Verwaltungsrecht

Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaf

Aktenzeichen  W 8 K 20.30178

Datum:
28.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26878
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 73 Abs. 2
AufenthG § 60

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 10. Januar 2020 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 10. Januar 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Rücknahme der mit Bescheid vom 18. Oktober 2015 zuerkannten Flüchtlingseigenschaft ist rechtswidrig, weil das Gericht nicht davon überzeugt ist, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf unrichtigen Angaben des Klägers beruht. Das Gericht ist aufgrund des Akteninhalts sowie des Vorbringens des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass der Kläger kein syrischer Staatsangehöriger, sondern libanesischer Staatsangehöriger ist, selbst wenn der Kläger insoweit nicht alle Zweifel restlos ausräumen konnte. Im Ergebnis konnte aber nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden, dass der Kläger kein syrischer Staatsangehöriger ist. Die Beweislast liegt bei der Beklagten.
Denn Voraussetzung für eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG ist, dass die Darstellung des Betreffenden objektiv unzutreffend war, also hier die Angabe zu seiner syrischen Staatsangehörigkeit, und dass diese objektiv fehlerhafte tatsächliche Grundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kausal war. Die unrichtigen Angaben zur syrischen Staatsangehörigkeit müssen ursächlich für den Erlass des positiven Bescheides gewesen sein und feststehen. Es muss positiv festgestellt sein, dass der Kläger nicht syrischer Staatsangehöriger ist. Die Beklagte ist darlegungs- und beweispflichtig. Sie trägt die Beweislast für das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen. Bloße Zweifel genügen nicht (vgl. Fleuß, BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 26. Edition, Stand: 1.7.2020, § 73 AsylG Rn. 30 ff.; Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 73 Rn. 80; Funke/Kaiser, GK-AsylG, 124. Lieferung 1.12.2019, § 73 AsylG Rn. 49; m.w.N. auch zur Rechtsprechung).
Zur Überzeugung des Gerichts steht nicht fest, dass der Kläger kein syrischer Staatsangehöriger ist. Der Kläger hat im behördlichen Verfahren sowohl gegenüber dem Bundesamt für … als auch bei der Ausländerbehörde im Kern einen stimmigen Vortrag geleistet, wonach sein Vater syrischer Staatsangehöriger gewesen und er selbst in Syrien in Idlib geboren, aber mit acht Jahren von Syrien mit seiner Familie in den Libanon gezogen sei.
Das Gericht verkennt nicht, dass sich – gerade aus der Sicht der Beklagten – verständlicher Weise erhebliche Zweifel darin begründen, dass der Kläger zum Beweis seiner Staatsangehörigkeit Unterlagen (Geburts- und Personenstandsregisterauszüge) vorgelegt hat, bei denen aufgrund der kopiertechnischen Herstellung des Untergrunddrucks und des abweichenden gezackten Beglaubigungsstempelabdrucks viel für eine nicht amtliche Ausstellung spricht.
Der Kläger hat zu den fraglichen Unterlagen aber plausibel geschildert, wie er diese über einen Freund, den er im Internet bei einem Computerspiel kennen gelernt habe und der als Soldat in Syrien stationiert sei, die aus Damaskus stammenden Dokumente erhalten habe. Indiz dafür, dass der Kläger, der durchweg behauptet hat, die Dokumente seien echt und Originale, vielleicht selbst nichts von der fehlenden Authentizität wusste, ist der Umstand, dass er sich nicht etwa für viel Geld für ihn günstige, gefälschte Dokumente als solche gekauft hat, sondern dem Freund lediglich 20,00 EUR dafür habe zukommen lassen, dass dieser ihm die Unterlagen per Post schicken könne.
Der Kläger hat weiter – ohne zu seinen Gunsten aufzubauschen und eine erdachte Geschichte zu erzählen – eingeräumt, dass er sich aufgrund der langen Zeit nicht mehr an konkrete Einzelheiten seiner ersten Schulklasse in Syrien erinnern könne. Er hat aber immerhin noch gewusst, dass nur Jungen in seiner Klasse gewesen seien und keine Mädchen. Er hat auf Frage des Gerichts weiter zu seiner Vorschulzeit berichtet, dass er von so einer Art „Tagesmutter“, mehrere Frauen, mit anderen Kindern zusammen betreut worden sei. Des Weiteren hat er vorgebracht, später im Libanon tatsächlich keinen Tag in der Schule gewesen zu sein, sondern die Schule immer geschwänzt zu haben und dann mit zwölf Jahren sowieso die Schule verlassen zu haben, um zu arbeiten.
Auch die weiteren Argumente des Bundesamtes für … sind nicht geeignet, die fehlende syrische Staatsangehörigkeit zweifelsfrei zu belegen. Das eingeholte Sprachgutachten führt am Ende auf Seite 7 zwar aus, dass das Arabisch des Klägers eindeutig durch das Libanesische geprägt sei. Allerdings spreche er weder den echten Dialekt von Tripoli noch den von Beirut. Weiter führt das Gutachten ausdrücklich aus: Da syrisches und libanesisches Arabisch eng miteinander verwandt seien, wäre es völlig natürlich, dass jemand, der im Alter von acht Jahren von Syrien in den Libanon gezogen sei, sich mehr oder weniger das Libanesische aneigne. Komplett angeeignet habe sich der Kläger aber das Libanesische nicht. Er verwende auch syrische Begriffe. Diese Erkenntnis deckt sich mit der Aussage des Dolmetschers in der mündlichen Verhandlung. Der – aus Somalia stammende – Dolmetscher erklärte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich: Er könne am Akzent des Klägers wenig erkennen. Libanesisch und Syrisch seien sehr ähnlich. Für ihn, den Dolmetscher, spreche der Kläger Syrisch. Weiter ist zu betonen, dass die Mutter des Klägers nach seinen Angaben – auch schon gegenüber Bundesamt und Ausländerbehörde – Libanesin gewesen sei, so dass es einleuchtet, dass die Sprachbildung des Klägers auch von seiner Mutter mitgeprägt ist.
Der Umstand, dass der Kläger viele Facebook-Freunde im Libanon bzw. aus dem Libanon hat und dass er Telefonate überwiegend mit den Libanon geführt hat bzw. die Nachrichten dahin geschickt hat, deckt sich mit seinen Angaben, dass er mit acht Jahren in den Libanon gekommen sei und seine Zeit – abgesehen von einem Militärdienst von einem Jahr und zwei Monaten – bis zu seiner Ausreise im Libanon verbracht, sich dort sozialisiert und seine Freunde gefunden habe. Der Kläger fügte weiter an, dass er aber auch auf Facebook nachweislich, wenn auch zu einem geringen Teil, syrische Freunde und auch andere Nationalitäten als Freunde habe. Der Kläger gab weiter an, dass er auch sonst mit syrischen Freunden kommuniziere, und macht insoweit einen ehrlichen Eindruck, als er nicht etwa vorgab, diese schon aus der Vergangenheit zu kennen, sondern erklärte, dass er sie in Deutschland kennen gelernt habe und sie nach Syrien zurück seien.
Gerade nach dem Gesamtbild des Vorbringens des Klägers in den verschiedenen Verfahrensstufen und gerade auch nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung hält das Gericht auch unter Berücksichtigung der aktenkundigen Erkenntnisse das Vorbringen des Klägers zu seiner syrischen Staatsangehörigkeit im Ergebnis für plausibel und nicht widerlegt, wenn auch gewisse Restzweifel nicht völlig ausgeräumt werden konnten. Demgegenüber hält das Gericht den Schluss der Beklagten, dass der Kläger definitiv kein syrischer, sondern allein libanesischer Staatsangehöriger sei, der die syrische Staatsangehörigkeit nur behaupte, seinerseits mit erheblichen und durchgreifenden Zweifel behaftet. Dies wirkt sich in der vorliegenden Fallkonstellation zu Gunsten des Klägers aus.
Steht damit das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen des § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG nicht fest, kann die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides keinen Bestand haben. Vielmehr lebt der Ausspruch des Bescheides vom 18. Oktober 2015 mit Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger wieder auf.
In der Folge besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, so dass die Nrn. 2 und 3 des Bescheides ebenfalls aufzuheben waren. Über die betreffenden hilfsweise gestellten Anträge war nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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