Verwaltungsrecht

Senegal als sicherer Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 10 S 16.30257

Datum:
7.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a Abs. 2, § 36 Abs. 4 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO kann jeder Mitgliedstaat bestimmen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist; dieser Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Der ohne Ausweispapiere in das Bundesgebiet eingereiste Antragsteller ist nach eigenen Angaben 1986 geborener Staatsangehöriger der Republik Senegal vom Volk der Wolof und muslimischen Glaubens.
Am 4. Januar 2016 stellte er einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 20. Januar 2016 gab der Antragsteller zu seiner Ausreise an, er sei im Februar 2010 aus dem Senegal in die Türkei geflogen und von dort aus nach Griechenland gereist, wo er sich etwa fünf Jahre lang aufgehalten habe. Über Mazedonien, Serbien und Ungarn sei er am 21. August 2015 nach Deutschland gekommen.
Zu seinen Asylgründen trug der Antragsteller vor, er habe familiäre Gründe für seine Ausreise. Der Bruder seines Vaters habe ein Problem mit seiner Mutter gehabt und deswegen habe auch der Antragsteller Probleme mit seinem Onkel gehabt. Der Onkel habe zu ihm gesagt, er müsse aufpassen, sonst würde er ihn umbringen. Welcher Art das Problem des Onkels sei, wisse der Antragsteller nicht; er sei auch nur manchmal dort gewesen, der Onkel hab nicht im selben Ort gelebt. Außerdem sei der Antragsteller auch wegen seiner wirtschaftlichen Situation ausgereist. Er sei Stahlbetonbauer und habe zuletzt bei der Firma … … gearbeitet. Er habe aber nicht richtig Geld verdient, weil er in Ausbildung gewesen sei.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2016, dem Antragsteller zugestellt am 11. Februar 2016, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2. des Bescheids) als auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1. des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab, ebenso wurde der Antrag auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus abgelehnt (Ziffer 3. des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Ziffer 4. des Bescheids), der Antragsteller wurde zur Ausreise binnen Wochenfrist aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angeordnet (Ziffer 5. des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 6. des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate (Ziffer 7. des Bescheids).
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsland im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG. Er habe nichts vorgetragen, was ein Abweichen von dieser allgemeinen Einschätzung gebieten würde. Er habe auch keine begründete Furch vor Verfolgung glaubhaft gemacht. Sofern er behaupte, er sei von seinem Onkel bedroht worden, so erscheine wenig plausibel, dass er weder den Grund und den Zeitpunkt der Bedrohung noch nähere Angaben über den Tathergang machen könne. Der Vortrag des Antragstellers sei detailarm, unsubstantiiert und daher unglaubhaft. Sofern der Antragsteller wirtschaftliche Gründe geltend mache, könne dies ebenfalls nicht zum Erfolg seines Asylgesuchs führen (§ 30 Abs. 2 AsylG). Vor diesem Hintergrund sei auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes als unbegründet abzulehnen. Auch individuelle Gefahren, die das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes begründen könnten, seien nicht erkennbar. Insbesondere sei der Antragsteller vor der Ausreise ganz offenbar in der Lage gewesen, sein Auskommen zu sichern. Zudem könne er auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen, so dass die Gefahr einer Obdachlosigkeit nicht gegeben sei.
Auf die weiteren Einzelheiten der Begründung des Bescheids wird verwiesen.
Am 15. Februar 2016 ließ der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 4. Februar 2016 durch seine Verfahrensbevollmächtigte Klage erheben (zunächst Az. M 21 K 16.30256, nunmehr Az. M 10 K 16. 30256).
Mit dieser wird unter Aufhebung des Bescheids die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung des Antragstellers als Asylberechtigten bzw. hilfsweise als Flüchtling begehrt. Weiter hilfsweise wird die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG geltend gemacht.
Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Gleichzeitig wird im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen
bzw. wiederherzustellen.
Die Verfahrensbevollmächtigte trägt vor, der Antragsteller habe sich fünf Jahre lang in Griechenland aufgehalten. Der Asylakte sei nicht zu entnehmen, dass eine Anfrage auf Rückübernahme des Antragstellers nach der geltenden Gesetzeslage gemäß der Dublin-III-Verordnung erfolgt sei. Dies sei nicht nachvollziehbar. Der Antragsteller sei durch die Entscheidung des Bundesamtes in seinen Rechten verletzt. Im Übrigen befinde er sich in einer laufenden Zahnbehandlung, die nicht abgebrochen werden könne. Eine weitere Begründung sowie zahnärztliche Berichte würden nachgereicht.
Die Antragsgegnerin hat unter dem 17. Februar 2016 die Behördenakten vorgelegt, ohne sich im Verfahren zu äußern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch im Verfahren M 10 K 16.30256) und der beigezogenen Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
Der – nach Auslegung – zulässig erhobene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt erfolglos. Die Ablehnung des Asylbegehrens sowie der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als jeweils offensichtlich unbegründet und die Ablehnung des subsidiären Schutzes unterliegen keinen durchgreifenden Bedenken. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten ist nicht erkennbar, so dass eine Aussetzung der Abschiebung im Ergebnis nicht geboten ist.
1. Das Gericht geht gemäß § 122 Abs. 1 i. V. m. § 88 VwGO in sachgerechter Auslegung des Antrags davon aus, dass sich der Eilantrag nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot nach der Abschiebung (Ziffer 7. des Bescheids vom 4.2.2016) richtet. Ein derartiger Antrag wäre mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig (NdsOVG, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; ausführlich ebenso VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S 16.30019 – S. 8 f. des Beschlussabdrucks – zur Notwendigkeit einer Verpflichtungsklage für die Befristungsentscheidung m. umfangr. Nachw.).
Der ansonsten auslegungsbedürftige (§ 88 VwGO) Eilantrag ist in der Sache darauf gerichtet, dass das Gericht die kraft Gesetzes nach § 75 Asylgesetz (AsylG; ohne weitere Übergangsregelung auch für die vorher anhängig gewordenen Asylverfahren in Kraft seit 24.10.2015 aufgrund von Art. 1, 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015, BGBl I S. 1722) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. Satz 2 u. 3 des Bescheids vom 4.2.2016) und die nach § 84 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6. des Bescheids) nach § 80 Abs. 5 VwGO anordnen soll.
Dieser Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag bleibt erfolglos.
a) Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG i. V. m. § 30 Abs. 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen, in denen der Asylantrag und der Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (grundlegend zur Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ und zum Umfang der gerichtlichen Prüfung: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. = juris Rn. 86 ff.).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach dem dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufentG entsprechenden § 51 Ausländergesetz 1990: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
b) Nach der Maßgabe dieser Grundsätze bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Das Gericht folgt zunächst den Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid vom 4. Februar 2016 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
c) Im Hinblick auf den Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers im Klage- und Antragschriftsatz vom 15. Februar 2016 wird ergänzend ausgeführt:
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids des Bundesamtes vom 4. Februar 2016 ergeben sich nicht schon daraus, dass – wie die Bevollmächtigte des Antragstellers meint – die Antragsgegnerin nicht in der Sache über den Asylantrag hätte entscheiden dürfen, sondern ihre Zuständigkeit verneinen und die Abschiebung des Antragstellers in einen anderen Schengen-Staat hätte anordnen müssen. Dabei kann hier offenbleiben, ob nach der hier anwendbaren Dublin-III-Verordnung (vgl. Art. 49) ein anderer Staat für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständig wäre. Denn nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat bestimmen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Dieser Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-Verordnung). Daher ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin das Asylbegehren des Antragstellers in der Sache geprüft hat. Gegenteiliges lässt sich auch Bundesrecht nicht entnehmen.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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