Verwaltungsrecht

Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn

Aktenzeichen  20 ZB 17.50015

Datum:
29.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3083
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aufgrund der im März 2017 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts, die eine Inhaftierung aller Asylantragsteller (und nicht nur der über die Südgrenze neu eintreffenden) in den seit 2015 errichteten „Transitzonen“ an der Grenze zu Serbien vorsehen, liegen systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh mit sich bringen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 22 K 15.50595 2016-10-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit) (vgl. z. Ganzen Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 m.w.N.).
Die Beklagte hält im vorliegenden Fall für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob systemische Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Ungarn bestehen, weil für „Dublin-Rückkehrer“ mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verletzung des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besteht, weil für „Dublin-Rückkehrer“ eine Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC verletzende Situation mit Blick auf die ungarische Inhaftierungspraxis bei Asylsuchenden droht.
Diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Senats geklärt. Denn der Senat hat in seinem Beschluss vom 23. Januar 2018 (Az. 20 B 16.50073, dort insb. Rn. 30 ff.) festgestellt, dass jedenfalls aufgrund der im März 2017 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts, die eine Inhaftierung aller Asylantragsteller (und nicht nur der über die Südgrenze neu eintreffenden) in den seit 2015 errichteten „Transitzonen“ an der Grenze zu Serbien vorsehen, systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorliegen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta mit sich bringen. Die dort im Einzelnen begründete Auffassung des Senats wird durch das Vorbringen der Beklagten im Zulassungsverfahren nicht in Frage gestellt, da dieses sich im Wesentlichen auf Rechtsprechung und Auskünfte vor dieser Rechtsänderung bezieht. Im Übrigen wird ergänzend auch auf die zum gleichen Ergebnis kommenden Entscheidungen des 13a-Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.50003, juris), des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. August 2017 (Az. 4 A 2986/16.A, juris) und des OVG Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 2017 (Az. 11 A 1966/15.A, juris) verwiesen.
An diesem Ergebnis ändert auch die im vorliegenden Verfahren von der Beklagten am 6. September 2017 an die ungarischen Behörden gestellte Anfrage um Erteilung einer Zusicherung, dass der Kläger entsprechend der Richtlinie 2013/33/EU untergebracht und sein Antrag nach Maßgabe der Richtlinie 2013/32/EU bearbeitet werde, nichts. Denn einerseits liegt eine Antwort der ungarischen Behörden, geschweige denn eine derartige Zusicherung, bis zum heutigen Tage nicht vor. Andererseits besteht aber auch kein Anlass dafür, mit der Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf Zulassung der Berufung weiter zuzuwarten, da nach der ausdrücklichen Aussage der Beklagten keinerlei Erfahrungswerte bestünden, innerhalb welcher Frist mit einer Antwort auf eine derartige Anfrage durch die ungarischen Behörden zu rechnen sei. Ergänzend sei noch auf die genannte Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 2017 (dort insb. Rn. 15) verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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