Verwaltungsrecht

Unrechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung

Aktenzeichen  RN 14 S 20.31033

Datum:
9.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18676
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwVfG § 41 Abs. 1, § 43 Abs. 1
AsylG § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 1, Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Eine Abschiebungsandrohung, die das Bundesamt zusammen mit der Entscheidung, einen Asylantrag als (offensichtlich) unbegründet abzulehnen, erlässt und in der eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt wird, die mit der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung beginnt, die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang gewährleistet. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.4.2020 (Gesch.-Z.: … – 232) enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria.
Der am …1997 in B. City geborene Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger vom Stamm der Edo und katholischen Glaubens, stellte am 11.11.2016 beim Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 17.11.2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, sich bis zu seiner Ausreise aus Nigeria in B. City aufgehalten zu haben. Dort habe er mit seiner Mutter gelebt. Diese habe als Lebensmittelhändlerin gearbeitet und sich um die Miete gekümmert. Der Antragsteller selbst sei Student gewesen und habe in Nigeria ein Jahr lang Business Administration studiert. Er habe nicht gearbeitet, nur Gelegenheitsjobs gehabt und Fußball gespielt. Eines Tages habe es einen Rohrbruch in der Wohnung gegeben, was dazu geführt habe, dass der Antragsteller zusammen mit der Mutter umgezogen sei. Seine Mutter habe nicht immer die Miete zahlen können. Daher seien beide von den Vermietern rausgeworfen worden. Dann habe sich der Antragsteller dazu entschieden, das Land zu verlassen. Vor seiner Ausreise sei er von einer Jugendbande bedroht worden. Diese kriminellen Jungs hätten vom Antragsteller verlangt, dass er Mitglied werde. Er habe dies aber abgelehnt. Zudem sei der Antragsteller von ihnen auch ausgeraubt worden. Diesbezüglich sei er aber nicht zur Polizei gegangen. Er habe auch nicht versucht, in einen anderen Teil des Landes umzuziehen. Anstatt dessen sei er in den Niger gegangen. Über das Mittelmeer sei er schließlich mit dem Schiff nach Italien gekommen. Von dort aus sei er nach Deutschland gereist.
Im Rahmen eines vom Bundesamt durchgeführten sogenannten Dublin-Verfahrens konnte der Kläger nicht nach Italien überstellt werden, weshalb das Bundesamt im nationalen Verfahren über den Asylantrag entschied.
Mit Bescheid vom 16.4.2020, der gemäß § 4 Abs. 2 VwZG am 28.5.2020 zur Post gegeben wurde, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 bis 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Androhung seiner Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen zu seiner Aufnahme bereiten oder zu seiner Rückübernahme verpflichteten Staat forderte das Bundesamt den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5). Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Der Antragsteller habe eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, weshalb Ansprüche auf Asylanerkennung und Flüchtlingsschutz nicht gegeben seien. Entsprechendes gelte für einen Anspruch auf subsidiären Schutz. Da offensichtlich sei, dass sich der Antragsteller nur aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhalte, sei der Asylantrag nach § 30 Abs. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen. Trotz der in Nigeria vorherrschenden schlechten humanitären Verhältnisse müsse davon ausgegangen werden, dass es dem Antragsteller als jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der zudem 12 Jahre lang zur Schule gegangen sei und ein Jahr lang Business Administration studiert habe, gelingen werde, seine Existenz zu sichern. Hinsichtlich der Begründung im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheids verwiesen.
Am 9.6.2020 ließ der Antragsteller Klage erheben, die unter dem Az. RN 16 K 20.31034 geführt wird. Zugleich ließ er vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung beantragen. Das Bundesamt habe den Asylantrag zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgelehnt, jedenfalls aber habe das Bundesamt ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG feststellen müssen. Mit der Antrags- und Klageerwiderung legten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, an die der Bescheid zugestellt wurde, die Kopie des übermittelten Bescheides vor. Dieser trägt den Eingangsstempel der Kanzlei, der das Eingangsdatum 2.6.2020 aufweist.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 16.4.2020 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des angegriffenen Bescheids,
den Antrag abzulehnen.
Mit der am 3.7.2020 bei Gericht eingegangenen Klage- und Antragserwiderung vom 23.6.2020 teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit, dass die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert werde: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“ Im Hinblick auf die höchstrichterlich noch nicht geklärt Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.6.2018 (C-181/16 [Gnandi]) ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheid des Bundesamts zu laufen beginnen dürfe, werde die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie geschehen geändert. Die zuständige Ausländerbehörde sei entsprechend informiert worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf die Akten des Bundesamtes, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Abschiebungsandrohung.
1. Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig. Er wurde insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben. Ausweislich der Bundesamtsakte wurde der streitgegenständliche Bescheid am 28.5.2020 gemäß § 4 Abs. 2 VwZG per Übergabeeinschreiben zur Post gegeben. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 VwZG gilt in diesem Falle die Zustellung am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt. Dies war vorliegend der 31.5.2020 (Pfingstsonntag). Eine Verschiebung der Zustellungsfiktion auf den nächsten Werktag entsprechend den Regelungen des § 31 Abs. 3 VwVfG bzw. der §§ 31 Abs. 1 VwVfG, 193 BGB kommt insoweit nicht in Betracht; denn diese Regelungen gelten entsprechend ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich für Fristen. Die reguläre Antragsfrist hätte damit am 8.6.2020 (Montag) geendet (vgl. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1, 2 ZPO 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1, 193 BGB), sodass die Antragstellung am 9.6.2020 verspätet gewesen wäre.
Allerdings bestimmt § 4 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 VwZG, dass die Zustellungsfiktion dann nicht gilt, wenn der Zustellungsempfänger nachweisen kann, dass ihn die Sendung später als drei Tage nach Aufgabe zur Post erreicht hat. So liegt der Fall hier. Aus dem Eingangsstempel der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ergibt sich nämlich eindeutig, dass der streitgegenständliche Bescheid die Kanzlei erst am Dienstag, den 2.6.2020 erreicht hat. Dementsprechend war die Klageerhebung am Dienstag den 9.6.2020 noch fristgerecht (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
2. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung, die gemäß den §§ 34 AsylG, 59 AufenthG erlassen worden ist. Diese ist nach wie vor existent und wurde insbesondere nicht aufgrund der in der Antrags- und Klageerwiderung vom 23.6.2020 enthaltenen „Bescheidsänderung“ modifiziert.
Im genannten an das Verwaltungsgericht adressiertem Schreiben des Bundesamts heißt es, die Abschiebungsandrohung werde wie folgt geändert. Hieraus ist ersichtlich, dass das Bundesamt offenbar meint, im Rahmen der Klage- und Antragserwiderung, die ausschließlich gegenüber dem Gericht erfolgt, könne auch eine wirksame Bescheidsänderung verfügt werden. Diese Vorgehensweise entspricht jedoch nicht § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Danach ist ein Verwaltungsakt – also auch ein Änderungsbescheid – demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Dementsprechend muss die Änderung eines Asylbescheids dem Asylantragsteller selbst oder dessen Vertreter bekanntgegeben werden. Die Bekanntgabe des Verwaltungsakts gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Wirksamkeitsvoraussetzung. Eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts gegenüber dem Verwaltungsgericht als Adressat führt somit nicht dazu, dass der Verwaltungsakt dem Asylantragsteller gegenüber wirksam geworden ist. Es ist darüber hinaus daran zu zweifeln, dass ein Bekanntgabewillen gegenüber dem Antragsteller vorgelegen hat. Auffällig ist nämlich insoweit, dass das Schreiben ausschließlich als Klage- und Antragserwiderung beim Gericht eingegangen ist und sich die vermeintliche Bescheidsänderung ausschließlich im Fließtext des Schreibens befindet. Außerdem wurde die Änderung auch der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt. Eine Mitteilung an den von der Bescheidsänderung betroffenen Antragsteller ist dagegen offensichtlich nicht erfolgt. Dieser hat das Schreiben nur im Wege der Weiterleitung durch das Gericht an seine Prozessbevollmächtigten erhalten, was nicht ausreichend ist (so auch: VG München, B.v. 3.4.2020 – 10 S 19.34493 – juris, Rn. 44). Hinzu kommt, dass nach den §§ 43, 41 Abs. 1, Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG Entscheidungen, die – wie eine Abschiebungsandrohung – der Anfechtung unterliegen, den Beteiligten unverzüglich zuzustellen sind. Auch an diesem formellen Erfordernis mangelt es (so auch: VG Aachen, B.v. 12.5.2020 – 3 L 308/20.A).
Nach alledem ist die vom Bundesamt offenbar gewünschte Bescheidsänderung der Antragstellerin nicht wirksam bekanntgegeben worden. Dementsprechend wurde die Abschiebungsandrohung in ihrer ursprünglichen Fassung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheids auch nicht abgeändert und ist weiterhin wirksam. Dies folgt aus § 43 Abs. 2 VwVfG. Danach bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
3. Da der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, wurde nach § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt, was zur Folge hat, dass die gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage nach § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung hat Erfolg. Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so darf die Aussetzung der Abschiebung durch das Gericht nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Derartigen ernstlichen Zweifel bestehen im vorliegenden Fall unabhängig von den Fragen, ob der Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist und ob der Antragsteller nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG geltend machen kann (vgl. dazu a)), jedenfalls deshalb, weil die in der maßgeblichen Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid gesetzte Ausreisefrist bereits beginnt, während die Rechtsmittelfrist für den zulässigen Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 5 VwGO noch läuft (vgl. dazu b)). Im Übrigen bestehen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt gewünschten Änderung der Abschiebungsandrohung, die im Ergebnis jedoch nicht wirksam geworden ist (vgl. dazu c)).
a) Die mit der Abschiebungsandrohung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf die Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet sowie auf die Verneinung des Bestehens nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Gericht hat daher im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch nationale Abschiebungsverbote zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166).
Die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ist bereits bestandskräftig geworden, da der streitgegenständliche Bescheid insoweit in der Hauptsache nicht angefochten worden ist. Eine Überprüfung dieser Entscheidung ist somit nicht erforderlich.
Vorliegend spricht auch einiges dafür, dass das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.
Der Antragsteller hat nämlich im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe für seine Asylantragstellung vorgetragen, was das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid dargestellt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht daher gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vollumfänglich auf die zutreffenden Darstellungen und die Begründung im angegriffenen Bescheid.
Entsprechendes gilt für die Feststellung des Bundesamtes, wonach nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Kammer hat das Bundesamt insoweit ausführlich dargestellt, dass die wirtschaftliche Situation in Nigeria zwar schwierig ist, dass es dem Antragsteller jedoch voraussichtlich möglich sein wird, sich eine Existenz in Nigeria aufzubauen. Auch insoweit wird wiederum gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Darstellungen und die Begründung im Bescheid verwiesen.
b) Es bestehen aber jedenfalls ernstliche Zweifel im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der im Bescheid enthaltenen Abschiebungsandrohung, die sich aufgrund der neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergeben. Dieses hat mit Urteil vom 20.2.2020 (1 C 19.19 – juris) ausgesprochen, dass eine Abschiebungsandrohung, die das Bundesamt zusammen mit der Entscheidung, einen Asylantrag als (offensichtlich) unbegründet abzulehnen, erlässt und in der eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt wird, die mit der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung beginnt, die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang gewährleistet. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung (vgl. Rn. 36 f.) Folgendes ausgeführt:
„Die in dem angefochtenen Bescheid gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise ist jedenfalls deswegen objektiv rechtswidrig, weil sie mit der Bekanntgabe der ablehnenden Asylentscheidung zu laufen begonnen hat.
Die vom EuGH herausgearbeiteten Verfahrensgarantien fordern, dass die in Art. 7 RL 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 – Rn. 62). Nach dem Grundsatz der Waffengleichheit sind dabei während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 – Rn. 61). Das Fristlaufverbot und das Bleiberecht erfassen mithin auch den Zeitraum, in dem ein Rechtsmittel noch nicht eingelegt ist, und stehen für diesen dem Lauf der behördlich zu setzenden Ausreisefrist entgegen; Rechtsmittelfrist und Ausreisefrist dürfen nicht gleichzeitig laufen. Damit nicht vereinbar ist, dass der angefochtene Bescheid für den Fristlauf ausdrücklich auf die Bekanntgabe abstellt, und zwar erkennbar im Einklang mit der Systematik des § 36 AsylG. Zwar regelt § 36 Abs. 1 AsylG den Beginn der zu setzenden Wochenfrist nicht ausdrücklich. § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG setzt aber eindeutig voraus, dass die Ausreisefrist (§ 36 Abs. 1 AsylG) vor der Rechtsbehelfsfrist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) nicht nur anläuft, sondern auch während des gerichtlichen Verfahrens ablaufen kann.“
Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist der von der Antragsgegnerin gesetzte Beginn der Ausreisefrist, die mit dem Beginn der Frist für die Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zusammenfällt, rechtswidrig. Das Gericht hält daher an seiner bisher vertretenen und dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (U.v. 13.5.2019 – 11 A 610/19.A – juris, Rn. 53, 66 ff) folgenden Rechtsauffassung, wonach Abschiebungsandrohungen der vorliegenden Art europarechtskonform seien, weil im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG analog angewendet werden könne, nicht mehr fest. Nach der genannten Vorschrift wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen, wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auffassung in der oben zitierten Entscheidung ausdrücklich entgegengetreten, da ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG den Vollzug der angedrohten Abschiebung nach § 36 Abs. 3 AsylG hindere (Vollzugshemmung) und nicht deren Vollziehbarkeit. § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG stellten dagegen auf den Wegfall der „Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung“ ab (ausführlich dazu: BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris, Rn. 39).
c) Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die mit der Antrags- und Klageerwiderung gewollte Änderung der Abschiebungsandrohung dem Antragsteller wirksam bekannt gegeben wurde – was wie eingangs unter Nr. 2 erörtert nicht der Fall ist -, wäre die aufschiebende Wirkung gleichwohl anzuordnen gewesen, da auch bezüglich der geänderten Fassung ernstliche Zweifel im Hinblick auf deren Rechtmäßigkeit bestehen. Mit dem Verwaltungsgericht Bremen (B.v. 22.6.2020 – 2 V 1086/20 – juris) hat der zur Entscheidung berufene Einzelrichter nämlich auch Bedenken im Hinblick auf die Europarechtskonformität der geänderten Version der Abschiebungsandrohung.
Die Vorgehensweise des Bundesamtes dürfte nämlich nicht dazu führen, dass – wie vom Europäischen Gerichtshof gefordert – alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung in Gestalt der Abschiebungsanordnung bis zu einer Entscheidung des Gerichts über das Eilrechtsgesuch ausgesetzt sind. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG vom 16.12.2008, ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) in Verbindung mit der Verfahrensrichtlinie (RL 2005/85/EG vom 1.12.2005, ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13; neue Fassung: RL 2013/32/EU vom 26.6.2013, ABl. 180 vom 29.6.2013, S. 60) im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemeinsam mit der Ablehnung des Schutzantrages nicht schlechthin entgegenstehen. Der betreffende Mitgliedstaat muss aber gewährleisten, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG vom 6.2.2003, ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18; neue Fassung: RL 2013/33/EU vom 26.6.2013, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 96) kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Rückführungsrichtlinie und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann (EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16 [Gnandi] – juris; Rn. 60 ff., 68). Auch muss sichergestellt sein, dass der Ausländer nicht zwecks Abschiebung in Haft genommen wird (EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16 [Gnandi] – Rn. 62; B.v. 5.7.18 – C-269/18 PPU – Rn. 54 f.). Dem Gebot, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrages auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet und während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind, genügt dabei nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Es müssen vielmehr alle Rechtswirkungen dieser Entscheidung ausgesetzt werden (so ausdrücklich: BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris, Rn. 25).
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Rechtslage genügt die vom Bundesamt beabsichtigte Änderung der Abschiebungsandrohung den dargestellten Voraussetzungen voraussichtlich nicht. Zwar ist nach der Änderung des Beginns der Ausreisefrist gewährleistet, dass das Fristlaufverbot während des vorläufigen Bleiberechts gewahrt ist und die gesetzte Ausreisefrist europarechtskonform ist. Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass hierdurch alle Wirkungen der Abschiebungsandrohung ausgesetzt worden sind. Zweifel verbleiben insoweit in Bezug auf das Nichtbestehen einer Verlassenspflicht während der Zeit des vorläufigen Bleiberechts, sowie auf die Gewährleistung der Fortgeltung der Rechte als Asylbewerber nach der Aufnahmerichtlinie und die Nichtverhängung von Abschiebehaft während dieser Zeit. Die diesbezüglichen Zweifel ergeben sich aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG. Danach ist die Abschiebung im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet bei rechtzeitiger Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Der Wortlaut weist klar auf eine bloße Vollstreckungs- bzw. Vollzugshemmung, also einen Sonderfall einer gesetzesunmittelbaren Duldung, welche die Vollziehbarkeit des Bescheides und damit auch der Abschiebungsandrohung unberührt lässt, hin. Die ausdrückliche Regelung in § 36 Abs. 3 Satz 11 AsylG, die sich nach dem Wortlaut („hiervon“), der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte (BR-Drs. 446/15 S. 43 f. – zu Nr. 11) nur auf die von dem neu eingefügten Satz 10 erfassten Fälle bezieht, bestätigt die aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG folgende Auslegung. Die Einschätzung, wonach die in § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG angeordnete Unzulässigkeit der Abschiebung während des Eilrechtsschutzverfahrens lediglich eine Vollstreckungs- bzw. Vollzugshemmung bewirkt, ergibt sich zudem aus dem erkennbaren Beschleunigungswillen des nationalen Gesetzgebers, nach dem durch § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG lediglich sichergestellt werden sollte, „dass ein Ausländer nicht vor der gerichtlichen Entscheidung abgeschoben wird“ (BT-Drs. 12/4450, S. 24) bzw. „das Bleiberecht des Ausländers bis zum Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens weiterhin gesichert“ ist (BT-Drs. 12/2062 S. 33 – zu § 36 Abs. 2 Satz 5 AsylVfG 1992). Nur bei einer Auslegung als Vollzugshemmung wird auch nachvollziehbar, dass nach nationalem Recht mit der ablehnenden Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keine erneute Fristsetzung vorgegeben und nach der vorherrschenden Ansicht auch nicht erforderlich ist (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris, Rn. 39 unter Hinweis auf Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 36 AsylG, Rn. 15, 48, Stand: März 2019).
Eine bloße Aussetzung der Vollstreckung der Abschiebung für die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens bei fortbestehender Vollziehbarkeit von Ausreisepflicht und Abschiebungsandrohung stellt jedoch die unionsrechtlich gebotene Fortgeltung der Rechte als Asylbewerber nach der Aufnahmerichtlinie und nach der Verfahrensrichtlinie in Frage. So besteht zwar noch eine Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen sind jedoch teils weitreichende Leistungsbeschränkungen möglich. Auch sonst ist nicht gewährleistet, dass für die Dauer des Verfahrens über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO alle leistungsrechtlichen Wirkungen der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet ausgeschlossen sind. Fraglich ist ferner, ob eine Anordnung von Abschiebungshaft mit der gebotenen unionsrechtlichen Gewissheit ausgeschlossen ist (ausführlich dazu: BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris, Rn. 37 ff.; VG Bremen, B.v. 22.6.2020 – 2 V 1086/20 – juris, Rn. 22 ff.).
Nach alledem war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheids anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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