Verwaltungsrecht

Unzulässige Klagen gegen Einstellungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Aktenzeichen  AN 4 K 17.32407

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 32 AsylG
AsylG § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 AsylG
AsylG § 33 Abs. 5 AsylG

 

Leitsatz

1. Mit einem Wiederaufnahmeantrag nach § 33 Abs. 5 S. 2, 4 AsylG haben die Adressaten eines Einstellungsbescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eine im Vergleich zur Beschreitung des verwaltungsgerichtlichen Rechtswegs einfachere und nicht weniger effektive Möglichkeit, ihr Rechtsschutzziel zu erreichen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Versäumen die Adressaten des Einstellungsbescheids die für die Stellung des ersten Wiederaufnahmeantrags maßgebliche Frist schuldhaft, so ist eine außerhalb dieser Frist erhobene Klage gegen den Einstellungsbescheid ebenfalls unzulässig. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klagen sind unzulässig und deshalb abzuweisen.
Vorab ist im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1) über eine Dolmetscherin gegenüber der Geschäftsstelle des Gerichts am 13. Dezember 2017 fernmündlich gemachten Angaben Folgendes auszuführen: Die Klägerseite wurde über den von ihr bestellten Rechtsanwalt (vgl. die vorgelegte Anwaltsvollmacht vom 18.4.2017) fristgerecht und auch sonst ordnungsgemäß zum Termin vom 13. Dezember 2017 geladen. Das persönliche Erscheinen der Klägerseite zum Termin war nicht angeordnet. Im Ladungsschreiben wurde gemäß § 102 VwGO darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt hat gegenüber dem Gericht auch nach der wirksamen Zustellung der Terminsladung keine Mandatsniederlegung angezeigt und das Erlöschen des Mandatsverhältnisses nicht nachgewiesen. Durch die fernmündliche Erklärung der Klägerin zu 1), sie betrachte ihren bisher für sie tätig gewesenen Rechtsanwalt nicht mehr als ihren Bevollmächtigten, wurde das Vollmachtsverhältnis nicht wirksam beendet. Nachdem gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen ist, muss dies – in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung – auch für den Entzug der Vollmacht gelten, fernmündliche Erklärungen reichen insoweit nicht aus. Nach alledem konnte das Gericht ungeachtet des Ausbleibens der Klägerseite beim Termin über die Klagen verhandeln und entscheiden.
Der Zulässigkeit der – sachdienlichen – Anfechtungsklagen gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamts vom 30. März 2017 steht entgegen, dass die Kläger mit der Möglichkeit der Stellung eines Wiederaufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 Satz 2, 4 AsylG über eine im Vergleich zur Beschreitung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges einfachere und nicht weniger effektive, wenngleich hier nicht genutzte, Möglichkeit verfügten, ihr Rechtsschutzziel zu erreichen, nämlich die Wiederaufnahme des Verfahrens in dem Verfahrensabschnitt, in dem es vom Bundesamt (zunächst) eingestellt worden ist (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG).
Das erkennende Verwaltungsgericht vertritt diesbezüglich, so erstmals mit Kammerurteil vom 21. September 2016, AN 4 K 16.30411, AN 4 K 16.30413, juris, und seitdem in ständiger Rechtsprechung folgende Rechtsauffassung, an der es auch in Kenntnis anderslautender Rechtsprechung, z.B. Verwaltungsgericht Dresden – 4. Kammer – Urteil vom 24. Oktober 2016 – 4 K 733/16.A – juris, auch unter Berücksichtigung des besonderen Umstandes, dass hier innerhalb des Neun-Monats-Zeitraums gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG kein Wiederaufgreifensantrag gestellt worden ist und dieser Zeitraum inzwischen abgelaufen ist, für den vorliegenden Fall festhält (vgl. auch: VG Köln – 4. Kammer – B.v. 6.7.2017 – 4 L 2650/17.A – juris):
Der Gesetzgeber wollte – ausweislich der amtlichen Begründung in BT-Drs. 18/7538, Seite 17 Mitte – eindeutig der erstmaligen Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG „lediglich Warncharakter“ zusprechen. Demgemäß ist der Wiederaufnahmeantrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG bzw. ein als Wiederaufnahmeantrag geltender neuer Asylantrag nach § 33 Abs. 5 Satz 4 AsylG an keinerlei materielle Voraussetzungen gebunden, sondern lediglich an die formelle Voraussetzung, dass der Wiederaufnahmeantrag persönlich bei der Außenstelle des BAMF zu stellen ist, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Ausländer vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Infolgedessen kommt es auch – bei einem erstmaligen (!) Wiederaufnahmeantrag – auf die Rechtmäßigkeit des zuvor ergangenen Einstellungsbescheids nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht an. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob etwa auf Klägerseite Verschulden am Nichterscheinen zum Anhörungstermin vor dem Bundesamt vorlag.
Erst im Falle eines etwaigen weiteren, innerhalb des Zeitrahmens nach § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG gestellten Wiederaufnahmeantrages nach gegebenenfalls erneuter Verfahrenseinstellung durch das BAMF bzw. im Falle eines im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG außerhalb des dort genannten Neun-Monats-Zeitraumes gestellten Wiederaufnahmeantrages können die in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG angesprochenen Verfahrensnachteile, d.h. die Behandlung des weiteren Wiederaufnahmeantrages als Folgeantrag nach § 71 AsylG, nach § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG, überhaupt eintreten. Soweit die Kläger, die im gerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten sind, es versäumt haben, innerhalb des Neun-Monats-Zeitraums gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG einen Wiederaufgreifensantrag zu stellen, bewirkt dies jedoch hier nicht – gewissermaßen nachträglich – die Zulässigkeit der Klage unter den hier erörterten Gesichtspunkten. Dieses Versäumnis haben sich die Kläger selbst zuzuschreiben, jedenfalls ist nichts dafür dargetan und ersichtlich, dass dieses Versäumnis auf Seiten der Kläger unverschuldet im hier maßgeblichen Sinn eingetreten wäre.
Anders als das Verwaltungsgericht Köln – 3. Kammer – B.v. 19. Mai 2016 – 3 L 1060/16.A – juris – vermag das erkennende Gericht nicht festzustellen, dass mit der hier vertretenen Auslegung der Wortlaut von § 33 AsylG überschritten würde, vielmehr spricht dieser die hier aufgeworfene Rechtsfrage überhaupt nicht unmittelbar an. Die hier aufgeworfene Rechtsfrage muss vielmehr ohnehin von vorneherein auf Grund einer – notwendigerweise auch verfassungskonformen (vgl. insbesondere Art. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG) – Auslegung der Norm beantwortet werden. Dass nach Inkrafttreten einer neuen Rechtsvorschrift für eine Übergangszeit bis zu einer abschließenden, letztlich höchstrichterlichen Klärung, wobei insoweit hier auch die einschränkenden Regelungen in § 78 AsylG in Rechnung zu stellen sind, eventuell unterschiedliche Auslegungen von Instanzgerichten vorgenommen werden, ist eine unvermeidbare Folge der vom Gesetzgeber gewählten Gesetzesformulierung und stellt, gerade bei komplexen gesetzlichen Regelungsgegenständen, keineswegs einen seltenen Sonderfall dar.
Demzufolge vermag das erkennende Gericht, anders als das Verwaltungsgericht Köln – 3. Kammer – a.a.O., auch keine unangemessene „Privilegierung“ derjenigen Asylbewerber/innen zu erkennen, die nach der ersten Verfahrenseinstellung davon absehen, um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen und sich stattdessen für den leichteren Weg des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden, wobei es diesen dann unbenommen bliebe, sich nach der zweiten Verfahrenseinstellung auf die Rechtswidrigkeit des ersten Einstellungsbeschlusses zu berufen. Entsprechendes gilt – erst recht – für die vom Verwaltungsgericht Köln – 3. Kammer – a.a.O., unterstellte prozessuale Ineffektivität und Systemwidrigkeit. Im Gegenteil erscheint es unter Zugrundlegung des oben genannten gesetzgeberischen Grundgedankens effektiver, der unter Umständen nicht immer leicht zu beantwortenden Frage, ob ein – erster – Einstellungsbescheid des BAMF nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtmäßig war, erst dann nachzugehen, wenn es hierauf unter praktischen Gesichtspunkten überhaupt erstmals – und sei es als Vorfrage – ankommt, nämlich bei Stellung eines weiteren Wiederaufnahmeantrages bzw. eines neuen Asylantrages im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG.
Auch die Ausführungen der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG zur Begründung seines Nichtannahmebeschlusses vom 20. Juli 2016, Az. 2 BvR 1385/16, juris, Rn. 8, stehen der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Das BVerfG vertritt in dem genannten Nichtannahmebeschluss lediglich die Auffassung, dass (nur) dann, wenn die erste Wiederaufnahmeentscheidung des BAMF nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres Wiederaufnahmebegehren selbst unter der Voraussetzung „sperre“, dass die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig war, nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ausgegangen werden könne. Nach der hier vom erkennenden Gericht vorgenommenen Auslegung des § 33 AsylG ist es jedoch gerade nicht so, dass sogar eine rechtswidrige erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren „sperrt“ (gemeint ist offenbar: dass ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren zwingend als Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylG zu behandeln ist), vielmehr vertritt das erkennende Gericht ausdrücklich die Auffassung (siehe oben), dass im Falle eines erneuten Wiederaufnahmebegehrens im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG bzw. im Falle eines erneuten Asylantrages im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 4 AsyG – allerdings erst dann, und nicht schon beim materiell-rechtlich voraussetzungslosen ersten Wiederaufnahmebegehren – zwingend als Vorfrage darüber zu entscheiden ist, ob die vorangegangene erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtmäßig war. Nur unter dieser Voraussetzung wird nach der vom erkennenden Gericht hier vertretenen Auffassung der in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG genannte Verfahrensnachteil, d.h. die Behandlung des erneuten Wiederaufnahmebegehrens bzw. des erneuten Asylantrages als Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylG, überhaupt ausgelöst. Die zwischenzeitlich eingetretene Versäumung der Neun-Monats-Frist gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG haben sich die Kläger, wie oben bereits ausgeführt, selbst zuzuschreiben, zumal sie im gerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten sind. Dieses Versäumnis führt nicht dazu, dass die von Anfang unzulässig erhobene Klage nachträglich wieder zulässig würde.
Ob etwa, unabhängig von dem oben Ausgeführten, auch die fernmündlichen Angaben der Klägerin zu 1) gegenüber der Geschäftsstelle des Gerichts vom 13. Dezember 2017 (vgl. Aktenvermerk der Geschäftsstelle vom 13.12.2017) ebenfalls der Zulässigkeit der vorliegenden Klagen entgegenstehen, bedarf hier keiner Entscheidung.
Nach alledem waren die Klagen mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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