Verwaltungsrecht

Unbehandelte chronische Hepatitis B begründet kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 2 E 17.31450

Datum:
27.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Eine unbehandelte chronische Hepatitis B kann bei einem Teil der Betroffenen im Laufe der Jahre zu einer narbigen Schrumpfung der Leber (Leberzirrhose) und Krebserkrankungen führen; diese gesundheitlichen Folgen treten aber nicht alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung ein, sodass in Bezug auf den Senegal kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen eigenen Angaben am 26. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 1. Juli 2016 stellt er einen Asylantrag.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 5. August 2016 berief sich der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen darauf, dass er katholischer Christ geworden und schwul sei (siehe ergänzend den Bescheid vom 6. Dezember 2016, § 77 Abs. 2 AsylG).
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016, zur Post gegeben mit Schreiben vom gleichen Tage, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.), ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete dieses auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 6.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 7.).
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten am 14. Dezember 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen, den Bescheid vom 6. Dezember 2016 aufzuheben sowie die An-tragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen M 2 K 16.35497 geführt. Ferner ließ er ebenfalls am 14. Dezember 2016 beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Diesen Antrag lehnte das Gericht mit unanfechtbarem Beschluss vom 21. Dezember 2016 ab (Aktenzeichen: M 2 S. 16.35499).
Am 27. Januar 2017 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München nach § 123 VwGO beantragen,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen,
dass das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin mitteilt, dass das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Antragsgegnerin der Regierung … … mitteilt, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG geprüft wird und deshalb bis zu einer Entscheidung des Gerichts keine Abschiebemaßnahmen getroffen werden.
Zur Begründung ließ der Antragsteller vorbringen, das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit habe mit Schreiben vom 3. November 2015 mitgeteilt, dass der Antragsteller an Hepatitis B leide. Da diese Erkrankung im Senegal nicht behandelt werde, drohe dem Antragsteller ein ernsthafter Schaden bezüglich seiner Gesundheit bei einer Rückkehr. Der Antragsteller sei mit Schreiben vom 12. Januar 2017 von der Regierung … … zu einem Termin geladen worden. Der Antragsteller sei in großer Sorge, dass die Abschiebung demnächst vollzogen werde, ohne dass der Umstand, dass er an Hepatitis B erkrankt sei, dabei berücksichtigt werde. Zur Vorlage kam u.a. eine Vorladung des Antragstellers zu einem Termin bei der Regierung … … am 1. Februar 2017 zur Klärung seines Aufenthaltsstatus sowie zur Fest- und Sicherstellung seiner Identität und Herkunft, ferner ein Befund/Gutachten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 3. November 2015, in dem es u.a. heißt, es bestehe serologisch ein Hinweis auf eine chronisch verlaufende Infektion mit dem Hepatitis B Virus.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die im Klageverfahren vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag nach § 123 VwGO dürfte schon unzulässig sein, da wegen § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO auf Änderung oder Aufhebung des Beschlusses über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig sein dürfte. Die Zulässigkeit eines solchen grundsätzlich statthaften Änderungsantrags setzte allerdings voraus, dass veränderte oder im vorangegangenen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen werden, die ein Abweichen von der ursprünglichen Entscheidung rechtfertigen können (Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 103 m.w.N.). Vorliegend erscheint deshalb bereits die Zulässigkeit eines Änderungsantrags zweifelhaft, weil weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, weshalb der Antragsteller die bereits mit Schreiben des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 3. November 2015 festgestellten Hinweise auf eine Hepatitis B nicht bereits im Rahmen seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hätte vorbringen können.
Indes kann die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO oder – im Rahmen einer Auslegung des Antragsbegehrens (§ 88 VwGO) – nach § 80 Abs. 7 VwGO letztlich dahingestellt bleiben, da derartige Anträge zumindest in der Sache keinen Erfolg haben können. Das neue Vorbringen, der Antragsteller leide an Hepatitis B, führt weder zu ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts vom 6. Dezember 2016 – auch nicht hinsichtlich der Verneinung von Abschiebungsverboten -, noch besteht ein Anordnungsanspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten und entsprechende Mitteilung der Antragsgegnerin an die Regierung … … Insbesondere besteht im Fall des Antragstellers kein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst dabei nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr., BVerwG, U. v. 25.11.1997 – Az. 9 C 58.96 – juris; BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; BayVGH, U. v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris; OVG NW, U. v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 45). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich dabei auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, etwa weil er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (BVerwG, U. v. 29.10.2002, a.a.O.; BayVGH, U. v. 8.3.2012, a.a.O.). Dabei setzt die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U. v. 25.11.1997, a.a.O.). Durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) wurden hinsichtlich des krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG zusätzlich folgende Bestimmungen getroffen: Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Das Vorbringen des Antragstellers, er leide an Hepatitis B, kann ein solches krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG nicht begründen:
Unbeschadet des Umstandes, dass in dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 3. November 2015 lediglich von einem „Hinweis“ auf eine chronische Hepatitis B die Rede ist und der Antragsteller keinerlei aktuelle ärztliche Atteste oder Befunde vorgelegt hat, bestünde selbst dann kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, falls der Antragsteller derzeit tatsächlich an einer chronischen Hepatitis B erkrankt wäre: Ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis wegen einer etwaigen chronischen Hepatitis B scheidet allein deshalb aus, weil es sich hierbei nicht um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich im Falle einer etwaigen Nichtbehandlung alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde: Dem Gericht ist bekannt, dass eine unbehandelte chronische Hepatitis B bei einem Teil der Betroffenen im Laufe der Jahre zu einer narbigen Schrumpfung der Leber (Leberzirrhose) führen kann und außerdem ein erhöhtes Risiko besteht, dass sich eine Krebserkrankung der Leber (Leberzellkarzinom) entwickelt (vgl. dazu etwa den Ratgeber des Robert Koch Instituts zu Hepatitis B und D vom 20. Mai 2016, veröffentlicht auf www.rki.de unter Infektionsschutz/RKI-Ratgeber für Ärzte/Hepatitis B und D). Hierbei handelt es sich aber gerade nicht um Folgen, die alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung eintreten. Es ist auch überhaupt nicht abzusehen, ob im Einzelfall des Antragstellers später einmal derart schwerwiegende Folgen auftreten werden. Mithin liegt gerade nicht die von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben vor.
Es sei nochmals verdeutlicht, dass § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG keine optimale Gesundheitsversorgung gewährleistet. Möglicherweise könnte der Antragsteller bei einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland eine bessere gesundheitliche Versorgung als im Heimatstaat erlangen. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG gewährleistet indes nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet. Vielmehr besteht Abschiebungsschutz lediglich insoweit, als sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung auf Grund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung alsbald und in einer Weise verschlimmern würde, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Dies kann im Fall des Antragstellers nicht festgestellt werden.
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Antrag mit der Kosten-folge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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