Verwaltungsrecht

Unbegründeter Asylantrag eines pakistanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 1 K 17.43487

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27195
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3c, § 3e, § 4, § 34, § 38
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 “Die Taliban” können in Pakistan in dieser Unbestimmtheit nicht als nichtstaatlicher Akteur iSv § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 3 AsylG aufgefasst werden, da ihre landesweite Bedrohungsmächtigkeit nicht erwiesen ist. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Pakistanische Großstädte – insb. Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – bieten potentiell Verfolgten aufgrund der dortigen Anonymität die Möglichkeit internen Schutzes iSv § 3e AsylG. Denn in einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ohne funktionierendem Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte der Aufmerksamkeit lokaler Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (wie VG München BeckRS 2015, 55619). (Rn. 16 – 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ein erwachsener, erwerbsfähiger Mann mit 9 Jahren Schulbildung kann in den pakistanischen Großstädten und in anderen Landesteilen zumindest als Klein- oder Kleinstunternehmer ein ausreichendes Einkommen finden. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Das Gericht folgt insbesondere den ausführlichen und im Detail herausgearbeiteten Darlegungen des Bundesamts zur Unglaubwürdigkeit des Klägers. Diese Unglaubwürdigkeit ist in der mündlichen Verhandlung vor Gericht weiter bestärkt worden. Dort behauptete der Kläger erstmals, dass er selber Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des pakistanischen Geheimdienstes ISI gewesen sei. Dieser steigernde Vortrag, der im Übrigen – falls er der Wahrheit entsprechen sollte – erneute Widersprüchlichkeiten im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch den Geheimdienst aufwirft, verstärkt den Eindruck eines rein konstruierten, interessegeleiteten Vortrags.
Selbst wenn – wie nicht – der Vortrag des Klägers glaubhaft sein sollte, hätte die Klage keinen Erfolg.
Für die Annahme einer politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG und des § 3 AsylG fehlt es bereits an der Darlegung der Anknüpfung der Verfolgung an ein asylerhebliches Merkmal nach §§ 3a, 3b AsylG. Der Kläger ist nach seinem Vorbringen in das Feld der Auseinandersetzung zwischen den Taliban und dem pakistanischen Geheimdienst geraten. Die Taliban nötigten ihn mit Gewalt zur Preisgabe von militärischen Geheimnissen in ihrem Kampf gegen die pakistanische Armee. Der Geheimdienst wiederum suchte ihn wegen eines angenommenen Verrats von militärischen Geheimnissen. Diese Verfolgung durch die beiden Konfliktparteien hat nichts mit politischer Verfolgung des Klägers zu tun, sondern ist im Konflikt der Kontrahenden zu suchen. Im Übrigen können „die Taliban“, von den sich der Kläger verfolgt fühlte, in dieser Unbestimmtheit nicht als nichtstaatlicher Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 3 AsylG aufgefasst werden; der Kläger hat deren landesweite Bedrohensmächtigkeit nicht erwiesen.
Im Übrigen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Der Kläger kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann (nach seinen Angaben hat er 9 Jahre Schulausbildung) auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen.
Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zum fehlenden Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 bis Satz 5 AufenthG wegen des gebrochenen Arms hat das Bundesamt das Wesentliche gesagt. Die nunmehr vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom …4.2018 über einen Zustand nach Schlüsselbeinbruch bringt keine Änderung der Bewertung. Ausweislich der Bescheinigung wurde der Kläger bei dem die Bescheinigung ausstellenden Versorgungszentrum erstmals am …12.2015 vorstellig und gab an, seit ca. 10 Monaten an Schmerzen an der Schulter zu leiden. Dieses Krankheitsbild erfüllt bei Weitem nicht die gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 bis Satz 5 AufenthG, § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG (siehe zur medizinischen Versorgung in Pakistan Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20.10.2017, Ziff. IV. 1.2).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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