Verwaltungsrecht

Staatenlose Palästinenser, Familie mit gewöhnlichem Aufenthalt im Libanon, Schutz und Beistand durch das UNRWA im Libanon, ipsofacto Anerkennung als Flüchtling (verneint), subsidiärer Schutz (verneint), Abschiebungsverbote (verneint)

Aktenzeichen  M 22 K 16.34964

Datum:
4.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6541
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG §§ 3 ff.
AufenthG § 60

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle der Kammer entscheiden (§ 87a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 15. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
In dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (dazu 1.), auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (dazu 2.) und auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (dazu 3.). Des Weiteren ist auch die erlassene Abschiebungsandrohung ebenso wenig zu beanstanden (dazu 4.) wie die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG, die zugleich die Anordnung eines solchen Verbotes darstellt (dazu 5.).
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, denen es folgt.
Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn sich dieser aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Der Flüchtlingsschutz ist allerdings nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG – welcher Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU) umsetzt – ausgeschlossen, wenn der Ausländer den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) nach Art. 1 Abschnitt D GFK genießt und tatsächlich in Anspruch nimmt.
Die zum jetzigen Zeitpunkt einzige Organisation in diesem Sinne stellt das durch Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 302/IV vom 8. Dezember 1949 errichtete Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten dar (United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees – UNRWA). Seine Aufgabe besteht in der Hilfeleistung für palästinensische Flüchtlinge unter anderem im Libanon. Das entsprechende UN-Mandat wurde zuletzt bis zum 30. Juni 2023 verlängert (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 12). (Registrierte) Palästina-Flüchtlinge, denen das UNRWA Schutz bzw. Beistand gewährt, genießen demnach speziellen, vorrangig zu beanspruchenden Flüchtlingsschutz. Deshalb sind sie von der Anerkennung als Flüchtlinge in der Europäischen Union grundsätzlich ausgeschlossen (BVerwG, U.v. 4.6.1991 – 1 C 42.88 – juris Rn. 16; U.v. 21.1.1992 – 1 C 21.87 – juris Rn. 19 m.w.N.; vgl. zum Ausschluss zuletzt auch EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Die eng auszulegende Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 RL 2011/95/EU) greift jedoch nur, solange die von ihr erfassten Personen den Schutz bzw. Beistand des UNRWA genießen. Ist dieser Schutz weggefallen, ohne dass die Lage der Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, findet die Genfer Konvention – in richtlinienkonformer Auslegung der sog. Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG als Rechtsfolgenverweisung – ipso facto Anwendung, ohne dass es einer Einzelfallprüfung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bedarf (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 28; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 25 unter Verweis auf EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 67, 70 ff.; BVerwG, B.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – Rn. 26 mit Verweis auf EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 86; BVerwG, U.v. 27.5.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 12 mit Verweis auf EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Aus dem Zusammenspiel von § 3 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AsylG ergibt sich, dass eine ipso facto-Anerkennung als Flüchtling die Erfüllung beider Vorschriften voraussetzt, nämlich erstens, dass die oder der Betroffene den Schutz oder Beistand des UNRWA genießt (weil sie/er zum durch die UNRWA durch Schutz und Beistand unterstützen Personenkreis gehört) und zweitens, dass dieser Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird (vgl. OVG NRW, U.v. 26.11.2020 – 14 A 2258/18.A – juris Rn. 23 f. unter Verweis auf BVerwG, U.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 14 f.).
Nach diesen Maßstäben ist die Anwendung des § 3 Abs. 1 AsylG im vorliegenden Fall durch den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG gesperrt (1.1.). Die Kläger sind auch nicht ipso facto Flüchtlinge nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (1.2.).
1.1. Die Kläger erfüllen nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Voraussetzungen der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG und sind infolgedessen von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen.
Die konkrete Bedeutung der alternativen Betreuungsformen „Schutz“ und „Beistand“ bestimmt sich nach der im Rahmen seines Auftrags wahrgenommenen Tätigkeit des UNRWA. Maßgebend ist, ob der Betroffene der Personengruppe angehört, deren Betreuung das UNRWA entsprechend seinem Mandat übernommen hat. Das ist jedenfalls bei denjenigen Personen der Fall, die – wie hier der Kläger – als Palästina-Flüchtlinge bei dem UNRWA (weiterhin) registriert sind. Dieses Verständnis entspricht Sinn und Zweck der Ausschlussklausel, die gewährleisten soll, dass sich in erster Linie das UNRWA und nicht die Vertragsstaaten, insbesondere nicht die arabischen Staaten, der palästinensischen Flüchtlinge annehmen. Die palästinensischen Flüchtlinge, deren Lage bislang nicht endgültig geklärt worden ist, wie insbesondere aus den Ziff. 1 und 3 der Resolution Nr. 66/72 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 2011 hervorgeht (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 54), sind danach gehalten, vorrangig den Schutz oder Beistand des UNRWA in Anspruch zu nehmen (BVerwG, U.v. 4.6.1991 – 1 C 42.88 – juris Rn. 31; U.v. 21.1.1992 – 1 C 21.87 – juris Rn. 29). Von der Ausschlussklausel sind indes nur diejenigen Personen erfasst, die die Hilfe des UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen. Die betreffenden Bestimmungen sind eng auszulegen und erfassen daher nicht auch Personen, die lediglich berechtigt sind oder waren, den Schutz oder Beistand dieses Hilfswerks in Anspruch zu nehmen, ohne jedoch von diesem Recht Gebrauch zu machen. Als ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder Beistands ist die Registrierung bei dem UNRWA anzusehen (EuGH, U.v. 17.1.2010 – C-31/09 – Rn. 51 f.; U.v. 13.1.2021 – XT; C-507/19 – juris Rn. 48). Der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling liegt nicht nur bei Personen vor, die zurzeit den Beistand des UNRWA genießen, sondern auch bei solchen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C364/11 – juris Rn. 52).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist festzuhalten, dass die Kläger als staatenlose Palästinenser der Personengruppe angehören, deren Betreuung das UNRWA entsprechend seinem Mandat übernommen hat. Die Kläger haben durch eine entsprechende Bescheinigung (Family Registration Card) und ihre Ausweise für Palästinensische Flüchtlinge nachgewiesen, dass sie bei UNRWA im Libanon registriert sind (vgl. zur Registrierung als ausreichendem Nachweis EuGH, U.v. 17.6.2010 – Bolbol, C-31/09 – juris Rn. 51 f.). Dabei ist anzumerken, dass das Gericht im Ergebnis der Anhörung der Kläger keinen Zweifel an der Wahrheit der diesbezüglichen Angaben hat und daher keine Veranlassung dazu gesehen hat, die Registrierung durch eine Nachfrage bei UNRWA zu verifizieren. Die Kläger haben im UNRWA-Flüchtlingslager … … bei … im Südlibanon gelebt und in diesem von der UNRWA kostenlos eine Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen. Sie haben folglich vor ihrer Ausreise den Schutz des Hilfswerks genossen.
1.2. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen der sog. Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG vorliegend erfüllt sind. Daher sind die Kläger keine ipso facto Flüchtlinge.
Nach der jüngsten Rechtsprechung genügt für die ipso facto Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bereits der Umstand, dass dem Betroffenen im Zeitpunkt des Verlassens des Einsatzgebiets keine zumutbare Möglichkeit offenstand, im Einsatzgebiet des UNRWA Schutz oder Beistand zu finden; vielmehr darf eine Möglichkeit, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in dessen Einsatzgebiet erneut zu unterstellen, auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht bestehen (BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 16).
Aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU („aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt“) ergibt sich, dass nicht erst bei Auflösung des UNRWA oder bei Einstellung dessen Tätigkeit vom Wegfall dessen Schutzes bzw. Beistands im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG auszugehen ist. Vielmehr genügt es, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass sich der Betroffene in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, sodass er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das (gesamte) Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen (EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 17 f.). Die bloße Abwesenheit aus dem UNRWA-Einsatzgebiet oder die freiwillige Entscheidung, dieses zu verlassen, führt nicht zu einem Wegfall des Schutzes oder Beistandes (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 49 ff., 65; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 25).
Die erforderlichen mandatskonformen Lebensverhältnisse umfassen dabei – unabhängig von dem auf soziale und wirtschaftliche Aufgaben beschränkten Mandat von UNRWA – auch die Sicherheit vor Verfolgung und ernsthaftem Schaden (BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28 m.w.N.). Denn die Bereitstellung von Lebensmitteln, Schulunterricht und Gesundheitsfürsorge hat keinen praktischen Wert, wenn es den Begünstigten infolge einer Bürgerkriegssituation nicht zumutbar ist, diese in Anspruch zu nehmen, und deshalb ihre Ausreise aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28, unter Verweis auf Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 17.5.2018 – C-585/16 – juris Rn. 45). Dem entspricht der Hinweis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass der Schutz bzw. Beistand durch das UNRWA voraussetzt, dass sich die Person „in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen“ in dem Einsatzgebiet aufhalten kann (vgl. EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 54 und U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 134, 140).
In räumlicher Hinsicht kann der Betroffene innerhalb eines konkreten UNRWAOperationsgebiets unter den entsprechend heranzuziehenden Voraussetzungen des internen Schutzes auf andere Orte als seinen Herkunftsort verwiesen werden (BVerwG, U.v. 25.04.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 26). Der räumliche Maßstab kann darüber hinaus im Einzelfall nochmals weiter gefasst sein. Im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts sind alle Operationsgebiete des Einsatzgebiets von UNRWA zu berücksichtigen, in deren Gebiete der konkret Betroffene, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Zusätzlich setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG voraus, dass es dem Betroffenen auch noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des Hilfswerks erneut zu unterstellen.
Die Einbeziehung des in § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG bezeichneten Zeitpunkts (zusätzlich zum Zeitpunkt des Verlassens des UNRWA-Operationsgebiets) trägt dem Umstand Rechnung, dass die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. f i.V.m. Art. 14 Abs. 1 RL 2011/95/EU erlischt und abzuerkennen ist, wenn dieser nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Einsatzgebiet des UNRWA zurückzukehren (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 77; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 24). Ferner folgt auch aus Art. 46 Abs. 3 der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (RL 2013/32/EU), dass die nationalen Gerichte eine „ex nunc“-Betrachtung vorzunehmen haben, bei der gegebenenfalls neue, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung aufgetretene Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die Möglichkeit, in das UNRWA-Einsatzgebiet zurückzukehren, muss daher bereits bei der Entscheidung über die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus berücksichtigt werden (EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 110 ff.; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 26).
Einer Person ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs möglich und zumutbar, in das Einsatzgebiet des UNRWA im Libanon zurückzukehren und sich dessen Schutz oder Beistand erneut zu unterstellen, sofern sie erstens die Garantie hat, in dem Operationsgebiet aufgenommen zu werden, zweitens ihr das UNRWA dort tatsächlich einen von den verantwortlichen Stellen anerkannten Schutz oder Beistand gewährt und sie drittens erwarten darf, sich in diesem Operationsgebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufhalten zu dürfen (vgl. EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 140). Diese Voraussetzungen, welche der Europäische Gerichtshof für den Verweis auf die Inanspruchnahme von Schutz oder Beistand des UNWRA in einem anderen Staat als dem des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des beim UNRWA registrierten Palästinensers im Rahmen des Art. 35 RL 2013/32/EU aufgestellt hat, sind ohne weiteres und letztlich zur Vermeidung von Widersprüchen auf die Rückkehr in das Einsatzgebiet des gewöhnlichen Aufenthaltsortes übertragbar (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 35) und vorliegend erfüllt.
Ausgehend von den vorgenannten Maßstäben und unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel gelangt das Gericht nicht zur Überzeugung, dass der Schutz bzw. Beistand des UNRWA in dem Zeitpunkt, als die Kläger das gesamte Einsatzgebiet verlassen bzw. ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland eingereicht haben, im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht länger gewährt worden ist (dazu 1.2.1.) Auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist es den Klägern möglich und zumutbar, sich dem Schutz bzw. Beistand des UNRWA erneut durch Rückkehr in eins der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets dieser Organisation zu unterstellen (dazu 1.2.2.).
1.2.1. Die Kläger mussten nach Überzeugung des Gerichts Ende 2014 den Libanon und das Einsatzgebiet des UNRWA nicht gezwungenermaßen (und damit unfreiwillig) verlassen, weil der Kläger zu 1) dort durch den libanesischen Staat und die Hisbollah verfolgt worden sei und sich damit in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden habe.
a) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG u.a. vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sowie von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, soweit die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, wirksamen Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3 d AsylG).
Zwischen den Verfolgungsgründen (vgl. die Aufzählung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sowie die näheren Erläuterungen in § 3 b Abs. 1 AsylG) und den Verfolgungshandlungen (§ 3 a Abs. 1 und 2 AsylG) bzw. dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3 a Abs. 3 AsylG). Dafür reicht grundsätzlich ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11.18 – juris Rn. 16). Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3 a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13).
Unerheblich ist dabei, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3 b Abs. 2 AsylG). Bei einer politischen Verfolgung ist für die Bejahung der Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund bereits ausreichend, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist, ist dabei irrelevant (BVerfG, B.v. 22.11.1996 – 2 BvR 1753/96 – juris Rn. 5; VGH BW, U.v. 18.8.2021 – A 3 S 271/19 – juris Rn. 22).
Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. dazu Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU) besteht, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Bei der Verfolgungsprognose ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen, der sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientiert, der bei der Prüfung von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) auf eine tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt (vgl. EGMR (GK), U.v. 28.2.2008 – Saadi/Italien, Nr. 37201/06 – NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 18 ff.; U.v. 5.7.2019 – 1 C 37/18 – juris Rn. 13).
Demnach bedingt der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Annahme eines reellen Verfolgungsrisikos sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Gemeint ist damit keine quantifizierende, sondern eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und deren Bedeutung. Entscheidend ist, ob bei einer Bewertung des aus den gegebenen Umständen ableitbaren Verfolgungsrisikos bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und ihm wegen dieses Risikos eine Rückkehr nicht zumutbar erscheint (stRspr, vgl. zu Art. 16a GG BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17; zu § 3 AsylG vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11/18 – juris Rn. 25 sowie BayVGH, U.v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – juris Rn. 34).
Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist (ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht), ist es Aufgabe des erkennenden Gerichts, die Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden. Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals (soweit es nach den Umständen des Falles hierauf ankommt) als auch von der Richtigkeit der Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr die volle Überzeugung gewinnen. Es darf jedoch insbesondere hinsichtlich relevanter Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad, der Zweifeln Schweigen gebietet, begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (stRspr, BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – BVerwGE 71, 180; U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris Rn. 20).
Besonderes Gewicht ist den Berichten des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) beizumessen, der gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 die Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention überwacht (vgl. dazu EuGH, U.v. 30.5.2013 – Halaf, C-528/11 – juris Rn. 44). Im Übrigen sind das persönliche Vorbringen des Rechtsuchenden und dessen Würdigung, namentlich wenn eine relevante Vorverfolgung behauptet wird, von zentraler Bedeutung. Für den Fall, dass keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, kann ggf. allein dessen Tatsachenvortrag zum Erfolg der Klage führen, sofern sich das Gericht von der Richtigkeit der entsprechenden Einlassungen überzeugen kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
In diesem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, dass für die Verfolgungsprognose beim Flüchtlingsschutz ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt, d.h. es ist irrelevant, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern durch die Beweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU. Nach dieser Vorschrift wird für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland erneut von Verfolgung bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 21 f.; U.v. 18.2.2021 – 1 C 4/20 – juris Rn. 15).
b) Zur Überzeugung des Gerichts wurde weder in der Anhörung vor dem Bundesamt noch im Klageverfahren glaubhaft vorgetragen, dass für die Kläger – insbesondere für den Kläger zu 1) – aufgrund einer flüchtlingsrelevanten (Vor-)Verfolgung eine sehr unsichere persönliche Lage bestanden hätte.
Sofern sich der Kläger zu 1) auf eine Festnahme im Jahr 2000 durch den libanesischen Militärgeheimdienst bezieht, die 51 Tage gedauert habe und bei der er beschuldigt sowie geschlagen worden sei, fehlt dabei schon der zeitliche (Kausal-)Zusammenhang zwischen diesem Vorfall und der Ausreise aus dem Libanon Ende 2014. Auf die Widersprüche bei den diesbezüglichen Angaben (in der Anhörung vor dem Bundesamt führte der Kläger zu 1) aus, den Ort der Festnahme nicht erkannt zu haben; in der mündlichen Verhandlung erklärte er hingegen, er sei 51 Tage im libanesischen Verteidigungsministerium in Beirut gehalten und gefoltert worden) ist daher nicht näher einzugehen.
Weitere Verfolgungshandlungen wurden – trotz mehrfacher Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung – nur sehr unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft vorgetragen. Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Klägers zu 1) ist für das Gericht kein nachvollziehbarer Zusammenhang mit einem der Verfolgungsgründe in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ersichtlich. Die behaupteten mehrmaligen Vorladungen des Klägers zu 1) durch den libanesischen Militärgeheimdienst und die Befragungen dazu, mit welchen Mitteln er den Lebensmittelladen 2014 erworben habe (in der Anhörung vor dem Bundesamt hieß es noch, der Geheimdienst wollte den Kläger zu 1) rekrutieren), erreichen auch die erforderliche Verfolgungsintensität (§ 3 a Abs. 1 und 2 AsylG) nicht. Dies gilt ebenfalls hinsichtlich des Vortrags des Klägers zu 1), er sei mit Steinen beworfen worden und man habe Gullideckel entfernt, um ihn zu schaden. Eine Anknüpfung an einem asylrechtlich relevanten Verfolgungsgrund (§ 3 a Abs. 3 AsylG) ist auch hierbei nicht ersichtlich, sodass das Gericht im klägerischen Vortrag (auch in der Gesamtschau) keine Verfolgungssituation erkennen kann.
Schließlich kann auch die Beschädigung des Stromaggregats, das der Kläger zu 1) besessen habe, keine flüchtlingsrelevante Verfolgung begründen. Selbst wenn man die schiitische Organisation Hisbollah als verfolgungsmächtigen Akteur i.S.d. § 3 c Nr. 2 AsylG bewerten wollte (etwa in deren „Hochburgen“ im Südlibanon), ist es für das Gericht nicht hinreichend plausibel, dass die Sachbeschädigung allein wegen der palästinensischen Volkszugehörigkeit oder des sunnitischen Glaubens des Klägers zu 1) erfolgt sein sollte.
Die Klägerin zu 2) erklärte in der mündlichen Verhandlung lediglich pauschal, ihr Ehemann, der Kläger zu 1), sei „ständig durch die libanesische Partei verfolgt“ worden und in Gefahr gewesen. Zu den konkreten Gründen und Umständen dieser „Verfolgungen“ äußerte sie sich konkret nicht. Dass „ein Offizier aus Tripoli“ (in der Anhörung vor dem Bundesamt war es noch „ein Freund vom Geheimdienst“) dem Kläger zu 1) empfohlen habe, das Land zu verlassen, erscheint schließlich konstruiert. Dies gilt auch für den Vortrag, dass der Kläger zu 1) noch mehrere Jahre nach seiner Ausreise von den libanesischen Behörden gesucht worden sei. Aus dem „gesteigerten“ Vortrag, der älteste Sohn der Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) sei ebenfalls verfolgt worden und musste fliehen, kann mangels konkreter Anhaltspunkte auch nicht auf eine sehr unsichere persönliche Lage der Kläger geschlossen werden.
c) Auch soweit sich die Kläger allgemein auf schwierige rechtliche und tatsächliche Verhältnisse für Palästinenser im Libanon beziehen, wurden keine tragfähigen Anhaltspunkte vorgebracht, die das Vorliegen einer tatsächlichen unsicheren persönlichen Lage objektiv belegen können. Dass die Kläger den Libanon aufgrund der Krankheit der volljährigen, an Trisomie 21 (Down-Syndrom) erkrankten Tochter des Klägers zu 1) verlassen hätten, wurde ebenfalls nicht vorgetragen.
Es ist im Ergebnis nicht erkennbar, dass das UNRWA den Klägern im Zeitpunkt ihrer Ausreise keinen Schutz und Beistand mehr gewährt hätte. Insofern haben die Kläger zur Überzeugung des Gerichts freiwillig auf dessen Schutz verzichtet.
1.2.2. Des Weiteren ist ein Wegfall des UNRWA-Schutzes auch nicht deshalb anzunehmen, weil den Klägern die Wiedereinreise in den Libanon verwehrt wäre. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist ihnen auch nicht unmöglich oder unzumutbar, sich dem Schutz bzw. Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des Hilfswerks erneut zu unterstellen.
a) Dem Gericht liegen gegenwärtig keine hinreichenden Erkenntnisse vor, dass es den Klägern, die von den libanesischen Behörden ausgestellte Ausweise für palästinensische Flüchtlinge besitzen, grundsätzlich unmöglich wäre, wieder in den Libanon einzureisen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es für ausreisepflichtige Palästinenser mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Libanon nicht von vornherein erkennbar aussichtslos ist, bei der Botschaft des Libanon in Berlin ein Dokument für die Heimreise zu erhalten (U.v. 16.10.2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 23 f.).
Das Gericht übersieht dabei nicht, dass die Wiederaufnahme staatenloser Palästinenser im Libanon nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar zu sein scheint (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24 f.). Personen ohne gültige Dokumente werden an der Einreise gehindert; von Deutschland oder EUStaaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellte Einreisepapiere werden von libanesischen Behörden nicht anerkannt. Libanesische Staatsangehörige können daher nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z.B. ein sog. Laissez-Passer) einreisen (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24 f.). Es ist für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon aber weiterhin möglich, bei der Botschaft des Libanon in Berlin ein Dokument (Document de Voyage) für die Heimreise zu beantragen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 16.10.2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 23 f.; VG Bremen, B.v. 8.12.2020 – 1 V 1087/20 – juris Rn. 29 f.; Danish Immigration Service (DIS), Lebanon, Readmission of Palestinian Refugees from Lebanon, März 2020, S. 7). Seit den Wahlen im Mai 2018 zeigen sich die libanesischen Behörden zwar zögerlich, staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon, die sich im Ausland aufhalten und die keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten. Teilweise wird berichtet, dass auch staatenlose Palästinenser, die über gültige Reisedokumente verfügen, deren Asylantrag in einem anderen Staat aber abgelehnt oder deren Aufenthaltsgestattung widerrufen wurde, dennoch eine Genehmigung der Einreise des libanesischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten anstreben müssen (DIS, Lebanon, März 2020, S. 8, 14). Nach derzeitigen Erkenntnissen war die Zahl der erfolgreichen Rückführungen seit Mai 2018 begrenzt. Allerdings waren auch in diesem Zeitraum Rückführungen in wenigen Fällen möglich (DIS, Lebanon, März 2020, S. 6, 14). Eine faktische Unmöglichkeit der Rückführung staatenloser Palästinenser allgemein oder eine Rückführung speziell der Kläger vermag das Gericht daher in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht anzunehmen. Die Kläger müssen sich daher vor diesem Hintergrund gegenwärtig darauf verweisen lassen, entsprechende Rückreiseanstrengungen zu unternehmen und im Falle der Zurückweisung durch den libanesischen Staat einen Folgeantrag beim Bundesamt zu stellen. Insoweit die COVID-19-Pandemie gegenwärtig zu Einreisebeschränkungen führen sollte, wären diese als vorübergehende Maßnahmen jedenfalls unschädlich (VG Dresden, U.v. 11.5.2021 – 11 K 1757/18. A – juris mit Verweis auf BVerwG, U.v. 21.1.1992 – 1 C 21/87 – juris Rn. 25).
b) Das UNRWA ist auch weiterhin im Libanon tätig und die Kläger sind auch aufgrund ihrer Registrierung berechtigt, nach Rückkehr in das Einsatzgebiet die Leistungen des Hilfswerks erneut in Anspruch zu nehmen. Eine zwischenzeitliche Ausreise ins Ausland ist hierfür ebenso wenig schädlich wie eine längerfristige Abwesenheit (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 5.6.2018, S. 3 f.; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Libanon: Reisedokumente für Palästinenser, 14.10.2016).
c) Schließlich dürfen die Kläger sowohl angesichts ihrer individuellen Umstände als auch der sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergebenden allgemeinen Lage erwarten, sich im UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufhalten zu dürfen. Ihnen droht dort weder beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG (dazu aa) noch ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG (dazu bb). Zuletzt müssen die Kläger auch nicht mit menschenunwürdigen Lebensbedingungen rechnen (dazu cc). Die Rückkehr ist ihnen somit zumutbar.
aa) Zunächst ist festzuhalten, dass die Kläger nicht vorverfolgt aus dem Libanon ausgereist sind. Dass ihnen bei einer Rückkehr dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht, wurde nicht glaubhaft und plausibel dargelegt und ist auch im Übrigen bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände nicht ersichtlich.
Das Gericht geht auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht davon aus, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe im Libanon begründete Furcht vor Verfolgung haben müssten, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend wäre, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellte.
Nach aktuellen Erkenntnissen sind derzeit etwa 420.000 – 470.000 palästinensische Flüchtlinge bei UNRWA im Libanon registriert. Es ist davon auszugehen, dass sich davon etwa 180.000 tatsächlich im Land aufhalten (Österreichisches Bundesamt für Flüchtlinge und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 52 f.).
Neben ihnen existieren 35.000-40.000 nicht bei UNRWA, sondern bei den libanesischen Behörden registrierte palästinensische Flüchtlinge, ca. 3000-5000 sogenannte nichtdokumentierte Palästinenser sowie mehrere zehntausende palästinensische Flüchtlinge aus Syrien. Etwa die Hälfte der Palästinenser lebt nach aktuellen Erkenntnissen in den zwölf über das Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslagern (Österreichisches Bundesamt für Flüchtlinge und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 52; UNRWA, Protection Brief – Palestine refugees living in Lebanon, September 2020, S. 9). Ihnen steht es aber frei, die Lager zu verlassen. Eine Erlaubnis ist dafür nicht nötig (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13).
Die Lage der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon ist weiterhin prekär. Ihnen sind weiterhin bestimmte politische und wirtschaftliche Rechte verwehrt; es kommt zu gesellschaftlicher Diskriminierung. So haben nur Frauen die Möglichkeit, durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft zu erlangen; es bestehen aber häufig administrative Hürden (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 12; Österreichisches Bundesamt für Flüchtlinge und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 53). Kinder können die libanesische Staatsangehörigkeit nur vom Vater erwerben. Staatenlose Palästinenser dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben. Auch von der Ausübung mehrerer Berufe (Arzt, Rechtsanwalt, u.a.) sind sie weiterhin ausgeschlossen (siehe zuletzt Auswärtiges Amt (AA), Beantwortung der Anfrage des VG Würzburg v. 2.3.2021, S. 2). Für die Ausübung anderer Berufe in einem legalen Beschäftigungsverhältnis wird eine Arbeitserlaubnis gefordert, die jährlich zu erneuern ist (Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Würzburg, 9.9.2020, S. 2). Diese wird in vielen Fällen jedoch nicht erteilt. Viele palästinische Flüchtlinge sind daher in geringer bezahlten Berufen und häufig im informellen Sektor beschäftigt. Der Besuch libanesischer Schulen steht Palästinensern nicht offen. Sie sind auf eine Ausbildung durch UNRWA-Schulen und Privatschulen angewiesen (Österreichisches Bundesamt für Flüchtlinge und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 55). Palästinensische Studierende müssen sich für die für Ausländer reservierten 10% der Studienplätze an Hochschulen bewerben (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 12). Auch für die gesundheitliche Versorgung sind die staatenlosen Palästinenser auf das UNRWAHilfswerk und andere NGOs angewiesen. Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit, die in der Summe das Maß einer schwerwiegenden und systematischen Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, sind nach aktuellen Erkenntnissen allerdings nicht bekannt (Österreichisches Bundesamt für Flüchtlinge und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 54; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 12; vgl. auch VG Potsdam, U.v. 18.06.2020 – 8 K 3961/17.A – Rn. 45; VG Bremen, B.v. 8.12.2020 – 1 V 1087/20 – juris Rn. 34). Im Ergebnis ist zwar eine Diskriminierung palästinensischer Flüchtlinge festzustellen, diese erreicht aber weder die Intensität eines staatlichen Verfolgungsprogramms noch in der Summe der einzelnen Maßnahmen eine „Verfolgungsdichte“, die einer systematischen Verfolgung gleichzusetzen wäre (zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13; ebenso VG Bremen, B.v. 8.12.2020 – 1 V 1087/20 – juris Rn. 34; VG Potsdam, U.v. 18.06.2020 – 8 K 3961/17.A – Rn. 45).
Im Hinblick auf die Gefahr einer asylrechtsrelevanten Verfolgung durch die Hisbollah, die im Süden des Libanon, in dem die Kläger vor ihrer Ausreise lebten, präsent ist und auch immer wieder Druck auf staatliche Institutionen ausübt, müssen sich die Kläger auf die Möglichkeit internen Schutzes (§ 3 e AsylG) innerhalb des UNRWAEinsatzgebiets im Libanon verweisen lassen. Einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure kann in der Regel durch Verlegung des Wohnorts außerhalb des Einflussbereichs dieser Akteure ausgewichen werden (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht, Stand Dezember 2020, S. 17). Insbesondere ist nach derzeitigen Erkenntnissen der Einfluss der Hisbollah im Norden des Landes weniger stark und beispielsweise im christlichen Kerngebiet des Mont Liban oder im sunnitischen Tripoli sehr gering (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 19). Ein Umzug in ein anderes UNRWALager in einer anderen Region des Libanon wäre den Klägern auch zuzumuten, da Hilfsleistungen von UNRWA nicht an ein einziges Lager gekoppelt sind.
Auch der Umstand, dass die Kläger den Libanon verlassen, sich in Europa aufgehalten und in Deutschland Asyl beantragt haben, führt zu keiner anderen Einschätzung. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse sind keine Fälle ersichtlich, in denen libanesische Staatsangehörige, die aus Deutschland abgeschoben wurden, aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung im Libanon erfahren haben. Sie werden – wie alle Einreisenden – von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht erkennbar. Bisher ist auch kein Fall bekannt geworden, in dem die unfreiwillige Rückkehr eines abgelehnten Asylbewerbers staatliche Repressionsmaßnahmen ausgelöst hätte (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24).
Schließlich führten auch die Auswirkungen des Krieges in Syrien nicht zu einer sehr unsicheren persönlichen Lage des Klägers zu 1) im Libanon. Zwar wirkte sich dieser Konflikt negativ auf die Sicherheitslage im Libanon aus. Während die Hisbollah in Syrien militärisch zugunsten des Assad-Regimes eingriff, sympathisierten andere maßgebliche gesellschaftliche Gruppen im Libanon mit den syrischen Rebellen. Dies führte zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gegenläufig ist aber zu berücksichtigen, dass alle beteiligten Akteure im Libanon daran interessiert waren, ein Ausbreiten des Bürgerkrieges aus Syrien auf den Libanon zu verhindern, was ihnen auch gelungen ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 12.9.2018, S. 7 f.; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 1.3.2018, S. 5).
bb) Ferner droht den Klägern bei einer Rückkehr in den Libanon auch kein ernsthafter Schaden nach § 4 AsylG.
Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (zum Prüfungsmaßstab vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28). Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Dass die Kläger die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe befürchten müssten (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AsylG), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Eine den subsidiären Schutz begründende Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung muss stets von einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 c AsylG ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 11 f.). Die vorgetragenen Vorladungen und Vernehmungen des Klägers zu 1) durch den libanesischen Geheimdienst stellen keine entsprechende Behandlung oder Bestrafung dar. Soweit der Kläger zu 1) eine Bedrohung durch die Hisbollah vorgebracht hat, müsste er sich – selbst bei Wahrunterstellung – gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 e AsylG auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verweisen lassen.
Denkbare, auf der schlechten allgemeinen humanitären Lage beruhende Beeinträchtigungen der Kläger unterfallen nicht § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da die Vorschrift nur Fälle erfasst, in denen eine notwendige humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten wird, wofür vorliegend nichts ersichtlich ist (EuGH, U.v. 18.12.2014 – M´Bodj, C-542/13 – Rn. 35, 41; BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 9 ff., 12).
Die Kläger haben auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zu befürchten. Das Ausmaß der aktuellen Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im gesamten Staatsgebiet ist nicht ausreichend, um zu einer Gefahrendichte zu führen, die zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit der Kläger führen würde. Relevante gefahrerhöhende individuelle Umstände in der Person der Kläger wurden nicht glaubhaft vorgetragen und sind im Ergebnis nicht ersichtlich.
Es fehlt bereits an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Libanon. Jedenfalls droht den Klägern bei einer Rückkehr in den Libanon keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt. Eine solche Bedrohung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzunehmen, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – Rn. 35). Wenn – wie hier – individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, erfordert dies eine außergewöhnliche Situation, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 15).
Nach diesen Maßstäben lässt sich eine hinreichende Gefährdung der Kläger infolge willkürlicher Gewalt bei einer Rückkehr in den Libanon nicht feststellen. Ihnen steht es frei, sich im Libanon in eines der zwölf UNRWA-Lager zu begeben und dort ohne Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt zu leben.
Zwar stehen die UNRWA-Flüchtlingslager weiterhin ganz überwiegend nicht unter der staatlichen Kontrolle des Libanon. Staatliche Institutionen haben dort keinen Zugriff, sondern kontrollieren lediglich die Ein- und Ausgänge zu den Camps. Die Sicherheit innerhalb der UNRWA-Lager wird aufgrund einer Vereinbarung mit der Regierung allerdings durch palästinensische Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion bestellt werden (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13; US-Außenministerium, Country Report on Human Rights Practices 2020 – Lebanon, 30.3.2021, S. 12). Dennoch nutzen Gruppen wie u.a. die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden nach derzeitigen Erkenntnissen weiterhin den Umstand begrenzter Regierungskontrolle in den zwölf palästinensischen Flüchtlingslagern für ihre Operationen (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 13). Diese Lager werden nach den vorliegenden Erkenntnissen als sichere Zufluchtsorte genutzt und dienen u.a. auch als Waffenverstecke (s. zu einer Explosion eines Waffendepots am 10.12.2021 im Flüchtlingscamp Burj Shemali bei Tyre, zeit online v. 11.12.2021: „Mehrere Verletzte bei Explosion im Flüchtlingslager“). Terroristische Gruppen, die die Lager als Rückzugsraum nutzen, stehen allerdings unter hohem Verfolgungsdruck durch die Sicherheitskräfte (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Nach den vorliegenden Erkenntnissen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen in den UNRWA-Lagern, die teilweise als schwer eingeordnet werden müssen (nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts betraf dies in Vergangenheit insbesondere die Lager Mie-Mie und Ainel-Hilwe) und in die teilweise auch die libanesischen Sicherheitskräfte eingreifen, da die Sicherheitskräfte vor Ort teils überfordert zu sein scheinen (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Ebenso kommt es zu sporadischen bewaffneten Zusammenstößen in (anderen) Lagern, die zu einer zeitweisen Unterbrechung von Bildungsund Gesundheitsdiensten führten (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56).
Grundsätzlich werden die Flüchtlingslager jedoch auch weiterhin durch palästinensi sche bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gesichert. Insoweit bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen in den Lagern auftreten und bei den geschilderten Auseinandersetzungen in Vergangenheit auch Unbeteiligte getötet wurden, vermag das Gericht derzeit nicht zu erkennen, dass diese Opfer eine so große Zahl erreicht hätten, dass davon auszugehen wäre, dass ein solches Niveau an Gewalt vorliegt dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem Lager und der Region konkret mit einer Gefahr für Leib oder Leben bedroht wäre(vgl. VG Dresden, U.v. 21.7.2021 – 11 K 1030/17.A – juris Rn. 61; VG Hamburg, U.v. 9.9.2021 – 14 A 6163/21 – juris Rn. 28 ff.). So wird etwa eine Auseinandersetzung mit Schusswaffen am 14. Oktober 2021, als ein Protest von Schiiten im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Hafenexplosion eskalierte und sieben Personen getötet und mehr als 30 Personen verletzt wurden, als der schlimmste Gewaltausbruch zwischen Konfessionsgruppen seit dem Jahr 2008 bezeichnet (vgl. Congressional Research Service, Lebanon: New Mikati Government Faces Challenges, 18.10.2021, S. 3). In den palästinensischen Flüchtlingslagern haben zwischen Oktober 2020 und April 2021 keine gewaltsamen Auseinandersetzungen stattgefunden (vgl. UN Security Council, Implementation of Security Council Resolution 1559, 22. April 2021, S. 7) oder waren jedenfalls so niedrigschwellig, dass darüber nichts bekannt wurde.
An der libanesischisraelischen Grenze kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen israelischen Streitkräften und bewaffneten Gruppierungen (vgl. BAMF, Briefing Notes, Auszug Libanon, 9.8.2021, S. 8). Die allgemeine Zivilbevölkerung, erst recht die, die – wie der Kläger im Falle einer Rückkehr – nicht in Grenznähe lebt, ist davon aber nicht betroffen. Auch für ein flächendeckendes Übergreifen des Syrienkonflikts auf den Libanon gibt es weiterhin keine Anhaltspunkte (vgl. UN Security Council, Report of the Secretary-General, Zeitraum 19.2.2020 – 16.6.2020).
Gleiches ist im Hinblick auf die innenpolitischen Proteste der vergangenen Jahre anzunehmen. Zwar haben die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste in letzter Zeit auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften geführt, die teils als schwer zu bezeichnen waren (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Unter anderem in Beirut und Tripoli kam es zuletzt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zum Teil zahlreiche Verletzte gefordert haben (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56; FAZ online v. 29.1.2021: „Not und Wut treiben die Libanesen auf die Straße“, www.faz.net; Spiegel online vom 27.01.2021: „Libanon – Dutzende Verletzte bei Protesten gegen Armut und Ausgangsbeschränkungen“, www.spiegel.de). Auch diese Auseinandersetzungen erreichen aber offensichtlich nicht die Schwelle einer ernsthaften individuellen Bedrohung der Kläger (VG Potsdam, U.v. 18.6.2020 – 8 K 3961/17.A – juris Rn. 44 ff.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Kläger den Protesten und den mit ihnen verbundenen Auseinandersetzungen nicht ausweichen könnten.
cc) Zuletzt drohen den Klägern bei einer Rückkehr in das UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon – auch unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Lage wie auch der persönlichen Umstände der Kläger – keine menschenunwürdigen Lebensbedingungen.
Einer Rückkehr entgegenstehende menschenunwürdige Lebensbedingungen sind anzunehmen, wenn eine Ausweisung des Betroffenen in das in Frage kommende UNRWA-Operationsgebiet einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde. In besonderen Ausnahmefällen ist eine Rückkehr auch bei Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen, die nicht durch staatliche Institutionen hervorgerufen werden, unzumutbar, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückkehr mit Blick auf die allgemeine Wirtschafts- und Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung zwingend sind (zum Maßstab des Art. 3 EMRK mit Blick auf eine Ausweisung zuletzt BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 11 f. mit Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25; vgl. ferner EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi u.a., Nr. 8319/07 u.a. – NVwZ 2012, 681 mit Verweis auf den Maßstab nach EGMR, U.v. 27.5.2008 – N., Nr. 26565/05 – NVwZ 2008, 1334).
Die dem Zurückkehrenden drohenden Gefahren müssen hierfür allerdings ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen. Dieses kann erreicht sein, wenn die betreffende Person ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 11 f. m.w.N.). Dabei kann aus Sicht des Gerichts offenbleiben, ob der durch den Europäischen Gerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung herangezogene Maßstab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 – juris Rn. 89 ff.; vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12), nach dem darauf abzustellen ist, ob sich die betroffene Person aufgrund der Gleichgültigkeit der Behörden im Zielstaat „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“, auch für die Beurteilung des Vorliegens von menschenwürdigen Lebensbedingungen im UNRWA-Einsatzgebiet, in dem staatliche Behörden keinen bzw. kaum Einfluss ausüben und Hilfsleistungen durch das UNRWA (und andere Nichtregierungsorganisationen) erbracht werden, maßgeblich ist. Auch bei Übertragung dieses Maßstabs drohen den Klägern unter Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände sowie der allgemeinen Lage in dem UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon keine menschenunwürdigen Lebensbedingungen.
Die im Libanon lebenden staatenlosen Palästinenser befinden sich zweifelsohne ins gesamt in einer überwiegend prekären wirtschaftlichen Lage, die auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Situation im Libanon verstanden werden muss. Die allgemeine wirtschaftliche Situation des libanesischen Staates hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Während der Libanon 2015 noch als wirtschaftlich vergleichsweise gut situiert bezeichnet werden konnte, befindet sich das Land aktuell in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die zuletzt durch die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 nochmals verschärft wurde. Auch die andauernde COVID- 19-Pandemie trägt zur weiteren Verschlechterung der Verhältnisse bei. Die Hälfte der libanesischen Bevölkerung lebt nunmehr an oder unter der Armutsgrenze (Tendenz steigend). Die Arbeitslosigkeit unter libanesischen Jugendlichen liegt derzeit bei ca. 21%, wobei jüngste Schätzungen auch von einer Arbeitslosigkeit von über 30% sprechen. Nachdem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung existiert, sind die (Groß-)Familie sowie (ergänzend) karitative und religiöse Einrichtungen das wesentliche Element der sozialen Sicherung (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 23). Diese Situation tangiert auch die Lebensverhältnisse der Palästinenser, die auch schon vor der Finanzkrise prekär waren. Nach Angaben des UNRWA aus dem Jahr 2016 hatte der Libanon den höchsten Anteil palästinensischer Flüchtlinge, die in Armut leben würden. Die schlechten Lebensumstände von dauerhaft im Libanon ansässigen palästinensischen Flüchtlingen verschärften sich zusätzlich mit der Ankunft von Flüchtlingen aus Syrien, die ebenfalls in die Lager gezogen sind, (vgl. Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Libanon: Situation in palästinensischen Flüchtlingslagern, Situation von Frauen, S. 2).
Die in den Flüchtlingslagern vom UNRWA lebenden staatenlosen Palästinenser sind insoweit zum Teil mit sehr schwierigen Bedingungen konfrontiert, die durch schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und mangelnden Zugang zur Justiz geprägt sind (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 12). Die Fläche, die den zwölf offiziellen Flüchtlingslagern zugeteilt wurde, hat sich seit 1948 trotz einer Vervielfachung der Bevölkerung auch nur geringfügig verändert (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56); eine Überbelegung ist die Folge. Die Infrastruktur, die sanitären Anlagen sowie die Wohnverhältnisse in den Lagern werden vom UNRWA selbst als mangelhaft bezeichnet (UNRWA, Protection Brief, September 2020, S. 2). Für die Lagerbewohner bestehen nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Wohnverhältnisse zu verbessern. Dies wird vom UNRWA auf wirtschaftliche Gründe, aber auch auf Beschränkungen der libanesischen Behörden für den Transport von Baumaterialien in und aus den Flüchtlingslagern zurückgeführt (UNRWA, Protection Brief, September 2020, S. 2). Alle Lager sind weiterhin massiv von Hilfeleistungen des chronisch unterfinanzierten UNRWA abhängig. Auch für ihre Schulbildung und Gesundheitsversorgung hängt die Bevölkerung der UNRWA-Lager ausschließlich vom UNRWA bzw. von Hilfeleistungen anderer Nichtregierungsorganisationen ab. Die schlechte Finanzierungslage vom UNRWA hat sich seit Mitte 2018 zuletzt durch die massiven Kürzungen der US-Unterstützung weiter zugespitzt. Für das Jahr 2020 arbeitete UNRWA in allen fünf Operationsgebieten (dem Libanon, Jordanien, Syrien, Westjordanland und dem Gazastreifen) mit einer Budgetkürzung von 10% (Danish Immigration Service (DIS), Palestinian Refugees, Access to Registration and UNRWA Services, Documents and Entry to Jordan, Juni 2020, S. 26). Für 2021 plante UNRWA für alle Operationsgebiete mit einem nochmals gekürzten Budget (2020: 1,116 Mrd. USD; 2021: 1,081 Mrd. USD, vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Würzburg, 9.9.2020, S. 4). Die Budget-Einsparungen wurden u.a. durch eine Reduzierung des UNRWA-Personals in allen Operationsgebieten, eine Kürzung der Investitionen in die Infrastruktur und eine Erhöhung der Größe der Klassen in den UNRWA-Schulen erreicht (Auswärtiges Amt (AA), Beantwortung der Anfrage des VG Würzburg v. 2.3.2021, S. 4).
Dennoch leistet das UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlingen – d.h. auch den Klägern – weiterhin grundlegende Unterstützung, welche die Grund- und Berufsausbildung, die medizinische Grundversorgung, Hilfs- und Sozialdienste, die Verbesserung der Infrastruktur und der Lager, Mikrofinanzierung sowie Notfallmaßnahmen (auch im Rahmen bewaffneter Konflikte) inklusive Zahlungen von Tagessätzen zur Lebensunterhaltung umfassen (US-Außenministerium, Country Report on Human Rights Practices 2020 – Lebanon, 30.3.2021, S. 33 f., Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 53; zur Zahlung von Tagessätzen: Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Würzburg, S. 3). Die Behandlungskosten für mit Covid-19 hospitalisierte palästinensische Flüchtlinge werden durch die palästinensische Botschaft und das UNRWA übernommen (BAMF, Länderreport 32 – Libanon, Dezember 2020, S. 11; UNRWA, Health department annual report 2019, S. 8). Nach Auskunft des UNRWA-Generalkommissars führten die Budgetkürzungen zu keinem Zeitpunkt zu einer Unterbrechung der Dienstleistungserbringungen durch das UNRWA (Auswärtiges Amt (AA), Beantwortung der Anfrage des VG Würzburg v. 2.3.2021, S. 4). Trotz des damit verbundenen gravierenden Finanzierungsdefizits erbringt das UNRWA für die Palästina-Flüchtlinge im Libanon weiterhin wesentliche Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verbesserung der Lager, Hilfs- und Sozialdienste (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 53).
Es liegt damit auf der Hand, dass den Schutz und Beistand des UNRWA im Libanon genießende staatenlose Palästinenser überwiegend prekären Verhältnissen in den UNRWA-Lagern ausgesetzt sind und dass das Leben dieser Bevölkerungsgruppe auch außerhalb der Lager von teils gravierender Armut geprägt ist. Ebenso muss davon ausgegangen werden, dass die andauernde Wirtschaftskrise im Libanon sowie die Auswirkungen der globalen COVID-19-Pandemie höchstwahrscheinlich zu einer weiteren Verschlechterung der bereits angespannten wirtschaftlichen Lage sämtlicher Bewohner des Libanon führen werden.
Gleichwohl tragen die vorliegenden Informationen nicht die weitergehende Einschätzung, dass alle staatenlosen Palästinenser im Libanon, die den Schutz und Beistand des UNRWA in Anspruch nehmen, unabhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalls mit menschenunwürdigen Lebensbedingungen konfrontiert sind, sie also ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach zu finden vermögen oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse ist vielmehr davon auszugehen, dass angesichts der vom UNRWA weiterhin geleisteten Hilfe (u.a. medizinische Grundversorgung, Schuldbildung, Wohnraum, Zahlung von Tagessätzen und Lebensmittelhilfen) derartige menschenunwürdigen Lebensverhältnisse, die im Einzelfall eine Rückkehr unzumutbar machen könnten, nur bei Hinzutreten weiterer individueller Merkmale und Umstände im Einzelfall drohen.
Etwas gelindert werden dürfte die angespannte Situation zudem zukünftig auch dadurch, dass die Regierung von US-Präsident Joe Biden die Palästinenser nunmehr mit 235 Mio. USD unterstützen und damit einen Teil der von der vormaligen USRegierung gestrichenen Hilfe wiederherstellen will, wobei zwei Drittel davon an das UNRWA gehen sollen, das – wie oben bereits ausgeführt – seit dem Verlust von 360 Mio. USD an US-Mitteln im Jahr 2018 in eine finanzielle Krise geraten ist (vgl. auch BBC „Biden administration to restore $ 235 m in US aid to Palestinians“, https://www.bbc.com/news/worldmiddleeast-56665199, zuletzt abgerufen am 5.8.2021).
Gefahrerhöhende Umstände oder Merkmale, die nach den Umständen des Falles die Feststellung rechtfertigen würden, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Libanon und das dortige UNRWA-Operationsgebiet gleichwohl unzumutbare Lebensbedingungen drohen, sind nach Überzeugung des Gerichts im Ergebnis nicht gegeben.
Der Kläger zu 1) ist zwar mit Blick auf seine Knieverletzung, seine Wirbelsäuleprobleme und der Schwerbehinderung (GdB 50) gesundheitlich teilweise eingeschränkt. Dabei übersieht das Gericht auch nicht, dass die minderjährigen Kinder auf ihre Eltern angewiesen sind. Gleichwohl ist es dem Kläger zu 1) vor der Ausreise aus dem Libanon gelungen den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern. Er verfügte über eigene Mittel zur Durchführung der Reparatur des beschädigten Stromaggregats. Im Jahr 2010 konnte er sogar einen Lebensmittelladen eröffnen. Für die Ausreise der Kernfamilie konnte der Kläger zu 1) die nicht unerheblichen Kosten i.H.v. 15.000 USD aufbringen. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr das Existenzminimum für sich und die Familie (einschließlich der betreuungsbedürftigen Kinder) absichern können wird. Bei einer Rückkehr hätten die Kläger auch ein Obdach. Sie besitzen nämlich weiterhin eine Wohnung, die aktuell nach Angaben der Kläger vermietet werde.
Ferner verfügt der Kläger zu 1) über ein großes familiäres Netzwerk im Libanon. So hat er im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, neben den Angehörigen seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2) (die nach ihren Angaben vor dem Bundesamt im Libanon die Eltern sowie sechs Geschwister und in Syrien eine weitere Schwester habe) noch eine weitere Ehefrau, sieben Geschwister, fünf Halbgeschwister sowie die jeweiligen Großfamilien im Libanon zu haben. Weitere zwei Geschwister hielten sich in Deutschland auf. Es ist insoweit auch unter Berücksichtigung der prekären Verhältnisse im UNRWA-Operationsgebiet sowie der schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Lage im Libanon, die durch die andauernde COVID-19- Pandemie nochmals verschärft werden, davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr in das UNRWA-Operationsgebiet im Libanon ihre elementaren Bedürfnisse und ihr Existenzminimum betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung – auch mit Unterstützung ihrer familiären Netzwerke sowie der für staatenlose Palästinenser zur Verfügung stehenden Hilfsleistungen des UNRWA sichern können; dies insbesondere auch für den Fall einer Rückkehr im Familienverband zusammen mit den noch anderweitig in Asylverfahren befindlichen weiteren Mitgliedern der Kernfamilie und hier insbesondere zusammen mit der an Trisomie 21 erkrankten, volljährigen Tochter des Klägers zu 1) und dem laut dem vorgelegten ärztlichen Brief vom 28. Januar 2020 erfolgreich am Herzen operierten, am … … 2019 in … geborenen, gemeinsamen Sohn des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) (eigenes Verfahren M 22 K 20.31779).
Als nicht völlig ausgeschlossen erscheint es dem Gericht zudem, dass die noch hier in Deutschland lebenden Angehörigen – weitere Brüder des Klägers mit ihren Familien – nicht ebenso zumindest in geringem Umfang eine finanzielle Unterstützung erbringen könnten oder würden.
Den Klägern drohen auch nicht aus gesundheitlichen oder humanitären Gründen menschenunwürdige Bedingungen. Die humanitären Dienste des UNRWA umfassen auch den Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt Libanon, 31.10.2021, S. 53; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24). Auch im Hinblick auf die individuelle gesundheitliche Situation der Kläger liegen keine zwingenden humanitären Gründe im Sinne der insoweit anzulegenden Rechtsprechung des EGMR vor (vgl. zum anzulegenden Maßstab im Rahmen von Art. 3 EMRK auch BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 20 ZB 17.30873 – juris Rn. 15 m.w.N.) vor. Von menschenunwürdigen Lebensbedingungen kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn eine Heilung eines Krankheitszustandes eines Palästinensers im Einsatzgebiet des UNRWA nicht zu erwarten ist; eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise drohen (vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG OVG Münster, U.v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 32 f.). Die Beurteilung, ob eine solche Gefahr vorliegt, erfordert eine individuelle Prüfung insbesondere anhand des konkreten Krankheitsbildes, der Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung, der Gesamtkonstitution des Ausländers, seiner individuellen Situation und der benötigten Medikamente (OVG Münster, B.v. 5.5.2017 – 13 A 198/17.A – juris Rn. 11).
Im Hinblick auf die vorgetragenen Wirbelsäulenwie Knieschäden und die Darmentzündung des Klägers zu 1) besteht keine lebensbedrohliche bzw. schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern wird.
Auch die Trisomie 21-Erkrankung (Down-Syndrom) der volljährigen Tochter des Klägers zu 1) stellt kein erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis dar. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Großfamilie (u.a. der Kläger zu 1), die Klägerin zu 2) und die im Libanon lebende Mutter der an Trisomie 21 erkrankten Frau) nicht in der Lage wäre, die notwendige Betreuung zu leisten. Dass im Libanon die für die Tochter erforderlichen Schilddrüsenmedikamente nicht zu bekommen wären, wurde weder vorgetragen noch ist es ersichtlich. Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass sich die vorhandene, im Grundsatz nicht heilbare Erkrankung aufgrund der Umstände im UNRWAEinsatzgebiet verschlimmert.
Zwingende humanitäre Gründe bestehen auch nicht im Hinblick auf die individuelle gesundheitliche Situation des am … … 2019 in … geborenen Sohnes des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2). Bereits pränatal wurde bei diesem die Diagnose einer Transposition der großen Gefäße (eines angeborenen Herzfehlers) gestellt, was eine vorzeitige Entbindung mit 34+3 Schwangerschaftswochen und eine Korrekturoperation erforderlich machte. Postoperativ bestand ein Bedarf an medikamentöser Kreislaufsunterstützung, es zeigten sich erhebliche Gerinnungsstörungen.
Dem ärztlichen Brief vom 19. August 2020 ist zu entnehmen, dass eine regelmäßige Durchführung von Physiotherapie erforderlich sei, eine augenärztliche Untersuchung und Wiedervorstellung zur klinischneurologischen und elektrophysiologischen Untersuchung seien empfehlenswert. In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin zu 2) an, ihr jüngster Sohn mache wöchentlich Physio- und Ergotherapie. Die empfohlenen Bewegungsübungen mache sie täglich mit dem Kind zu Hause. Es nehme keine Medikamente ein.
Bei der postoperativen Kontrolluntersuchung am 28. Januar 2020 stellte der behandelnde Arzt ein sehr gutes Operationsergebnis fest. Empfohlen wurde lediglich Frühförderung und entwicklungsfördernde Krankengymnastik; eine medikamentöse Therapie sei nicht erforderlich.
Das Gericht verkennt nicht, dass das Kind nicht unerhebliche körperliche Schäden und Entwicklungsstörungen hat und Betreuung braucht. Dass die (erforderliche) Physio- und Ergotherapie im Libanon wahrscheinlich nicht (oder zumindest nicht so effektiv) durchgeführt werden kann, ist allerdings rechtlich irrelevant. Allein maßgebend ist, ob eine fehlende Behandlung zu einer gravierenden Verschlechterung und Lebensgefahr alsbald nach der Einreise führen kann, was im Hinblick auf die empfohlenen Behandlungen hier zu verneinen ist. Nachdem der angeborene Herzfehler erfolgreich operiert wurde, besteht zur Überzeugung des Gerichts keine lebensbedrohliche bzw. schwerwiegende Erkrankung (mehr), die sich durch die Abschiebung ins Einsatzgebiet des UNRWA wesentlich verschlechtern wird. Insofern müssen sich die Kläger auf die Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat verweisen lassen. Dass eine Behandlung auch mit Hilfe der Großfamilie für den Kläger finanziell nicht erreichbar wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist den ärztlichen Bescheinigungen auch nicht zu entnehmen, dass diese Erkrankungen bei einer Rückkehr in den Libanon alsbald eine lebensbedrohliche Situation begründen könnten.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG (der von der Ausschlussklausel in § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht erfasst ist). Insoweit kann auf die Ausführungen unter bb) verwiesen werden.
3. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt können die Kläger auch nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Libanons beanspruchen.
Beim (nationalen) Abschiebungsschutz handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren möglichen Anspruchsgrundlagen. Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote ist daher nicht möglich (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 17; SächsOVG, U.v. 3.7.2018 – 1 A 215/18.A – juris Rn. 23).
3.1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine individuell drohende Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist hinsichtlich der Kläger im Einsatzgebiet von UNRWA im Libanon jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht gegeben. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei allgemeinen Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3c AsylG) fehlt, wenn zwingende humanitäre Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung gegen die Abschiebung sprechen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 25). Dass dies im Einsatzgebiet des UNRWA im Libanon nicht der Fall ist, wurde bereits unter cc) ausgeführt.
3.2. Ferner besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine derartige Gefahr besteht – wie bereits ausgeführt – weder aufgrund des Gesundheitszustands der Kläger noch aufgrund der humanitären Verhältnisse, die sie im Falle ihrer Rückkehr vorfinden würden.
Die Tatsache, dass die Lebensverhältnisse im Libanon für einen großen Teil der Be völkerung prekär sind, stellt für sich allein keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Eine extreme Gefahrenlage im obigen Sinne bestünde lediglich dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Maßstab BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 20). Dies ist bei den Klägern trotz der für staatenlose Palästinenser häufig prekären Lebensverhältnisse im Libanon wie bereits ausgeführt nicht der Fall. Die Kläger können mit Unterstützung durch das UNRWA und weiterer Hilfsorganisationen sowie der Mitglieder der (Groß-)Familie rechnen und sind im Übrigen auch selbst imstande (jedenfalls die Erwachsenen), durch eigene Arbeitsleistung wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, und damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG sowie unter cc) wird Bezug genommen.
Ein anderes Ergebnis ist auch nicht unter Berücksichtigung der derzeitigen COVID-19 Pandemie festzustellen. Die Gefahr, an einer COVID-19-Infektion zu erkranken, ist im Libanon und dem dortigen UNRWA-Operationsgebiet eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung und damit auch die Bevölkerungsgruppe, der die Kläger angehören, allgemein ausgesetzt ist, so dass diese Gefahr aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. u.a. VG München, U.v. 28.1.2021 – M 8 K 19.31382 – Rn. 32 ff. m.w.N.). In solchen Konstellationen kann Abschiebungsschutz in Form eines individuellen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn der Ausländer im Abschiebezielstaat (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls) mit hoher Wahrscheinlichkeit landesweit einer extrem zugespitzten Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Mit anderen Worten: der betroffene Ausländer im Fall seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.07.2001 – 1 C 5/01 – juris Rn. 16; U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 16 m.w.N.; U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 19). Eine solche individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist gegenwärtig für die Kläger auch unter Berücksichtigung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus im Libanon sowie in den dortigen UNRWA-Flüchtlingslagern nicht erkennbar. Die Kläger sind in ähnlicher Weise wie andere Personen im Libanon in Gefahr, nach einer Infektion mit dem SARSCoV-2-Virus an COVID-19 zu erkranken. Ferner hat es jeder Einzelne in Teilen auch selbst in der Hand, sich und andere durch die Verwendung von Gesichtsmasken und – soweit möglich – durch die Einhaltung von Abstandsmaßnahmen zu schützen, sodass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass sich die Kläger in ihrer Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus infizieren, einen schweren Krankheitsverlauf erleiden und infolgedessen in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten oder eine schwere Beeinträchtigung oder gar einen tödlichen Verlauf erleiden würden. Die Kläger müssen sich überdies – genauso wie bei anderen Erkrankungen – gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten vor Ort behelfen (vgl. VG München, U.v. 28.01.2021 – M 8 K 19.31382 – Rn. 32 ff.; VG Würzburg, B.v. 17.4.2020 – W 8 S 20.30448 – juris Rn. 23 m.w.N.).
3.3. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG.
Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel nicht als allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG einzustufen, sondern als individuelle Gefahr, die am Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 ff. v. 11.3.2016) die Sätze 3 bis 5 des § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügt. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 3). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 4) und schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 5). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (stRspr zu § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105, 383 m.w.N.). Wie bereits oben unter cc) dargelegt, ist hinsichtlich der Kläger und ihrer Familienangehörigen nicht von einer solchen erheblichen konkreten Gefahr auszugehen.
4. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig, weil sie den Anforderungen der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG entspricht.
5. Rechtliche Bedenken gegen das gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen nicht.
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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