Verwaltungsrecht

Schutz der Totenruhe

Aktenzeichen  M 12 K 19.4493

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43067
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BestV § 21
Friedhofssatzung § 15
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, § 124,§  124 a Abs. 4, § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 1
BayVwVfG Art. 38 Abs. 1 S. 1
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Trennung der verstorbenen Familienangehörigen.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis zur Umbettung der Urnen seiner Mutter, seines Vaters und seines Bruders vom …friedhof in München auf den Waldfriedhof in …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2019 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 21 der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung – BestV) darf eine Leiche zum Zweck der Umbettung nur mit Genehmigung der Gemeinde ausgegraben werden. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 der Satzung über die Bestattungseinrichtungen der Landeshauptstadt München (Friedhofssatzung) vom 8. November 2000, zuletzt geändert am 21. April 2017, können Umbettungen von Aschen auf Antrag nur dann genehmigt werden, wenn in ganz besonderen Ausnahmefällen das Vorliegen eines von der Rechtsprechung anerkannten gewichtigen Grundes die Störung der nach Art. 1 GG geschützten Totenruhe rechtfertigt. Der satzungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt trägt der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Totenruhe und dem allgemeinen Pietätsempfinden Rechnung (BayVGH, B.v. 27.7.2005 – 4 ZB 04.2986 – juris).
Dass die Ruhefrist der zur Umbettung vorgesehenen Urnen bereits abgelaufen ist, führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dazu, dass die Genehmigung für die Umbettungen auch ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu erteilen wäre. Dies widerspräche nicht nur der Regelung des § 15 Abs. 3 Satz 1 der Friedhofssatzung, sondern gerade der hierdurch und im Kern ebenfalls durch Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 100 BV geschützten Totenruhe. Zwar ist im Hinblick auf die Anforderungen an das Vorliegen eines die Umbettung ausnahmsweise gestattenden wichtigen Grundes zwischen einem Umbettungsbegehren vor und nach Ablauf der Ruhezeit zu unterscheiden (BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 4 ZB 16.2301 – juris Rn. 12). So spielen beispielsweise Fragen der ausreichenden Verwesung der Leiche nach Ablauf der Ruhefrist bei der Entscheidung keine Rolle mehr. Auch die Ermöglichung eines angemessenen Zeitraums für die Totenehrung dürfte nach Ablauf der Ruhefrist einem Umbettungsbegehren i.d.R wohl nicht mehr im Wege stehen. Allerdings ist auch nach Ablauf der Ruhefrist die über Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 100 BV geschützte Totenruhe grundsätzlich zu wahren (vgl. OVG NW, B.v. 6.12.2017 – 19 E 1110/16 – juris Rn. 5). Diese begründet zwar ungeachtet ihres Menschenwürdebezugs kein absolutes, unabänderliches Verbot jeglicher Störung. Vielmehr muss sie sowohl mit dem Willen des Verstorbenen in Einklang gebracht als auch mit eventuell gegenläufigen Rechtsgütern oder rechtlich schützenswerten Belangen abgewogen werden, so dass sie im Einzelfall hinter diesen zurücktreten kann (vgl. BayVGH, U.v. 31.1.2018 – 4 N 17.1197 – juris). Ohne das Erfordernis eines wichtigen Grundes für die Umbettung bestünde aber gerade angesichts einer immer mobiler werdenden Arbeitswelt die Gefahr einer – auch mehrfachen – Umbettung von Leichen und Urnen an den jeweiligen Aufenthaltsort der Angehörigen. Das satzungsrechtliche Erfordernis eines gewichtigen Grundes ist daher auch nach Ablauf der Ruhefrist nicht zu beanstanden, wenn auch die Anforderungen an das Vorliegen eines derartigen Grundes nach Ablauf der Ruhefrist sicherlich nicht mehr so hoch anzusetzen sein werden wie während der laufenden Ruhefrist.
Der unbestimmte Rechtsbegriff des (ge) wichtigen Grundes ist im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben auszulegen. Demnach ist ein Grund nur dann wichtig, wenn das ihn tragende Interesse ausnahmsweise den Schutz der Totenruhe überwiegt, weil die Umbettung die Würde des Verstorbenen besser wahrt und seinem Willen besser Rechnung trägt (vgl. OVG NW, U.v. 29.4.2008 -19 A 2896/07 – juris; NdsOVG, B.v. 30.11.2015 – 8 LA 152/15 – juris Rn. 11). Dies kann namentlich der Fall sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit der Umbettung erklärt hat („ausdrücklicher Wille“) bzw. wenn zumindest Umstände gegeben sind, aus denen ein dahingehender Wille des Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann („mutmaßlicher Wille“; vgl. dazu BayVGH, B.v. 8.6.2011 – 4 ZB 11.566 – juris), oder wenn das Interesse des Totenfürsorgeberechtigten an der Umbettung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsauffassung schutzwürdig ist und seine Gründe so gewichtig sind, dass die Achtung der Totenruhe zurücktreten muss (vgl. OVG NW, U.v. 12.12.2012 – 19 A 2207/11 – juris Rn. 47). Ein wichtiger Grund kann danach im Einzelfall auch vorliegen, wenn den Angehörigen des Verstorbenen aufgrund zwingender, auf einer atypischen Entwicklung beruhender Lebensumstände die Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 4 ZB 16.2301 – juris Rn. 13).
Dass die Umbettung die Würde der Verstorbenen besser wahrt und ihrem Willen besser Rechnung trägt, ist im vorliegenden Fall auszuschließen.
Ein ausdrückliches Einverständnis der Verstorbenen mit einer Umbettung nach … bzw. in die Nähe des Wohnortes des Klägers ist nicht feststellbar, nachdem nach Angaben des Klägers die Frage des Bestattungsortes in der Familie nie Thema war.
Auch ein dahingehender mutmaßlicher Wille der Verstorbenen ist nicht feststellbar. Im Gegenteil: Die Verstorbenen sind derzeit in der bereits seit 1915 bestehenden Familiengrabstätte bestattet, in der auch die Großeltern des Klägers väter- und mütterlicherseits beigesetzt sind. Die Umbettung der Eltern und des Bruders des Klägers würde folglich dazu führen, dass die Familie getrennt würde. Dass die Eltern des Klägers mutmaßlich gewollt hätten, nach … mit der Folge umgebettet zu werden, dass sie künftig getrennt von ihren eigenen Eltern bestattet sein werden, kann nicht angenommen werden. Mag auch der Kläger keinen näheren Kontakt zu seinen Großeltern gehabt haben, stellt sich dies für die Eltern des Klägers doch vollkommen anders dar. Selbst wenn hierbei auch praktische Gründe eine Rolle gespielt haben mögen, zeigt doch auch die Umbettung der Großeltern väterlicherseits in das Familiengrab, dass den Eltern des Klägers die familiäre Verbundenheit mit ihren Eltern auch nach dem Tod wichtig war. Nach alledem ist aus den Umständen der mutmaßliche Wille der Eltern zu folgern, mit ihren eigenen Eltern gemeinsam bestattet zu sein, was jedenfalls der Genehmigung einer alleinigen Umbettung der Eltern nach … entgegensteht. Vor diesem Hintergrund kann auch kein mutmaßlicher Wille des Bruders des Klägers festgestellt werden, nach … umgebettet zu werden, nachdem dies ohne seine Eltern erfolgen müsste (s.o.). Vielmehr muss auch hier davon ausgegangen werden, dass der Bruder gemeinsam mit seinen Eltern bestattet sein wollte.
Auch das Interesse des totenfürsorgeberechtigten Klägers an der alleinigen Umbettung seiner Eltern und seines Bruders ist nach Abwägung aller Umstände nicht von derartigem Gewicht, dass die Achtung der Totenruhe und des mutmaßlichen Willens der Verstorbenen, mit ihren Eltern beigesetzt zu sein, zurücktreten müsste, zumal die Entfernung von 75 km zwischen dem Wohnort des Klägers und der Grabstätte die Totenfürsorge nicht in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich macht. Eine gemeinsame Bestattung des Klägers mit seinen Eltern und seinem Bruder kann auch in dem bestehenden Familiengrab am …friedhof verwirklicht werden.
Schließlich ergibt sich auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 25. Oktober 2017 kein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung der Umbettung. Die in der Behördenakte befindliche Fassung des Schreibens verhält sich dazu überhaupt nicht. In der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgezeigten Fassung wurde der Kläger auch auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, einen schriftlichen Antrag mit Begründung auf Verlegung zu stellen. Eine Zusicherung i.S.d. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, dass die Genehmigung der Umbettung erteilt werden wird, ergibt sich hieraus nicht.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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