Verwaltungsrecht

Rückkehr nach Mali für einen jungen alleinstehenden Mann zumutbar

Aktenzeichen  Au 5 K 18.30017

Datum:
23.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16732
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Es ist davon auszugehen, dass dem Kläger in einem anderen Landesteil im Süden bzw. Südwesten Malis eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der malische Staat im Süden des Landes seiner Funktion als Schutzakteur nach § 4 Abs. 3 S. 1 iVm § 3d AsylG nachkommen kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als junger alleinstehender Mann sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Mali durchaus sichern kann. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkte Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 11. Dezember 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG.
a) Es ist nach Überzeugung des Gerichts nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Mali die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) landesweit drohen könnten.
Der Kläger befürchtet bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der vorangegangenen gewaltsamen Auseinandersetzungen mit seinem Halbbruder von diesem aus Rache getötet zu werden. Selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrags ist der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 e AsylG zu verweisen. Demzufolge wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Fluchtalternative erfordert stets eine Einzelfallprüfung (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30185 – juris Rn. 5). Es ist jeweils die konkrete Situation des Klägers und der Grad seiner Vorverfolgung in Blick zu nehmen.
Es ist davon auszugehen, dass dem Kläger in einem anderen Landesteil im Süden bzw. Südwesten Malis wie beispielsweise in Kayes eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Der Kläger konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung bringen, dass er einer landesweiten ernsthaften Bedrohung durch seinen Halbbruder unterliegt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger in seinem Heimatland bei der Wohnungs- und Arbeitssuche umfangreiche Angaben zu seiner Person machen muss, hat die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Informationen tatsächlich in großem Umfang weitergegeben würden. Der Kläger selbst konnte hierzu auch auf Nachfrage keine konkreten Angaben machen. Die wiederholte Aussage des Klägers, dass die Leute ihn auf der Straße erkennen würden und sich seine Rückkehr nach Mali in wenigen Wochen herumsprechen werde, stellt sich nach Auffassung des Gerichts als pauschale Behauptung dar. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der erheblichen Zeitspanne von sieben Jahren, die seit den vorgetragenen Geschehnissen vergangen ist und die der Kläger im Ausland verbracht hat. Jedenfalls ist auch unter Berücksichtigung dieser Angaben des Klägers nicht ersichtlich, wie gerade sein Halbbruder von der Anwesenheit des Klägers in einem anderen Landesteil Malis erfahren sollte. Selbst bei Wahrunterstellung der Behauptung des Klägers, dass sein Halbbruder Kontakte zu der terroristischen Gruppierung „Ansar Dine“ habe, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Gruppierung den Halbbruder tatsächlich mit derartigen Informationen aus dem Süden Malis versorgen kann bzw. überhaupt ein Interesse daran hat, dies zu tun. Anhaltspunkte für ein derartiges landesweites Informationsnetzwerk ergeben sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln nicht. Der Vortrag des Klägers bleibt insoweit auch lediglich pauschal und unsubstantiiert. Die bloße Behauptung des Klägers, dass die kriminellen bzw. terroristischen Gruppierungen generell und landesweit untereinander vernetzt seien, ist angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen dieser Gruppen nicht glaubhaft. Eine landesweite Bedrohung durch den Halbbruder ist daher nach Überzeugung des Gerichts nicht gegeben.
Das Gericht geht im Weiteren davon aus, dass der Kläger als arbeitsfähiger junger Mann seinen Lebensunterhalt in einem anderen Landesteil im Süden Malis sicherstellen kann, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist als die bloße Sicherung des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20). Der Kläger hat die Schule neun Jahre lang besucht, verfügt über eine Ausbildung und war in seinem Heimatland bereits beruflich tätig.
Im Übrigen ist nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln davon auszugehen, dass der malische Staat im Süden des Landes seiner Funktion als Schutzakteur nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 d AsylG nachkommen kann (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali vom 6.11.2017, S. 5, 11). Der malische Staat ist insbesondere in der Heimatstadt des Klägers, der Hauptstadt des Landes Bamako generell schutzfähig und auch schutzwillig. Dies gilt auch für den Fall, dass – wie vom Kläger vorgetragen – einzelne Polizeibeamte ihre Dienstpflichten aufgrund von Korruption nicht zufriedenstellend erfüllen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger gar nicht erst versucht, staatlichen Schutz zu erhalten. Es ist dem Kläger deshalb zuzumuten, gegen kriminelle Übergriffe seitens seines Halbbruders zunächst Schutz bei der Polizei zu suchen. Beim Halbbruder des Klägers handelt es sich damit auch nicht um einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylG.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Der Süden Malis ist bürgerkriegsfrei. Von den Kampfhandlungen islamistischer Gruppen, die im Januar 2012 ihren Anfang nahmen, war der Norden Malis betroffen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali vom 6.11.2017, S. 5 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mali: Aktuelle Lage, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 30. Oktober 2012). Zu den gegen das Militär kämpfenden Gruppierungen gehörte auch die Gruppierung „Ansar Dine“. Bereits im Juni 2013 war zwischen der malischen Regierung und mehreren bewaffneten Gruppen ein Friedensabkommen zur Stabilisierung der Lage im Norden Malis geschlossen worden (Amnesty International, Mali-Report 2015). Am 15. Mai und 20. Juni 2015 wurde erneut ein innerstaatliches Friedensabkommen zur nachhaltigen Befriedung von Nord-Mali geschlossen. Von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Norden Malis blieb der Süden Malis jedoch verschont, auch wenn selbst in der Hauptstadt Bamako eine Gefährdung durch terroristische Gruppen nicht ausgeschlossen werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali vom 6.11.2017, S. 5 f.; Auswärtiges Amt, Mali: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 9.1.2018). Auch in jüngster Zeit gab es vereinzelte terroristische Anschläge in Bamako, wobei aber insbesondere ausländische Einrichtungen ins Visier genommen wurden. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass vereinzelte Anschläge bereits die Qualität eines Bürgerkriegs erreicht haben, bestehen nicht (s. hierzu auch VG Magdeburg, U.v. 27.5.2016 – 1 A 125/15 MD). Nach den Erkenntnissen des Gerichts erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad der Gewalt jedenfalls im Süden Malis kein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre.
2. Es liegen in der Person des Klägers keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Gefahr liefe, in Mali auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, gibt es nach der Auskunftslage nicht. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13A B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197). Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers nicht vor. Obwohl die wirtschaftliche Lage in Mali nach wie vor schlecht ist, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen kann. Nach wie vor ist das Land auf humanitäre Unterstützung von außen angewiesen, wobei insbesondere der Norden Malis betroffen ist. Allerdings hat sich die humanitäre Situation im Süden Malis verbessert. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in den vom Staat kontrollierten Gebieten gesichert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali vom 6.11.2017, S. 14). Die wirtschaftliche Lage ist stabil, allerdings macht die Verringerung der Armut nur langsam Fortschritte (Auswärtiges Amt, Mali: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Stand: Oktober 2017). Mali ist zunehmend marktwirtschaftlich orientiert. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als junger alleinstehender Mann sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Mali durchaus sichern kann. Der Kläger ist erwerbsfähig und war in Mali bereits beruflich tätig. Er hat die Schule neun Jahre lang besucht und hat zudem eine Ausbildung als Bauzeichner absolviert. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht zumindest mit Gelegenheitsarbeiten sicherstellen könnte, gibt es nicht.
b) Ebenfalls liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Anhaltspunkte für eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers bei einer Rückkehr nach Mali bestehen nicht. Insbesondere leidet der Kläger an keiner schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
3. Auch die in Nr. 6 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbote gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG erweist sich als rechtmäßig. Die darin getroffenen Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte, die eine kürzere Befristung rechtfertigen würden, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).

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