Verwaltungsrecht

Unverzüglicher Nachweis unverschuldeter Säumnis

Aktenzeichen  M 32 S 18.33973

Datum:
19.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55940
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 9. Oktober 2018.
Die Antragstellerin ist nach ihren Angaben nigerianische Staatsangehörige. Sie reiste am 13. Juni 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Juli 2018 einen Asylantrag.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 wurde sie vom Bundesamt zur persönlichen Anhörung am 16. Juli 2018 um * Uhr geladen. Dieses Schreiben wurde der Antragstellerin am 13. Juli 2018 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt. Es war mit dem Hinweis versehen, dass die Antragstellerin persönlich zum Termin erscheinen müsse und dass ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gelte, wenn sie zu diesem Termin nicht erscheine. Dies gelte nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müsse sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genüge nicht. Könne sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheide das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.
Dem Anhörungstermin am 16. Juli 2018 blieb die Antragstellerin ohne Angabe von Gründen fern und reichte auch in der Folgezeit keine Begründung für ihr Fernbleiben nach; erst recht wurde kein Nachweis erbracht, dass die Versäumnis des Termins unverschuldet erfolgt ist.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Nr. 1). Weiterhin wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlasse,, andernfalls würde sie nach Nigeria oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zu ihrer Rücknahme verpflichteten Staat abgeschoben (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Antragstellerin der Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen sei und keinen Nachweis für ein unverschuldetes Fernbleiben erbracht habe.
Mit E-Mail vom 22. Oktober 2018 ließ die Antragstellerin dem Bundesamt von ihrer Migrationsberaterin unter Übersendung eines Arztberichts vom 18. Juli 2018 mitteilen, dass sie den Termin am 16. Juli 2018 nicht wahrnehmen habe können, da sie vom 15. Juli 2018 bis 18. Juli 2018 in stationärer Behandlung gewesen sei. Am 22. Oktober 2018 wurde für die Antragstellerin Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 9. Oktober 2018 erhoben. Weiterhin wurde beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin sei damals im achten Monat schwanger gewesen und habe sich vom 15. Juli 2018 bis zum 18. Juli 2018 in stationärer Behandlung befunden. Sie sei damit unverschuldet dem Anhörungstermin ferngeblieben.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, stellte aber keinen Antrag.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag war gem. § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass lediglich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung begehrt wird. Hinsichtlich des Nichtvorliegens von Abschiebungshindernissen wäre der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der anwaltlich vertretenen Antragstellerin unzulässig, weil gegen die Feststellung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten in der Hauptsache die Verpflichtungsklage statthaft und einstweiliger Rechtsschutz nur nach § 123 VwGO möglich wäre.
Der so ausgelegte Antrag ist zulässig.
Der Antrag ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 und § 38 Abs. 2 AsylG statthaft. Das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel nicht durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Insbesondere kann ein Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen, weil die (erste) Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AuslG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verneinen.
Der Antrag ist aber unbegründet. Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von den Wirkungen der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung verschont zu bleiben, überwiegt nicht das entgegenstehende öffentliche Interesse, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und deshalb im Klageverfahren Bestand haben wird.
a) Rechtsgrundlage für die Einstellung des Asylverfahrens – und die deklaratorische Feststellung der Fiktion der Rücknahme des Asylantrags nach § 33 Abs. 1 AsylG – ist § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Danach stellt das Bundesamt das Asylverfahren in den Fällen des § 33 Abs. 1 AsylG und – hier nicht einschlägig – des § 33 Abs. 3 AsylG ein. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das in Satz 1 Nr. 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. In diesem Fall ist das Verfahren gem. § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG fortzuführen. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf die nach Abs. 1 und Abs. 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
aa) Der Regelvermutungstatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ist vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin zu 1) ist zu dem Anhörungstermin am 16. Juli 2018 nicht erschienen.
bb) Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist die Ausländerin vom Bundesamt bei der Ladung zum Anhörungstermin auf die nach den § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen bei Nichterscheinen zum Anhörungstermin und auf ihre Nachweispflichten schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Dieser Verpflichtung ist das Bundesamt nachgekommen.
Der Ladung ist ein Hinweis auf den Regelvermutungstatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG beigefügt und in der Belehrung explizit darauf hingewiesen worden, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gelte, wenn die Asylantragstellerin zu dem Anhörungstermin nicht erscheine, sofern nicht unverzüglich nachgewiesen werde, dass das Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen gewesen sei, auf die die Asylantragstellerin keinen Einfluss gehabt habe. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass im Falle einer Verhinderung durch Krankheit die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachzuweisen sei, wobei eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht genüge.
Ausgehend von dieser Belehrung musste sich die Antragstellerin vorliegend darüber im Klaren sein, dass ihr Asylantrag als zurückgenommen gelten werde, sofern ihr der Nachweis von in ihrem Einflussbereich unterliegenden Hinderungsgründen nicht gelingt.
cc) Die Antragstellerin hat nicht unverzüglich nachgewiesen, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen gewesen sei, auf die sie keinen Einfluss gehabt habe.
Allein der Nachweis einer bestehenden Schwangerschaft der Antragstellerin im 8. Monat kann ein Fernbleiben vom Anhörungstermin nicht rechtfertigen. Denn ohne Hinzutreten weiterer Umstände stellt eine Schwangerschaft im 8. Monat keinen Hinderungsgrund für die Teilnahme an einer Anhörung dar. Darüber hinaus vorliegende Gründe für das Fernbleiben vom Anhörungstermin am 16. Juli 2018 wurden dem Bundesamt erst nach Erlass des Bescheids vom 9. Oktober 2018 am 22. Oktober 2018 mitgeteilt. Dies war jedoch nicht mehr unverzüglich. Die Antragsgegnerin durfte somit mangels unverzüglichen Nachweises einer unverschuldeten Säumnis von einem Nichtbetreiben i.S.v. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG ausgehen.
Die Einstellung des Asylverfahrens erweist sich deshalb als rechtmäßig.
b) Rechtlich nicht zu beanstanden sind auch die Ausführungen der Antragsgegnerin gem. § 32 AsylG zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 38 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 1 AsylG.
Infolgedessen kommen weder der Hauptsacheklage überwiegende Erfolgsaussichten zu noch führt eine Interessenabwägung im Übrigen zu einer Begründetheit des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gem. § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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