Verwaltungsrecht

Übernahme der Kosten für eine zweistufige private Wirtschaftsschule

Aktenzeichen  M 18 E 20.1392

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
SGB VIII § 35a, § 36a Abs. 3, § 41
BayEUG Art. 2, Art. 37 Abs. 3 S. 1
BaySchO § 32

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme des Schulgelds für eine Privatschule als Maßnahme der Jugendhilfe sowie Prozesskostenhilfe für das gerichtliche Verfahren.
Der am … … … geborene Antragsteller besuchte im Schuljahr 2018/2019 die 10. Klasse der staatlichen … in Rosenheim (* …*).
Mit Attesten eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom … … und … … 2018 wurde dem Antragsteller eine Lese- und Rechtschreibstörung (ICD-10 F 81.0) bescheinigt. Im Rahmen einer daraufhin veranlassten schulpsychologischen Beurteilung wurde festgestellt, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen zur Anwendung des Art. 52 Abs. 5 Satz 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) vorlägen. Aufgrund einer entsprechenden Empfehlung der Schulpsychologin wurde dem Antragsteller mit Bescheid der Schulleitung vom … … 2018 bis zum … … 2019 Nachteilsausgleich und Notenschutz nach §§ 33, 34 Bayerische Schulordnung (BaySchO) gewährt. In ihrer Stellungnahme regte die Schulpsychologin an, dass sich die Eltern des Antragstellers mit den unterrichtenden Lehrkräften über mögliche weitere individuelle Unterstützungsmaßnahmen nach § 32 BaySchO austauschen sollten.
Krankheitsbedingt, nach eigenen Angaben u.a. wegen einer mehrwöchigen Lungenentzündung, kam es beim Antragsteller während des Schuljahres 2018/2019 insbesondere im Februar 2019 zu erheblichen Fehlzeiten (Stand 1.3.2019: 44 Fehltage), die laut Mitteilung der Schule vom … … 2019 den Schulerfolg der 10. Klasse infrage stellten. Im Zwischenzeugnis vom 15. Februar 2019 erhielt der Antragsteller in vier Fächern die Note „mangelhaft“. In den ergänzenden Bemerkungen wurde in dem Zeugnis ausgeführt, der Antragsteller arbeite im Unterricht in Fächern seines Interesses ausdauernd und konzentriert mit und erfülle alle schulischen Aufgaben gewissenhaft und mit Sorgfalt; in Gruppenarbeiten bringe er stetig eigene Vorstellungen und Ideen ein und engagiere sich für das Erreichen gemeinsamer Ziele.
Im Folgenden wurden zwischen der Mutter des Antragstellers und verschiedenen Lehrkräften der … die Möglichkeiten einer Zurückstellung oder Wiederholung der 10. Klasse sowie eines Schulwechsels besprochen.
Am … … 2019 meldete die Mutter den Antragsteller zum Schuljahr 2019/2020 bei den staatlich anerkannten Privatschulen … … (gGmbH) für die zweistufige Wirtschaftsschule ab der 10. Klasse in … an. In dem gleichzeitig abgeschlossenen Ausbildungsvertrag wurde ein monatliches Schulgeld von 210 Euro, zahlbar ab September 2019 bis einschließlich August 2020 jeweils zum 1. des Monats, vereinbart.
Am 12. Juli 2019 erklärte der Antragsteller seinen Austritt aus der … zum 26. Juli 2019.
Am 30. September 2019 sprach die Mutter des Antragstellers beim Kreisjugendamt des Antragsgegners wegen der Übernahme der Kosten für die Privatschule vor.
Dabei legte sie dem Antragsgegner ein Gutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Frau Dr. med. P. vom … … 2019 vor. Darin führte diese aus, der Antragsteller habe sich im Zeitraum … … 2019 bis … … 2019 wegen deutlicher Konzentrationsschwierigkeiten, Schulstresses und Prüfungsängsten mehrfach in ihrer Praxis vorgestellt. Diagnostisch liege bei dem mittlerweile volljährigen Antragsteller aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht eine stark ausgeprägte Aufmerksamkeitsdefizitstörung/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) vor (ICD-10 F 90.0). Zusätzlich hätten sich aufgrund gehäufter schulischer Misserfolge massive Prüfungsängste sowie eine depressive Verstimmung entwickelt (ICD-10 F 40.2). Außerdem bestünden Trennungs- und leichte soziale Ängste (ICD-10 F 93.8) sowie Ein- und Durchschlafstörungen (ICD-10 F 51.8). Der Antragsteller sei in den vergangenen Wochen in einen regelrechten Teufelskreis von schulischen Misserfolgen und daraus resultierend erhöhter Lernanstrengung und Anspannung hineingekommen. Seine Begabung liege im durchschnittlichen Bereich bei deutlich divergierendem Intelligenzprofil. Auf körperlicher Ebene bestünden eine Zöliakie (Glutenunverträglichkeit), eine Laktoseunverträglichkeit und eine Pollenallergie.
Der Antragsteller sei eindeutig dem Personenkreis des § 35a Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – zuzuordnen.
Aufgrund der massiv ausgeprägten komplexen kinder- und jugendpsychiatrischen Problematik werde dem Antragsteller dringend die Aufnahme einer Psychotherapie angeraten. Unterstützend sei bereits eine medikamentöse Therapie mit Methylphenidat begonnen worden. Wegen der massiv ausgeprägten ADHS sowie der daraus resultierenden schulischen Misserfolge und Prüfungsängste sei es dem Antragsteller im vergangenen Schuljahr nicht möglich gewesen, den Realschulabschluss zu erreichen. Aufgrund der sehr massiven und komplex ausgeprägten psychischen Problematik werde der Wechsel auf eine Schule mit reduzierter Klassenstärke, guter Strukturierung und intensiver individueller Betreuung durch die Lehrkräfte empfohlen. Solche Lernbedingungen könnten auf der privaten Wirtschaftsschule … … geboten werden, die der Antragsteller nunmehr besuche. Eine Kostenübernahme des Schulgelds durch das Jugendamt werde für empfehlenswert gehalten, da der Antragsteller aufgrund seiner psychischen Problematik im Regelschulsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Schulabschluss werde erreichen können.
Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies der Antragsgegner die Mutter des Antragstellers darauf hin, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII einen Anspruch auf angemessene Schulbildung vermittelten. Damit sei jedoch nicht die Hilfe zu einer optimalen Schulbildung gemeint. Die schulische Förderung sei vorrangig dem öffentlichen Bildungssystem zugewiesen. Die Kosten für die Beschulung an einer Privatschule könnten nur dann übernommen werden, wenn auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen wie etwa einer Schulbegleitung eine angemessene Schulbildung im öffentlichen Schulsystem nicht erreicht werden könne und der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven Gründen unmöglich bzw. unzumutbar sei. Der Antragsteller habe bis Juli 2019 die staatliche Realschule ohne unterstützende Maßnahmen besucht und mit dem Abschluss der 10. Klasse seine allgemeine Vollzeitschulpflicht erfüllt. Somit sei eine angemessene Schulbildung nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 BayEUG erreicht. Der Antragsgegner sehe daher keine Notwendigkeit, dass der Antragsteller an einer Privatschule beschult werde.
Mit Telefax vom 24. Oktober 2019 ließ der Antragsteller durch die von ihm hierzu bevollmächtigten Rechtsanwälte Widerspruch gegen den „Bescheid“ des Antragsgegners vom 30. September 2019 einlegen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, der Hinweis des Antragsgegners auf die Erfüllung der Mindestvollzeitschulpflicht ohne Abschluss sei angesichts der laufenden Diskussion um Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen gerade aus einkommensschwächeren Haushalten lebensfremd. Das Erreichen einer „angemessenen“ Schulbildung sei vielmehr an Art. 2 BayEUG zu messen.
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2019 wurde ergänzend geltend gemacht, aus den vorgelegten psychiatrischen Gutachten ergebe sich ein Hilfebedarf des Antragstellers i.S.v. § 35a bzw. § 41 SGB VIII. Der Schulwechsel sei wegen der krankheitsbedingten Ausfälle erforderlich geworden. Eine Rückstellung sei nicht sinnvoll gewesen, da der Antragsteller in der staatlichen Schule nach der Krankheit keinen Fuß mehr gefasst habe. Zwischenzeitlich habe er sich gesundheitlich und in den Schulleistungen stabilisiert, sodass nun ein ordentlicher Schulabschluss zu erwarten sei. Dieser dürfe nicht durch fehlende Mittel gefährdet werden. Die Mutter des Antragstellers finanziere die Privatschule derzeit aus ihren Hartz IV-Mitteln.
Der Antragsgegner half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn unter dem 13. November 2019 der Regierung von Oberbayern zu Entscheidung vor. Dabei wies er darauf hin, dass die Mutter bei ihrer Vorsprache am 30. September 2019 keinen Antrag für den volljährigen Antragsteller habe stellen können; auch sei nicht der Antragsteller, sondern dessen Mutter Empfängerin des nunmehr angegriffenen Schreibens vom 30. September 2019 gewesen.
Mit Schreiben vom 13. März 2020 vertrat die Regierung gegenüber dem Antragsgegner die Auffassung, dass der Antragsteller durch die Bevollmächtigung seiner Anwälte und den durch sie eingelegten Widerspruch seine nachträgliche Zustimmung zum mündlichen Antrag seiner Mutter vom 30. September 2019 auf Übernahme der Kosten zum Besuch einer Privatschule gegeben habe, sodass Antragstellung und Widerspruchserhebung zulässig seien. Eine einzelfallbezogene Prüfung durch den Antragsteller habe bisher nicht stattgefunden; der Vorgang werde daher zur weiteren Sachverhaltsermittlung bzw. erneuten Prüfung bis Ende Mai 2019 (gemeint: 2020) zurückgegeben.
Unter Hinweis auf das Schreiben der Regierung bat der Antragsgegner die Bevollmächtigten des Antragstellers unter dem 30. März 2020 um eine Schweigepflichtsentbindung, um sich mit der bisherigen Schule in Verbindung setzen zu können.
Mit Schriftsatz vom 27. März 2020 haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers beim Verwaltungsgericht München beantragt,
Der Antragsgegner wird durch einstweilige Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 1. März 2020 vorläufig bis 31. August 2020 Schulgeld in Höhe von monatlich 210 Euro für den Besuch der staatlich anerkannten privaten Wirtschaftsschule … … Rosenheim zu bezahlen.
Zur Begründung dieses Antrags trugen sie vor, der Antragsteller habe einen Anspruch auf eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessene und vor allem abgeschlossene Schulbildung. Er habe Hilfen hierzu ohne behördliche Unterstützung selbst beschafft und nach eigenständiger Klärung der Voraussetzungen den Antragsgegner hierüber rechtzeitig in Kenntnis gesetzt, § 36a Abs. 3 SGB VIII.
Die Legasthenie des Antragstellers sei vorbekannt gewesen und habe bereits 2018 zum Antrag auf unterstützende Maßnahmen, Notenschutz und Nachteilsausgleich geführt. Damit sei der Hilfebedarf konkretisiert und bei der Schule bekannt gewesen. Die Problematik unzureichender Leistungen des Antragstellers auch aufgrund erheblicher Krankheitsausfälle sei spätestens mit dem Zwischenzeugnis 2018/2019 deutlich von der Schule gesehen worden. Diese habe aber nicht rechtzeitig auf Hilfemöglichkeiten durch den Antragsgegner hingewiesen, vielmehr habe sie – ohne Erörterung von Alternativen im öffentlichen Schulwesen – bereits frühzeitig einen Schulwechsel des Antragstellers befürwortet. Daraus werde ersichtlich, dass mangels entsprechender Beratung weder dem Antragsteller noch seiner Mutter klar gewesen sei, welche Fördermöglichkeiten bestünden und wo diese zu erhalten seien. Erst durch einen Hinweis des Jobcenters hätten sie erfahren, dass der Antragsgegner der richtige Ansprechpartner sei und sich dann unverzüglich an diesen gewendet und ihn über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt. Letztlich sei der Antragsteller im Weg der Folgenbeseitigung aufgrund des früheren Antrags nach §§ 32 ff. BaySchO so zu behandeln, als wenn er bereits 2018 beraten worden wäre und den Antrag auf Kostenübernahme in einer geeigneten Schule gestellt hätte.
Auch die weiteren Voraussetzungen nach § 36a Abs. 3 SGB VIII lägen vor. Art. 128 BV gewährleiste das Recht auf eine den jeweiligen Fähigkeiten entsprechende Ausbildung. Daran müssten sich behördliche Entscheidungsabläufe messen lassen. Zwar gelte der Vorrang des öffentlichen Schulwesens. Die Kosten für eine Privatschule könnten jedoch als Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII i.V.m. § 54 SGB XII ausnahmsweise übernommen werden, wenn auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen eine angemessene Schulbildung im öffentlichen System nicht erreicht werden könne. Für junge Volljährige ergebe sich der entsprechende Anspruch aus § 41 SGB XIII. Nach den drei kinder- und jugendpsychiatrischen Gutachten mit der Hauptdiagnose ADHS liege beim Antragsteller eine seelische Gesundheitsbeeinträchtigung und dadurch eine Gefährdung seiner Integration in die Gesellschaft i.S.v. § 35a Abs. 1 und 1a SGB VIII vor.
Beim Vergleich des Zwischenzeugnisses der staatlichen Schule mit der Privatschule falle sofort auf, dass der Antragsteller gerade in dem „Problemfach“ Betriebswirtschaft einen Sprung von „mangelhaft“ auf „sehr gut“ und in Mathematik von „ausreichend“ auf „gut“ gemacht habe; auch in weiteren Fächern habe er sich verbessern können. Damit bestätige er die psychiatrische Prognose eines in greifbarer Nähe liegenden erfolgreichen höheren Schulabschlusses. Zwar seien dem Antragsteller Nachteilsausgleich und Notenschutz gewährt worden, nicht aber die erforderlichen individuellen Unterstützungsmaßnahmen. Solche seien von der Schule auch gar nicht thematisiert oder gar angeboten worden, er sei vielmehr lediglich auf die private Schule verwiesen worden. Daher sei davon auszugehen, dass an der staatlichen Schule entsprechende fachliche und personelle Kapazitäten überhaupt nicht vorhanden seien. Die allein zeitorientierte Begründung der Ablehnung der Hilfe mit Erfüllung der Vollzeitschulpflicht liege völlig neben der Sache und habe mit einer inhaltlich angemessenen Schulbildung nichts zu tun. Die Problematik fehlender Schul- und Bildungsabschlüsse und deren soziale und finanzielle Auswirkungen im Lebenslauf sollten dem Antragsgegner eigentlich bekannt sein. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sich der Antragsgegner entgegen der zwingenden Vorschrift des § 35a Abs. 1a SGB VIII mit keinem Wort mit den drei ihm vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen auseinandersetzt habe, Alternativen seien weder geprüft noch aufgezeigt worden.
Die Deckung des Bedarfs des Antragstellers habe auch keinen Aufschub geduldet. Der Antragsteller und seine Mutter kämpften bereits seit Mai 2019 um Fördermöglichkeiten für einen angemessenen Schulabschluss. Die staatliche Schule habe insoweit nicht reagiert oder reagieren können. Der Antragsgegner habe zwar zügig reagiert, aber mit völlig unzureichender Sachverhaltsermittlung und Begründung. Mit der Rückgabe der Sache durch die Widerspruchsbehörde an den Antragsgegner „zur Prüfung“ sei eine Sachentscheidung in weite Ferne gerückt. Das Schulgeld sei monatlich bis einschließlich August 2020 zu bezahlen. Es bestehe also erheblicher Zeitdruck und Eilbedürftigkeit für eine Entscheidung. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache würde die durch gute Noten dokumentierte Rechtsposition des Antragstellers allein wegen Zeitablaufs zunichtemachen und ihm einen irreversiblen Schaden zufügen.
Mit Schriftsatz vom 30. März 2020 haben die Verfahrensbevollmächtigten ferner beantragt,
dem Antragsteller unter ihrer Beiordnung Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Der Antragsteller beziehe Leistungen nach dem SGB II und sei nicht in der Lage, die Kosten des Verfahrens aufzubringen.
Hierzu wurden dem Gericht eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ein Leistungsbescheid des Jobcenters vorgelegt.
Mit Schreiben vom 15. April 2020 hat der Antragsgegner beantragt,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
Dem Antragsgegner habe zunächst weder ein wirksamer Antrag des Antragstellers noch eine sonstige Willensbekundung gerichtet auf Jugendhilfeleistungen vorgelegen. Er sei erstmals durch das Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 13. März 2020 darüber informiert worden, dass der Antragsteller nachträglich seine Zustimmung zu einem Jugendhilfeantrag durch seine Mutter erklärt habe.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 36a Abs. 3 i.V.m. § 35a SGB VIII lägen nicht vor. Der Besuch der Privatschule sei eine selbstbeschaffte Hilfe, die ohne Zustimmung und Mitwirkung des Antragsgegners erfolgt sei. Der Antragsteller habe den Antragsgegner vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt. Der Schulvertrag sei bereits am … … 2019 unterzeichnet worden. Die Mutter des Antragstellers sei erstmals am 30. September 2019 beim Antragsgegner vorstellig geworden. Beratungskontakte hätten nicht stattgefunden. Auch lägen die Voraussetzungen für die Gewährung der Kosten für den Privatschulbesuch als Maßnahme der Eingliederungshilfe nicht vor. Das Gutachten von Frau Dr. P. diagnostiziere beim Antragsteller zwar eine Störung seiner seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII. Die Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigung und der erforderlichen Maßnahme erfolge jedoch durch die Fachkräfte des Antragsgegners. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft dargelegt, dass die Beschulung an der Privatschule die einzig geeignete und auch erforderliche Maßnahme zur Sicherstellung der Teilhabe an Bildung darstelle und der Hilfebedarf nicht im Rahmen des öffentlichen Schulsystems auch unter Inanspruchnahme ergänzender Hilfen wie Nachteilsausgleich und Notenschutz zu decken sei. Aufgrund der krankheitsbedingt schlechten Leistungen sei dem Antragsteller nach eigenen Angaben seitens der … auch eine Zurückstellung/Wiederholung der Abschlussklasse angeraten worden, bevor dann das Gespräch auf eine Privatschule mit kleineren Klassen gekommen sei. Einen weiteren Versuch im öffentlichen Schulsystem durch Zurückstellung oder Wiederholung auch unter weiterer Beanspruchung von Nachteilsausgleich und Notenschutz habe der Antragsteller aber nicht unternommen. Er bringe auch keine Gründe vor, dass ihm dies aus objektiven oder schwerwiegenden subjektiven Gründen nicht möglich gewesen wäre.
Mit Schriftsatz vom 30. April 2020 vertraten die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers die Auffassung, dass seine Mutter bei ihrer Vorsprache beim Antragsgegner am 30. September 2019 ihre Absicht, einen Antrag stellen zu wollen, deutlich zu erkennen gegeben habe; eine fehlende Vollmacht sei nicht beanstandet worden. Der Antragsgegner habe sie dann mit einem einfachen Schreiben vom 30. September 2019 „abwimmeln“ wollen; hierin sei aber ein Verwaltungsakt zu sehen, wovon offenbar auch die Regierung von Oberbayern ausgegangen sei. Dass sich der Antragsgegner nicht veranlasst gesehen habe, ein Verfahren einzuleiten, sei nicht dem Antragsteller anzulasten. Vielmehr sei zu fragen, inwieweit die vorangehenden Versäumnisse der staatlichen Schule und des Jobcenters dem Antragsgegner zugerechnet werden müssten („Beratungsverbund“). Dem Antragsteller seien keine geeigneten Hilfestellungen wie individuelle Unterstützungsmaßnahmen im staatlichen Schulsystem aufgezeigt und angeboten worden, er sei vielmehr sehr schnell auf den Besuch der Privatschule verwiesen worden. Nach diesem Ablauf sei ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als den von der staatlichen Schule befürworteten Schulwechsel zu vollziehen.
Unter dem 5. Mai 2020 legte der Antragsgegner dem Gericht eine Stellungnahme der … vom 29. April 2020 vor. Darin führt die ehemalige Klassenlehrerin des Antragstellers aus, dass dieser auf eigenen Wunsch kurz vor den Abschlussprüfungen (Verzichtserklärung vom … … 2019) die Jahrgangsstufe 10 verlassen habe. Aufgrund zahlreicher Fehltage (66) sei ein Bestehen der Abschlussprüfung unwahrscheinlich gewesen. Ein Rücktritt in die 9. Jahrgangsstufe sei vom Antragsteller und seiner Mutter abgelehnt und ein Wechsel auf die Wirtschaftsschule … … favorisiert worden. Ein Wiederholen der 10. Jahrgangsstufe wäre für den Antragsteller in der … möglich gewesen. Dem Antragsteller sei ein Nachteilsausgleich mit Notenschutz gewährt worden.
Mit Verweis auf diese Stellungnahme vertrat der Antragsgegner die Auffassung, dass ein Versagen des öffentlichen Schulsystems beim Antragsteller nicht vorgelegen habe. Im Rahmen der Eingliederungshilfe bestehe gerade kein Anspruch auf eine optimale Förderung. Für eine Kostenübernahme reiche es nicht aus, dass eine Beschulung an einer Privatschule im Hinblick auf bestimmte Voraussetzungen geeigneter erscheine als im öffentlichen Schulsystem. Eventuell seien auch Umwege der Schullaufbahn wie der Rücktritt in eine niedrigere Jahrgangsstufe oder ein Wiederholen in Kauf zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Sowohl der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren bleiben ohne Erfolg.
A. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Rechtsschutzziel des Antrags ist die gerichtliche Verpflichtung des Antragsgegners, (zunächst) bis zum Ende des Schuljahres 2019/2020 die Kosten für den Privatschulbesuch des Antragstellers in Höhe von monatlich 210 Euro als selbstbeschaffte Eingliederungshilfe für junge Volljährige nach §§ 36a Abs. 3 i.V.m. 41 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – zu übernehmen.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei – wie im vorliegenden Fall – auf gewisse Dauer angelegten Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Maßgebend sind dabei jeweils die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 12 CE 11.2215 – juris Rn. 6; B.v. 24.4. 2020 – M 18 E 19.2711 – juris Rn. 50; vgl. auch B.v. 2.8.2011 – 12 CE 11.1180 – juris Rn. 38).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 36a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 41 Abs. 1 und 2 SGB VIII übernimmt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten einer Hilfe für junge Volljährige grundsätzlich dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird.
Fehlt es – wie im vorliegenden Fall – an einer solchen behördlichen Bewilligungsentscheidung und wird die Hilfe vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zur Übernahme der Aufwendungen nur verpflichtet, wenn 1.) der Leistungsberechtigte die Behörde vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2.) die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3.) die Deckung des Bedarfs bis zu einer behördlichen Entscheidung über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (vgl. dazu grds. BayVGH, U.v. 23.2. 2011 – 12 B 10.1331 – juris Rn. 76).
§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sichert die Steuerungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe; dieser soll die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen unter Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums jeweils pflichtgemäß prüfen können und nicht nachträglich als bloße Zahlstelle für selbstbeschaffte Maßnahmen fungieren (BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 35).
1.) Hier lag – jedenfalls zunächst – keine rechtzeitige Inkenntnissetzung des Antragsgegners über den Hilfebedarf vor.
a) Der Antragsteller hat den Antragsgegner vor der Selbstbeschaffung nicht gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis gesetzt. Der Antragsteller wurde bereits am … … 2019 verbindlich zum Beginn des Schuljahrs 2019/2020 am 10. September 2019 für die 10. Klasse der zweistufigen privaten Wirtschaftsschule … … unter gleichzeitiger Vereinbarung eines monatlichen Schulgeldes von 210 Euro angemeldet. Unstreitig sprach die Mutter jedoch erstmals am 30. September 2019 beim Jugendamt des Antragsgegners wegen der Übernahme der Kosten für die Privatschule vor.
b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich, wie die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers geltend machen, der Antragsgegner einen Beratungsfehler des Jobcenters zurechnen lassen müsste mit der Folge, dass der Antragsteller im Wege des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen wäre, als hätte er den Hilfebedarf bereits rechtzeitig vor der Selbstbeschaffung beim Antragsgegner geltend gemacht.
Grundsätzlich hat, worauf die Bevollmächtigten zu Recht hinweisen, jeder Bürger einen – gerichtlich durchsetzbaren – Anspruch auf Beratung über „seine Rechte und Pflichten“ nach dem Sozialgesetzbuch (§ 14 Satz 1 SGB I). Die Beratungspflicht trifft, wie sich aus § 14 Satz 2 SGB I ergibt, den Sozialleistungsträger allerdings grundsätzlich nur in seinem jeweiligen Sachbereich (vgl. Hase in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK SozR, Stand: 1.3.2019, § 14 SGB I Rn. 5 m.w.N.). Allerdings kann sich nach der Rechtsprechung die Erforderlichkeit einer „Spontanberatung“ ausnahmsweise auch für gewichtige Fragen außerhalb des eigenen Leistungsbereiches ergeben, wenn insoweit ein zwingender sozialrechtlicher Beratungsbedarf eindeutig erkennbar wird. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden Leistungsbereiche oder Hilfearten aufgrund des Sachverhalts eng miteinander verflochten sind, einem weitgehend identischen Zweck dienen oder sich gegenseitig bedingen. In diesen Fällen ist der Leistungsträger wegen § 15 Abs. 2 SGB I zumindest verpflichtet, den Leistungsberechtigten an den zuständigen Leistungsträger zu verweisen und dort erforderlichenfalls ein Tätigwerden zu veranlassen. Wird eine solche rechtlich gebotene „Spontanberatung“ unterlassen, kommt neben einem Anspruch aus Amtspflichtverletzung auch der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch in Betracht, welcher im Kern auf die „Herstellung“ des Zustands gerichtet ist, der bei fehlerfreiem, rechtmäßigem Handeln der Verwaltung bestünde (zum Ganzen vgl. Hase a.a.O. § 14 SGB I Rn. 9; Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 16.12.2019, § 14 SGB I Rn. 25, jeweils m.w.N.).
Unabhängig von der Frage, ob vorliegend, wie die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers meinen, ein „Beratungsverbund“ oder eine „Funktionseinheit“ (vgl. dazu Hase a.a.O. § 14 SGB I Rn. 12; Öndül a.a.O. 21, 63, jeweils m.w.N.) zwischen dem Antragsgegner und dem Jobcenter (gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Antragsgegners, vgl. §§ 44b Abs. 1 i.V.m. 6d Abs. 1 Satz 1 SGB II) vorlag, lässt sich schon aus ihrem Vorbringen kein Versäumnis des Jobcenters erkennen.
Nach Angaben der Verfahrensbevollmächtigten in der Antragsschrift vom 27. März 2020 hatte das Jobcenter von 2018 bis 2019 zwar die Kosten für eine isolierte Legasthenietherapie beim Antragssteller übernommen, die weitergehende Kostenübernahme für die Privatschule dagegen abgelehnt und die Mutter des Antragstellers hierzu an den Antragsgegner verwiesen. Diesen Vortrag zu Grunde gelegt ist das Jobcenter seiner Beratungspflicht nachgekommen. Inwieweit der Hinweis auf die Zuständigkeit des Antragsgegners entsprechend der Beurteilung durch die Verfahrensbevollmächtigten in den Schriftsätzen vom 27. März und 30. April 2020 erst „sehr spät“ bzw. „nicht rechtzeitig“ erfolgt sein solle, wird von Seiten des Antragstellers nicht näher dargelegt. Die Verfahrensbevollmächtigten führen hierzu lediglich aus, die Mutter des Antragstellers habe sich nach der Ablehnung und des Hinweises des Jobcenters unverzüglich an den Antragsgegner als richtigen Ansprechpartner gewandt. Tatsächlich ist sie dort unstreitig am 30. September 2019 erstmals vorstellig geworden.
In diesem Zusammenhang fällt allerdings auf, dass das Gutachten von Frau Dr. P. „zur Vorlage beim Jugendamt“ mit der Empfehlung der Kostenübernahme bereits vorher am … … 2019 auf der Grundlage der Untersuchungen des Antragstellers im Zeitraum … … 2019 bis … … 2019 erstellt worden war. Insofern drängt sich der Gedanke auf, dass die Mutter des Antragstellers schon vor Beginn des Schuljahrs 2019/2020 nicht nur von der Zuständigkeit des Antragsgegners für Maßnahmen der Jugendhilfe sondern darüber hinaus auch von deren Bewilligungsvoraussetzungen (vgl. § 35a Abs. 1a SGB VIII) Kenntnis hatte.
c) Auch ein maßgeblicher Beratungsfehler der … wurde nicht glaubhaft gemacht.
Daher kann die Frage, ob die oben dargestellten Grundsätze einer „Spontanberatungspflicht“ bei erkennbar werdendem sozialrechtlichen Beratungsbedarf und die Folgen einer eventuellen Verletzung dieser Pflicht auf eine Schulverwaltung überhaupt anwendbar sind.
Die Beratungspflicht der staatlichen Schulen – als Teil der schulischen Erziehungsaufgabe – beinhaltet nach Art. 78 Abs. 3 BayEUG i.V.m. der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über die Schulberatung in Bayern vom 29. Oktober 2001 (KWMBl. I S. 454) i.d.F.v. 1. August 2019 (BayMBl. Nr. 316) neben der Schullaufbahn-Beratung auch eine pädagogisch-psychologische Beratung (vgl. II.1 und 1.2. der Bekanntmachung). Die Beratung erfolgt durch schulische Beratungsfachkräfte; für Fragen, die über den Bereich einer Schule hinausgehen, sind zudem staatliche Schulberatungsstellen eingerichtet (vgl. Nr. I. der Bekanntmachung).
Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers machen geltend, der Antragsteller und seine Mutter hätten bereits 2018 bei der … auf ihren Hilfebedarf hingewiesen und seit etwa Mai 2019 um Fördermöglichkeiten für einen angemessenen Schulabschluss gekämpft; die staatliche Schule habe in Kenntnis der psychiatrischen und psychologischen Stellungnahmen auf den Förderbedarf des Antragstellers aber nicht reagiert oder nicht reagieren können.
Dieser Vorwurf ist nicht nachvollziehbar. Auf die vom Antragsteller vorgelegten fachärztlichen Atteste vom … … und … … 2018, die ihm eine Lese- und Rechtschreibstörung (LRS) bescheinigten, wurde eine schulpsychologische Beurteilung veranlasst und dem Antragsteller entsprechend der Empfehlung der Schulpsychologin mit Bescheid der Schulleitung der … vom … … 2018 bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 Nachteilsausgleich und Notenschutz nach §§ Art. 52 Abs. 5 Satz 1 und 2 Nr. 1, Satz 5 BayEUG i.V.m. 33, 34 BaySchO gewährt.
Soweit die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers rügen, dem Antragsteller seien aber nicht darüber hinaus erforderliche individuelle Unterstützungsmaßnahmen aufgezeigt bzw. gewährt worden, vielmehr habe die Mutter des Antragstellers bis Oktober 2019 nicht einmal gewusst, was solche Maßnahmen überhaupt seien, widerspricht dies bereits der schulpsychologischen Stellungnahme, die der Mutter des Antragstellers mit dem Bescheid vom … … 2018 in Kopie zugeleitet wurde; denn darin wird ausdrücklich auf die Möglichkeit individueller Unterstützungsmaßnahmen in Form von pädagogischen, didaktischen, didaktisch-methodischen und schulorganisatorische Maßnahmen sowie der Verwendung technischer Hilfsmittel hingewiesen und den Eltern empfohlen, sich mit den unterrichtenden Lehrkräften über solche Möglichkeiten auszutauschen. Dass die Mutter des Antragstellers dieser Empfehlung nachgekommen wäre, wurde nicht glaubhaft gemacht. Demgegenüber hat die Schule ihrerseits im gebotenen Umfang auf die LRS des Antragstellers reagiert. Anhaltspunkte für eine weitergehende Beeinträchtigung des Antragstellers, insbesondere auch durch die später diagnostizierte ADHS, lagen zum diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht vor; das Attest hierzu wurde erst am … … 2019 und somit nach Abmeldung des Antragstellers von der staatlichen Schule erstellt.
2) Selbst unter der Annahme, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine ausreichende Inkenntnissetzung über den Hilfebedarf vorlag, besteht seitens des Antragstellers kein Anspruch auf die von ihm konkret begehrte Hilfe.
a) Liegt – wie hier – eine (zunächst) unzulässige Selbstbeschaffung vor, führt dieser Umstand nicht zwangsläufig dazu, dass der Leistungsberechtigte unabhängig von einer späteren Unterrichtung des Jugendhilfeträgers dauerhaft von der begehrten Hilfeleistung ausgeschlossen ist. Denn grundsätzlich ist die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Jugendhilfe nach § 35a SGB VIII – hier i.V.m. § 41 Abs. 1 und 2 SGB VIII – erfüllt sind, nach dem jeweils aktuellen Hilfebedarf zu beurteilen. Daher kommt bei Eingliederungshilfemaßnahmen, die – wie der Schulbesuch – in zeitliche Abschnitte unterteilt werden können, auch im Falle einer ursprünglich unzulässigen Selbstbeschaffung ein Anspruch für einen nachfolgenden Zeitabschnitt in Betracht, wenn eine behördliche Entscheidung über die Bewilligung für den folgenden Abschnitt trotz eines entsprechenden Antrags auch nach einem angemessenen Prüf- und Entscheidungszeitraum (weiterhin) ausbleibt oder die Entscheidung ohne eine sachgerechte Prüfung erfolgt. Liegt ein solches „Systemversagen“ auf Seiten des Jugendhilfeträgers vor, kann dieser sich für nachfolgende Zeitabschnitte nicht auf die Unzulässigkeit der Selbstbeschaffung berufen (st. Rspr., vgl. z.B. BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 36 ff. m.w.N.; vgl. OVG NRW, B.v. 18.12.2013 – 12 B 1190/13 – juris Rn. 5 f. m.w.N.; VG Magdeburg, B.v. 26.11.2012 – 4 B 235/12 – juris Rn. 5 f.; vgl. auch Bohnert in beck-online.Großkommentar, GesamtHrsg: Gsell/ Krüger/Lorenz/Reymann, Hrsg: Wellenhofer/Jox, Stand: 1.1.2020 – § 36a SGB VIII Rn. 18, m.w.N.).
Bei Jugendhilfemaßnahmen, die an den Schulbesuch anknüpfen, liegt grundsätzlich eine Zeitabschnittsbildung nach Schuljahren nahe (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 32; U.v. 18.2.2008 – 12 B 06.1846 – JAmt 2008, 596; VG Magdeburg, B.v. 26.11.2012 – 4 B 235/12 – juris Rn. 6). Dafür spricht auch, dass entsprechende Schulausbildungsverträge – wie im vorliegenden Fall – regelmäßig mit einer Kündigungsfrist zum Schuljahresende abgeschlossen werden.
Im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer jeweils aktuellen Bedarfsanalyse kann im Einzelfall jedoch wohl auch das Schulhalbjahr als maßgebliche Zäsur für die Bildung eines Zeitabschnittes in Betracht kommen.
Der Bedarf nach Eingliederungshilfe in Form der Schulgeldübernahme wurde vorliegend im Rahmen der Vorsprache der Mutter des Antragstellers am 30. September 2019 erstmals an den Antragsgegner herangetragen. Dabei darf sich der Antragsgegner nicht darauf zurückziehen, dass mangels Vollmacht des volljährigen Antragstellers kein förmlicher Antrag gestellt worden sei. Denn der Behörde obliegt insoweit eine Meistbegünstigungs- und Kanalisierungspflicht (BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 31), die ggf. auch den Hinweis auf eine erforderliche (nachzureichende) Vollmacht umfasst. Im Übrigen folgt das Gericht der Auffassung der Regierung von Oberbayern, dass der so verstandene („vollmachtlose“) Antrag der Mutter spätestens durch den so bezeichneten Widerspruch des Antragstellers mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 24. Oktober 2019 genehmigt wurde. Der Antragsgegner wurde daher – soweit man nicht von Vornherein eine jährliche, sondern eine Halbjahresabschnittsbildung auch für den Hilfebedarf in Form einer Privatschule – annimmt, zumindest über den Hilfebadarf für das zweite Schulhalbjahr 2019/2020 hinreichend und rechtzeitig informiert.
b) Die Voraussetzungen für die Gewährung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII i.V.m. § 41 Abs. 1 und 2 SGB VIII in Form der streitgegenständlichen Kostenübernahme für die private Wirtschaftsschule liegen jedoch nicht vor.
aa) Der Antragsteller ist seit dem 19. Mai 2019 volljährig. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Gemäß § 41 Abs. 2 SGB VIII gilt für die Ausgestaltung der Hilfe (u.a.) § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Junge Volljährige erhalten Eingliederungshilfe somit als integrierten Bestandteil der Hilfe nach § 41 Abs. 1 SGB VIII, zu dessen Voraussetzungen die des § 35 a SGB VIII hinzutreten müssen (vgl. Bohnert in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand: 1.4.2020, § 41 SGB VIII Rn. 28 m.w.N.; Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 7. Auflage 2018, § 41 SGB VIII Rn. 13 m.w.N.).
bb) Die Voraussetzungen nach § 35a SGB XIII sind hier jedoch nicht gegeben. Es ist dem Antragsteller schon nicht gelungen, eine Teilhabebeeinträchtigung glaubhaft zu machen.
Soweit in diesem Zusammmenhang der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 30. September 2019 den Antragsteller ausschließlich auf das Erreichen der allgemeinen Vollzeitschulpflicht verweist, verkennt er die überragende Bedeutung der Erlangung eines (qualifizierten) Schulabschlusses gerade für aufgrund einer seelischen Störung von einer Teilhabebeeinträchtigung bedrohte Jugendliche und junge Volljährige; entsprechende Maßnahmen der Eingliederungshilfe finden ihre Schranke in der intellektuellen Eignung des Hilfeempfängers für den gewählten Bildungsgang, nicht aber im bloßen Erreichen der Vollzeitschulpflicht (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – BeckRS 2013,47782 Rn. 33) .
Nach der Stellungnahme der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Frau Dr. med. P. vom … … 2019 liegt beim Antragsteller eine seelische Störung i.S.v. § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1a SGB XIII vor; danach leidet er an einer stark ausgeprägten ADHS (ICD-10 F 90.0), massiven Prüfungsängsten sowie einer depressiven Verstimmung (ICD-10 F 40.2), ferner an Trennungs- und leichten sozialen Ängsten (ICD-10 F 93.8) und Ein- und Durchschlafstörungen (ICD-10 F 51.8).
Aber auch bei Vorliegen einer seelischen Störung kann nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nur dann bestehen, wenn in Folge der seelischen Störung die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Deshalb genügt nicht das Bestehen einer jeden seelischen Störung wie hier insbesondere einer ADHS und LRS, sondern es kommt auf das Ausmaß und den Grad der seelischen Störung an. Entscheidend ist, ob die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt. Die Feststellung einer solchen Teilhabebeeinträchtigung erfordert sozialpädagogische Fachlichkeit. Sie ist Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe und gerichtlich voll überprüfbar.
Eine Teilhabebeeinträchtigung ist etwa bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber schon bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, die andere Kinder oder Jugendliche teilen (vgl. BVerwG, U. v. 26.11.1998 – 5 C 38.97 – BeckRS 1998, 30036133; VGH Kassel, U.v. 20. 8. 2009 – 10 A 1799/08 – NVwZ-RR 2010, 59).
Gemessen hieran wurde unter Zugrundelegung des fachärztlichen Gutachtens und des Vortrags der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass im entscheidungsrelevanten Zeitraum die Fähigkeit des Antragstellers zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auf Grund seiner seelischen Störung beeinträchtigt war bzw. eine solche Beeinträchtigung drohte.
Unstreitig kam es im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 beim Antragsteller zu versetzungsgefährdenden schulischen Problemen; das Zwischenzeugnis wies viermal die Note „mangelhaft“ auf. Der Antragsteller hatte krankheitsbedingt – nach eigenen Angaben u.a. infolge von Magen-Darm-Koliken und einer wochenlangen Lungenentzündung – bereits bis zum 1. März 2019 44 Fehltage und bis zu seinem Austritt aus der … insgesamt 66 Fehltage. Die durch solche Absenzen versäumten Unterrichtsinhalte aufzuarbeiten, stellt schon für einen leistungsstarken Schüler eine Herausforderung dar, erst recht aber für einen – wie laut Gutachten der Antragsteller – durchschnittlich begabten Schüler, der zudem noch durch eine ADHS und LRS beeinträchtigt ist. Nachvollziehbar ist insoweit, dass der Antragsteller – wie wohl jeder Schüler, der eine Versetzungsgefährdung vor Augen hat – dadurch zwangsläufig in einen „Teufelskreis von schulischen Misserfolgen und resultierend erhöhter Lernanstrengung und Anspannung“ geriet und unter massiven Prüfungsängsten, Erschöpfung und Selbstzweifeln litt.
Eine Schulpobie mit der Folge einer totalen Schul- und Lernverweigerung und insbesondere ein Rückzug aus jeglichen sozialen Kontakten und einer Isolation in der Klasse, die auf eine Teilhabebeeinträchtigung hindeuten würden, wurden dagegen nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr besagt das Gutachten, dass der Antragsteller keine Störung im Sozialverhalten habe; er sei freundlich, aufgeschlossen, könne gut mit Menschen umgehen und er habe Freunde, mit denen er sich treffe. Ebenso wird auch in den textlichen Bemerkungen im Zwischenzeugnis vom 17. Februar 2019 ausgeführt, dass der Antragsteller in den Fächern seines Interesses ausdauernd und konzentriert mitarbeite und auch in Gruppenarbeiten stets eigene Vorstellungen und Ideen einbringe und sich für das Erreichen gemeinsamer Ziele engagiere.
cc) Darüber hinaus wurde hier auch nicht glaubhaft dargelegt, dass es sich bei der begehrten Übernahme des Schulgeldes für die zweistufige private Wirtschaftsschule … … um eine erforderliche Hilfemaßnahme handelt.
Welche Hilfeform im Rahmen des Anspruchs aus § 35a Abs. 1 SGB VIII geleistet wird, richtet sich nach dem jeweiligen Bedarf im Einzelfall (vgl. § 35a Abs. 2 SGB VIII).
Die Kostenübernahme für eine Privatschule kann allerdings wegen des grundsätzlichen Vorrangs des öffentlichen Schulsystems nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nur dann eine erforderliche Maßnahme nach § 35a SGB VIII sein, wenn im konkreten Fall ein Versagen des öffentlichen Schulsystems feststeht.
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Vermittlung einer angemessenen Schulbildung zunächst Angelegenheit des Allgemeinschulsystems, so dass den schulrechtlichen Anforderungen entsprechende Maßnahmen grundsätzlich vorrangig sind. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben insofern keinen eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – BeckRS 2015, 43210 Rn. 4) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 12 ZB 16.1982 – BeckRS 2019, 15369 Rn. 18; B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – BeckRS 2016, 55019 Rn. 3 ff., jeweils m.w.N.) insoweit geklärt, dass kein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen für seelisch behinderte junge Menschen nach § 35a SGB VIII besteht, wenn deren Förderbedarf im Rahmen des öffentlichen Schulwesens gedeckt werden kann.
Allein wenn die Bedarfsdeckung im öffentlichen Schulwesen auch unter Ausschöpfung ergänzender Hilfen dem Betroffenen aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist, ist eine Ausnahme von diesem durch das Verhältnis der Spezialität geprägten Grundsatz in Betracht zu nehmen und es kann ein Anspruch auf Übernahme des Schulgelds für eine Privatschule bestehen (st. Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – BeckRS 2015, 43210 Rn. 4; BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 12 ZB 16.1982 – BeckRS 2019, 15369 Rn. 18, jeweils m.w.N).
An diesem Grundsatz haben auch die auf der Grundlage des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I Seite 3234) in der Fassung des Änderungsgesetztes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2541 ff., 2571) am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Neuregelungen nichts geändert.
Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 90 Abs. 4 SGB IX – jeweils in der Fassung gemäß Art. 9 Nr. 2 und Art. 1 Teil 2 Kapitel 1 BTHG i.V.m. Art. 26 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3 BTHG – ist es besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung, den Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und (hoch-)schulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zu ermöglichen. Die Leistungen zur Teilhabe an schul- und hochschulischer Bildung werden über den Verweis in § 35a Abs. 3 SGB VIII nunmehr konkretisiert in § 112 SGB IX, der die bisherigen sozialhilferechtlichen Regelungen aus § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB XII i.V.m. §§ 12 und 13 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) ablöst (vgl. Art. 13 Nr. 19, 26 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 BTHG).
Hilfen zur Schulbildung umfassen nunmehr ausdrücklich auch offene schulische Ganztagesangebote sowie heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn diese erforderlich und geeignet sind, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3 SGB IX).
Nach dem gesetzgeberischen Willen sollte mit der Schaffung dieser eigenen Leistungsgruppe und dem Leistungskatalog aus § 112 Abs. 1 SGB IX der hohe Stellenwert der Bildung aufgezeigt und klargestellt werden, dass das Recht auf Bildung nicht auf die zur Sicherung der Existenz erforderliche Mindestausbildung beschränkt ist (vgl. BT-Drs. 18/9522 Seite 4 und 259; vgl. auch Jabben in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.12.2019, § 112 SGB IX vor Rn. 1; Zinsmeister in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019, § 112 SGB IX Rn. 3).
Allerdings sollte die Regelung keine Leistungsausweitung begründen (BT-Drs. 18/9522 Seite 259 f.), sondern vielmehr der Nachrang der Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere auch gegenüber der Bedarfsdeckung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht weiterhin bestehen bleiben (vgl. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB IX sowie Jabben a.a.O. § 112 SGB IX vor Rn. 1).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er aus objektiven oder schwerwiegenden subjektiven Gründen nicht auf einer öffentlichen Realschule beschulbar ist.
An das Vorliegen dieser Voraussetzung sind hohe Anforderungen zu stellen; erst nach einem Scheitern der Beschulung im öffentlichen Schulsystem unter Zuhilfenahme aller möglichen weiteren Eingliederungshilfen ist die Übernahme von Schulgeld für eine Privatschule gerechtfertigt (BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – BeckRS 2015, 43210 Rn. 4).
Objektiv war dem Antragsteller der weitere Besuch der … möglich (vgl. die Stellungnahme seiner ehemaligen Klassenlehrerin und des Schulleiters vom 29. April 2020).
Auch hat der Antragsteller keine schwerwiegenden subjektiven Gründe glaubhaft gemacht, die diesen Schulbesuch für ihn persönlich unzumutbar erscheinen lassen würden.
In dem fachärztlichen Gutachten von Frau Dr. med. P. vom … … 2019 wird eine Kostenübernahme für die Privatschule durch das Jugendamt für „empfehlenswert“ gehalten, da der Antragsteller aufgrund seiner psychischen Problematik im Regelschulsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Schulabschluss werde erreichen können; aufgrund der sehr massiven und komplex ausgeprägten psychischen Problematik werde insoweit eine Schule mit reduzierter Klassenstärke, guter Strukturierung und intensiver individueller Betreuung durch die Lehrkräfte empfohlen.
Auch wenn das Erreichen eines (qualifizierten) Schulabschlusses gerade für seelisch behinderte Jugendliche und junge Volljährige mit Integrationsrisiko von besonderer Bedeutung ist, beinhaltet die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung keine optimale Ausbildung; entsprechende Maßnahmen finden ihre Schranke in der jeweiligen intellektuellen Eignung für den gewählten Bildungsgang (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – BeckRS 2013,47782 Rn. 33; VG München, U.v. 13.3.2013 – M 18 K 11.1577 – juris Rn. 56). Eventuell müssen auch Umwege in der Schullaufbahn hingenommen werden; insofern hängt die Angemessenheit der Schulbildung nicht von den jeweils gewünschten Bildungsabschlüssen sowie deren möglichst direkten und schnellstmöglichen Erwerb ab (vgl. VG München, U.v. 13.3.2013 a.a.O.; U.v. 8.6.2005 – M 18 K 04.3724 – juris Rn. 40; B.v. 19.9.2012 – M 18 E 12.3845 – juris Rn. 24). Im Einzelfall sind auch der Rücktritt in eine niedrigere Jahrgangsstufe oder ein Wiederholen in Kauf zu nehmen.
Die somit grundsätzlich zumutbare Möglichkeit, in die 9. Jahrgangsstufe zurückzutreten bzw. die 10. Klasse an der … zu wiederholen – gegebenenfalls sogar ohne als Wiederholungsschüler zu gelten, vgl. § 29 Abs. 3 Realschulordnung (RSO) – hat der Antragsteller abgelehnt, ohne dass sein generelles Scheitern im öffentlichen Bildungssystem insbesondere auch unter unter Zuhilfenahme weiterer möglicher Eingliederungshilfen glauhaft dargelegt worden wäre. Neben der Fortführung des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes (vgl. §§ Art. 52 Abs. 5 Satz 1 und 2 Nr. 1, Satz 5 BayEUG i.V.m. §§ 31, 33, 34 Abs. 1, 6 und 7 BaySchO) ist dabei insbesondere an eine individuelle Unterstützung des Antragstellers im Unterricht durch die jeweilige konkrete Lehrkraft wie etwa die besondere Erläuterung der Arbeitsaufträge nach §§ 31, 32 Abs. 2 Nr. 5, 35 Abs. 1 BaySchO zu denken. Ferner kommen eine (weitere) Legasthenietherapie zur Behandlung der LRS und eine kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung der der ADHS in Betracht. Zudem wurde nach dem fachärztlichen Gutachten von Frau Dr. P. bereits eine medikamentöse Behandlung der ADHS mit Methylphenidat (Medikinet adult) eingeleitet, die die Symptomatik deutlich reduziert und die Situation im Unterricht verbessert haben dürfte.
Unter diesen Umständen macht auch eine Klassengröße von 24 Schülern den Besuch der … für den Antragsteller nicht unzumutbar. Zwar ist es von Vorteil, dass sich an der privaten Wirtschaftsschule … … die Klassenstärke laut deren Internetauftritt im Schnitt nur auf 17 Schüler beläuft (* … – Zugriff 9.6.2020); für die Kostenübernahme reicht es insofern aber gerade nicht aus, dass die Beschulung an der Privatschule im Hinblick auf einzelne Voraussetzungen „geeigneter“ erscheint (vgl. z.B. VGH Kassel, U.v. 20.8.2009 – 10 A 1799/08 – juris Rn. 59 m.w.N.).
Sofern der Antragsteller bei seinem Verbleib auf der … eine vorbelastete Situation („dieselben Lehrer in denselben Fächern“) befürchtet und einen Neustart („Reset“) auf einer anderen Schule mit „unvoreingenommenen“ Lehrkräften bevorzugt, ist dies zwar nachvollziehbar, begründet aber keine generelle Unzumutbarkeit des Besuchs der … oder auch einer anderen öffentlichen Realschule in Wohnortnähe (z.B. der Staatlichen Realschule … … oder der Staatlichen Realschule …*); auch bei der Präferenz für eine Wirtschaftsschule stehen grundsätzlich öffentliche Alternativen zur Verfügung (etwa die Wirtschaftsschule … … … deren Träger der Antragsgegner ist).
Dass sich der Antragsteller insoweit selbst überhaupt informiert hätte, wurde nicht vorgetragen.
3) Da im Ergebnis somit kein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der begehrten Übernahme des Schulgeldes für die Privatschule besteht, kommt es auf die Frage der Unaufschiebbarkeit der Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII nicht mehr an.
Somit kann auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i.S.v. § 123 Abs. 1 VwGO dahinstehen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war folglich mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
B. Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe (PKH), die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolges.
Unabhängig von der finanziellen Situation des Antragstellers liegen diese Voraussetzungen hier nicht vor, da der Antrag in der Sache nach derzeitigem Sach- und Streitstand keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter Buchst. A) Bezug genommen.
Der Prozesskostenhilfeantrag war damit ebenfalls abzulehnen. Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.


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