Verwaltungsrecht

Unbegründeter Asylantrag eines Kurden aus dem Nordirak wegen Affäre mit einer verheirateten Frau

Aktenzeichen  M 4 K 16.31343

Datum:
28.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3b, § 3e, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Vortrag eines kurdischen Asylbewerbers aus dem Nordirak, mit einer verheirateten Frau ein Kind gezeugt zu haben und daher von deren Ehemann mit dem Tod bedroht zu werden, führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da die geschilderten Verfolgungshandlungen nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3b AsylG anknüpfen. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Größere Städte im Nordirak bieten die Möglichkeit, ein anonymes Leben zu führen, und ermöglichen daher die Inanspruchnahme internen Schutzes iSv § 3e AsylG. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG besteht in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht. Im Irak findet zwar derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand zu gewinnen scheint, der jedoch keine landesweite Konfliktsituation darstellt und insbesondere die drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht erfasst. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bedarf. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Das Verfahren wird insoweit eingestellt, als die Beklagte verpflichtet werden sollte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
II.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1. Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG beantragt, hat der Antrag keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb der Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Der in der mündlichen Verhandlung gestellte bedingte Beweisantrag für die Tatsache, dass der Kläger wegen einer Affäre mit einer verheirateten Frau mit Todesbedrohungen bzw. Tötung durch den Ehemann und dessen Familie und auch seiner eigenen Familie rechnen muss und staatlicher Schutz nicht möglich ist, eine Auskunft des Auswärtigen Amtes bzw. einer sachkundigen Organisation einzuholen wird abgelehnt. Zum einen spricht bereits einiges dafür, dass der Beweisantrag verfristet ist, denn er wurde trotz ordnungsgemäßer Belehrung (§ 87b VwGO) im Bescheid und in der Erstzustellung ohne vorherige Ankündigung erstmals in der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2016 gestellt. Zum anderen kann die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt werden.
Jedenfalls fehlt es auch bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers, dem das Gericht auch aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich glaubt, an der Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, 3b AsylG. Auch ist für das Gericht nicht ersichtlich, wieso der Kläger nicht internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG in einer anderen Provinz der Kurdischen Autonomiegebiete finden könnte. Die pauschale Aussage, dass der Ehemann der Affäre beim Staat arbeite und ihn auch dort finden könne, vermag das Gericht nicht zu überzeugen. So wäre beispielsweise in einer Großstadt wie Sulaimaniyya (Einwohnerzahl ca. 1.600.000) ein weitgehend anonymes Leben möglich und das Gericht ist angesichts der Größe der Stadt nicht davon überzeugt, dass der Ehemann den Kläger dort finden könnte.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i. V. m. Art. 15 c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
a) Hinsichtlich des vom Kläger vorgetragenen persönlichen Verfolgungsschicksals ist dieser abermals auf die internen Fluchtalternativen zu verweisen.
b) Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht (vgl. den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak v. 18.2.2016; Gutachten Europäisches Zentrum für kurdische Studien v. 7.9.2015). Der Kläger muss daher dort nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält. Eine Rückkehr in den Nordirak erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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