Verwaltungsrecht

Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung nach Vollendung des 21. Lebensjahres

Aktenzeichen  M 18 E 20.3749

Datum:
31.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25176
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 10, § 34, § 35a, § 41
AsylblG § 6, § 9
VwGO § 123 Abs. 3

 

Leitsatz

Voraussetzung für eine Leistungsgewährung nach nach Vollendung des 21. Lebensjahres  erfordert, dass die individuelle Situation des jungen Menschen die Hilfegewährung notwendig macht. Eine solche Notwendigkeit liegt vor, wenn bei den betreffenden Personen mit Erreichen des Volljährigkeitsalters noch nicht die mit diesem Alter regelmäßig einhergehende inhaltliche Autonomie, Selbstständigkeit und Persönlichkeit entwickelt ist und diese durch Unterstützungen der Jugendhilfe erreicht werden soll. (Rn. 42 – 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die weitere Unterbringung des Antragstellers in der … bzw. einer gleich geeigneten betreuten Wohneinrichtung bis drei Monate nach Zustellung dieser Entscheidung zu bewilligen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung die Fortsetzung der Hilfe für junge Volljährige über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus.
Der am … 1999 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste als minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland ein.
Am … 2015 wurde der Antragsteller vom Antragsgegner in Obhut genommen. Im Anschluss gewährte der Antragsgegner diesem ab dem 8. Dezember 2015 Hilfe zur Erziehung bzw. nach Vollendung des 18. Lebensjahres Hilfe für junge Volljährige in Form der Unterbringung in verschiedenen Wohneinrichtungen.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2015 der Regierung von Oberbayern wurde der Antragsteller nach dem Asylverfahrensgesetz dem Landkreis Erding zugewiesen.
Der am 6. November 2015 gestellte Asylantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. September 2017 abgelehnt. Über die gegen die Ablehnung erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht München wurde noch nicht entschieden.
Der Antragsteller steht – zuletzt verlängert mit Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 29. März 2019 – unter Betreuung hinsichtlich der Aufgabenkreise Abschluss und Kontrolle eines Einrichtungsvertrages, ausländerrechtliche Angelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Vertretung in Arbeitsangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten.
Zum Gesundheitszustand des Antragstellers wurden im Laufe der Jugendhilfegewährung mehrere ärztliche Gutachten eingeholt. Mit Gutachten des … vom … 2019 wurde beim Antragsteller erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) diagnostiziert. Der Antragsteller wurde dort vom 14. bis … 2019 stationär behandelt. Das aktuellste ärztliche Gutachten des Klinikums datiert vom … 2020 und dient der Überschrift nach zur Klärung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für den Sozialhilfeträger. Dort wurden zum einen als Diagnosen nach ICD-10 F33.1 (Anm. des Gerichts: Rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode), F43.1 (Posttraumatische Belastungsstörung) und F44.8 (Sonstige dissoziative Störung) angegeben. Des Weiteren wurde festgestellt, dass eine seelische/psychische Behinderung im Sinne eines abweichenden Zustands der körperlichen Funktion, der geistigen Fähigkeit oder der seelischen Gesundheit, die länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweiche, drohe. Durch diese Behinderung sei die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben an der Gesellschaft im Bereich „Selbstversorgung und Wohnen“ sowie im Bereich „Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeiten“ eingeschränkt oder eine solche Einschränkung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Als flankierende medizinisch-therapeutische Leistung werde eine ambulante Psychotherapie empfohlen.
In einem Aktenvermerk des Antragsgegners bezüglich der Weiterführung der Hilfe für junge Volljährige vom 29. Januar 2020 heißt es, dass sich der Antragsteller weiterhin engagiert und aktiv zeige, an seinen aktuellen Problemlagen zu arbeiten und so eine Veränderung zu erzielen. Eine Entwicklung des jungen Volljährigen im Rahmen der Jugendhilfe sei zu erkennen. Dennoch benötige dieser in verschiedenen Bereichen noch weiterhin umfängliche Hilfe.
Hinsichtlich der psychischen Verfassung des Antragstellers wurde ausgeführt, dass sich dieser aktuell in einer Krise befände, die durch häufig auftretende Flashbacks und dissoziative Zustände von bis zu zwei Stunden gekennzeichnet sei. Zwar sei der Antragsteller ambulant an Fachstellen angebunden, ein Fortführen der ambulanten Psychotherapie erscheine derzeit jedoch nicht möglich, da der Antragsteller hierfür nicht stabil genug erscheine. Auch weiterhin sei es notwendig, dass der Antragsteller im Alltag begleitet werde; in krisenhaften Situationen benötige er begleitende Unterstützung. Hinsichtlich der Abgrenzung zu anderen gelinge es dem Antragsteller langsam, hier auch auf sich acht zu geben und angemessene Grenzen zu setzen. Ein Eingriff durch das pädagogische Personal sei immer weniger notwendig. Weiter heißt es u.a., dass im Gespräch mit dem Antragsteller deutlich geworden sei, dass es diesem im Vergleich zum letzten Hilfeplangespräch besser gelinge, seine Bedürfnisse und seinen Bedarf zu sehen und zu akzeptieren. Jedoch sei aufgrund des hohen Bedarfs davon auszugehen, dass der Antragsteller auch längerfristig auf Hilfe angewiesen sein werde. Aktuell werde neben den aktuellen Themen wie persönliche Entwicklung stark am Thema psychische Stabilität gearbeitet, um so das Fundament für eine realistische Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die gesetzliche Betreuung habe aus diesem Grund bereits entsprechende Einrichtungen angefragt. Eine Übergabe an den zuständigen Kostenträger werde gerade durch die wirtschaftliche Jugendhilfe geprüft.
Zuletzt mit Bescheid vom 2. März 2020 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller ab dem 1. März 2020 Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII in Form von Unterbringung in der … in München, „bis auf weiteres […], längstens bis zum … 2020 (Vollendung des 21. Lebensjahres).“ In den Gründen des Bescheids wurde unter anderem ausgeführt, dass die Unterbringung in der therapeutischen Wohngruppe weiterhin notwendig, geeignet und erforderlich sei. Trotz der engen Betreuung, die das therapeutische Setting biete, und der damit verbundenen Möglichkeiten, an der psychiatrischen Erkrankung des Antragstellers zu arbeiten, sei dieser noch nicht in der Lage, ohne dieses engmaschige Setting zu leben.
Mit Schreiben vom 6. April 2020 beantragte der Antragsgegner bei der Regierung von Oberbayern – Regierungsaufnahmestelle – die Zuweisung des Antragstellers zur Landeshauptstadt München. Die Jugendhilfe ende mit Vollendung des 21. Lebensjahres, der Antragsteller sei nicht in der Lage, selbständig zu leben, er benötige weiterhin den geschützten Rahmen in einer betreuten Einrichtung. Die Zuweisung werde beantragt, damit von dort die entsprechenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt werden könnten.
In einer internen E-Mail des Antragsgegners vom 21. April 2020 wird festgehalten, dass die Regierung von Oberbayern mitgeteilt habe, dass eine Zuweisung an die Landeshauptstadt München nur erlassen werden könne, wenn der Antragsteller dort in eine Asylunterkunft ziehen sollte. Für die Unterbringung in einem betreuten Wohnen sei das Sachgebiet 13 der Regierung von Oberbayern (Soziales und Jugend) zuständig. Dafür müsse jedoch das Jugendamt eine geeignete Einrichtung suchen und mit einem Kostenplan die Unterbringung beantragen. Hausintern habe man des Weiteren geklärt, dass dieser Antrag dann an den Fachbereich Asyl des Antragsgegners weitergeleitet würde. Für den Antragsteller wäre dann weiterhin das Jugendamt des Antragsgegners zuständig.
Im Folgenden gab es wohl – undokumentierte – Kontakte zwischen der Betreuerin und dem Antragsgegner bzgl. der weiteren Unterbringung des Antragstellers.
Die Betreuerin, die inzwischen für den Antragsteller eine andere Wohneinrichtung (Kinderschutz e.V.) gesucht hatte, die bereit war, diesen aufzunehmen, stellte unter dem 3. Juni 2020 beim Bezirk Oberbayern einen Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe/ Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Unterbringungskosten für die neue Wohneinrichtung gemäß § 35a SGB VIII.
Mit E-Mail vom 2. Juli 2020 teilte die Betreuerin dem Antragsgegner mit, dass die neue Einrichtung mitgeteilt habe, der Einrichtungswechsel müsste durch den Antragsgegner genehmigt werden. Der Antragsgegner müsse die neue Einrichtung zumindest für die ersten zwei Wochen finanzieren und dann werde dies über den Bezirk Oberbayern finanziert. Des Weiteren wurde das Aktenzeichen sowie der Ansprechpartner des Bezirks Oberbayern mitgeteilt.
Die neue Einrichtung bedankte sich mit E-Mail vom 2. Juli 2020 bei dem Antragsgegner für die Zusage für den Wechsel in die Einrichtung und übersandte die Entgeltvereinbarung.
Mit E-Mail vom 10. Juli 2020 fragte die Betreuerin beim Antragsgegner an, ob der Antragsgegner bereit wäre, für die Finanzierung der Einrichtung zu sorgen, bis der Bezirk Oberbayern den Hilfefall übernehme. Der Antragsteller könne in der Woche vom 20. bis 25. Juli einziehen. Zudem bat die Betreuerin darum, dass sich der Antragsgegner selbst an den Bezirk wende, um die Entscheidung über den Antrag zu beschleunigen, da die neue Einrichtung auf die Finanzierungszusage warte.
Ebenfalls mit E-Mail vom 10. Juli 2020 teilte der Antragsgegner der Betreuerin mit, dass die Hilfe für junge Volljährige längstens bis zum … 2020 gewährt werde. Eine Übernahme der Kosten über den Zeitraum hinaus sei nicht möglich.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2020 leitete der Bezirk den von der Betreuerin gestellten Antrag an die Landeshauptstadt München, Ausländerbehörde, weiter. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bezirk Oberbayern gemäß § 100 Abs. 2 SGB IX keine Leistungen der Eingliederungshilfe für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG – wie den Antragsteller – erbringen könne.
Die Betreuerin des Antragstellers bat sodann den Antragsgegner mit E-Mail vom 31. Juli 2020 erneut, dem Antragsteller die Jugendhilfe über den … 2020 hinaus weiter zu finanzieren, bis eine Entscheidung der Regierung von Oberbayern vorliege, an welche der Bezirk Oberbayern den Fall weitergeleitet habe.
Mit E-Mail vom 4. August 2020 erwiderte der Antragsgegner, dass die Jugendhilfe mit der Vollendung des 21. Lebensjahres ende. Für die Weitergewährung der Hilfe möge sich die Betreuerin an den Bezirk/die Regierung wenden.
Die Regierung von Oberbayern – Flüchtlingsunterbringung – teilte der Betreuerin per E-Mail am 5. August 2020, nachdem sich diese am 4. August 2020 (wohl erneut) wegen der Kostenübernahme für die neue Einrichtung an die Regierung gewandt hatte, mit, dass der Antragsteller nach Beendigung der Jugendhilfemaßnahme dem Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylblG) unterfalle und somit grundsätzlich verpflichtet sei, in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Die von der Betreuerin beantragte Betreuung des Antragstellers in einer gesonderten Unterbringungsform könne nur bei medizinischer Notwendigkeit gewährt werden. Zuständig sei das Landratsamt des Antragsgegners, da der Antragsteller per Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 29. Juni 2016 dem Landkreis Erding zugewiesen worden sei. Dieses könne die Angelegenheit mit der Regierung abstimmen, um sich hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der gesonderten Unterbringungskosten abzusichern. Derzeit sei nach Sichtung der eingereichten Unterlagen nicht ersichtlich, dass die gesonderte Unterbringung des Antragstellers zwingend notwendig sei, da laut dem ärztlichen Bericht der … 2020 nur eine ambulante Psychotherapie erforderlich sei, welche auch im Falle einer Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft erfolgen könne.
Mangels Kostenzusage sagte die neue Wohneinrichtung den anvisierten Platz für den Antragsteller mit E-Mail vom 5. Mai 2020 ab.
Mit Schreiben vom 12. August 2020 beantragte die Betreuerin des Antragstellers nochmals die Weiterbewilligung der Hilfe für junge Volljährige beim Antragsgegner und bat um den zeitnahen Erlass eines schriftlichen Bescheides.
Mit Schriftsatz vom 14. August 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 18. August 2020, beantragte die Betreuerin des Antragstellers für diesen:
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird der Antragsgegner verpflichtet, die Kosten für die Unterbringung des Antragstellers in der … bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu übernehmen.
Sie führte aus, dass der Antragsteller an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer depressiven Verstimmung leide. Er sei noch nicht in der Lage, ohne entsprechende Betreuung zu leben. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Lebensgeschichte und psychischen Erkrankung in lebenspraktischen Fertigkeiten noch weit hinter seinem tatsächlichen Alter. Er mache zwar Fortschritte, sei aber noch nicht in der Lage, ein selbstständiges Leben zu führen. Der Antragsteller könne nicht in der Einrichtung verbleiben, wenn die Finanzierung nicht geklärt sei. Er müsste sodann in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden, was einen unzumutbaren Nachteil für diesen bedeute.
Mit Schreiben vom 20. August 2020, bei Gericht vorab ohne Anlagen per Fax eingegangen am selben Tag, beantragte der Antragsgegner,
den Antrag auf einstweilige Anordnung abzuweisen.
Aufgrund der Erkrankung des Antragstellers sei es nicht möglich, einen begrenzten Hilfezeitraum zu bestimmen. Er werde vermutlich noch weit über das 21. Lebensjahr hinaus auf Hilfe im Alltag angewiesen sein. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe für junge Volljährige über das 21. Lebensjahr hinaus lägen somit nicht vor.
Es sei beim Fachbereich Asyl des Landratsamtes Erding nachgefragt worden, wie verfahren werde, wenn ein Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz die Unterbringung in einer betreuten Wohnform benötige. Demnach sei ein entsprechender Antrag bei der Regierung von Oberbayern zu stellen. Diese prüfe, ob die Voraussetzungen für das betreute Wohnen vorlägen.
Der Betreuerin des Antragstellers sei mit E-Mail vom 30. April 2020 mitgeteilt worden, dass bei der Regierung von Oberbayern ein Antrag auf betreutes Wohnen zu stellen sei. Bereits im Hilfeplangespräch vom 23. Januar 2020 sei besprochen worden, dass eine Perspektive erarbeitet werden müsse, um die Kosten beim Kostenträger (Regierung von Oberbayern) beantragen zu können. Die Betreuerin und die Einrichtungsleitung seien gebeten worden, gemeinsam mit dem Antragsteller die Entlassung aus der Jugendhilfe zu planen. Es sei für den Antragsgegner zunächst nicht ersichtlich gewesen, bei welcher Behörde (Bezirk oder Regierung von Oberbayern) die Betreuerin letztendlich den Antrag auf Übernahme der Unterbringungskosten für den Antragsteller gestellt habe.
Das Gericht ordnete daraufhin mit Schiebebeschluss vom 21. August 2020 zur Sicherung der Rechte des Antragstellers und in Hinblick auf das aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Bedürfnis des Antragstellers auf vorläufigen und effektiven Rechtsschutz an, den Antragsgegner bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII in Form der Unterbringung in der …… zu bewilligen.
Die Behördenakten gingen am 25. August 2020 bei Gericht ein.
Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakten ergänzend Bezug genommen.
II.
Der entsprechend dem Tenor sachdienlich ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet.
Das Gericht hat den Antrag gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO im Interesse des Antragstellers dahingehend ausgelegt, dass in zeitlicher Hinsicht die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt wird, Hilfe für junge Volljährige vorläufig für einen dem Hilfebedarf des Antragstellers angemessenen Zeitraum zu bewilligen. Da Hilfe für junge Volljährige aufgrund der Orientierung am konkreten Hilfebedarf des Leistungsberechtigten regelmäßig nur zeitabschnittsweise gewährt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2016 – 12 C 16.1572 – juris Rn. 7; B.v.21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 31; VG München, B.v. 24.4.2020 – M 18 E 19.2711 – juris Rn. 48), ist vorliegend – angelehnt an die bisherige Bewilligungspraxis des Antragsgegners – auf einen Zeitraum von einem Vierteljahr abzustellen. Angesichts der Tatsache, dass die Betreuerin für den Antragsteller Mitte des Jahres bereits einen Platz in einer neuen Wohneinrichtung gefunden hatte, der Wechsel in diese jedoch mangels Finanzierungszusage des Antragsgegners nicht zustande kam, war des Weiteren davon auszugehen, dass nicht zwingend die Unterbringung in der bisherigen Wohneinrichtung, sondern im Allgemeinen in einer dem Hilfebedarf des Antragstellers entsprechenden Einrichtung begehrt wird.
Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4). Insbesondere bei zeitlich gebundenen Begehren bleibt nur die Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. zu allem: Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66a bis 66c m.w.N.).
Der Antragsteller konnte sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Dem Antragsteller ist für einen Zeitraum von drei Monaten Hilfe für junge Volljährige in Form der Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung zu gewähren.
Ein Anspruch gegen den Antragsgegner nach § 41 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 2 i.V.m. § 34 SGB VIII wurde glaubhaft gemacht.
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII wird die Hilfe für junge Volljährige im Regelfall nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt und darüber hinaus nur in begründeten Einzelfällen. Die Hilfegewährung über das 21. Lebensjahr hinaus hat also Ausnahmecharakter und kommt nur in Betracht, wenn mit der Hilfegewährung bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres begonnen wurde. Zudem ist ein strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen (Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 41 Rn. 17, Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 41 Rn. 3).
Aus Sicht des Gerichts ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der gewährten Hilfeleistung vorliegend auch über das Erreichen des 21. Lebensjahr hinaus fortbestehen.
Voraussetzung für eine Leistungsgewährung nach § 41 SGB VIII ist, dass die individuelle Situation des jungen Menschen die Hilfegewährung notwendig macht. Diese muss durch Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Fähigkeit, ein eigenständiges Leben zu führen, gekennzeichnet sein. Anknüpfungspunkt ist dabei, dass bei den betreffenden Personen mit Erreichen des Volljährigkeitsalters noch nicht die mit diesem regelmäßig einhergehende inhaltliche Autonomie, Selbstständigkeit und Persönlichkeit entwickelt sind und diese durch Unterstützungen der Jugendhilfe erreicht werden sollen (vgl. Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 41 Rn. 4; von Koppenfels-Spies in jurisOK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 41 Rn. 9, 10). Ungeschriebene Voraussetzung der Leistungen nach § 41 SGB VIII ist des Weiteren deren Eignung. Ein Leistungsanspruch besteht von vornherein nicht, wenn überhaupt keine Erfolgsaussicht besteht (von Koppenfels-Spies in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 41 SGB VIII (Stand: 02.06.2020), Rn. 12).
Der Antragsgegner hat für den Antragsteller bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres Hilfe für junge Volljährige gemäß §§ 41, 34 SGB VIII gewährt. Bei der beantragten weiteren Unterbringung des Antragstellers in einer betreuten Wohneinrichtung handelt es sich also um eine entsprechende Fortsetzungshilfe.
Der Antragsteller weist gravierende Defizite im Hinblick auf seine persönliche Entwicklung auf. Wie der Aktenvermerk des Antragsgegners zur Weiterführung der Hilfe nach §§ 41, 34 SGB VIII vom 29. Januar 2020 zeigt, benötigt der Antragsteller in verschiedenen Bereichen weiterhin umfängliche Hilfe. Der Antragsteller sei psychisch labil und benötige begleitende Unterstützung sowohl im Alltag als auch in krisenhaften Situationen. Trotz der engen Betreuung, die der Antragsteller in der therapeutischen Einrichtung erfahre, und der damit verbundenen Möglichkeiten, an seiner psychiatrischen Erkrankung zu arbeiten, sei der Antragsteller aktuell noch nicht in der Lage, ohne dieses engmaschige Setting zu leben.
Auch ist aus Sicht des Gerichts vorliegend ein begründeter Einzelfall gegeben, der die Fortsetzung der Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VIII auch über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus rechtfertigt.
Ein begründeter Einzelfall liegt u.a. vor, wenn es aufgrund der individuellen Situation inhaltlich nicht sinnvoll erscheint, die Hilfe mit dem 21. Lebensjahr zu beenden (vgl. Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 41 Rn. 9).
Angesichts der schweren psychischen Probleme des Antragstellers (diagnostizierte PTBS, rezidivierende depressive Störung, sonstige dissoziative Störung – vgl. ärztliches Gutachten vom … 2020) und der in den letzten Hilfeplanprotokollen dokumentierten Defizite des Antragstellers hinsichtlich Alltagsbewältigung und Selbsteinschätzung ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller derzeit ohne die engmaschige Betreuung der Jugendhilfe zurechtkommen würde. Selbst der Antragsgegner geht in seiner Antragserwiderung vom 20. August 2020 davon aus, dass der Antragsteller noch weit über das 21. Lebensjahr hinaus auf Hilfe im Alltag angewiesen sein wird.
Allerdings führt der wohl auch zukünftig bestehende Hilfebedarf des Antragstellers – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht dazu, dass die Hilfe nach § 41 SGB VIII als ungeeignet anzusehen ist.
Zwar erscheint bei dem Antragsteller angesichts seiner psychischen Erkrankungen und der Feststellungen im ärztlichen Gutachten … 2020 zweifelhaft, ob er jemals in der Lage sein wird, ein eigenverantwortliches Leben zu führen. Dennoch können im Rahmen der Jugendhilfe weitere Verbesserungen erreicht werden, so dass diese nicht als ungeeignet bewertet werden kann.
Die Hilfe nach § 41 SGB VIII setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass die Aussicht besteht, dass der junge Volljährige innerhalb eines bestimmten Zeitraums seine Verselbständigung erreichen wird. Vielmehr genügt es schon, wenn die Hilfe eine erkennbare Verbesserung der Persönlichkeitsentwicklung und Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung erwarten lässt. Die in § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII bestimmten Zeitgrenzen („bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres“; „für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus“) beziehen sich nicht auf den Eintritt eines Hilfeleistungserfolges, sondern bezeichnen das Ende der (jugendhilferechtlichen) Hilfeleistungsmaßnahmen (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 5 C 26.98 – juris Rn. 9 f.). Erforderlich, aber auch ausreichend ist demnach, dass wahrscheinlich ein erkennbarer Entwicklungsprozess in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gegeben ist, der noch gefördert werden kann, die Eignung der gewährten Hilfemaßnahme also nicht völlig ausgeschlossen ist, unabhängig davon, wann dieser Entwicklungsprozess zum Abschluss kommt und ob jemals das Optimalziel erreicht wird (OVG NW, B.v. 29.9.2014 – 12 E 774/14 – juris Rn. 11 m.w.N.). Nach der Vollendung des 21. Lebensjahres des Hilfeempfängers stellt der Gesetzgeber erhöhte Anforderungen an die Notwendigkeit der Hilfegewährung für junge Volljährige. Es muss dann eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass ein erkennbarer und schon Fortschritte zeigender Entwicklungsprozess durch Weitergewährung der Hilfemaßnahme gefördert werden kann, unabhängig davon, wann dieser Entwicklungsprozess zum Abschluss kommt und ob jemals das Optimalziel erreicht wird (VG München, B.v. 24.4.2020 – M 18 E 19.2711 – juris Rn. 61 ff. m.w.N.).
Ein solcher Fortschritte zeigender Entwicklungsprozess ist vorliegend trotz der psychischen Labilität des Antragstellers zu erkennen. So heißt es im bereits zitierten Aktenvermerk des Antragsgegners vom 29. Januar 2020, dass eine Entwicklung des jungen Volljährigen im Rahmen der Jugendhilfe zu erkennen sei. Auch gelinge es dem Antragsteller hinsichtlich der Abgrenzung zu anderen langsam, auch auf sich zu achten und angemessene Grenzen zu setzen. Ein Eingriff durch das pädagogische Personal sei immer weniger notwendig. Es sei im Gespräch mit dem Antragsteller deutlich geworden, dass es diesem im Vergleich zum letzten Hilfeplangespräch besser gelinge, seine Bedürfnisse und seinen Bedarf zu sehen und zu akzeptieren.
Angesichts dieser positiven Zuschreibungen kann keine Rede davon sein, dass die Entwicklung des Antragstellers stagnieren würde und die Hilfe für junge Volljährige mangels Erfolgsaussicht ausscheide. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Verselbständigungsprozess beim Antragsteller durch Fortführung der Jugendhilfemaßnahme weiter gefördert werden kann.
Daher kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 SGB VIII im Fall einer seelischen Behinderung – wie sie hier in Hinblick auf die Feststellung im ärztlichen Gutachten des … vom … 2020 in Rede steht -, deren Folgen nicht beseitigt, sondern lediglich abgemildert werden sollen, überhaupt vorliegen müssen, oder ob Hilfe für junge Volljährige gemäß §§ 41, 35a SGB VIII in diesem Fall nicht regelmäßig bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zu leisten ist (so etwa VG Cottbus, U.v. 17.6.2014 – 3 K 402/12 – juris Rn. 24 f.; Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 41 Rn. 13; a.A. etwa BeckOGK, Stand 1.1.2020, SGB VIII, § 41 Rn. 51f.).
Gemäß § 41 Abs. 2 SGB VIII gelten für die Ausgestaltung der Hilfe § 27 Abs. 3 und 4 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten, des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt. Die Unterbringung des Antragstellers in einer betreuten Wohnform entsprechend § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII bzw. evtl. § 35a SGB VIII erscheint aktuell als einzig geeignete und erforderliche Hilfemaßnahme im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige, um dem umfassenden Bedarf des Antragstellers gerecht zu werden.
Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und mehrerer Fachkräfte, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.). Will also ein Betroffener die Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamtes darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist, mithin fachlich vertretbar ist (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 12 C 16.2159 – juris, Rn. 11 m.w.N.).
Neben der Unterbringung des Antragstellers in einer sozialpädagogisch oder psychotherapeutischen betreuten Wohneinrichtung sind zum aktuellen Zeitpunkt keine besser- oder auch nur gleichgeeigneten Hilfemaßnahmen ersichtlich. Anders als die Regierung von Oberbayern ausweislich Ihrer E-Mail an die Betreuerin vom 5. August 2020 geht das Gericht auch nicht davon aus, dass eine ambulante Psychotherapie vorliegend ausreichend ist, um den Hilfebedarf des Antragstellers aufzufangen. Aus dem in Bezug genommenen Arztbericht vom … 2020 geht lediglich hervor, dass als „flankierende medizinisch therapeutische Leistung“ eine ambulante Psychotherapie empfohlen werde. Angesichts der im Bericht ebenfalls festgestellten drohenden seelischen Behinderung mit der Folge einer Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers in den Bereichen Selbstversorgung und Wohnen sowie Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeiten ist nicht davon auszugehen, dass mit dieser Empfehlung anderweitige Hilfebedarf, wie zum Beispiel die Unterbringung in einer betreuten Wohnform ausgeschlossen werden sollte.
Die grundsätzliche Notwendigkeit und Eignung der Hilfe dürfte im Übrigen auch unter den Beteiligten außer Streit stehen. Nach Auffassung des Antragsgegners ergibt sich die Beendigung der Jugendhilfemaßnahme schließlich nicht aus der Tatsache, dass kein Hilfebedarf mehr gesehen wird, sondern allein daraus, dass die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers mit Vollendung des 21. Lebensjahres nach dessen Erachten ende.
Dementsprechend hat sich vorliegend auch der dem Antragsgegner bei der Wahl der konkreten Hilfemaßnahme zustehende Beurteilungsspielraum allein auf die weitere Bewilligung der Unterbringung des Antragstellers im betreuten Wohnen verdichtet. Ob die Unterbringung des Antragstellers dabei weiterhin in der … oder in einer anderen, dem Bedarf des Antragstellers angemessenen betreuten Wohneinrichtung erfolgt, bleibt einer gemeinschaftlichen Entscheidung der Beteiligten überlassen.
Der Antragsgegner ist entgegen seiner Auffassung auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres durch den Antragsteller für die Gewährung der Hilfemaßnahme zuständig.
Die Leistung der Jugendhilfe ist nicht durch das Asylbewerberleistungsgesetz ausgeschlossen.
Aus § 9 AsylbLG ergibt sich, dass nur die Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen ausgeschlossen sein sollen, während Leistungen anderer, besonders Unterhaltspflichtiger, der Träger von Sozialleistungen oder der Länder im Rahmen ihrer Pflicht nach § 44 Abs. 1 AsylG durch das Asylbewerberleistungsgesetz nicht berührt werden sollen (§ 9 Abs. 2 AsylbLG). Die Kinder- und Jugendhilfe gemäß dem SGB VIII gehört zu diesen sonstigen Sozialleistungen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 30).
Auch die Nachrangvorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schließt die Anwendbarkeit des Achten Buches Sozialgesetzbuch auf junge asylbegehrende Ausländer nicht aus, da das Asylbewerberleistungsgesetz keine der Gewährung von Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch vergleichbaren Leistungen vorhält (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 29).
Die Regelung eines Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz setzt – wie analog auch im Verhältnis zur Sozialhilfe – notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Asylbewerberleistungen besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. OVG NW, B.v. 30.4.2004 – 12 B 308/04 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 5 C 26.98 – juris Rn. 13). Die Leistungen nach dem AsylblG stellen keine der Gewährung von Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch vergleichbaren Leistungen dar. Zielt vorliegend die Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung, gewährt das AsylblG grundsätzlich nur die Leistung des Existenzminimums vorrangig in Form von Sachleistungen. Zwar können nach § 6 Abs. 1 AsylblG auch sonstige Leistungen gewährt werden, wenn diese im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sind, jedoch meint dies nicht das Aufgaben- und Leistungsprogramm der Jugendhilfe (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 30).
Dementsprechend erscheint auch der Versuch des Antragsgegners, die Hilfeleistung in die Zuständigkeit der Regierung von Oberbayern bzw. der Landeshauptstadt München zu überführen, ungeeignet. Eine Zuständigkeit des Bezirks dürfte – unabhängig von der Frage, ob bei dem Antragsteller überhaupt eine Behinderung im Sinne des SGB IX vorliegt – nach § 100 Abs. 2 SGB IX ausgeschlossen sein.
Für den genannten Zeitraum ist zudem ein Anordnungsgrund anzunehmen. Die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache war aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes geboten. Wie bereits im Schiebebeschluss dargelegt, drohen dem Antragsteller möglicherweise schwerwiegende Nachteile, sollte er die betreute Wohneinrichtung verlassen und in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber unterkommen müssen. Der bereits Fortschritte zeigende Entwicklungsprozess des ohnehin labilen Antragstellers wäre damit erheblich beeinträchtigt.
Das Gericht geht davon aus, dass innerhalb des nunmehr tenorierten Zeitrahmens durch den Antragsgegner unter Beachtung obiger Ausführungen eine umfassende Hilfebedarfsermittlung und -planung, auch unter Berücksichtigung eines möglichen Anspruchs nach § 41 i.V.m. § 35a SGB VIII (s.o.), erfolgt.
Im Übrigen weist das Gericht ergänzend darauf hin, dass gemäß § 41 Abs. 3 SGB VIII der junge Volljährige auch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung bzw. vorliegend evtl. bei der Überleitung in eine andere (Eingliederungs-)Maßnahme beraten und unterstützt werden soll. Das bedeutet, dass rechtzeitig vor Beendigung der Volljährigenhilfe in einem Hilfeplan festzulegen ist, wie der Übergang gestaltet werden kann. Der reine Verweis auf die Zuständigkeit anderer Behörden genügt hierfür regelmäßig nicht. Das Jugendamt hat die Aufgabe, dem jungen Volljährigen bis zur endgültigen Verselbständigung helfend zur Seite zu stehen, ihn zu beraten und zu unterstützen, z. B. bei der Wohnungssuche, bei behördlichen Angelegenheiten und insbesondere beim Übergang in den Arbeitsmarkt, in das Ausbildungssystem oder auch in andere Hilfesysteme (vgl. Stähr in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 01/18, § 41 Rn. 22).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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