Aktenzeichen Au 5 K 17.31728
Leitsatz
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage (vgl. BayVGH BeckRS 2014, 48575). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der nach § 76 Abs. 1 AsylG zuständige Einzelrichter konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte in der Ladung auf die Tatsache, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, ausdrücklich hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung am 13. November 2017 form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Soweit der Kläger die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 21. März 2017 in dessen Nummern 4 bis 6 und die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Afghanistan auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes. Ein solches liegt zu Gunsten des Klägers nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sie aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Fällen, in denen gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Die Ablehnung von Flüchtlingsschutz ist aufgrund der Beschränkung der Klage bestandskräftig geworden.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr in Afghanistan sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30119 u.a. – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – juris). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. So besteht eine extreme Gefahrenlage dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen und sicheren Hungertod nach erfolgter Abschiebung ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (z.B. B.v. 19.2.2014 – 13A ZB 14.30022 – juris) geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, zu denen auch der Kläger zu rechnen ist, in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt. Gegen das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes spricht beim Kläger zudem, dass dieser seinem eigenen Vortrag noch über Familienangehörige in Afghanistan verfügt, die den Kläger bei einer Rückkehr erneut aufnehmen oder zumindest unterstützen können. Damit droht dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schwierig. Trotz dieser kritischen Versorgungslage muss nicht jeder Rückkehrer aus Europa generell im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden. In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Auskünfte ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer aus Europa generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach … erleiden müsste (vgl. BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13A B 11.30425 – juris Rn. 32 ff.). Nur für besonders schutzwürdige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen mit und ohne Kinder, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen oder die über keinen aufnahmebereiten Familienverbund verfügen, lässt sich eine extreme Gefahrenlage begründen. Für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, besteht die Möglichkeit, sich eine neue Existenz in Kabul oder einer anderen größeren Stadt aufzubauen (stRspr. des BayVGH, beispielsweise U.v. 15.3.2012 – 13a B 11.30439 – juris Rn. 25).
Ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger, der Afghanistan bereits im Alter von fünf oder sechs Monaten verlassen hat, dort über keine Familienangehörigen verfügt, rechtfertigt kein anderes rechtliches Ergebnis. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Kläger sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Afghanistan durchaus sichern kann. Hierfür spricht insbesondere die Tatsache, dass der Kläger in den letzten fünf Jahren vor seiner Ausreise aus dem Iran dort dauerhaft im Baugewerbe bzw. in der Taschenproduktion gearbeitet hat. Dieser beruflichen Tätigkeit im Iran ist der Kläger auch ohne nennenswerte familiäre Unterstützung nachgegangen. Beim Verlassen Pakistans im Jahr 2010 ist die Mutter des Klägers in Pakistan verblieben. Der Kläger ist lediglich mit einer Gruppe von Jugendlichen in den Iran übergesiedelt und hat sich dort selbständig um Arbeit und Unterkunft bemüht. Vor diesem Hintergrund, dass dem Kläger dies in einem bis dahin fremden Land ohne nennenswerte familiäre Unterstützung gelungen ist, lässt darauf schließen, dass der Kläger auch in der Lage ist, in Afghanistan seinen Lebensunterhalt sicherzustellen.
Im Übrigen verweist das Gericht auf mögliche Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Afghanistan nach dem REAG/GARP-Programm. Darüber hinaus werden Leistungen nach dem Reintegrationsprogramm „ERIN“ gewährt (vgl. Auskünfte der Regierung von Schwaben vom 17. August 2016 und des Bundesamtes vom 12. August 2016 an das Verwaltungsgericht Augsburg).
Auch steht der langjährige Aufenthalt des Klägers im Iran bzw. Pakistan der Einschätzung einer zumutbaren Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegen. Schließlich hat der Kläger den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; zuletzt B.v. 14.12.2016 – 13a ZB 16.30139 –, nicht veröffentlicht). Zudem spricht der Kläger die Landessprache Dari. Auch wurde der Kläger in Pakistan fünf Jahre lang privat unterrichtet und ist des Lesens und Schreibens mächtig. Er verfügt darüber hinaus über eine etwa fünfjährige berufliche Erfahrung in der Taschenproduktion bzw. als Hilfskraft im Baugewerbe. Dies alles lässt darauf schließen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage ist, sein Existenzminimum zu sichern. Gerichtsbekannt ist, dass insbesondere im Baugewerbe Hilfskräfte in Afghanistan gesucht werden.
Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Einwände hiergegen hat der Kläger auch nicht erhoben.
Nach allem erweist sich die Klage zwar als zulässig, aber unbegründet. Sie war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.