne weiteren Zwischenschritt einen Rechtsverlust oder einen Rechtsgewinn herbeiführt, muss sein Eintritt auch aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Beteiligten – für den Adressaten des Bescheids, für die Behörde und gegebenenfalls für Dritte – gleichermaßen ohne Weiteres erfassbar sein. Dies ist bei äußeren, zur allgemeinen Erfahrungswelt gehörenden Tatsachen der Fall, nicht hingegen bei nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörenden Vorstellungen oder Vorgängen, die einer (einfachen oder schwierigen) rechtlichen Wertung bedürfen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 23.1.2019 – 10 C 5/17 – juris Rn. 21 f.; BVerwG, U.v. 31.7.2017 – 10 B 26/16 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 15.1.2016 – 10 B 16/15 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 16.6.2015 – 10 C 15/14 – juris Rn. 11 ff.).
Hieran gemessen handelt es sich jedenfalls bei der Regelung zur Vorsteuerabzugsberechtigung im genannten Bewilligungsbescheid nicht um eine auflösende Bedingung. Dass der vorsteuerabzugsberechtigte Kläger (bei rechtzeitiger Beantragung) vom zuständigen Finanzamt Vorsteuerbeträge erstattet bekommt, war den Beteiligten von Anfang an bekannt und damit bereits nicht ungewiss. Die Feststellung, in welcher Höhe die Vorsteuererstattungen im Rahmen der insoweit im Bescheid geregelten Rückerstattungsverpflichtung an den jeweiligen Zuwendungsgeber zu erstatten sind, beruht sodann nicht allein auf der grundsätzlich allen Beteiligten gleichermaßen möglichen Wahrnehmung von Tatsachen. Vielmehr muss bei jedem Beleg bzw. jeder Rückerstattung eine förderrechtliche Bewertung hinzukommen, um den anteiligen Rückforderungsbetrag zu bestimmen. Dass es sich hierbei nicht lediglich um äußere Tatsachen handelt, sondern um eine rechtliche Wertung, die die zuständige(n) Behörde(n) auch vor im Einzelnen komplizierte und von fachlichen und rechtlichen Vorkenntnissen abhängige Bewertungs- und Abgrenzungsfragen stellt, zeigt sich besonders, wenn, wie hier, mehrere unterschiedlich geförderte Maßnahmen oder auch eine geförderte und eine nicht geförderte Maßnahme zusammen verwirklicht werden. Hinzu kommt, dass im streitgegenständlichen Fall nicht nur ein Zuwendungsgeber an der bzw. den Maßnahmen beteiligt war, sondern mehrere Zuwendungsgeber mit unterschiedlichen Förderanteilen, so dass der Bewilligungsbescheid im Hinblick auf die Vorsteuer (auch im Interesse des Zuwendungsempfängers) eine Rückerstattung nach Abstimmung der Zuwendungsgeber untereinander vorsieht. Da es an dem für eine Bedingung unabdingbaren ungewissen Ereignis im o.g. Sinne fehlt, kann der Bewilligungsbescheid vom … Dezember 2000 nicht als auflösend bedingter Verwaltungsakt verstanden werden und ist im Weiteren von der Kammer nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 14 f.). Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich der Zuwendungsbescheid als vorläufiger Zuwendungsbescheid dar. Der Bewilligungsbescheid spricht ausdrücklich davon, dass bei der Bemessung der förderfähigen Gesamtkosten „zunächst“ von Bruttokosten (Preise einschließlich Mehrwertsteuer) ausgegangen wird. Der Kläger als Zuwendungsempfänger musste von vornherein damit rechnen, dass jedenfalls hinsichtlich der hier im Streit stehenden Vorsteuerrückerstattungen eine spätere Festsetzung des an den Beklagten insoweit anteilig zu erstattenden Betrags erfolgt (vgl. insoweit auch BVerwG, U.v. 23.1.2019 – 10 C 5/17 – juris Rn. 26 zur Abgrenzung zwischen Regelungsvorbehalt und vorbehaltloser Förderung unter Hinweis auf einen möglichen Widerruf). Der jedenfalls insoweit nur vorläufige Charakter der Mittelzuweisung und die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für die nachfolgende Bestimmung des endgültigen Förderbetrags (bzw. der Rückerstattung im Hinblick auf die Vorsteuer) ergeben sich somit aus dem Bewilligungsbescheid selbst (vgl. zur Zulässigkeit der Beschränkung der Vorläufigkeit auf nur einzelne Aspekte: BVerwG, U.v. 19.11.2009 – 3 C 7/09 – juris Rn. 17). Die endgültige Entscheidung über die Höhe der Rückerstattung der Vorsteuer sollte sodann erst der streitgegenständliche Rückforderungsbescheid vom 20. April 2018 enthalten. Zwar wird sowohl in dessen Tenor als auch in dessen Begründung fälschlich vom Eintritt einer auflösenden Bedingung ausgegangen, der endgültige Charakter zumindest im Hinblick auf die (anteilige) Vorsteuer ergibt sich jedoch aus der in der Bescheidsbegründung enthaltenen Feststellung, dass die Festsetzung des entsprechenden Erstattungsbetrags erst nach Abstimmung und im Einvernehmen mit den übrigen Zuwendungsempfängern ergehen konnte. Der streitgegenständliche Bescheid kann daher jedenfalls hinsichtlich der Vorsteuer in einen Schlussbescheid umgedeutet werden (vgl. zur Möglichkeit einer Umdeutung selbst des Bewilligungsbescheids nach § 47 VwVfG: BVerwG, U.v. 31.7.2017 – 10 B 26/16 – juris Rn. 12 f. m.w.N.). Eine gerichtliche Umdeutung setzt nach Art. 47 BayVwVfG bzw. § 43 SGB X voraus, dass der umgedeutete Verwaltungsakt auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und dass die Voraussetzungen für seinen Erlass erfüllt sind. Dies ist hier der Fall.
Da der Bewilligungsbescheid selbst die Vorläufigkeit speziell für die Vorsteuerrückerstattungen regelt, kommt es auf die Fragen, welche der Tatbestandsalternativen der Nr. 2.1 ANBest-P einschlägig ist und ob es sich dabei um eine auflösende Bedingung oder einen Vorbehalt handelt, nicht mehr entscheidungserheblich an.
1.2 Da der Bewilligungsbescheid vom … Dezember 2000 nicht auflösend bedingt ist, sondern jedenfalls hinsichtlich der Vorsteuerrückerstattungen einen Vorläufigkeitsvorbehalt enthält, begann die Verjährungs- bzw. Erlöschenfrist nicht vor Festsetzung des im Hinblick auf die Vorsteuer endgültigen Minderungsbetrags im Schlussbescheid zu laufen.
Hieran ändert nichts, dass die Erstattungsforderung rückwirkend entstanden ist bzw. entsteht. Wie die Rücknahme oder der rückwirkende Widerruf eines Bewilligungsbescheids auf dessen Erlasszeitpunkt zurückwirkt, so wirkt auch die Festsetzung des (jedenfalls hinsichtlich der Vorsteuer) endgültigen Zuwendungsbetrags durch einen Schlussbescheid auf den Zeitpunkt des vorläufigen Bewilligungsbescheids zurück.
Das Bundesverwaltungsgericht, dessen Rechtsauffassung sich das erkennende Gericht anschließt, hat insoweit in entsprechender Anwendung von §§ 195, 199 BGB entschieden, dass vor Erlass des Schlussbescheids die Erstattungsforderung nicht durchsetzbar ist, weshalb sie zuvor noch nicht verjähren kann (BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 18; vgl. auch Teuber, NVwZ 2017, 1814/1818 f.).
Der Anspruch auf Rückerstattung der dem Kläger vom Finanzamt erstatteten Vorsteuern ist demnach auch noch nicht gemäß Art. 71 Abs. 1 AGBGB erloschen. Nach Art. 71 Abs. 1 Satz 1 AGBGB erlöschen auf eine Geldzahlung gerichtete öffentlich-rechtliche Ansprüche des Freistaates Bayern, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren. Nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB beginnt die Frist mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Berechtigte Kenntnis von den den Anspruch begründenden Tatsachen und der Person des Verpflichteten erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis erlischt der Anspruch in zehn Jahren von seiner Entstehung an (Art. 71 Abs. 1 Satz 3 AGBGB). Diese Regelungen über das Erlöschen nach Art. 71 Abs. 1 AGBGB stimmen insbesondere hinsichtlich des Beginns der Erlöschensfrist mit den Regelungen über den Beginn der Verjährungsfrist in § 199 BGB überein; daher kann insoweit auf die obigen Ausführungen zu den Verjährungsfristen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch verwiesen werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.2009 – 2 B 24/09 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 4 B 15.1831 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 17.9.2007 – 4 ZB 06.686 – juris Rn. 20; Teuber, NVwZ 2017, 1814/1814).
1.3 Entgegen der Ansicht des Klägers muss sich der Beklagte auch nicht nach dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als hätte er den Schlussbescheid schon früher – in angemessener Zeit nach Vorlage der Verwendungsnachweises und Meldung des Kontostands des Vorsteuersonderkontos – erlassen und damit das Anlaufen der Verjährungsfrist für die Erstattungsforderung begründet. Unabhängig davon, ob dieser in der zivilrechtlichen Rechtsprechung verschiedentlich erörterte Rechtsgedanke im öffentlichen Verjährungsrecht heranzuziehen ist, setzt seine Anwendung jedenfalls voraus, dass dem Beklagten, weil er den Schlussbescheid erst nach längerer Verfahrensdauer erlassen hat, der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens gemacht werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 19). Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Das Integrations- bzw. Inklusionsamt hat ausweislich der vorgelegten Akten und insoweit unwidersprochen offenbar aufgrund mehrjähriger ungünstiger personeller Situation einen erheblichen Rückstau bei der Prüfung von Verwendungsnachweisen, dessen Abarbeitung sukzessive nach der Eingangsreihenfolge geplant ist. Die Prüfung über die Rückerstattung der vom Finanzamt erstatteten Vorsteuer erfolgt nach Angaben des Integrations- bzw. Inklusionsamts – wie dem Kläger auch mitgeteilt wurde – aber in der Regel im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung. Es mag sein, dass der Beklagte diesen Rückstau durch anderen Personaleinsatz oder durch verwaltungsorganisatorische Maßnahmen früher hätte abarbeiten können; Anhaltspunkte für eine treuwidrige Verfahrensverschleppung sind aber nicht erkennbar.
1.4 Die Ausübung der Befugnis zum Erlass des Schlussbescheids unterliegt auch keinen speziellen Entscheidungs- und Festsetzungsfristen.
Der Beklagte war insbesondere nicht durch Art. 48 Abs. 4, 49 Abs. 2a Satz 2 BayVwVfG gehalten, die abschließende Entscheidung über die Höhe der Vorsteuerrückerstattung innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der hierfür maßgebenden Umstände zu treffen. Auf eine ausdrücklich vorbehaltene Regelung finden Art. 48 Abs. 4, 49 Abs. 2a Satz 2 BayVwVfG weder unmittelbar noch analog Anwendung. Denn die Wirkung des Vorbehalts einer endgültigen Regelung liegt gerade darin, dass die Behörde die vorläufige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der Art. 48, 49 BayVwVfG gebunden zu sein (vgl. BVerwG, U.v. 23.1.2019 – 10 C 5/17 – juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 19.11.2009 – 3 C 7/09 – juris Rn. 16).
Eine analoge Anwendung der einschlägigen Verjährungsfristen der §§ 195 ff. BGB scheidet insoweit schon deswegen aus, weil auch im Bürgerlichen Recht nach § 194 Abs. 1 BGB nur Ansprüche der Verjährung unterliegen, nicht aber die Ausübung von Gestaltungsrechten. Für die Ausübung von Gestaltungsrechten gelten grundsätzlich gesonderte Vorschriften. Daher unterliegt auch die Befugnis einer Behörde, einen Zuwendungsbescheid zurückzunehmen, als Gestaltungsrecht der Verwaltung grundsätzlich nicht dem allgemeinen Verjährungsrecht. Nichts anderes kann für die Gestaltungsbefugnis der Verwaltung gelten, einen vorläufigen Verwaltungsakt durch einen endgültigen Schlussbescheid zu ersetzen (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 23 m.w.N.).
1.5 Der Beklagte hat die Befugnis zum Erlass des Schlussbescheids und zur Geltendmachung der sich ergebenden Überzahlung auch nicht verwirkt.
Die Verwirkung setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Bei vorläufigen Verwaltungsakten kommt danach eine Verwirkung dann in Betracht, wenn der Zuwendungsempfänger aufgrund eines zusätzlichen Verhaltens des Zuwendungsgebers oder der zwischengeschalteten Behörden Vertrauen darauf aufbauen kann, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid nicht mehr geändert werden wird, wenn er tatsächlich auf den uneingeschränkten Fortbestand des Bewilligungsbescheids vertraut hat und wenn er sein Vertrauen infolgedessen betätigt hat (BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 26 ff.).
Im vorliegenden Fall sind keine Tatsachen festzustellen, die eine entsprechende Vertrauensgrundlage für eine unveränderte Bemessung der Zuwendungshöhe anhand der Bruttokosten bilden könnten. Ebenso fehlt es beim Kläger an der erforderlichen Vertrauensbetätigung. Schützenswerte Vermögensdispositionen des Klägers sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Zudem führt der Kläger nach wie vor unverändert das Vorsteuersonderkonto weiter.
1.6 Darüber hinaus muss es zwar im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit aus Art. 20 Abs. 3 GG auch unabhängig vom Nachweis eines Vertrauensschadens eine zeitliche Grenze für den Erlass eines Schlussbescheids geben. Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Solange eine gesetzlich geregelte äußerste zeitliche Grenze jedoch fehlt, geht das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass es nahe liegt, an die für die Ausübung der behördlichen Rücknahmebefugnis angestellten Erwägungen anzuschließen. Danach bildet die längste im Zivilrecht und Öffentlichen Recht vorkommende Frist von dreißig Jahren einen absoluten zeitlichen Schlusspunkt, nach dem die Ausübung einer Befugnis treuwidrig und durch § 242 BGB ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 – juris Rn. 29).
Diese Frist von dreißig Jahren, gerechnet ab Erlass des Bewilligungsbescheids vom 12. Dezember 2000, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen (Schluss-) Bescheids vom 20. April 2018 nicht überschritten.
1.7 Der Beklagte hat daher dem Grunde nach zu Recht die dem Kläger vom Finanzamt erstatteten Vorsteuern inklusive den gezogenen Zinsen anteilig mittels Schlussbescheid zurück gefordert. Die zu viel gezahlten Leistungen sind entsprechend Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG bzw. § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.2009 – 3 C 7/09 – juris Rn. 24).
2. Die Ausführungen der Klagepartei zur Zusammensetzung des Guthabens auf dem Vorsteuersonderkonto, das das Inklusionsamt als Grundlage für die Berechnung herangezogen hat, erfordern jedoch eine Neuberechnung des vom Kläger zu erstattenden Betrages.
2.1. Dem Hilfsantrag der Klagepartei, den Bescheid gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur weiteren Sachaufklärung durch die Behörde aufzuheben, konnte insoweit jedoch bereits deshalb nicht entsprochen werden, da dieses Vorgehen gemäß § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO auf einen Zeitraum von sechs Monaten ab Eingang der Behördenakten begrenzt ist. Die Entscheidungsfrist des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO beginnt mit dem Eingang der Behördenakten, die auf die erstmalige Verfügung des Verwaltungsgerichts gemäß § 99 VwGO vorgelegt werden (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 C 2/02 – juris Rn. 30). Auf den Eingang weiterer Akten, die später vom Gericht nachgefordert bzw. von den Beteiligten ohne Anforderung vorgelegt wurden, kommt es dagegen aus Gründen der insbesondere im Verfahrensrecht unabdingbaren Rechtsklarheit nicht an (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 27). Die Behördenakten zur Förderung der Errichtung und Ausstattung der Werkstatt der Klagepartei gingen beim Verwaltungsgericht bereits am 30. Oktober 2018 ein, sodass die Frist des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO zum Zeitpunkt sowohl der erstmaligen entsprechenden Antragstellung durch den Kläger im Schriftsatz vom 11. Oktober 2019 als auch des Ergehens des Urteils ohne weitere mündliche Verhandlung am 16. Oktober 2019 bereits seit Längerem abgelaufen war.
2.2. Die Neuberechnung und Festsetzung des zu erstattenden Betrages konnte jedoch gemäß § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO dem Beklagten überlassen werden, da sie einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert und dies den Beteiligten auch zumutbar ist.
2.2.1 Der von der Beklagtenpartei im streitgegenständlichen Bescheid geltend gemachte Betrag erweist sich als fehlerhaft und eine Neuberechnung daher als erforderlich. Das Inklusionsamt hat dem streitgegenständlichen Bescheid als Berechnungsgrundlage die in den Schreiben des Klägers vom 16. Februar 2004 und 23. Januar 2018 mitgeteilten Beträge zur Vorsteuerrückerstattung nebst gezogener Zinsen (Stand 31.12.2017) zugrunde gelegt. In der mündlichen Verhandlung wies die Klagepartei bezüglich des bis dahin zumindest der Höhe nach unbestrittenen Erstattungsbetrags darauf hin, dass auf das entsprechend vom Kläger geführte Sonderkonto nicht nur die Vorsteuerrückerstattungen im Zusammenhang mit dem geförderten Werkstattprojekt, sondern auch im Zusammenhang mit der ebenfalls geförderten Förderstätte einbezahlt worden seien. Nachdem eine einvernehmliche außergerichtliche Streitbeilegung scheiterte, wurde den Beteiligten mit Schreiben vom 15. Juli 2019 bzw. 16. September 2019 gemäß § 87b Abs. 2 VwGO aufgegeben, sämtliche Tatsachen anzugeben und etwaige Beweismittel zu bezeichnen, die Grundlage für die Berechnung der Höhe des Minderungs- bzw. Rückforderungsbetrags im Zusammenhang mit der Vorsteuer sind. Aus den daraufhin übersandten Schriftsätzen ergeben sich für das Gericht keine Zweifel daran, dass der Kläger hinsichtlich beider geförderter Projekte vorsteuerabzugsberechtigt war und für die Vorsteuerrückerstattungen beider Projekte ein gemeinsames Sonderkonto führte. Der Beklagte verweist zwar hinsichtlich der Vorsteuerabzugsberechtigung für die Förderstätte auf eine protokollierte gegenteilige Aussage des Klägers im Koordinierungsgespräch vom 7. Dezember 2000. Eine unter anderem vom Kläger erbetene Zustimmung zu diesem Protokoll des Beklagten findet sich in der Behördenakte jedoch nicht. Zudem ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen – anders als bei der Werkstatt – in Bezug auf die Förderstätte keine Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers vorgelegen haben sollte. Unbestritten blieb insoweit auch die bereits in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite angeführte und nach dessen Angaben in beiden Förderbescheiden identisch enthaltene Regelung zur Rückerstattung der erstatteten Vorsteuern nebst Habenzinsen, die nur bei uneingeschränkt bestehender Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers insoweit Sinn ergibt. In Anbetracht der offenbar bestehenden engen baulichen Verflechtung beider Projekte erscheint es dem Gericht auch glaubhaft, dass schon aus rein pragmatischen Gründen vom Kläger für beide Projekte ein gemeinsames Vorsteuersonderkonto geführt wurde bzw. wird. Auf das Beweisangebot der Klagepartei musste in Anbetracht der Wahrunterstellung dieser Tatsache daher nicht mehr zurückgegriffen werden.
Trotz o.g. Aufforderung nach § 87b Abs. 2 VwGO wurden von den Beteiligten jedoch keine substantiierten, vor allem konkret bezifferten Angaben zu den jeweiligen Vorsteuerrückerstattungen gemacht bzw. entsprechende Unterlagen vorgelegt oder als Beweismittel bezeichnet, die dem Gericht eine (Neu-)Berechnung insbesondere in Abgrenzung zu dem – entsprechend dem vorstehend Ausgeführten – auch in Bezug auf die geförderte Förderstätte zu erstattenden (aber insoweit nicht streitgegenständlichen) Betrag ermöglichen würden.
Im Rahmen der Abgrenzung der Vorsteuerrückerstattungen zwischen beiden Förderprojekten wird unter Heranziehung der entsprechenden Steuerbescheide, Baugenehmigungsbescheide nebst zugehöriger Bauvorlagen und gegebenenfalls sonstiger einschlägiger Belege maßgeblich zunächst eine möglichst genaue Kostenzuordnung zu erfolgen haben; nur sofern und soweit eine solche Kostenzuordnung anhand der vorgenannten Quellen nicht möglich ist, kann auf das Flächenverhältnis zwischen Werkstatt und Förderstätte abgestellt werden. Nach dieser Vorgehensweise hat unter anderem auch die Oberfinanzdirektion München den/die vorgelegten Verwendungsnachweis/e laut ihrem Schreiben vom 28. Oktober 2004 geprüft. Bei der Neuberechnung des anteiligen Erstattungsbetrages werden sodann weiterhin insbesondere die korrekten Gesamtkosten (im streitgegenständlichen Bescheid wohl doppelter Ansatz der Ausstattungskosten) ebenso wie die Art der Finanzierung zu berücksichtigen sein.
2.2.2 Diese Neuberechnung erfordert einen nicht unerheblichen Aufwand. Das in § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO geregelte Merkmal eines „nicht unerheblichen Aufwands“ setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass die Ermittlung des Betrags durch das Gericht auf „ernsthafte Schwierigkeiten“ stößt (vgl. BVerwG, U.v. 18.1.1991 – 8 C 14/89 – juris Rn. 23). Dies ist hier der Fall. Abgesehen davon, dass das Gesetz dem Gericht derartige Ermittlungen und Berechnungen namentlich mit Blick auf das mit der Neufassung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Gesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809), verfolgte Ziel, eine prozessbeendende Entscheidung treffen zu können, ohne zuvor aufwendige und umfangreiche Neuberechnungen durchführen zu müssen, „die die Behörden mit den ihnen zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln in der Regel schneller und reibungsloser bewältigen können“, während das Gericht „einfachere Berechnungen … selbst vorzunehmen“ habe (vgl. BT-Drs. 11/7030, S. 29), nicht abverlangen dürfte, ist das erkennende Gericht hierzu im vorliegenden Fall bereits deshalb auch nicht in der Lage, weil die hierfür erforderlichen Unterlagen nicht vorliegen (vgl. zum Ganzen auch OVG NRW, U.v. 21.4.1997 – 3 A 3508/92 – juris Rn. 30 ff.). Die richtige Höhe des Erstattungsbetrags lässt sich gerade nicht ohne weiteres aus dem (teilweise über mehrere Seiten langen tabellarischen) Zahlenwerk in den dem Gericht vorliegenden Akten entnehmen und auch eine Ermittlung unter Inanspruchnahme des Inklusionsamts war innerhalb angemessener Frist nicht möglich.
2.2.3 Die Anwendung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten diesen schließlich auch zumutbar (vgl. zu der aus § 113 Abs. 3 VwGO hergeleiteten zusätzlichen Anforderung: BVerwG, U.v. 18.1.1991 – 8 C 14/89 – juris Rn. 23). Das Gericht hat den Beteiligten unter Hinweis auf seine vorläufige Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung sowohl ausreichend Zeit eingeräumt, eine einvernehmliche Streitbeilegung herbeizuführen als auch sämtliche Tatsachen anzugeben und Beweismittel zu bezeichnen, die Grundlage für die Berechnung der Höhe des Minderungs- und Rückforderungsbetrags im Zusammenhang mit den Vorsteuererstattungen sowohl in Bezug auf die Werkstatt als auch die Förderstätte sind. Daneben geht es den Beteiligten, insbesondere dem Kläger, zunächst vorrangig um die Klärung der Frage, ob ein Anspruch des Beklagten überhaupt dem Grunde nach noch besteht. Diesem Interesse kann mit der gewählten prozessualen Verfahrensweise Rechnung getragen und insoweit den Beteiligten eine Verlängerung der Verfahrensdauer erspart werden.
Nach alledem ist die Klage nur im zweiten Hilfsantrag begründet, während sie sich im Übrigen als unbegründet erweist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 Hs. 1 VwGO gerichtskostenfrei.


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