Verwaltungsrecht

Unzulässiger Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylstreitverfahren (Irak)

Aktenzeichen  20 ZB 17.30968

Datum:
4.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128939
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1.  Wird die Flüchtlingseigenschaft schon mangels einer dem Kläger am Herkunftsort drohenden Gefahr verneint, stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative als nicht entscheidungserheblich und damit als nicht grundsätzlich klärungsbedürftig dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da gemäß der irakischen Verfassung kurdische Sicherheitskräfte die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha ausüben, kommt es für einen aus einer der Provinzen stammenden Asylkläger entscheidungserheblich nicht auf den Schutz durch die Sicherheitsbehörden des irakischen Staates, sondern den durch die Sicherheitsbehörden der kurdischen Autonomieregierung an. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.31196 2017-06-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. Juni 2017 ist unzulässig, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Art und Weise dargelegt wurde.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683).
1. Der Kläger hält einerseits für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob es im Irak generell eine inländische Fluchtalternative gibt oder ob nur dann eine inländische Fluchtalternative überhaupt in Erwägung gezogen werden kann, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die betroffene Person im dortigen Gebiet über ausreichende soziale und familiäre Verbindungen verfügt, die ein Überleben ermöglichen.
Insoweit ist bereits die Entscheidungserheblichkeit der formulierten Frage nicht dargelegt. Denn das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft deswegen abgelehnt, weil dem Kläger Schutz durch die Polizei der kurdischen Autonomieregierung zur Verfügung stehe. Nur „im Übrigen“ und damit nicht entscheidungstragend hat es darauf hingewiesen, dass der Kläger wegen der befürchteten Bedrohung durch die Familie eines Anhängers des IS zunächst Schutz in einem anderen Teil der Region Kurdistan – Irak zu nehmen hätte. Da es sich bei diesem Hinweis aber nicht um einen entscheidungserheblichen Teil des Urteils handelt, ist die gestellte Frage schon nicht entscheidungserheblich. Daran ändert auch der im Zulassungsantrag formulierte Hinweis auf die fragliche Sicherung der Lebensgrundlage für den Kläger in einem anderen Teil der Region Kurdistan – Irak nichts. Denn da die Flüchtlingseigenschaft schon mangels einer ihm am Herkunftsort drohenden Gefahr verneint wurde, stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG hier entscheidungserheblich nicht.
2. Auch soweit der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob bei fluchtauslösenden Problemen die betroffene Person durch den irakischen Staat, namentlich dessen Sicherheitsbehörden hinreichend geschützt ist, die betroffene Person somit auf den Schutz durch den irakischen Staat verwiesen werden kann, oder ob die betroffene Person ausschließlich darauf verwiesen werden kann, selbst Schutz innerhalb der Familie / des Stammes etc. zu suchen und insoweit entsprechende Stellungen (gemeint offenbar: Feststellungen), ob dies der betroffenen Person überhaupt möglich ist, zu treffen sind,
sind die Anforderung an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht erfüllt. Denn wie sich insbesondere auch aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017 (dort Seite 10) ergibt, üben gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung kurdische Sicherheitskräfte, insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha aus. Daher kommt es im vorliegenden Fall nicht auf den Schutz durch die Sicherheitsbehörden des irakischen Staates, sondern durch die genannten Sicherheitsbehörden der kurdischen Autonomieregierung an. Die Entscheidungserheblichkeit der Frage ist damit durch die Ausführungen im Zulassungsantrag schon nicht dargelegt. Auch die Argumentation im Zulassungsantrag, dass die irakischen Behörden unter Bezugnahme auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes nicht Willens oder in der Lage seien zu helfen, geht aus diesem Grunde an der Sache vorbei und vermag die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der gestellten Frage nicht darzulegen.
3. Schließlich ist auch die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Frage,
ob nicht die Situation im Irak und auch in der Region Kurdistan – Irak zwischenzeitlich sich derart verschlechtert hat, dass ein Konflikt – sowohl zwischen Glaubensrichtungen als auch zwischen Regionalfürsten und Stammesfürsten, als auch gegenüber völlig unparteiischen Personen – vorliegt, wie er typischer Weise in Bürgerkriegssituationen zu finden ist,
nicht dargelegt. Es fehlt insoweit an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der formulierten Frage.
Was unter einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt im Sinne von § 4 AsylG zu verstehen ist, ist seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Januar 2014 (C-285/12 – NVwZ 2014, 153) geklärt. Danach ist vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinander treffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Auf dieser Grundlage hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ausgeführt, dass nach den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt in diesem Sinne nicht vorliege. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es auch in der Herkunftsregion der Kläger (der Provinz Sulaymaniya) kommen könne, genügten hierfür nicht.
Gegenüber dieser Argumentation bezieht sich der Zulassungsantrag dagegen allein auf die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vom 15. Mai 2017, in der ausgeführt werde, dass die Zahl der terroristischen Anschläge im Nord- und im Zentralirak seit Langem hoch sei und im Herbst 2016 erneut angestiegen sei. Auch im Übrigen wird pauschal auf eine unsichere Sicherheitslage verwiesen. Dass und warum in der Provinz Sulaymaniya bzw. im Gebiet der kurdischen Regionalregierung ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt im dargestellten Sinne bestehen sollte, lässt sich darauf aber nicht ableiten. Daher sind die Darlegungsanforderungen nicht gewahrt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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