Aktenzeichen M 3 K 17.1212
APO THI § 15
BayVwVfG Art. 31 Abs. 3 S. 1, Art. 41 Abs. 2 S. 3
Leitsatz
1 Eine Behörde kann ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs eines Bescheides auch nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Empfänger den Bescheid tatsächlich erhalten haben muss. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein aus der Tatsache, dass der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt eine Rückfrage zu seinem Antrag gestellt hatte, kann nicht geschlossen werden, dass ihm der Bescheid wohl zugegangen sein muss. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 3. März 2017 verpflichtet, dem Kläger hinsichtlich der zweiten Wiederholungsprüfungen „Globalization in Retail (schriftliche Prüfung)“ und „Elective Foreign Language II – Spanisch II (mündliche Prüfung)“ im Bachelorstudiengang International Retail Management jeweils den Rücktritt zu genehmigen und eine Nachfrist zur Ablegung zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Ablehnungsbescheid des Antrags auf Rücktritt und Nachfrist für die zweiten Wiederholungsprüfungen in den Modulen Globalization und Spanisch II der Beklagten vom 3. März 2017 war rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Ablehnung der Rücktrittsanträge mit der Begründung, der Kläger hätte seine Prüfungsunfähigkeit nur mit Attesten des Gesundheitsamts belegen können, ist mangels nachgewiesener Bekanntgabe der Verfügung über die amtsärztliche Attestverpflichtung rechtswidrig. Da die Prüfungsunfähigkeit im Übrigen durch die vorgelegten Atteste des Klägers vom 20. und 27. Januar fristgerecht dargelegt wurde, hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Genehmigung seiner Anträge auf Rücktritt und Nachfrist vom 21. und 27. Januar 2017 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Genehmigung des Rücktritts und der Festsetzung einer Nachfrist bezüglich der zweiten Wiederholungsprüfungen in den Modulen Spanisch II und Globalization ist § 8 Abs. 4 Satz 1 Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen (RaPO) vom 17. Oktober 2001 (GVBl S. 686, BayRS 2210-4-1-4-1-K), die zuletzt durch Verordnung vom 6. August 2010 (GVBl. S. 688) geändert worden ist, i.V.m § 15 Abs. 5 Satz 1 Allgemeine Prüfungsordnung der Technischen Hochschule … (APO TH…).
Hiernach können auf Antrag Fristen zur Ablegung von Prüfungen angemessen verlängert werden, wenn sie wegen Schwangerschaft, Erziehung eines Kindes, Krankheit oder anderer nicht zu vertretender Gründe nicht eingehalten werden können. Die Verpflichtung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attestes konnte für die streitgegenständlichen Anträge auf Rücktritt und Nachfrist keine Wirkung entfalten (nachfolgend unter 1.). Die übrigen Erfordernisse zur Genehmigung der Anträge lagen vor (nachfolgend unter 2.)
1. Der von der Beklagten im Ablehnungsbescheid vom 3. März 2017 ausschließlich angeführte Einwand, der Kläger sei seiner Pflicht nicht nachgekommen, seine Prüfungsunfähigkeit durch ein Attest des Gesundheitsamts nachzuweisen, kann die Ablehnung der streitgegenständlichen Anträge des Klägers nicht begründen, da von einem wirksamen Zugang der Verpflichtung zur amtsärztlichen Attestvorlage beim Kläger nicht ausgegangen werden kann.
Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 6 RaPO i.V.m. § 15 Abs. 5 Satz 6 APO THI kann das Prüfungsamt der Hochschule in begründeten Zweifelsfällen, zusätzlich zu den Anforderungen an die Darlegung der Prüfungsunfähigkeit, ein Zeugnis des Gesundheitsamtes verlangen. Unter Bescheidsziffer 3. des Bescheids vom 31. August 2016 verfügte die Beklagte gegenüber dem Kläger, „bei einem erneuten Antrag auf Rücktritt bzw. Nachfrist ein Attest der Prüfungsunfähigkeit des Gesundheitsamtes der … vorzulegen.“ Im Raum steht vorliegend nicht die Zulässigkeit dieser Auflage, sondern der fehlende Nachweis des Zugangs dieser Auflage beim Kläger.
Vorliegend greift der Fall des Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG ein, wonach die grundsätzlich anzunehmende Bekanntgabefiktion des Bescheids vom 31. August 2016 nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG, aufgrund des vom Kläger bestritten Zugangs und des fehlenden Nachweises des Zugangs des Bescheids durch die Beklagte, nicht gilt.
Gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Aufgabe zur Post des Bescheids vom 31. August 2016 konnte die Beklagte belegen. Sie ist nicht auf dem Entwurf des Bescheids vom 31. August 2016 vermerkt, sondern in einem eigenen Dokument, das sämtliche Ausgänge des Studiengangs International Retail Management des jeweiligen Semesters zeigt. Dieses Vorgehen begründet die Beklagte damit, dass Entscheidungen über Anträge auf Rücktritt und Nachfrist Teil des regulären Prüfungsvollzuges seien und die Postaufgabe aus organisatorischen Gründen gesammelt vorgenommen werde; der Prüfungsvollzug mit seinem vorab festgelegten Ablauf ermögliche dies. Auf der vorgelegten Übersicht über die Anträge auf Rücktritt und Nachfrist im Sommersemester 2016 im Studiengang International Retail Management findet sich der handschriftliche Vermerk, dass die im Dokument aufgelisteten Bescheide, unter denen sich auch der Bescheid mit der Auflage zur amtsärztlichen Attestpflicht befindet, gesammelt am 31. August 2016 erstellt und zur Post gegeben worden sind. Die Dokumentation der Postaufgabe von Verwaltungsakten ist nicht gesetzlich festgeschrieben, sodass auch die gegenständlich gewählte Form eines gesammelten Ausgangs verschiedener Verwaltungsakte, geeignet ist die Aufgabe zur Post zu belegen. Grundsätzlich gilt damit der besagte Bescheid als bekannt gegeben.
Die Bekanntgabefiktion des Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt jedoch gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Vorliegend bestehen Zweifel am Zugang und ein Zugangsnachweis konnte durch die Beklagte nicht geführt werden.
Der Kläger bestreitet, den Bescheid vom 31. August 2016 jemals erhalten zu haben und daher auch keine Kenntnis von einer amtsärztlichen Attestpflicht gehabt zu haben. Die Beklagte trägt wiederum vor, von einem gewöhnlichen Postlauf ausgehend, sei nicht ersichtlich, weshalb ein Zugang nicht erfolgt sein sollte. Dieser Vortrag allein kann die Zweifel am Zugang jedoch nicht ausräumen. Zwar kann eine Behörde ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs eines Bescheides auch nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden könne, dass der Empfänger den Bescheid tatsächlich erhalten haben muss (OVG Greifswald, B.v. 19.5.16 – 2 M 31/16 – BeckRS 2016, 52699 Rn. 9). Derlei Tatsachen wurde hier jedoch nicht vorgetragen. So hat der Kläger beispielsweise nicht innerhalb der Nachfrist eine Nachfrage zu dem Gesundheitsamt beim Prüfungsamt der Beklagten gestellt, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden könnte, dass der Kläger den Bescheid mit der amtsärztlichen Attestpflicht erhalten haben musste.
Die Beklagte trägt hier dagegen vor, dass der Bescheid vom 31. August 2016 nicht nur die unter dem dritten Bescheidstenor verfügte amtsärztliche Attestpflicht, sondern auch die für den Kläger begünstigenden Verfügungen, unter Bescheidsziffer 1. die Genehmigung der Anträge auf Rücktritt und Nachfrist für beide Modulprüfungen sowie unter Bescheidsziffer 2. die Nachfristgewährung für die zweite Wiederholungsprüfung für jeweils beide Module bis zum Prüfungstermin im Wintersemester 2016/2017, regelte; der Kläger dürfte somit aufgrund seines Bestreitens des Zugangs, auch nichts von der Gewährung des Rücktritts und der um ein weiteres Semester verlängerten Nachfrist gewusst haben. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt eine Rückfrage zu seinem Antrag gestellt hatte, könne geschlossen werden, dass ihm der Bescheid wohl zugegangen sein müsse. Dieser Annahme kann das Gericht nicht folgen. Der Kläger trägt nachvollziehbar vor, dass er bereits über die Kennzeichnung seiner Prüfungen im Online-Portal der Beklagten für ihre Studierenden erkennen konnte, dass die zweiten Wiederholungsprüfungen in den streitgegenständlichen Modulen nicht als „nicht bestanden“ gewertet wurden. So bestätigt auch die Beklagte, dass aus dem Online-Portal der aktuelle Status einer Prüfung erkennbar sei. Dies entspricht auch der Regelung in § 8 Abs. 4 Satz 2 APO THI, wonach die Notenbekanntgabe nach Feststellung der Noten durch elektronischen Aushang im Studierenden-Portal … erfolge.
Auch der Vortrag, dem Kläger müsse das Verfahren der Antragstellung und Benachrichtigung per Bescheid bekannt gewesen sein, da er schließlich bereits mehrfach Anträge auf Rücktritt und Nachfrist gestellt habe, führt nicht zu einem Nachweis des Zugangs des Verwaltungsakts. Denn auch bei den vorangegangenen Rücktritten, konnte der Kläger die Genehmigung aus dem Online-Portal der Beklagten ablesen. Aufgrund der entsprechenden Markierung im Studierenden-Portal …, wäre somit für den Kläger, auch im Falle des fehlenden Zugangs des Bescheids vom 31. August 2016, nicht eine Rückfrage über die Entscheidung über den Rücktrittsantrag erforderlich gewesen. Ebenso wäre im Falle des fehlenden Zugangs des Bescheids vom 31. August 2016 auch eine Rückfrage zur gewährten Nachfrist nicht zwingend erforderlich gewesen. Für die streitgegenständlichen Prüfungen gab es im Semester der Antragstellung, dem Wintersemester 2016/2017, keine weiteren Prüfungstermine, sodass der nächste Termin zur Ablegung der zweiten Wiederholungsprüfungen frühestens im Sommersemester 2017 möglich gewesen war und somit die Nachfrist zumindest bis zu diesem Termin reichen musste.
Der Vortrag der Beklagten ist somit nicht geeignet, die Zweifel am Zugang des Verwaltungsakts vom 31. August 2016 auszuräumen, sodass es bei der Nachweisverpflichtung der Behörde bleibt, die die Beklagte im streitgegenständlichen Fall nicht führen kann. Im Falle belastender Verwaltungsakte, wie z.B. der Auferlegung einer Attestpflicht, könnte ein Nachweis des Zugangs beispielsweise mittels Postzustellungsurkunde erfolgen. Das von der Beklagten praktizierte Sammelverfahren hinsichtlich des Postauslaufs begünstigender Verwaltungsakte würde von diesen Fällen des Abtrennens belastender Teile der Verwaltungsakte nicht berührt. Es besteht auch keine Gefahr der Unzumutbarkeit der Beweislastverpflichtung der Beklagten für den Zugang belastender Verwaltungsakte, zumal sich laut Vortrag der Beklagten die Verpflichtung zur Vorlage amtsärztlicher Atteste auf wenige Fälle beschränke.
2. Die streitgegenständlichen Rücktritts- und Nachfristanträge des Klägers genügten im Übrigen den Vorgaben der RaPO und der APO TH…. § 8 Abs. 4 Satz 2 RaPO verweist hinsichtlich des Verfahrens der Fristverlängerung auf die Hochschulprüfungsordnung. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 APO TH… sind Anträge auf Fristverlängerung beim Prüfungsamt unverzüglich, im Falle einer Prüfungsunfähigkeit wegen Krankheit zusammen mit einem ärztlichen Zeugnis spätestens eine Woche nach dem versäumten Prüfungstag zu stellen.
Die Anträge auf Rücktritt und Nachfrist wurden bezüglich beider Prüfungen fristgerecht gestellt. Die Prüfung im Modul Globalization war am Samstag, den 21. Januar 2017. Die Frist lief daher nicht am Samstag, den 28. Januar 2017, ab, sondern gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG erst am nächsten Werktag, nämlich am Montag, den 30. Januar 2017. An diesem Tag ging der Antrag des Klägers ausweislich des Eingangsstempels bei der Beklagten ein. Die Wochenfrist für die am 27. Januar 2017 terminierte Prüfung Spanisch II lief am 3. Februar 2017 ab, sodass der am 2. Februar 2017 eingegangene Antrag des Klägers fristgerecht erfolgte.
Des Weiteren beruhen die vorgelegten ärztlichen Zeugnisse auch auf einer Untersuchung, die grundsätzlich am Tag der versäumten Prüfung erfolgt ist. Die GlobalizationPrüfung war am 21. Januar 2017, die ärztliche Untersuchung erfolgte bereits einen Tag zuvor, am 20. Januar 2017 und attestierte eine Prüfungsunfähigkeit vom 20. bis voraussichtlich 22. Januar 2017. Das Attest für die Spanisch IIPrüfung wurde am Tag der Prüfung, am 27. Januar 2017, ausgestellt.
Schließlich genügen die vorgelegten Atteste auch den Anforderungen an die Darlegung einer Prüfungsunfähigkeit, werden sie doch beide auf dem von der Beklagten vorbereiteten Formblatt niedergelegt, wonach der Arzt attestiert, dass aus seiner Sicht „eine erhebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens (Schwankungen in der Tagesform, Prüfungsangst, Prüfungsstress u.ä. sind keine erheblichen Beeinträchtigungen)“ vorliegt und der Studierende „daher im angestrebten Zeitraum prüfungsunfähig“ ist.
Nachdem die Beklagte den vorhergehenden Anträgen des Klägers auf Rücktritt und Nachfrist während seiner Studienlaufbahn stets bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen stattgegeben hatte, ist davon auszugehen, dass sich das grundsätzlich durch § 8 Abs. 4 Satz 1 RaPO, § 15 Abs. 5 Satz 1 APO TH… bestehende Ermessen der Beklagten auf ein Maß reduziert hat, das allein eine Genehmigung der Anträge zulässt.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.