Verwaltungsrecht

Unglaubhaftes Verfolgungsschicksal nigerianischer Asylbewerber

Aktenzeichen  Au 7 K 16.30094

Datum:
13.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3b, § 3c, § 3e
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG GG Art. 16a
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Seine Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen, was grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraussetzt (wie VG Köln BeckRS 2014, 50714). (red. LS Clemens Kurzidem)
An einer glaubhaften Darstellung des Verfolgungsschicksals fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH Kassel BeckRS 2014, 57363). (red. LS Clemens Kurzidem)
Für gesunde und arbeitsfähige Angehörige der nigerianischen Volksgruppe der Yoruba besteht in nigerianischen Großstädten die Möglichkeit internen Schutzes iSv § 3e AsylG. Die Großstädte sind für die betroffenen Schutzsuchenden auch gefahrlos erreichbar. (red. LS Clemens Kurzidem)
Eine in Nigeria drohende Zwangsbeschneidung kann nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG politische Verfolgung darstellen. Auch insoweit besteht indes die Möglichkeit internen Schutzes in Großstädten nach § 3e AsylG. (red. LS Clemens Kurzidem)
Im Hinblick auf vereinzelt in Nigeria aufgetretene Ebola-Fälle liegt eine konkrete Gesundheitsgefahr iSv § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vor. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klagen werden abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klagen konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entscheiden werden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 des Asylgesetzes – AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (nachfolgend: 1.) und auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Grundgesetz (GG) (nachfolgend: 2.). Es ist ihnen weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (nachfolgend: 3.), noch liegen in ihrer Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vor (nachfolgend: 4.).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (VG Köln, U. v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris, Rn. 26).
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH BW, U. v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U. v.4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Kläger nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) vor ihrer Ausreise aus Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen waren. Eben so wenig lässt es sich feststellen, dass der Kläger zu 1) und die Klägerinnen zu 2) und 3) im Falle einer Rückkehr nach Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen sein würden.
Das Gericht geht nach den ausführlichen Anhörungen des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass sie ihr Heimatland unverfolgt verlassen haben. Die Klägerin zu 3) ist in Italien geboren worden, so dass für sie eine vorverfolgte Ausreise bereits ausscheidet.
a) Das Gericht hält das Vorbringen des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) zu ihrem Verfolgungsschicksal für unglaubhaft.
Diese Überzeugung des Gerichts folgt daraus, dass die Angaben des Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) zu ihren Verfolgungsgeschichten nicht stimmig sind; sie haben in den Anhörungen, nämlich beim Bundesamt einerseits sowie in der mündlichen Verhandlung andererseits, in wesentlichen Punkten unterschiedliche Angaben gemacht. Hinzu kommt, dass auch die Angaben der Eheleute untereinander hinsichtlich ihrer geltend gemachten Asylgründe widersprüchlich sind.
So stützt der Kläger zu 1) sein Verfolgungsschicksal ausschließlich auf die in seiner Familie begründeten Umstände. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt begründet der Kläger zu 1) sein Asylbegehren mit Streitigkeiten um den Nachlass seines verstorbenen Vaters. Dahingehend waren auch seine Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
Jedoch steigerte der Kläger zu 1) seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung dergestalt, dass er seinen Onkel als Verbrecher titulierte, der den Vater im Jahr 2007 und seine Mutter im Jahr 2012 umbringen ließ. Hierzu hat der Kläger zu 1) vor dem Bundesamt keinerlei Ausführungen gemacht. Es hätte sich jedoch aufgedrängt, anzugeben, dass beide Elternteile von dem Onkel umgebracht wurden, will der Kläger zu 1) im Fall einer Rückkehr nach Nigeria gerade befürchten, von dem Onkel und seinen „Handlangern“ ebenfalls getötet zu werden. Diese Tatsachen, die der Kläger zu 1) für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, hat er ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so dass die Steigerung im Vortrag des Sachverhalts durch den Kläger zu 1) beim Gericht erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des klägerischen Vortrags hervorruft.
Widersprüchlich und für das Gericht nicht nachvollziehbar ist in den Aussagen der Eheleute, dass der Kläger zu 1) sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung keinerlei Angaben zu den von der Klägerin zu 2) geschilderten massiven Problemen mit deren Mutter und den Vergiftungsversuchen machte. Vielmehr sollten nach den Angaben des Klägers zu 1) die Probleme in Nigeria ausschließlich auf seine Familie zurückgehen, hat er in diesem Zusammenhang auch noch angeführt, dass seine Familie die Klägerin zu 2) nicht akzeptiert habe, da sie Christin sei. Ein substantiierter Vortrag ist hierzu jedoch seitens des Klägers zu 1) nicht erfolgt.
Von der von der Klägerin zu 2) geschilderten und angeblich erlebten Beeinträchtigung durch ihre Mutter aufgrund der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit der Eheleute wollte der Kläger zu 1) nichts gewusst haben, jedenfalls machte er hierzu keinerlei Angaben. Die Klägerin zu 2) will den Kläger zu 1) jedoch wegen ihrer Probleme mit der Mutter angerufen haben; dieser soll ihr dann Geld geschickt haben, damit die Klägerin zu 2) Möglichkeit erhielt, ihrem Ehemann nach Libyen zu folgen, was sie schließlich auch machte.
Weiter hat sich der Kläger zu 1) hinsichtlich des Aufenthaltsortes seines im Jahr 2006 geborenen und in Nigeria zurückgelassenen Sohnes widersprochen. Vor dem Bundesamt gab der Kläger zu 1) an (Protokoll über die Anhörung vor dem Bundesamt, nachfolgend: Protokoll-Bundesamt, S. 3), seine Ehefrau, die Klägerin zu 2), habe dieses Kind bei ihrer Ausreise im Juni 2010 bei einem jüngeren Bruder zurückgelassen. Dabei war unklar, ob es sich um einen jüngeren Bruder des Klägers zu 1) oder der Klägerin zu 2) handelte.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Kläger zu 1) an, dass das Kind bis zum Tod seiner Mutter im Jahr 2012 bei dieser gelebt habe und anschließend zu einem „Nennbruder“ des Klägers zu 1) gekommen sei (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung; nachfolgend: Sitzungsprotokoll S. 7).
Wenn der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung ausführt, dass sein Bruder gegen die Heirat mit einer Christin gewesen sei, und er die Familie bzw. den Bruder nicht mehr besuchen durfte, ist es nicht nachvollziehbar, dass ein in Nigeria zurückgelassenes Kind bis zum Jahr 2012 bei der Mutter des Klägers zu 1) gelebt haben soll.
Wenn der Kläger zu 1) im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu Beginn seiner informatorischen Anhörung angibt, die Anhörung vor dem Bundesamt sei schlecht gewesen, da er immer gedrängt worden sei, ist dies als eine unbegründete Schutzbehauptung anzusehen. Aus der Niederschrift über die Anhörung folgt vielmehr, dass diese 60 Minuten dauerte und der Kläger zu 1) auf Nachfrage erklärte, ausreichend Gelegenheit gehabt zu haben, die Gründe für seinen Asylantrag zu schildern und auch alle sonstigen Hindernisse darzulegen, die einer Rückkehr in sein Heimatland entgegenstehen.
Auch der Vortrag der Klägerin zu 2) ist völlig unglaubhaft. Ihren Angaben zufolge sollte ihre Mutter beabsichtigt haben, die Klägerin zu 2) zu vergiften, da sie einen muslimischen Mann geheiratet hat.
Dabei hat sich im Vortrag der Klägerin zu 2) ein erheblicher Widerspruch aufgetan. Nach dem Vortrag der Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt soll die Vergiftung ihrer jüngeren Schwester durch die Mutter zeitlich vor dem Versuch der Mutter, die Klägerin zu 2) zu vergiften, erfolgt sein (Protokoll – Bundesamt, S. 3). Die Klägerin zu 2) gab hierbei an, gleiches solle auch ihr persönlich passieren.
Demgegenüber hat die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Mutter an ihr einen Vergiftungsversuch unternommen habe, nachdem sie im Jahr 2009, als sich ihr Ehemann, der Kläger zu 1), bereits in Libyen aufgehalten hatte, nicht eingewilligt habe, sich von ihrem Ehemann zu trennen (Sitzungsprotokoll, S. 4). Zu diesem Zeitpunkt habe die Schwester noch im Haushalt der Mutter gelebt. Als Todeszeitpunkt der Schwester nannte die Klägerin zu 2) in diesem Zusammenhang das Jahr 2010. Danach hätte der Vergiftungsversuch an der Schwester erst nach dem Vergiftungsversuch an der Klägerin zu 2) stattgefunden.
Widersprüchlich ist dabei im Sachvortrag weiter, dass nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung im Rahmen des Vergiftungsversuches durch die Mutter der Hund, der von dem für die Klägerin zu 2) bestimmten Essen aß, verstorben ist (Sitzungsprotokoll, S. 5), während es nach den Angaben vor dem Bundesamt eine Ziege (Protokoll – Bundesamt, S. 3) gewesen sein soll.
Des Weiteren will die Klägerin zu 2) in dem Zusammenhang mit dem Vergiftungsversuch mit Scherben einer Glasflasche unterhalb des Kiefers verletzt worden sein (Protokoll – Bundesamt, S. 3), während sie in der mündlichen Verhandlung auf nochmalige Nachfrage angab, die Verletzung sei durch die Mutter mit einem Messer (Sitzungsprotokoll, S. 6) erfolgt.
Unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang weiter, dass die Klägerin zu 2) seit ihrer Heirat im Jahr 2005, wenn auch mit Unterbrechungen, genau wie ihre jüngere Schwester in dem Haushalt der Mutter gelebt haben will, ohne dass in den vergangenen Jahren Tötungsversuche seitens der Mutter unternommen worden wären.
Nicht nachvollziehbar ist weiter, warum die Klägerin zu 2) nicht dem Beispiel ihrer Brüder folgend, aus dem Haushalt der Mutter ausgezogen, vom Heimatort weggezogen ist und sich zusammen mit ihrem Ehemann, dem Kläger zu 1), entfernt von dessen Familie, eine Familienunterkunft gesucht hat.
Dies hätte nahe gelegen, noch dazu, da bei den Stamm der Yoruba Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften herrscht und seit Generationen unter ihnen auch Mischehen zwischen Christen und Muslimen weit verbreitet sind (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Stand: Dezember 2015 – vom 3. Dezember 2015 – Lagebericht – Nr. II.1.4.)
Zur Bestärkung ihres Asylbegehrens hat die Klägerin zu 2) ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend gesteigert, dass die Urheberschaft gegen die Heirat eines muslimischen Mannes auf drei in … lebende Onkel zurückgehe, die von Beruf Priester seien. Eine weitere Steigerung des Sachvortrags liegt darin, dass die Klägerin zu 2) erstmals in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass neben der Schwester auch deren Ehemann und das gemeinsame Kind von der Mutter der Klägerin zu 2) umgebracht worden seien (Sitzungsprotokoll, S. 4 und 5). Gründe dafür, dass dieser Vortrag erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass das Gericht diesen gesteigerten Vortrag als unglaubhaft ansieht. Im Übrigen hat die Klägerin zu 2) auch nicht ansatzweise darlegen können, warum erst Jahre nach der Heirat seitens ihrer Familie so massiv gegen die Klägerin zu 2) vorgegangen worden sein soll.
Schildert die Klägerin zu 2) weiter, dass die Mutter bereits im Jahr 2005 gedroht habe, den Ehemann umzubringen, so ist nicht nachvollziehbar, dass dieser davon im Rahmen seiner Ausführungen nichts erwähnt hat. Darüber hinaus hätten die Onkel der Klägerin zu 2), sollte deren Einfluss so sein, wie geschildert, sicher auch in … den Ehemann der Klägerin zu 2) ausfindig machen können. Eine derartige Gefährdung seines Lebens in … hat der Kläger zu 1) in keinster Weise dargelegt.
b) Da die Verfolgungsgeschichten des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2), wie oben unter 1 a) ausgeführt, nicht glaubhaft sind, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen sein würden.
Doch selbst angenommen, der Sachvortrag des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) entspräche entgegen aller deutlichen Unglaubwürdigkeitsmerkmale der Wahrheit, so könnten sich die Eheleute durch Nutzung einer innerstaatlichen Fluchtalternative schützen, weshalb sie nicht des Schutzes vor Verfolgung im Ausland bedürfen. Der Kläger zu 1) konnte in Nigeria vor seiner Ausreise das Existenzminimum der Familie durch Arbeit in … sichern. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dies nicht auch zum Beispiel in …, … oder … möglich wäre. Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) sind gesund und arbeitsfähig, so dass es ihnen problemlos möglich sein dürfte, den Lebensunterhalt der Familie in den vorgenannten Städten, welche für die klägerische Familie gefahrlos erreichbar sind, zu sichern. Danach kann es der klägerischen Familie zugemutet werden, von der innerstaatlichen Fluchtalternative Gebrauch zu machen und sich in einem (anderen) sicheren Landesteil aufzuhalten.
Eine Rückkehrgefährdung besteht auch für die in Italien geborene Klägerin zu 3) nicht. Hinsichtlich der Asylgründe der im Jahr 2012 geborenen Klägerin zu 3) gaben die Eltern, der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) unterschiedliche Gründe an.
aa) Der Vortrag des Klägers zu 1), er fürchte eine Gefahr durch spirituelle Angriffe, kann keine objektive, nachvollziehbare reale Gefahr begründen. Diese Gefahr wurde im Übrigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Kläger zu 1) überhaupt nicht mehr erwähnt.
bb) Soweit sich die Klägerin zu 2) hinsichtlich ihrer Tochter, der Klägerin zu 3) auf eine drohende Zwangsbeschneidung als Verfolgungshandlung beruft, kann eine solche drohende Genitalverstümmelung zwar als eine politische Verfolgung gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG angesehen werden.
Das Vorbringen der Klägerin zu 2) zu einer durch die Familien drohenden Beschneidung ist allerdings nicht glaubhaft.
Es erscheint völlig lebensfremd, dass sich die Klägerin zu 2) mit ihrem Kind im Fall der Rückkehr nach Nigeria in der Nähe der Familie ihrer Mutter, die bereits einige Familienmitglieder umgebracht haben soll, niederlassen würde. Im gesamten Vortrag hinsichtlich der Beeinträchtigungen durch die Mutter erwähnte die Klägerin zu 2) zu keinem Zeitpunkt eine drohende Beschneidung von weiblichen Familienmitgliedern. Es ist insoweit den Klägern zumutbar, Wohnsitz in einer nigerianischen Großstadt, entfernt von ihren Familien, zu nehmen. In der Anonymität einer nigerianischen Großstadt ist nicht anzunehmen, dass der Klägerin zu 3) gerade in einem intakten Familienbund mit beiden Elternteilen, welche die Beschneidung ablehnen, eine solche drohen würde.
Dass die Beschneidungsthematik für die Kläger nicht maßgeblich ist, zeigt auch, dass sie der Kläger zu 1) weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung anführte, und selbst die Klägerin zu 2) diese in der mündlichen Verhandlung nicht als Grund für eine Rückkehrgefährdung genannt hat.
cc) Auch soweit die Klägerin zu 2) geltend macht, Übergriffe durch die Gruppe Boko Haram zu befürchten, für die jedoch Anhaltspunkte in keinster Weise substantiiert dargelegt wurden, können sich die Kläger – wie oben unter 1 b) ausgeführt – durch die Nutzung einer innerstaatlichen Fluchtalternative schützen.
dd) Es bestehen keine Erkenntnisse darüber, dass abgelehnte Asylbewerber bei einer Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Asylantragstellung mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten (Lagebericht, a. a. O.; Nr. IV.2).
2. Eine Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a GG scheidet ebenfalls aus. Auch insoweit wäre die Feststellung der beachtlichen Gefahr einer politischen Verfolgung notwendig, was – wie oben unter 1 a) und 1 b) ausgeführt – im vorliegenden Fall gerade nicht bejaht werden kann.
3. Weiter ist die Ablehnung der Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids rechtmäßig.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Anschläge und Überfälle von „Boko Haram“ nicht als bewaffneter innerstaatlicher Konflikt zu werten sind (VG Augsburg, U. v. 8.5.2015 – Au 7 K 14.30546 – juris Rn. 60 m. w. N.).
4. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist eben so wenig gegeben wie die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).
Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ im Sinne dieser Vorschrift genügt nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit wie im Asylrecht der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Zudem ergibt sich aus dem Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefährdungssituation. Die Kläger haben weder in glaubhafter Weise das Vorliegen einer sie betreffenden erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit vorgetragen noch ist eine solche Gefahr sonst ersichtlich. Im Hinblick auf vereinzelt in Nigeria aufgetretene Ebola-Fälle liegt bereits keine Gefahr vor. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO Response to the Ebola Virus Disease outbreak, Update 20. September 2014, abrufbar unter: http://www.afro.who.int/en/clusters-a-programmes/dpc/epi-demic-a-pandemic-alert-and-response/outbreak-news/4279-evd-outbreak-20september2014.html – Stand: 21. Oktober 2014) datiert der letzte Ansteckungsfall vom 8. September 2014. Auf dieser Basis hat die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch des Ebola-Virus in Nigeria zunächst als weitgehend eingedämmt eingestuft und mittlerweile Nigeria offiziell als „Ebola-Free“ bezeichnet.
Ebenso wenig führt die allgemeine Gefahr, in Nigeria Opfer eines Übergriffs der Boko Haram zu werden, zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn hierbei handelt es sich um eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die grundsätzlich nur im Rahmen von Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu berücksichtigen ist.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer weiteren Begründung und Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die nach Auffassung des Gerichts zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 11. Januar 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig, weil den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, ihnen kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und sie auch keinen asylunabhängigen Aufenthaltstitel besitzen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Rechtliche Bedenken gegen das in Nr. 6 des Bescheids angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen im Hinblick auf § 11 Abs. 1 AufenthG ebenfalls nicht.
6. Die Klagen waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO. Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß § 711 ZPO war wegen der allenfalls in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten auf Seiten der Beklagten nicht veranlasst.


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