Verwaltungsrecht

Sicherung des Existenzminimums bei Rückkehr nach Nigeria

Aktenzeichen  W 10 K 18.30042

Datum:
6.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27193
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 26a Abs. 2
GG Art. 16a Abs. 2 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Asylbewerber kann etwaigen Nachstellungen sowohl seitens der Mitglieder eines Geheimkultes als auch der militanten oder kriminellen Organisation in Port Harcourt durch Ausweichen in einen anderen Landesteil Nigerias, insbes. der Hauptstadt Abuja, entgehen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein relativ junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen kann im Falle der Rückkehr nach Nigeria auch ohne familiäre Bindungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht trotz Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden darf (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten Entscheidungen des Bundesamtes zu seinen Gunsten. Der Ablehnungsbescheid vom 3. Januar 2018 einschließlich der Abschiebungsandrohung nach Nigeria sowie der Befristung des gesetzlichen Wiedereinreiseverbotes ist deshalb rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 AsylG. Dem steht die Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 1 Satz 1, 2 AsylG entgegen, weil der Kläger über Italien und damit über einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 2 AsylG eingereist ist.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9) – RL 2011/95/EU – umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 11; U.v. 19.1.2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 Rn. 22).
§ 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, mithin entweder die Verfolgungshandlung oder das Fehlen von Schutz vor Verfolgung oder beide auf einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe zurückgehen, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, B.v. 1.7.1987 – 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86 – BVerfGE 76, 143/157, 166 f.; BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13). Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an welche die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 Rn. 22; B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 – juris Rn. 17; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13 m.Verw.a. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2018, § 3a AsylG Rn. 37 ff.).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 19; B.v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris Rn. 8; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 32 m.w.N.; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14).
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (BVerwG, U.v. 19.4.2019 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15 m.w.N.). Liegen beim Ausländer frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht vor erneuter Verfolgung im Falle der Rückkehr in sein Heimatland vor, so kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute. Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (EuGH, U.v. 2.3.2010 – C-175/08 u.a., Abdullah u.a./Bundesrepublik Deutschland – NVwZ 2010, 505 Rn. 94). Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein. Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 Rn. 23; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Des Weiteren setzt die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU einen inneren Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung und der bei Rückkehr erneut befürchteten Verfolgung voraus. Denn die der Vorschrift zugrundeliegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 31; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 26.4.2018 – 20 B 17.30947 – juris Rn. 18).
Dem Antragsteller obliegt es, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig vorzutragen. Das bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 2.7.2013 – A 9 S 303/15 -, juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3 f.; B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8; B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
aa) Zum einen fehlt es hinsichtlich der vom Kläger befürchteten Nachstellungen seitens seiner Familie bzw. der Mitglieder des Kultes „Ovia“ wegen der erwarteten Nachfolge des Klägers in die kultische Funktion seines verstorbenen Vaters bei Wahrunterstellung dieses Vortrags an dem nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU vorausgesetzten inneren Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung und der bei Rückkehr erneut befürchteten Verfolgung, weshalb stichhaltige Gründe gegen eine Verfolgungswiederholung sprechen. Daran fehlt es hier schon in Anbetracht des vergangenen Zeitraumes, denn der Kläger hat selbst vorgetragen, sein Heimatland bereits im Jahr 2001 verlassen zu haben. Des Weiteren hat der Kläger angegeben, nach dem Tod seines Vaters sei seine Mutter etwa in seinem dreizehnten Lebensjahr mit ihm aus dem Heimatort nach Port Harcourt geflohen. Dort hat er nach eigenen Angaben keine tatsächlichen Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3a AsylG seitens des Kultes erlitten. Dass er Stimmen im Kopf gehört haben beziehungsweise immer noch hören will, welche ihm nach der Flucht nach Port Harcourt die Rückkehr in den Heimatort befohlen hätten, begründet keine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG, denn es handelt sich nicht um Verfolgungshandlungen im Sinne ursächlich auf die vorgetragene Verfolgungsgeschichte zurückführbarer Vorgänge in der Außenwelt, sondern um innere Vorgänge. Der Kläger ist somit nach seiner Flucht nach Port Harcourt von dem Kult tatsächlich unbehelligt geblieben. Somit fehlt es bereits an der ursächlichen Verknüpfung zwischen den Vorgängen um die Nachfolge seines Vaters in dem Geheimkult etwa in seinem dreizehnten Lebensjahr (d.h. etwa im Jahr 1997) und dem Verlassen des Heimatlandes im Jahr 2005.
bb) Ebenso droht dem Kläger auch keine Verfolgungswiederholung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU durch die Mitglieder der im Nigerdelta, in dem auch die Stadt Port Harcourt liegt, aktiven militanten Gruppierungen, die ihn nach seinen Angaben für kriminelle Aktivitäten gewinnen wollten. Mit diesen Gruppierungen wurde seitens der nigerianischen Regierung ein Waffenstillstand mit einem – inzwischen verlängerten – Amnestieprogramm vereinbart (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand Oktober 2018, S. 5 und 10). Würden Mitglieder dieser Gruppierungen nun versuchen, den Kläger im Falle seiner Rückkehr erneut zu rekrutieren, so würden diese die infolge des Amnestieprogrammes erreichte Straffreiheit wieder gefährden. Dass sie dieses Risiko eingehen würden, um den Kläger für kriminelle Aktivitäten zu gewinnen, ist mangels Vorliegens besonderer Umstände nicht beachtlich wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger von Mitgliedern dieser Gruppierungen im Falle der Rückkehr erneut behelligt werden könnte.
cc) Zum anderen kann der Kläger etwaigen Nachstellungen sowohl seitens der Mitglieder des Geheimkultes als auch der militanten oder kriminellen Organisation in Port Harcourt durch Ausweichen in einen anderen Landesteil Nigerias entgehen. Dem Kläger steht somit eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (interner Schutz) innerhalb Nigerias zur Verfügung. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn es ist dem Kläger möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil Nigerias aufzuhalten, in welchem er weder von seiner Familie beziehungsweise der Dorfgemeinschaft, welche ihn nicht von Mitgliedern der Geheimgesellschaft verfolgt würde, und sich dort niederzulassen. Der Kläger stammt aus dem Bundesstaat Edo State und ist christlichen Glaubens. Er kann sich daher beispielsweise in eine der zahlreichen Großstädte, insbesondere in die Hauptstadt Abuja oder in den christlich geprägten Südwesten des Landes, nach Lagos oder Ibadan, begeben. Der Kläger genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn er nicht von sich aus zu den Mitgliedern des Kultes beziehungsweise der kriminellen Organisation Kontakt aufnimmt, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehr als einem Jahrzehnt der Abwesenheit außerhalb seiner Heimatregion aufgefunden wird, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 Quadratkilometer aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 7.8.2017, S. 49, 61). Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln folgt auch, dass Geheimgesellschaften oder kriminelle Organisationen nicht in der Lage sind, Personen landesweit zu verfolgen und dass man sich somit ihrem Zugriff durch Umzug in einen anderen Landesteil entziehen kann bzw. auch staatlichen Schutz gemäß § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Anspruch nehmen kann (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 43). Des Weiteren können staatliche Organe Schutz vor diesen Geheimgesellschaften bieten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl a.a.O.). Militante Gruppen im Nigerdelta, in welchem die Großstadt Port Harcourt liegt, verfügen – wenn überhaupt – nur noch in abgelegenen Gebieten über eine gewisse Kontrolle (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl a.a.O., S. 11), sodass Betroffene ihrem Zugriff durch Ausweichen in einen anderen Bundesstaat entgehen können.
Dem Kläger ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnismitteln hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 16). Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu. Der Kläger könnte jedoch im Falle der Rückkehr nach Nigeria auch ohne solche Bindungen als relativ junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Kläger als Nigerianer im Falle einer freiwilligen Rückkehr nach Nigeria sowohl Start- als auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann (vgl. dazu unter 4.). Zudem hat der Kläger angegeben, in Nigeria sechs Jahre lang die Grundschule besucht und als Schweißer gearbeitet zu haben. Auf der Basis dieser Vorbildung und beruflichen Erfahrungen wird es dem Kläger in Nigeria möglich und zumutbar sein, ein kleines Einkommen im handwerklichen Bereich zu erzielen, um sich ernähren zu können.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). § 4 Abs. 1 AsylG setzt die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 2, ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 12 – 23) – Qualifikationsrichtlinie a.F. (QRL), jetzt Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 S. 58) -, insbesondere deren Art. 15 ff. im deutschen Recht um. Diese bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG – einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – DVBl. 2011, 1565 f.; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen droht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit die Gefahr eines ernsthaften Schadens.
aa) Zum einen ist eine Wiederholung der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aus denselben Gründen ausgeschlossen, aus denen auch die Vermutung der Verfolgungswiederholung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU widerlegt ist. Denn es fehlt an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem erlittenen und dem bei Rückkehr befürchteten ernsthaften Schaden. Zum anderen droht dem Kläger eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG jedenfalls nicht landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, weil er sich auch insoweit darauf verweisen lassen muss, dass er zumutbaren internen Schutz im Sinne des § 3e AsylG in Anspruch nehmen kann (§ 4 Abs. 3 AsylG).
bb) Die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG scheitert zum einen daran, dass in der Herkunftsregion Edo State kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht (vgl. nur Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Oktober 2018, S. 9 f.). Sofern wegen einer tatsächlichen endgültigen Loslösung ausnahmsweise nicht mehr auf diese Herkunftsregion des Klägers abzustellen sein sollte (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 13 m.w.N.), ist ausschlaggebend, dass in der Region River State, in der sich die Stadt Port Harcourt als letzter gewöhnlicher Aufenthaltsort des Klägers vor der Flucht befindet, ebenfalls kein solcher Konflikt herrscht. Denn es wurde im Jahr 2016 mit den militanten Gruppierungen im Nigerdelta, zu dem die Region River State gehört, ein – wenn auch fragiler – Waffenstillstand mit einem Amnestieprogramm für die Militanten erzielt (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand Oktober 2018, S. 5 und 10).
4. Des Weiteren hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Aus der EMRK folgt kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe der Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstehen, wobei solche humanitären Gründe auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein können (vgl. BVerwG; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff. unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.5.2008 – Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris Rn. 17 f.).
Zwar ist dem Gericht bekannt, dass das Leben der Menschen in Nigeria von problematischen wirtschaftlichen Verhältnissen, einer schwierigen Versorgungslage und hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist. Etwa zwei Drittel der nigerianischen Bevölkerung lebt in extremer Armut (vgl. EASO Country of Origin Information Report; Nigeria Country Focus, Juni 2017, S. 16). Der größte Teil der Bevölkerung ist von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite, die von dem Ölreichtum des Landes profitiert, und der Masse der Bevölkerung verteilt. Viele Menschen haben keinen oder nur erschwerten Zugang zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert ebenso wenig wie kostenlose medizinische Versorgung, die allen nigerianischen Staatsangehörigen zugänglich ist. Mittellose Personen sind regelmäßig auf die Unterstützung der Familie angewiesen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 8, 21 f.). Gleichwohl liegt keine derart unzureichende Versorgungslage vor, die einen besonderen Ausnahmefall im genannten Sinne begründet, zumal die allgemeine Versorgungslage zwar deutlich hinter europäischen Standards zurückbleibt, sich insbesondere in den Großstädten aber tendenziell verbessert.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gesundheitsbedingte Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hat der Kläger schon nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG nachgewiesen. Er hat lediglich in der mündlichen Verhandlung eine Einnahmevorschrift für die Medikamente Quetiapin und Candesartan vorgelegt, aus welcher aber keine Diagnose hervorgeht.
c) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung) ergibt sich für den Kläger auch nicht aus der Versorgungslage in Nigeria. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellt die nach den eingeführten Erkenntnisquellen bestehende unzureichende Versorgungslage in Nigeria eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Nigeria erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 = juris).
Im Falle des Klägers kann eine derartige Ausnahmesituation, die die Annahme eines Abschiebungsverbotes rechtfertigen würde, jedoch nicht prognostiziert werden. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich zwar, dass insbesondere junge Menschen mangels finanzieller oder sozialer Unterstützung durch den Staat häufig von der Unterstützung durch Familienangehörige oder Freunde abhängig sind. Allerdings ist im Falle des Klägers individuell zu berücksichtigen, dass er relativ jung ist, keine gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen hat und über Erfahrungen im Arbeitsleben verfügt. Es ist daher zu erwarten, dass der Kläger seine Lebensgrundlage jedenfalls auf einem geringen, aber dem Existenzminimum genügenden Niveau durch eigene Erwerbstätigkeit in einer der bereits genannten Großstädte sichern kann. Es ist daher in der Gesamtschau nicht ersichtlich, dass sich der Kläger in einer solch speziellen Lebenssituation befindet, dass er im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würden. Dies gilt umso mehr, als dem Gericht Erkenntnisse über internationale Bemühungen vorliegen, in Nigeria Zentren für Rückkehrer und Migrationsberatungszentren weiter auszubauen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 24). Der Kläger kann zudem von seinen in Europa gesammelten Erfahrungen profitieren und befindet sich daher in einer vergleichsweise guten Position, auch wenn er seit mehreren Jahren nicht mehr in Nigeria war. Überdies steht es dem Kläger frei, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen oder sich an karitative Einrichtungen vor Ort zu wenden, um Unterstützung und Starthilfe zu erhalten. So können ausreisewillige Personen aus Nigeria Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000,00 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000,00 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 3.300,00 EUR (https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Nigeria freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
5. Gegen die Rechtmäßigkeit der auf §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützten Abschiebungsandrohung einschließlich der gesetzten Ausreisefrist bestehen keine Bedenken.
6. Des Weiteren bestehen keine Bedenken gegen die Befristung des gesetzlichen Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG. Es sind keine persönlichen Umstände des Klägers oder sonstigen Gesichtspunkte erkennbar, welche die konkret gesetzte Frist ermessensfehlerhaft erscheinen lassen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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