Verwaltungsrecht

Teilbewilligung von Prozesskostenhilfe wegen eines Abschiebungsverbots in Afghanistan

Aktenzeichen  M 25 K 14.30965

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130147
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO §§ 114 ff.

 

Leitsatz

Bei einem afghanischen Asylbewerber, der sich wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in einer stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet, kann ein Abschiebungsverbot vorliegen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe im Hinblick auf den Klagegegenstand des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG unter Beiordnung von Rechtsanwalt … … … … … bewilligt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein 41-jähriger, in Herat geborener afghanischer Staatsangehöriger.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 22. März 2012 teilte dieser dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass der Kläger einen Asylantrag stellen werde. Er sei mit einer tunesischen Staatsangehörigen verheiratet und werde in Kürze einen Antrag auf private Wohnsitznahme stellen (Blatt 40 der Behördenakte).
Am 27. März 2012 stellte der Kläger beim Bundesamt einen Asylantrag (Blatt 3 der Behördenakte). Er legte einen afghanischen Nationalpass vor (Blatt 59 der Behördenakte).
Die Regierung von Oberbayern wies den Kläger mit Bescheid vom … April 2012 der Stadt München zu (Blatt 60 der Behördenakte).
Das Bundesamt hörte den Kläger am *. Juli 2012 an, die Anhörung erfolgte in der Sprache Dari (Blatt 65 der Behördenakte). Zu den Gründen seiner Ausreise gab der Kläger an, dass er zu seiner tunesischen Ehefrau in Deutschland habe reisen wollen. Er habe aber auch wesentliche Probleme im Iran gehabt, da er dort ohne Dokumente gewesen sei und sich illegal aufgehalten habe. Er habe Angst gehabt, in sein Herkunftsland abgeschoben zu werden. In Afghanistan habe er Feinde. Aufgrund einer Erbschaftsstreitigkeit mit Verwandten aus der Familie des Vaters könne er dorthin nicht mehr zurückkehren.
Mit Bescheid vom 15. August 2014 erkannte das Bundesamt dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4).
Soweit der Kläger zur Begründung seines Asylbegehrens zu Protokoll gegeben habe, dass er wegen einer seit 25 Jahren bestehenden alten Feindschaft wegen einer Erbstreitigkeit nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, da sein Leben in Gefahr sei, könne dem Sachvortrag nicht gefolgt werden. Damit habe er begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Die Schilderung habe zu keinem Zeitpunkt der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt den Eindruck zu erwecken vermocht, dass von einer tatsächlich erlebten Begebenheit berichtet werde. Das Vorbringen sei in seiner Wortwahl zu farblos, kurz und ohne Anklang von Nebensächlichkeiten. Die Aussage müsse als glatt und lediglich zielgerichtet gewertet werden. Von vielen afghanischen Antragstellern werde vorgetragen, dass eine Gefährdungssituation wegen einer Erbschaftsstreitigkeit bestehe. Zwar könne allein aus der Häufigkeit eines Sachvortrags nicht automatisch auf dessen Unglaubhaftigkeit geschlossen werden; allerdings müssten dem Sachverhalt dann wenigstens Anhaltspunkte zu entnehmen sein, die einem derartigen Rückschluss entgegenstünden. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Das eigenständige Sachvorbringen des Antragstellers erschöpfe sich in wenigen Sätzen. Auch auf Nachfragen habe der Antragsteller die skizzierte Gefährdungssituation nicht zu substantiieren vermocht. Seine Äußerungen seien weiterhin an der Oberfläche geblieben und hätten keinen anderen Eindruck vermittelt. Seine Ausführungen stellten sich als Stereotyp dar. Sie seien frei von Details und könnten gerade nicht als lebensnaher Vortrag eines wirklichen Verfolgungsgeschehens angesehen werden. Auffällig seien die Pauschalitäten und die fehlende Präzision der Angaben hinsichtlich des Kerngeschehens der angeblich vorliegenden Gefährdungssituation. Anders als bei einem erlebnisfundierten Bericht zu erwarten gewesen wäre, habe der Antragsteller trotz vielfältiger Anstöße in der Anhörung nur äußerst vage und damit letztlich unergiebig, weil inhaltsleer, vorgetragen. Der Inhalt und der Verlauf des Gesprächs verdeutlichten, dass sich der Ausländer nicht wegen der geschilderten Bedrohungssituation in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Die Tatsache, dass der Antragsteller offensichtlich in der Lage gewesen sei, erhebliche Mittel für seine Ausreise aufzubringen, spreche gegen das Fehlen einer Unterstützung im Herkunftsland. Nach den vorliegenden Erkenntnissen würden für eine Schleusung in der Regel 10.000 $, in Einzelfällen sogar mehr als 20.000 $ bezahlt. Angesichts dessen, müsse entweder der Antragsteller selbst über enorme finanzielle Mittel verfügt haben oder die Geldmittel seien von der Familie aufgebracht und so auf mehrere Schultern verteilt worden. Es sei grundsätzlich auch nicht anzunehmen, dass die Familienbande zwischenzeitlich zerrissen seien. Es erscheine äußerst unwahrscheinlich, dass eine (Groß-)Familie, die es sich habe leisten können, einem Familienangehörigen die illegale Einreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen, nicht über ein Mobiltelefon verfüge, über welches Kontakt mit ihnen aufgenommen werden könne. Im vorliegenden Fall könne deshalb nicht mangels Geldmitteln, Erwerbsaussichten oder mangelnder familiärer Unterstützung von einer zugespitzten existenziellen Gefahrenlage ausgegangen werden.
Eine Abschiebungsandrohung sei nicht zu erlassen, da die Ehefrau des Antragstellers eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach § 9 Aufenthaltsgesetz besitze, der Antragsteller somit einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Aufenthaltsgesetz habe.
Der Bescheid wurde am 15.8.2014 als Einschreiben zur Post gegeben (Blatt 98 der Behördenakte).
Mit Schriftsatz vom 26. August 2014, beim Verwaltungsgericht München am 28. August 2014 eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren und den Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
Die Nachreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde angekündigt. Zur Begründung der Klage wurde zunächst auf die Angaben des Klägers bei seiner Anhörung verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 21. September 2014 nahm der Prozessbevollmächtigte für den Kläger zum Bescheid des Bundesamts dahingehend Stellung, dass der Kläger der Meinung gewesen sei, der Ehemann von Frau … … gewesen zu sein. Die Eheschließung habe er bisher nicht nachweisen können, da er nur eine Bescheinigung der Botschaft der Islamischen Republik in Afghanistan in Teheran vom … Februar 2011 habe vorlegen können, wonach keine Bedenken gegen eine Eheschließung geltend gemacht würden, also eine Art Ehefähigkeitszeugnis. Mittlerweile lebe der Kläger von Frau … … getrennt. Der Kläger habe auch physische und psychische Beschwerden und Probleme. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die eine Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar mache. Zum Beweis wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Psychotherapie angekündigt.
Mit Schreiben vom *. Mai 2015 legte der Kläger die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom … April 2015 vor, teilte mit, dass der Kläger sich in psychotherapeutischer Behandlung befinde und legte ein ärztliches Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, … … … vom … April 2015 vor (Blatt 24 der Gerichtsakte). Danach befindet sich der Kläger seit Juni 2014 in ihrer psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung. Er leide unter den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach schwerwiegenden Gewalterfahrungen in Afghanistan.
Mit Beschluss vom 15. September 2016 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
Mit Schreiben vom 20. September 2016 erinnerte der Prozessbevollmächtigte an den Prozesskostenhilfeantrag. Mit Schreiben vom 23. September 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte dem Gericht mit, dass sich der Kläger seit … September 2016 stationär im psychiatrischen Krankenhaus in … befinde und erinnerte erneut an den Prozesskostenhilfeantrag.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten verweist das Gericht auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte des Klägers.
II.
Der zulässige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erfolgreich.
1. Eine Partei erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1.1. Der Kläger ist ausweislich der vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage die Kosten der Prozessführung, auch nicht nur zum Teil oder in Raten, aufzubringen.
1.2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig.
1.3. Allerdings bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Da die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dient, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht zu überspannen. Es genügt, wenn die Erfolgsaussichten bei summarischer Überprüfung als offen zu beurteilen sind. Schwierige oder noch nicht geklärte Rechtsfragen können nicht im Prozesskostenhilfeverfahren einer Klärung zugeführt werden.
In tatsächlicher Hinsicht ist maßgeblich, ob eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür sprechen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – juris Rn. 14).
Bei Asylverpflichtungsklagen darf eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage in diesem Sinne nicht verneint werden, wenn sich eine persönliche Anhörung oder Vernehmung des Asylbewerbers über dessen Verfolgungsbehauptungen aufdrängt, weil diese bei summarischer Betrachtung eine asylrelevante Verfolgung schlüssig ergeben und Zweifel an der Glaubhaftigkeit der tatsächlichen Angaben oder der Glaubwürdigkeit des Klägers nur aufgrund einer persönlichen Einvernahme geklärt werden können (VGH Kassel, B.v. 22.9.1990 – 12 TP 3419/89 – NVwZ-RR 1990, 657). Voraussetzung ist, dass im angefochtenen Bescheid geäußerte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers bzw. der Glaubhaftigkeit seiner Angaben in der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags bzw. der Klage durch eine vollständige und detaillierte Auseinandersetzung mit dem bisherigen Vortrag aufgeklärt werden (Marx, AsylVfG, 8. Aufl., 2014, § 83b Rn. 10).
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, liegen die Bewilligungsvoraussetzungen hier nur im Hinblick auf das zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Aufenthaltsgesetz vor.
1.3.1. Die Klägerseite geht auf die ausführliche und nachvollziehbare Argumentation im Bescheid des Bundesamts hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG mit keinem Wort ein. Die Klage hat damit derzeit unter Berücksichtigung der oben genannten Anforderungen diesbezüglich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1.3.2. Soweit die Klage auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Aufenthalt Gesetz gerichtet ist, hat sie im Hinblick auf die erstmals im Klageverfahren vorgetragene Erkrankung des Klägers, jedenfalls in Zusammenschau mit und im Hinblick auf dessen jüngste stationäre Unterbringung im … …, hinreichende Aussicht auf Erfolg.
2. Soweit der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgreich ist, ist dem Kläger antragsgemäß auch sein Bevollmächtigter beizuordnen, da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 106. 60 VwGO, § 121 Abs. 2 ZPO).
3. Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben