Verwaltungsrecht

Unzulässiger Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

Aktenzeichen  AN 17 S 20.50146

Datum:
28.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10411
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 58 Abs. 2, § 60 Abs. 2, § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 3

 

Leitsatz

Eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung kann einen Fall höherer Gewalte i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO darstellen, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung ursächlich für die Fristversäumung war und zusätzlich die zumutbare Sorgfaltspflicht vom Betroffenen eingehalten wurde. Hierzu hat der Antragsteller konkret vorzutragen, da diese Umstände allein in seiner Erkenntnissphäre liegen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner am 5. September 2018 erhobenen Klage (Az. AN 17 K 18.50669) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. August 2018, der in Form eines Drittstaatenbescheids mit dem Rückführungszielland Griechenland ergangen ist.
Die Klageerhebung, über die noch nicht entschieden ist, des Antragstellers erfolgte durch Telefaxschriftsatz seines vormaligen Bevollmächtigten zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach. Einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3. des Bescheidtenors stellte der vormalige Bevollmächtigte nicht. In der elektronisch geführten Behördenakte der Antragsgegnerin (Az. …) befindet sich eine Postzustellungsurkunde über die Zustellung des beklagten Bescheids an den Antragsteller (Bl. 145 d. Bundesamtsakte), wonach der Postbedienstete am 28. August 2018 den Antragsteller nicht persönlich erreicht und deswegen das zuzustellende Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt hat.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 15. Januar 2020 – zwischenzeitlich war das Klageverfahren in die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit der 17. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach übergegangen – fragte der Berichterstatter bei der Antragsgegnerin an, ob sich ein Datum der konkreten Übergabe des Bescheids von der Aufnahmeeinrichtung, in der der Antragsteller zu wohnen verpflichtet war, an den Antragsteller ermitteln lasse. Bezüglich der Einzelheiten der gerichtlichen Verfügung wird auf Blatt 24 der Gerichtsakte verwiesen.
Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 23. Januar 2020 mit, der beklagte Bescheid sei versehentlich mit einer falschen Rechtsbehelfsbelehrung:(Typ A – 2 Woche Rechtsmittelfrist) versandt worden und der Einwand der Verfristung der Klage könne daher nicht erhoben werden.
Mit Schriftsatz vom 12. März 2020 zeigte sich der nunmehr bestellte Bevollmächtigte des Antragstellers an und teilte mit, das Mandatsverhältnis zum vormaligen Bevollmächtigten sei erloschen, er erbitte Akteneinsicht.
Nach gewährter Akteneinsicht trug der nunmehr mandatierte Bevollmächtigte für den Antragsteller und Kläger mit bei Gericht am 20. März 2020 eingegangenem Schriftsatz u.a. vor, für den Kläger werde sich hinsichtlich einer möglichen Verfristung der Klageerhebung, auf die das Gericht die Verfahrensbeteiligten erstmals mit Verfügung vom 15. Januar 2020 aufmerksam gemacht hatte, auf die Sondervorschrift des § 60 Abs. 3 VwGO berufen. Es läge ein Fall höherer Gewalt vor. Es wäre zudem angebracht gewesen, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu stellen. Dies werde nunmehr nachgeholt und zugleich ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Der Antragsteller lässt beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 04.09.2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat sich zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geäußert. Bereits mit formularmäßigen Schriftsatz vom 26. September 2018 hatte sie neben der Klageabweisung auch beantragt, einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, soweit er gestellt ist,
abzulehnen.
Mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom 31. März 2020 hatte der Einzelrichter auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hingewiesen. Eine erneute Stellungnahme seitens der Beteiligten erfolgte hierauf nicht.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die in elektronischer Form vorliegende Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 23. August 2018 gerichtet ist, bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits unzulässig und war daher abzulehnen.
Die Zulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich im vorliegenden Fall auch nach § 36 Abs. 3 AsylG, da es sich bei dem beklagten Bescheid um einen solchen handelt, der den Asylantrag des Antragstellers unter Verweis und mit Begründung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnt und folgerichtig eine Abschiebungsandrohung nach Griechenland unter Ziffer 3. des Bescheidtenors ausspricht. Insoweit ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar statthaft, um die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung herzustellen, denn der Klage kommt eine solche aufschiebende Wirkung nicht schon von Gesetzes wegen zu (§ 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Der Antrag ist jedoch verfristet erhoben worden, denn er wahrt weder die gesetzlich vorgesehene Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG noch die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 3 AsylG. Danach sind in den Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO binnen einer Frist von einer Woche ab Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids zu stellen, wobei der Asylantragsteller hierauf hinzuweisen ist, anderenfalls § 58 VwGO entsprechend anzuwenden ist. Im Hinblick auf die Erklärung der Antragsgegnerin gegenüber dem Gericht vom 23. Januar 2020 (Bl. 27 d. Gerichtsakte) sowie unter Beachtung der fehlenden Eindeutigkeit aus der Bundesamtsakte, welchen Typ Rechtsbehelfsbelehrung:die Antragsgegnerin bei der Bekanntgabe des beklagten Bescheids gegenüber dem Antragsteller nun verwendet hat, geht der Einzelrichter zu Gunsten des Antragstellers vom Lauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO aus. Denn es ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin eine Rechtsbehelfsbelehrung:verwendet hat, die nicht im Einklang mit § 36 Abs. 2 Satz 2 AsylG steht und den Antragsteller insbesondere nicht über sein Recht auf Stellung eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO in hinreichender Weise informiert hat.
Allerdings hat der anwaltlich vertretene Antragsteller auch binnen eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheids vom 23. August 2018 keinen solchen Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Dabei bedarf es keiner Feststellung im Detail, wann die Bekanntgabe nun genau erfolgte. Der Klageschriftsatz des vormaligen Bevollmächtigten datiert auf den 4. September 2018, so dass jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – unwidersprochen – eine Bekanntgabe erfolgt war. Hieran anknüpfend wäre unter Beachtung der § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bis zum Ablauf des 4. September 2019 bei Gericht anzubringen gewesen. Der nunmehr bevollmächtigte Rechtsanwalt hat jedoch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erstmals mit Schriftsatz vom 20. März 2020, der bei Gericht per Telefax am selben Tag einging, gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung:verlängerte Antragsfrist bereits abgelaufen.
Es liegt entgegen der Annahme des Antragstellerbevollmächtigten auch kein Fall höherer Gewalt im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO vor, wonach es dem Antragsteller unmöglich gewesen wäre, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO binnen der Jahresfrist zu stellen. Unter höherer Gewalt im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist ein Ereignis zu verstehen, das der Betroffene unter den gegebenen Umständen auch dann nicht abwenden kann, wenn er mit der größten Sorgfalt vorgeht, die von ihm unter Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung und Bildung vernünftigerweise zu erwarten und ihm deshalb zuzumuten ist (Schoch/Schneider/Bier/ Meissner/Schenk, 37. EL Juli 2019, VwGO § 58 Rn. 68; BVerwG, Az. 6 C 70/78 = NJW 1980, 1480). Zwar kann auch eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung einen Fall höherer Gewalt begründen. Dies ist jedoch unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Einzelrichter hier anschließt, nur anzunehmen, wenn die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung ursächlich für die Fristversäumung war und zusätzlich die zumutbare Sorgfaltspflicht vom Betroffenen eingehalten wurde (NK-VwGO/Sebastian Kluckert, 5. Aufl. 2018, VwGO § 58 Rn. 81 mit Rechtsprechungsnachweisen). Gerade daran fehlt es unter Beachtung des Vortrags des Bevollmächtigten des Antragstellers im Schriftsatz vom 20. März 2020. Dieser hat nicht darlegen können, warum der Antragsteller, der von Anfang an im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten war, einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die – nach summarischer Prüfung – im Übrigen zutreffende Abschiebungsandrohung, die eine Ausreisefrist von einer Woche setzte, nicht vor Ablauf eines Jahres hätte stellen können. Soweit mit der gerichtlichen Verfügung vom 15. Januar 2020 erstmals die Frage einer möglichen Verfristung der Klageerhebung aufgeworfen worden war, obgleich das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits seit einiger Zeit rechtshängig war, ist der danach gegebene Hinweis des Gerichts bzw. die an die Antragsgegnerin gestellte Anfrage unter keinem denkbaren Gesichtspunkt kausal für die Versäumung der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO bezüglich eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO. Überdies hätte es anwaltlicher Sorgfalt entsprochen, den Bescheid vom 23. August 2018 im Hinblick auf seine rechtlichen Wirkungen und den sich daraus ergebenden bzw. aufdrängenden Rechtschutzmöglichkeiten einer Prüfung zu unterziehen. In diesem Sinne ist es jedoch nicht erwiesen, dass der vormalige Bevollmächtigte sorgfaltswidrig keinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass in Absprache zwischen Antragsteller und seinem vormaligen Bevollmächtigten bewusst von einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Abstand genommen worden war. Hierzu hat der Antragsteller nichts Konkretes vorgetragen, obwohl diese Umstände allein in seiner Erkenntnissphäre liegen. Dass der nunmehr bevollmächtigte Rechtsanwalt eine andere Auffassung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Einlegung eines vorläufigen Rechtschutzgesuchs vertritt, kann dem Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht zum Vorteil gereichen. Anhaltspunkte für einen Fall höherer Gewalt konnte der Einzelrichter aus dem Vortrag des neuen Bevollmächtigten jedenfalls nicht erkennen.
Eine Wiedereinsetzung in die Jahresfrist unter Anwendung des § 60 Abs. 2 VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses scheidet unter Beachtung des Vorgesagten ebenfalls aus (Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 58 Rn. 32).
Schließlich war der Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, der im Schriftsatz vom 20. März 2020 erhoben wurde, auch nicht als (unbefristet möglicher) Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auszulegen. Einerseits hat sich der anwaltlich vertretene Antragsteller zunächst daran festhalten zu lassen, was sein juristisch versierter Bevollmächtigter gewollter Maßen erklärt und beantragt, auch, wenn das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO). Der anwaltliche Schriftsatz gibt keine Anhaltspunkte dafür wieder, dass im Zweifel auch vorläufiger Rechtschutz nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 VwGO gewollt wäre. Zum anderen erfüllt der Vortrag des Bevollmächtigten nicht die notwendigen Voraussetzungen, die an die Begründung eines Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO zu stellen sind. Insoweit würde eine Auslegung des Antrages im Schriftsatz vom 20. März 2020 als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO dem Antragsteller im Sinne seines Rechtschutzziels derzeit nicht weiterhelfen.
Die Kostenfolge des erfolglosen Antrages ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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