Verwaltungsrecht

Schulbegleitung als Maßnahme der Eingliederungshilfe

Aktenzeichen  M 18 E 20.3684

Datum:
27.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24154
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88, § 122 Abs. 1,  § 123
SGB VIII § 35a
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorläufig eine Schulbegleitung für den Antragsteller ab 8. September 2020 zu bewilligen.
Die Verpflichtung ist befristet bis drei Werktage nach Zugang der Entscheidung des Antragsgegners über die Gewährung der beantragten Schulbegleitung auf Grundlage der für den 11. September 2020 geplanten Unterrichtshospitation bei dem Antragsteller.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Antragsteller 9/10, der Antragsgegner 1/10.

Gründe

I.
Der am … 2009 geborene Antragsteller begehrt vom Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der … in …
Seit September 2016 besuchte der Antragsteller die Grundschule am sonderpädagogischen Förderzentrum „… … …“ in Weilheim. Ab dem Schuljahr 2020/2021 soll der Antragsteller die … in … besuchen.
Laut ärztlich-psychologischem Bericht der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie … vom … … … sei der Antragsteller seit dem 20. Juli 2015 in der Klinik in ambulanter Behandlung. Bei dem Antragsteller wurde nach dem multiaxialen Diagnoseschema nach ICD-10 ein frühkindlicher Autismus (Achse 1; F84.0) und eine Lese- und Rechtschreibstörung (Achse 2; F81.0) diagnostiziert. Er weise durchschnittliche Intelligenz bei stark heterogenen Leistungsprofilen (Achse 3) und eine ernsthafte Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus (Achse 6) auf. Relevante somatische Erkrankungen (Achse 4) oder psychosoziale Belastungsfaktoren (Achse 5) lägen nicht vor. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass im Hinblick auf den kognitiven Entwicklungsstand des Antragstellers sowie die fremdanamnestisch erhobenen Informationen (Eltern und Lehrerin) ein Verbleib an der Förderschule als kontraindiziert erscheine, da damit eine konstante Unterforderung zu erwarten sei. Hinsichtlich der deutlichen Schwächen des Antragstellers im Arbeitsgedächtnis, der Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie mit dem Lesen und Schreiben und vor allem auch hinsichtlich der deutlich ausgeprägten autistischen Symptomatik sei jedoch davon auszugehen, dass das weniger eng strukturierte Setting einer Regelschule ohne entsprechende Unterstützung voraussichtlich zu einer starken Überforderung des Antragstellers führen werde. Die Gewährung eines Individualbegleiters in der Mittelschule ab Schulwechsel werde daher dringend empfohlen. Des Weiteren werde die Gewährung spezifischer Nachteilsausgleiche und eine spezifische Lerntherapie für den Bereich Lesen und Schreiben empfohlen. Die Intensität der sozio-emotionalen Problematik zeige in ihrer Auswirkung eine deutliche Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit des Antragstellers, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch für länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen werde. Aufgrund der geschilderten Symptomatik, die den Antragsteller wesentlich in seiner Fähigkeit einschränke, an der Gesellschaft teilzuhaben, solle aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gewährt werden.
Am 12. Mai 2020 beantragte die Mutter des Antragstellers mündlich beim Antragsgegner die Bewilligung einer Schulbegleitung.
Am 12. Mai 2020 und am 29. Juli 2020 fanden Hausbesuche durch den Antragsgegner statt. In einem diesbezüglichen Aktenvermerk vom 6. August 2020 hielt der Antragsgegner im Zuge einer Situationsbeschreibung fest, dass der Antragsteller in seine derzeitige Klasse mit zehn Schülern integriert sei und positive Verhaltensweisen zeige. Die Eltern würden den Antragsteller als leistungsorientiert bezeichnen. Der Antragsteller besuche die Kindergruppe des örtlichen Alpenvereins sowie die Kindergruppe des örtlichen Trachtenvereins. Dies würde funktionieren, da im Alpenverein der Onkel die Gruppe führe und im Trachtenverein der Vater. Dadurch könne der Antragsteller seine Eigenheiten leben und sei immer wieder unbeteiligt am Gruppengeschehen.
Der Antragsgegner habe den Eltern aufgezeigt, dass aktuell aufgrund der soliden guten Leistungen und auch dem vergleichsweise unauffälligen Sozialverhalten im schulischen Kontext nur schwer ein Eingliederungshilfebedarf, welcher eine Schulbegleitung fordere, abzuleiten sei. Es sei seitens des Antragsgegners vorgeschlagen worden, weitere Erhebungen im Rahmen einer Hospitation gleich zum Schuljahresbeginn zu gewinnen, um dann zeitnah und mit gesicherter Bedarfserhebung entscheiden zu können. Mit der Schulleitung der Mittelschule sei für den 11. September 2020 bereits eine Hospitation vereinbart worden. Dieses Vorgehen sei von den Eltern so zunächst stehen gelassen worden.
Der Antragsgegner legte im Folgenden die in den Hausbesuchen gewonnenen Erkenntnisse in sog. Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen (SDT) nieder, welche sich in der vorgelegten Behördenakte finden. In der SDT „Teilhabe“, auf die im Einzelnen verwiesen wird, wertete der Antragsgegner fünf Teilbereiche, im Einzelnen „Persönliche Integrität“, „Alltagsbewältigung“, „Soziale Integration“, „Leistungsbereich“ und „Freizeit“, aus und kam ausweislich eines (offensichtlich fehlerhaft auf den 10. November 2020 datierten) Aktenvermerks zu dem Ergebnis, dass in einem der Teilbereiche drei Auffälligkeiten gegeben seien. Dies sei, dem Antragsgegner zufolge, nicht ausreichend, um beim Antragsteller eine Teilhabebeeinträchtigung anzunehmen, da hierfür im Grunde in drei Teilbereichen jeweils drei Auffälligkeiten gegeben sein müssten.
In einem psychotherapeutischen Gutachten vom … … … der Psychotherapeutin für Kinder- und Jugendliche Dr. O. wird ausgeführt, dass der Antragsteller seit 2016 aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung bei Dr. O. in psychotherapeutischer Behandlung sei. Es sei deutlich geworden, dass der Antragsteller immer wieder durch Stressoren im schulischen Ablauf (Prüfungen, Hausaufgaben, Gruppenarbeiten) als auch in unstrukturierten Situationen in extreme Anspannung und Konflikte mit anderen geraten sei, die er nicht ohne Hilfe von außen habe lösen können. Auch gerate er durch die mit dem Autismus einhergehende Reizfilterschwäche deutlich schneller in Anspannung und benötige eine deutlich längere Regenerationszeit. Des Weiteren sei das Zurechtfinden in neuer Umgebung und in neuen Situationen für den Antragsteller eine enorme Herausforderung. Aus therapeutischer Sicht stelle es daher eine zu große Überforderung für den Antragsteller dar, die Anpassungsleistung an die neue Schule ohne Unterstützung im Sinne einer Individualbegleitung zu bewältigen.
Inwieweit diese Stellungnahme dem Antragsgegner vorgelegt wurde, ist aus der Akte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2020 nahm die bisherige Klassenlehrerin des Antragstellers am sonderpädagogischen Förderzentrum zur Gewährung einer Schulbegleitung für diesen Stellung.
Sie führte aus, dass der Antragsteller den Grundschulstoff im vorgegebenen Zeitrahmen problemlos habe bewältigen können. Ihm sei dabei die individuelle sonderpädagogische schulische Betreuung, aber auch die engagierte häusliche Unterstützung durch seine Mutter zugutegekommen. Weitere unterstützende Faktoren für die bisher positiv verlaufende Entwicklung seien eine über vier Jahre bestehende enge Bindung zu Klassenlehrerin sowie die gleichbleibend verlässlichen und überschaubaren Strukturen der Kleinklasse mit zehn Schülern gewesen. Ein weiterer Verbleib am Förderzentrum würde voraussichtlich zu Langeweile und Unterforderung des Antragstellers führen und werde als ungeeignet erachtet. Auch problematische Verhaltensweisen könnten dadurch verstärkt werden, wie zum Beispiel die Tendenz zur Anhaftung an fixen Ideen, Tagträumerei, Rückzug, innere Abkopplung vom äußeren Geschehen, Erhöhung der Bewegungsunruhe u. a. Aus fachlicher Sicht werde daher ein Besuch der Regelschule mit Individualbegleitung empfohlen.
Während die Lerninhalte der 5. Klasse an der Mittelschule gut zu bewältigen sein dürften, sei zu erwarten, dass die Umgebung in einer Regelschule mittlerer Größe mit entsprechender Reizkulisse den Antragsteller vor erhebliche Probleme stellen werde. Eine Schulbegleitung könne gerade zu Beginn des Schuljahres Hilfestellungen bei der Lenkung der Aufmerksamkeit, aber auch handlungspraktische Unterstützung geben, wie etwa beim Herrichten und Strukturieren von Arbeitsplatz und Materialien, beim Aufschreiben von Hausaufgaben oder bei Aktionswechseln.
Der Antragsteller verfüge über eine verringerte Umstellungsfähigkeit im Vergleich zu nicht autistischen Kindern. Dies habe in der vergangenen Schulzeit immer wieder durch persönliche Ansprache oder durch Zutun der Lehrerin aufgefangen werden können, was im Rahmen der Kleinklasse gut leistbar gewesen, in einer Regelschulklasse aber nicht erwartbar sei. Die beim Antragsteller signifikant verlangsamte Verarbeitungsgeschwindigkeit führe bei diesem zudem zu einer chronischen Stressbelastung, weil er den vorgesehenen Zeitraum für Aufgaben in der Regel ohne Unterstützung nicht einhalten könne. Hinzu komme die Lese- und Rechtschreibschwäche, auf die bisher in der kleinen Förderschulklasse gut habe eingegangen werden können. Eine solche Betreuung sei in der Regelschule aber in der erforderlichen Intensität nicht mehr leistbar und müsste ebenfalls von der Schulbegleitung übernommen werden.
Auch laufe der Antragsteller Gefahr, bei emotionaler Verunsicherung und Stress in Panik zu geraten und nicht mehr ansprechbar zu sein. Eine Schulbegleitung könne solche emotionalen Zusammenbrüche in vielen Fällen bereits verhindern oder aber den Antragsteller in solchen Fällen aktiv beruhigen.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2020 teilte der Antragsgegner den Eltern des Antragstellers mit, dass eine Bedarfsprüfung erst mit einer Schulhospitation an der Mittelschule … abgeschlossen werden könne.
Mit Schreiben an den Antragsgegner vom 4. August 2020 bestellte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers und mahnte eine baldige Entscheidung über den Eingliederungshilfeantrag an.
Mit Bescheid vom 12. August 2020 wurde der mündlich gestellte Antrag auf Gewährung einer Schulbegleitung für den Antragsteller abgelehnt.
In den Gründen führte der Antragsgegner aus, dass aufgrund der diesem vorliegenden Stellungnahmen und Informationen derzeit nicht von einer, auch nur drohenden, Teilhabebeeinträchtigung ausgegangen werden könne.
Die Ausführungen im ärztlich-psychologischen Bericht vom … … … und die dort ausgesprochene Empfehlung einer Schulbegleitung würden im Wesentlichen auf den Aussagen der Eltern und der Lehrerin beruhen, nicht aber auf selbst beobachteten Verhaltensweisen. Gegenüber der schulischen Stellungnahme enthalte der Bericht keine weitergehenden Befunde und Risikoeinschätzungen.
Die positiven Schilderungen des Antragstellers hinsichtlich seines Sozial-, Lern- und Arbeitsverhaltens in den Jahreszeugnissen der Schuljahre 2018/19 und 2019/20 sowie im Übertrittszeugnis würden dem im ärztlich-psychologischen Bericht und in der schulischen Stellungnahme vom … … … formulierten Unterstützungsbedarf deutlich widersprechen. Den Bemerkungen in den Zeugnissen zufolge seien die autismustypischen Defizite des Antragstellers nicht übermäßig stark ausgeprägt. Konkrete Hinweise auf eine vorliegende oder drohende soziale Desintegration im schulischen Umfeld seien bislang nicht erkennbar.
Es könne derzeit nicht abgeschätzt werden, dass eine soziale Integration im neuen schulischen Umfeld nicht gelingen werde. Den Bemerkungen in den Zeugnissen zufolge habe der Antragsteller ein grundsätzliches Potenzial im Bereich des Sozialverhaltens, das durchaus eine tragfähige Basis für einen Regelschulbesuch darstellen könne.
Der Antragsteller solle darin gestärkt und unterstützt werden, auch weiterhin eigenverantwortlich in Kontakt mit anderen Kindern zu kommen und ein geeignetes Sozialverhalten zu erlernen bzw. zu erproben. Dadurch, dass er in der Klasse selbst keine Sonderstellung durch eine Begleitperson einnehmen werde, könne dieser zunächst unbelastet in Kontakt mit den übrigen Schülern treten.
Es sei auch noch unklar, welche Integrationsarbeit und welche Nachteilsausgleiche die Mittelschule leisten könne und welche Auswirkungen diese zeitigen würden.
Für die Annahme, dass ein Regelschulbesuch ohne Schulbegleitung in den ersten Schulwochen bereits zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung führen werde, lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Bereits am 11. September 2020 werde eine Hospitation in der Mittelschule erfolgen. Im Rahmen einer Fortschreibung der sozialpädagogischen Diagnostik solle der Antragsteller im schulischen Umfeld, auch in seinem Verhalten mit Gleichaltrigen und in Gruppensituationen beobachtet werden. Die Hospitation werde auch konkrete Erkenntnisse bringen, ob und wenn ja in welchem Umfang der Antragsteller durch den Regelschulbesuch stärker belastet sei und wie sich seine soziale Integration im neuen schulischen Umfeld tatsächlich gestalten werde. Sollte sich dann zeigen, dass, anders als zum derzeitigen Stand, doch von einer Teilhabebeeinträchtigung auszugehen und die Gewährung eines Schulbegleiters hier die geeignete, bedarfsdeckende Hilfeleistung sei, könne die Installation einer Schulbegleitung zeitnah in Aussicht gestellt werden.
Am 13. August 2020 beantragte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München,
den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form der Kosten für einen Schulbegleiter für den Besuch der … in … ab Beginn des Schuljahres am 8. September 2020 zu gewähren.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine erhebliche seelische Behinderung des Antragstellers vorliege, die seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtige. Nach allen fachlichen Stellungnahmen sei der Schulbesuch der Mittelschule nur dann erfolgsversprechend, wenn der Antragsteller durch einen Schulbegleiter unterstützt werde.
Dies ergebe sich nicht nur aus der ärztlich-psychologischen Stellungnahme der Klinik … vom … … 2020, sondern weitergehend aus der Stellungnahme der bisherigen Klassenlehrerin vom … … 2020 sowie der Stellungnahme der Psychotherapeutin Dr. O. vom … … 2020.
Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid kenne das … den Antragsteller seit 2015, er sei bereits siebenmal dort vorgestellt worden, zuletzt am 24. März 2020. Die Beurteilung sei aufgrund einer ausführlichen Diagnostik und Testung durch die Klinik erfolgt und beruhe nicht allein auf fremdanamnestischen Angaben.
Bei der Entscheidung, ob eine Teilhabebeeinträchtigung vorliege, sei zu berücksichtigen, dass für autistische Kinder bei richtiger Diagnosestellung immer auch von einer erheblichen Beeinträchtigung bei der Teilnahme ausgegangen werden müsse, da gerade die sozialen Interaktionsstörungen, d.h. die Behinderung in der Teilhabe, ein zentrales Diagnosemerkmal darstellten.
Im Übrigen sei das von dem Antragsgegner gewählte Verfahren rechtswidrig. Der Antrag sei am 12. Mai 2020 gestellt worden. Nach der Rechtsprechung sei über den Hilfeantrag rechtzeitig zu entscheiden, wobei die Frist des § 75 VwGO als Obergrenze anzusehen sei. Im vorliegenden Fall bedeute dies, dass über den Antrag so früh hätte entschieden werden müssen, dass die Eltern aufgrund ihrer elterlichen Sorge und der Vorgaben des bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes die richtige Schulwahl hätten treffen können. Ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts wäre jedoch bisher keine Entscheidung getroffen worden. Vielmehr vertrete der Antragsgegner die Auffassung, dass die endgültige Entscheidung über die Hilfe erst im September zu treffen sei. Dies sei für den Antragsteller nicht zumutbar, weil damit gegebenenfalls ein Schulabbruch provoziert werden würde. Aus diesen Gesichtspunkten ergebe sich auch die Eilbedürftigkeit und der Anordnungsgrund im vorliegenden Fall. Aufgrund der autistischen Behinderung des Antragstellers und der daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten sei gerade zu Beginn des Schuljahres die Unterstützung durch einen Schulhelfer erforderlich, um den beschriebenen Drucksituationen und einer damit verbundenen Frustration des Antragstellers mit negativen Auswirkungen auf sein Behinderungsbild zu begegnen. Anders als vom Antragsgegner angenommen, könne sich bei positivem Verlauf zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass eine Schulbegleitung im ursprünglich bewilligten Umfang nicht mehr erforderlich sei.
Mit Schriftsatz vom 21. August 2020 nahm der Antragsgegner zum Antrag Stellung und beantragte,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trug unter Verweis auf die im Bescheid vom 12. August 2020 gemachten Ausführungen vor, dass die Voraussetzungen für eine Schulbegleitung derzeit nicht nachgewiesen seien. Auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenabwägung sei es nicht geboten, dem Antragsteller zur angemessenen Verwirklichung seiner Teilhabe im schulischen Bereich bereits ab dem ersten Schultag einen Schulbegleiter zur Verfügung zu stellen.
Die Aussagen im ärztlich-psychologischen Bericht vom … … 2020 wirkten nicht überzeugend und beschränkten sich auf eine Wiedergabe der Aussage der Eltern und der Lehrerin. Auch die in der schulischen Stellungnahme vom … … 2020 beschriebenen Befürchtungen seien nicht nachvollziehbar, da sie in den Ausführungen der vorliegenden Zeugnisse der 3. und 4. Klasse, in welchen das Sozial- und Leistungsverhalten des Antragstellers positiv beschrieben werde, keine Bestätigung fänden. Die Prognose, dass ein Schulbegleiter erforderlich wäre, würde sich insoweit nicht auf konkrete Tatsachen, sondern letztlich auf allgemeine Befürchtungen stützen.
Des Weiteren führte der Antragsgegner aus, dass im Rahmen der durchgeführten sozialpädagogischen Diagnose zur Teilhabe in den fünf bewerteten Teilhabekriterien lediglich im Bereich der sozialen Integration ein grenzwertiges Abweichen von der Norm habe festgestellt werden können. Laut dem bayerischen Landesjugendamt sei in der Regel jedoch ein Abweichen in mindestens drei Teilhabekriterien Grundvoraussetzung für die Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung.
Der Antragsteller habe selbst angegeben, sich auf den Schulwechsel zu freuen. Er verfüge über eine positive Grundhaltung und werde sowohl von seinen Eltern als auch von der Lehrerin als leistungsorientiert beschrieben.
Zudem verfüge dieser aus Sicht des Antragsgegners über ein ausreichendes Potenzial, um im Schulalltag auch an einer Regelschule bestehen zu können – zumindest solange bis neue Bedarfslagen bekannt werden würden. In den Zeugnissen der 3. und 4. Klasse werde sowohl das Sozial- als auch das Lern- und Arbeitsverhalten des Antragstellers positiv dargestellt; autismustypische Verhaltensweisen würden hingegen nicht beschrieben werden.
Der Antragsgegner halte es für sinnvoll und wichtig, dem Antragsteller zu ermöglichen, sich selbst wirksam und gleichberechtigt im Klassenverband einzubringen und Kontakte aufzubauen. Der Einsatz eines Schulbegleiters bereits am ersten Schultag schreibe eine Außenseiterrolle durch die Schulbegleitung fest.
Zwar sei sich der Antragsgegner bewusst, dass der Schulwechsel von einem Förderzentrum auf eine Regelschule stets mit einer gewissen Anpassungsleistung verbunden sei. Der Antragsgegner werde jedoch rechtzeitig vor Schuljahresbeginn auf die Klassenlehrkraft zu gehen, um diese zu sensibilisieren. Zusätzlich werde der Antragsgegner bis zu Hospitation täglich die Unterrichtssituation mit der Schule reflektieren.
Aufgrund der aufgeführten positiven Zuschreibungen als auch der eigenen Wahrnehmungen im Gespräch mit dem Antragsteller gehe der Antragsgegner davon aus, dass ein den weiteren Schulbesuch beeinträchtigender, irreversibler Schaden nicht eintreten könne, wenn der Antragsteller in der ersten Schulwoche den Unterricht ohne Begleitung besuche. Sollte sich im Laufe der ersten Schulwoche die Notwendigkeit einer flankierenden Unterstützung des Antragstellers ergeben, werde der Antragsgegner diese umgehend installieren; die Verfügbarkeit eines Schulbegleiters sei bereits abgeklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der gestellte Antrag ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
Gegenstand des Antragsbegehrens ist nach sachgerechter Auslegung gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO die Bewilligung einer Schulbegleitung für den Besuch der Mittelschule für das gesamte Schuljahr 2020/2021, begrenzt lediglich durch eine eventuell früher erfolgende Hauptsacheentscheidung. Aus der Antragsschrift geht zwar hervor, dass eine Schulbegleitung insbesondere zu Beginn des Schuljahres gewünscht werde. Jedoch lässt sich der Antragsschrift nicht entnehmen, dass sich der Antrag lediglich auf den Zeitraum zwischen Schuljahresbeginn und der endgültigen Entscheidung des Antragsgegners aufgrund der noch zu erfolgenden Unterrichtshospitation beziehen würde.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4). Insbesondere bei zeitlich gebundenen Begehren bleibt nur die Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. zu allem: Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66a bis 66c m.w.N.).
Der Antragsteller konnte für den Zeitraum ab Schuljahresbeginn bis zu einer infolge einer Unterrichtshospitation getroffenen abschließenden Entscheidung des Antragsgegners über die Bewilligung einer Schulbegleitung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters nach § 35a SGB VIII bis zur endgültigen Entscheidung des Antragsgegners auf Grundlage der für den 11. September 2020 anvisierten Unterrichtshospitation wurde glaubhaft gemacht.
Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Der Antragsteller gehört angesichts der eindeutigen Feststellungen im ärztlich-psychologischen Bericht der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie … vom … … 2020 zu dem von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfassten Personenkreis. Dies dürfte zwischen den Parteien auch unstreitig sein.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners geht das Gericht im vorliegenden Fall davon aus, dass zum jetzigen Zeitpunkt auch eine – aus der vom Alterstypischen abweichenden seelischen Gesundheit abgeleitete – zumindest drohenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (sog. Teilhabebeeinträchtigung) nicht ausgeschlossen werden kann. Im Rahmen einer Folgenabwägung war daher zur Sicherung der Rechte des Antragstellers und zur Vermeidung nicht wieder gut zu machender Nachteile eine vorläufige Regelung bis zur endgültigen Entscheidung des Antragsgegners über die Eingliederungshilfe angezeigt.
Während § 35a Abs. 1a SGB VIII Maßgaben für die Feststellung der Abweichung der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII trifft und diese spezialisierten Fachkräften überantwortet, obliegt die Feststellung des Vorliegens der – drohenden – Teilhabebeeinträchtigung wie auch die Festlegung der geeigneten Hilfemaßnahmen, um der Teilhabebeeinträchtigung zu begegnen, dem Jugendamt. Unter dessen Federführung haben ärztliche und sozialpädagogische Fachkräfte nachvollziehbare und gerichtlich überprüfbare Aussagen insbesondere auch darüber zu treffen, welche Lebensbereiche und welches soziale Umfeld von der Teilhabebeeinträchtigung betroffen sind. Anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen ist das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll überprüfbar und besteht auf Seiten des Jugendamtes kein Beurteilungsspielraum (BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 CE 12.2104 – juris Rn. 40 m.w.N.).
Eine Teilhabebeeinträchtigung liegt vor allem dann vor, wenn dem behinderten jungen Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in sozialer, schulischer oder beruflicher Hinsicht erschwert ist, mithin die Integrationsfähigkeit des jungen Menschen beeinträchtigt ist. Hierfür genügt, wenn sich die Störung in einem der relevanten Lebensbereiche auswirkt (Kepert/Dexheimer in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 35a Rn. 19). Allerdings muss die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sein, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris Rn. 15). Es muss damit eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschritten sein.
In der Zusammenschau der vorgelegten Stellungnahmen kann aus Sicht des Gerichts derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller trotz ausreichender kognitiver Begabung behinderungsbedingt nicht in der Lage sein wird, den Unterricht an der Regelschule ohne Unterstützung zu bewältigen. Für das Gericht wiegen im vorliegenden Fall die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber später Erfolg hätte, schwerer als die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag in der Hauptsache aber später erfolglos bliebe. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die beantragte Schulbegleitung grundsätzlich nicht rückwirkend erbracht werden kann und sie daher zeitlich nicht mehr nachholbar ist (vgl. zur Folgenabwägung BayVGH, B.v. 7.9.2018 – 12 CE 18.1899 – juris).
Sowohl aus dem ärztlich-psychologischen Bericht des … vom … … 2020 als auch der Stellungnahme der Psychotherapeutin für Kinder- und Jugendliche Dr. O. vom … … 2020 geht deutlich hervor, dass eine Schulbegleitung für den Antragsteller befürwortet werde, um einer krankheitsbedingten Überforderung des Antragstellers in dem für ihn neuen Setting der Regelschule vorzubeugen. Zwar ist dem Antragsgegner recht zu geben, wenn dieser anführt, die Stellungnahmen machten den Eindruck, sich im Wesentlichen auf Fremdaussagen zu stützen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich bereits seit dem Jahr 2015 im Klinikum … zur ambulanten Behandlung befindet und nach Aussage der Eltern dort seither siebenmal vorstellig geworden sei. Auch bei Dr. O. ist der Antragsteller offenbar schon seit 2016 in psychotherapeutischer Behandlung. Von einer mehr oder weniger fundierten Kenntnis hinsichtlich des Antragstellers und seiner Erkrankung wird daher also durchaus auszugehen sein.
Maßgeblich ins Gewicht fällt aus Sicht des Gerichts für die Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigung jedoch die Stellungnahme der bisherigen Klassenlehrerin Frau L., welche mit den genannten ärztlichen Einschätzungen übereinstimmt. Diese hat den Antragsteller vier Jahre lang unterrichtet und scheint daher besonders befähigt, das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten des Antragstellers zu beurteilen.
In ihrer Stellungnahme hat Frau L. glaubhaft ausgeführt, dass die auf dem Förderzentrum erfolgte individuelle sonderpädagogische Betreuung in einer Kleinklasse mit einer gleichbleibenden Lehrkraft als auch die engagierte häusliche Unterstützung durch die Eltern einen wesentlichen Beitrag zur positiven schulischen Entwicklung des Antragstellers beigetragen hätten. Für das Gericht nachvollziehbar wurde des Weiteren dargestellt, dass die auf einer Regelschule zu erwartende, im Vergleich zur Förderschule deutlich reduzierte Betreuung des Antragstellers durch die Lehrkraft als auch die deutlich erhöhte Klassenstärke diesen – gerade zu Schuljahresbeginn – vor enorme Probleme stellen würde.
Zwar mögen die vorgelegten Schulzeugnisse des Antragstellers der 3. und 4. Klasse ein positiveres Bild von diesem zeichnen, dabei ist jedoch aus Sicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass diese an den Anforderungen der Förderschule ausgerichtet sind und dementsprechend eine Leistungsbeschreibung sowohl unter dem geschützten Rahmen der Beschulung als auch unter Berücksichtigung der dort verringerten Anforderungen darstellen. Sie haben daher für die neue Situation auf einer Regelschule nur bedingten Aussagewert. Der detaillierten Einschätzung der Lehrkraft, die sich konkret auch auf das Krankheitsbild des Antragstellers bezieht, misst das Gericht vorliegend daher höheres Gewicht bei.
Obgleich die dem frühkindlichen Autismus geschuldeten Defizite des Antragstellers wohl vergleichsweise leicht ausgeprägt sind, kann das Gericht daher nicht zuletzt wegen der von ärztlicher und schulischer Seite geschilderten verringerten Umstellungs- und Verarbeitungsfähigkeit des Antragstellers, gepaart mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche, nicht ausschließen, dass die Teilhabe des Antragstellers im Bereich Schule erheblich eingeschränkt sein könnte. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers jedoch vorträgt, dass für autistische Kinder bei richtiger Diagnosestellung stets auch von einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung auszugehen ist, folgt das Gericht dieser pauschalen Einschätzung nicht. Ob die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 1 SGB VIII vorliegen oder nicht, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls.
Auch die Ergebnisse der vom Antragsgegner angeführten sozialpädagogischen Diagnose-Tabelle „Teilhabe“ vermögen an der Einschätzung des Gerichts nichts Grundsätzliches zu ändern. Die SDT stellen lediglich eine Arbeitshilfe für die Entscheidung der Jugendämter über den Eingliederungshilfebedarf dar, denen allenfalls Indizwert zukommt und die die Beteiligten methodisch und dokumentarisch unterstützen sollen (vgl. Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle & Hilfeplan, hrsg. vom Zentrum Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt, Stand: 2013, S. 14, 18). Eine abschließende Entscheidung ist jedoch damit noch nicht vorgegeben.
Der vorgelegten Behördenakte ist zu entnehmen, dass der Antragsgegner mit nicht unwesentlichem Aufwand versucht hat, den Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers zu ermitteln. Auch ist diesem zuzustimmen, dass eine valide Entscheidung über die Hilfegewährung letztlich nur im Zusammenspiel mit den Ergebnissen der Unterrichtshospitation getroffen werden kann. Angesichts der Tatsache, dass gerade der Start auf einer neuen Schule enorm wichtige Weichen für das spätere schulische Gelingen stellt, erscheint allerdings vorliegend das Risiko zu hoch, ohne die Unterstützung durch eine Schulbegleitung möglicherweise eine starke Überforderung des Antragstellers mit erheblichen Folgen herbeizuführen. Die eventuell zu unrecht für lediglich einen kurzen Zeitraum von wenigen Tagen oder Wochen erfolgte Bewilligung einer Schulbegleitung ist aus Sicht des Gerichts dabei nicht so gravierend, wie ein dem Antragsteller bei Verweigerung einer Schulbegleitung bereits ab Schuljahresbeginn entstehender Schaden, sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass ein umfassender Eingliederungsbedarf bestanden hat.
Eine Schulbegleitung erscheint – eine Teilhabebeeinträchtigung vorausgesetzt – aktuell auch als einzig geeignete und erforderliche Hilfemaßnahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, um dem Antragsteller die Bewältigung des Schulalltags zu ermöglichen.
Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und mehrerer Fachkräfte, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Vorliegend hat der Antragsgegner die Bewilligung einer Schulbegleitung für den Antragsteller bereits aufgrund der Annahme abgelehnt, dass bei diesem keine Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 35a Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII vorläge. Eine Entscheidung über eine im Rahmen der Eingliederungshilfe geeignete und erforderliche Hilfe nach § 35a Abs. 2 und 3 SGB VIII wurde daher vom Antragsgegner folglich nicht getroffen. Nach Auffassung des Gerichts hat sich der Beurteilungsspielraum des Jugendamtes vorliegend jedoch auf die Bewilligung einer Schulbegleitung als allein denkbare Hilfemöglichkeit verengt.
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 35a Abs. 3 SGB VIII (i.d. Fassung vom 1.1.2020) i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX insbesondere auch Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Zu diesen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Gewährung einer Schulbegleitung (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 6).
Neben dem Einsatz einer Schulbegleitung sind zum aktuellen Zeitpunkt keine besser- oder auch nur gleichgeeigneten Hilfemaßnahmen ersichtlich.
Dabei ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners zu vernachlässigen, dass der Antragsteller wohl eine gewisse Sonderstellung durch die Schulbegleitung einnehmen wird. Sofern der Antragsgegner vorbringt, eine Schulbegleitung könne letzten Endes zur Zuschreibung einer Außenseiterrolle führen, ist anzufügen, dass dem Antragsteller aufgrund seiner seelischen Behinderung und der damit verbundenen sozialen Auffälligkeiten ohnehin eine Sonderstellung zukommt, der gerade im Wege des Einsatzes eines Schulbegleiters begegnet werden soll (so zu einem ähnlich gelagerten Fall auch BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 CE 12.2104 – juris Rn. 50).
Es ist bei Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung davon auszugehen, dass der Antragsteller sowohl im sozialen Bereich als auch bei der Bewältigung des Unterrichts von einer Schulbegleitung profitieren würde. Dies wird vom Antragsgegner wohl auch nicht in Abrede gestellt, da dieser bereits mitgeteilt hat, dass eine Schulbegleitung zeitnah installiert werden würde, sollte die Unterrichtshospitation einen Eingliederungshilfebedarf bestätigen. Ob neben der beantragten Schulbegleitung noch gesonderter Hilfebedarf für die diagnostizierte Legasthenie und Rechenstörung besteht, ist im Übrigen nicht Gegenstand dieses Beschlusses und wird durch diesen nicht berührt.
Ein Anordnungsanspruch wurde in zeitlicher Hinsicht jedoch lediglich bis zu einer abschließenden Entscheidung des Antragsgegners nach einer erfolgten Unterrichtshospitation glaubhaft gemacht.
Für diesen Zeitraum ergibt die vom Gericht angestellte Folgenabwägung, dass das Interesse des Antragstellers an der Gewährung einer Schulbegleitung gegenüber den öffentlichen Interessen des Antragsgegners überwiegt. Die Schulbegleitung ist zunächst vorläufig zu bewilligen, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Zuge der für den 11. September 2020 geplanten Unterrichtshospitation der Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers bestätigt wird. Wird jedoch vom Antragsgegner eine abschließende Entscheidung nach umfassender Evaluierung des Hilfebedarfs getroffen, bleibt von da an kein Raum mehr für eine Folgenabwägung, da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens damit voraussichtlich nicht mehr als offen zu betrachten ist und ein Anordnungsanspruch dementsprechend (derzeit) nicht glaubhaft gemacht werden kann.
Für den genannten Zeitraum ist zudem ein Anordnungsgrund anzunehmen. Die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache war aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes geboten. Wie im Rahmen der oben angestellten Folgenabwägung dargelegt, drohen dem Antragsteller möglicherweise schwerwiegende Nachteile, sollte er die Mittelschule zunächst ohne Schulbegleitung besuchen. Eine rückwirkende Erbringung der Hilfemaßnahme kommt dahingehend nicht in Betracht, sodass eine Wiedergutmachung ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dem Antrag auf Bewilligung einer Schulbegleitung für das gesamte Schuljahr 2020/21 wurde nur zum Teil entsprochen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.


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