Verwaltungsrecht

Unzulässiger Asylantrag wegen Flüchtlingszuerkennung in Italien

Aktenzeichen  B 2 K 15.30367

Datum:
22.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136487
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26a, § 34a
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Anträge im vorläufigen Rechtsschutz, mit denen iRv § 34 Abs. 1 AsylG zu berücksichtigende Abschiebungsverbote geltend gemacht werden, können nur über § 123 Abs. 1 VwGO verfolgt werden, was den jeweiligen Antragsteller vor deutlich höhere Darlegungshürden stellt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bundesamt ist bei Vorliegen einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt; ein gleichwohl gestellter Asylantrag erweist sich als unzulässig. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelungen der Dublin-Verordnungen sind auf Fallkonstellationen, in denen Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt worden sind, schon nicht anwendbar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es bestehen keine systemischen Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen in Italien. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.06.2015 wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat zum Teil Erfolg.
1. Soweit sich die Klage gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts vom 03.06.2015 richtet, ist sie zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Denn die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides erlassene Abschiebungsandrohung lässt sich nicht auf die in der Entscheidung angegebene Rechtsgrundlage, §§ 26a, 34a AsylG, stützen. Bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts ist im Falle der Anwendung des § 34a Abs. 1 AsylG zwingend eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen der Bestimmung vorliegen.
Für den Fall, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) abgeschoben werden soll, bestimmt § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald deren Durchführbarkeit feststeht. Damit gibt diese Regelung dem Bundesamt als aufenthaltsbeendende Maßnahme lediglich die Abschiebungsanordnung an die Hand. Zusätzlich wird dies durch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG verdeutlicht, wonach es einer vorherigen Androhung und Fristsetzung nicht bedarf. Folgerichtig ordnet § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG an, dass die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG dem Ausländer selbst zuzustellen ist, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylG abgelehnt wird (BayVGH, Beschluss vom 23.11.2015, Az. 21 ZB 15.30237; Beschluss vom 05.10.2015, Az. 21 ZB 15.30178).
Dieses Verständnis der §§ 26a, 34a AsylG entspricht auch dem Regelungswillen des Gesetzgebers, der es für erforderlich hielt, von einer Abschiebungsandrohung abzusehen, weil eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in diesen Staat im Allgemeinen nicht besteht (vgl. BT-Drs. 12/4450, Begr. S. 23; BayVGH v. 23.11.2015 a.a.O.). Im Hinblick auf diesen eindeutigen gesetzgeberischen Willen zur Verfahrensbeschleunigung kommt eine Aufrechterhaltung der Abschiebungsandrohung auf der Grundlage des § 34 AsylG nicht in Betracht. § 34 AsylG ist zudem neben § 34a AsylG nicht anwendbar, sondern wird durch die spezielle Regelung des § 34a AsylG verdrängt, wonach von einer Abschiebungsandrohung in den dort geregelten Fällen gerade abzusehen ist. Darüber hinaus sieht § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG vor, dass die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden soll. Demnach setzt eine Abschiebungsandrohung voraus, dass über einen Asylantrag inhaltlich entschieden worden ist. Letzteres ist vorliegend aber gerade nicht der Fall, vgl. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids. Denn die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und gerade keine Sachentscheidung getroffen. Damit fehlt es für die von Seiten des Bundesamtes erlassene Abschiebungsandrohung an einer rechtlichen Grundlage.
Die Abschiebungsandrohung kann auch nicht als „milderes Mittel“ auf § 34a AsylG gestützt werden. Denn wie oben dargestellt ermächtigt diese Vorschrift allein zum Erlass einer Abschiebungsanordnung. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen, Regelungsinhalte und Rechtsfolgen handelt es sich bei Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung jeweils um selbstständige Verwaltungsakte, die aus Sicht des hiervon Betroffenen zueinander in einem aliud-Verhältnis stehen und nicht teilidentisch sind. Dies verdeutlicht insbesondere der Umstand, dass eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG (im Gegensatz zu einer Abschiebungsandrohung) nur ergehen darf, sobald feststeht, dass die Abschiebung in den Zielstaat durchgeführt werden kann. Daher hat das Bundesamt in den Fällen des § 34a AsylG sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung kein Raum verbleibt. Dieser Prüfung hat sich das Bundesamt vorliegend durch Erlass lediglich einer Abschiebungsandrohung in einer für den Kläger rechtsverletzenden Weise entzogen und die Klärung der Frage, ob die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, rechtswidrig auf die Ausländerbehörde verlagert. Für den Kläger besteht hierdurch eine erhebliche tatsächliche und rechtliche Unsicherheit, inwieweit etwaige inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (wie u.U. die in Deutschland geschlossene Ehe) anerkannt werden oder eben nicht.
Diese der Kompetenzverteilung des Gesetzgebers widersprechende Verlagerung der weiteren Prüfung auf die Ausländerbehörde stellt zudem eine angesichts des Art. 19 Abs. 4 GG bedenkliche Verkürzung des Rechtsschutzes für den Kläger dar, so dass die Androhung gegenüber der Anordnung einer Abschiebung keinesfalls das mildere Mittel ist. Gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG stünde dem Kläger aufgrund der mit Gesetz vom 28.08.2013 (BGBl. I S. 3474) vorgenommene Änderung des § 34a Abs. 2 AsylVfG ein deutlich besserer Rechtschutz gegenüber Abschiebungen auf dieser Grundlage zu. Wird innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung gestellt, ist die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG). Nach dem bis dahin geltenden Abs. 2 des § 34a AsylVfG durfte demgegenüber die Abschiebung nach Abs. 1 gerade nicht nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Demgegenüber können Anträge im vorläufigen Rechtsschutz, mit denen im Rahmen von § 34 Abs. 1 AsylG zu berücksichtigende Abschiebungsverbote geltend gemacht werden, nur über § 123 Abs. 1 VwGO verfolgt werden, was den jeweiligen Antragsteller vor deutlich höhere Darlegungshürden stellt (vgl. VG Berlin, Urt. v. 24.06.2015, Az. 23 K 906.14 A; VG Ansbach, Urt. v. 15.01.2016, Az. AN 14 K 15.50060).
2. Soweit sich die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides der Beklagten vom 03.06.2015 richtet, erweist sie sich als unbegründet. Insoweit ist der angefochtene Bescheid zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Bundesamt hat den Asylantrag vielmehr zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Dem aus Äthiopien stammenden Kläger wurde in Italien Flüchtlingsschutz zuerkannt (vgl. Bl. 65 der Gerichtsakte), weshalb die Beklagte im angefochtenen Bescheid auch deklaratorisch tenorierte, dass der Kläger nicht nach Äthiopien abgeschoben werden darf (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die sachliche Zuständigkeit des Bundesamtes für die getroffene Entscheidung ergibt sich aus einer Zusammenschau von § 26a i.V.m. § 34a AsylG.
Das Bundesamt ist bei Vorliegen einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt; ein gleichwohl gestellter Asylantrag erweist sich als unzulässig. Dies wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichts bereits zu der bis 30. November 2013 geltenden Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 6 AufenthG (a.F.) entschieden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.10.2010, Az. 10 B 28.10 m.w.N.; Urt. v. 17.06.2014, Az. 10 C 7.13). Mithin kann der Klägerbevollmächtigte mit der Behauptung, es käme einer unzulässigen Rückwirkung im Zusammenhang mit dem klägerischen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Deutschland gleich, wenn insoweit § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG herangezogen würde, nicht durchdringen. Die Unzulässigkeit des im Bundesgebiet gestellten Asylantrags des Klägers aufgrund der in Italien erfolgten Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes ergibt sich damit auch unter Zugrundelegung der alten Rechtlage. Die Rechtsfolge, dass sich neben der italienischen Flüchtlingszuerkennung ein späterer Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland als unzulässig erweist, steht auch mit den im Jahr 2011 geltenden europäischen Vorgaben im Einklang. So sah bereits die Asylverfahrensrichtlinie in ihrer früheren Fassung (RL 2005/85/EG) in Art. 25 Abs. 2 lit. a vor, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten können, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Soweit der Klägerbevollmächtigte auf den in Deutschland von Klägerseite darüber hinaus beantragten subsidiären Schutzstatus verweist, fehlt insoweit bereits ein berechtigtes Interesse. Denn infolge der italienischen Flüchtlingszuerkennung kommt eine Rückführung des Klägers in sein Herkunftsland, in dem ihm Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens droht, bereits nicht in Betracht. Würde man darüber hinaus einen Anspruch auf weitere Prüfung des subsidiären Schutzstatus annehmen, wenn bereits in einem anderen Mitgliedstaat der umfassendere Flüchtlingsschutz gewährt wurde, wäre einem Missbrauch und sog. Asyl Shopping, welches durch die Europäische Asylgesetzgebung gerade verhindert werden sollte, Tür und Tor geöffnet; zumal davon auszugehen ist, dass der gewährte Flüchtlingsschutz den weniger umfassenden Status des subsidiären Schutzes als Minus quasi mitumfasst. Die Unzulässigkeit eines erneuten Asylantrag bei bereits anderweitiger mitgliedstaatlicher Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich auch aus der nunmehr geltenden Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG. Sie ist jedenfalls bei Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat mit Unionsrecht vereinbar. Denn Art. 33 Abs. 2 lit. a Asylverfahrensrichtlinie n.F. (RL 2013/32/EU) eröffnet dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d.h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlichen subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 lit. i RL 2013/32/EU). Dies hat die verfahrensrechtliche Konsequenz, dass das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiären Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist (vgl. BVerwG v. 17.06.2014 a.a.O.).
Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG im vorliegenden Fall vor. Wie oben bereits ausgeführt, wurde dem Kläger in Italien Flüchtlingsschutz gewährt. Dieser Status ist auch zwischenzeitlich nicht etwa durch Zeitablauf erloschen. Ein Erlöschen des Flüchtlingsstatus durch bloßen Zeitablauf wäre bereits mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie – gleich ob alter oder neuer Fassung – nicht vereinbar. Darüber hinaus betrifft die von Klägerseite insoweit angeführte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26.02.2015 nicht die hier vorliegende Konstellation, dass dem Ausländer in Italien bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Zudem ging es nicht um eine Verlängerung bzw. um ein Erlöschen des Schutzstatus, sondern um die Frage, wie eine Aufenthaltsgenehmigung verlängert bzw. bei Verlust wiedererlangt werden kann. Insoweit führte das Auswärtige Amt aus, dass unter Umständen bei vollständigem Verlust der Aufenthaltsdokumente – je nach Questra – ein neuer Asylantrag zu stellen sei. Dieses Problem stellt sich im vorliegenden Fall jedoch bereits deshalb nicht, weil der Kläger noch über seine italienischen Aufenthaltsdokumente verfügt (vgl. Bl. 18f. der Bundesamtsakte). Im Übrigen erfolgte auch durch die Ausreise aus Italien kein Erlöschen der Asylanerkennung (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Gießen vom 26.03.2013).
Auch ist die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig nicht deshalb rechtswidrig (geworden), weil nach der Dublin-II-VO die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf die Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs der Überstellungsfrist (vgl. Nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO) übergegangen wäre. Denn die Regelungen der Dublin-Verordnungen sind auf Fallkonstellationen, in denen Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt worden sind, bereits nicht anwendbar (vgl. BVerwG v. 17.06.2014 a.a.O.; Beschluss vom 23.10.2015, Az. 1 B 41/15). Die Dublin-Vorgaben legen die Kriterien sowie das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates fest, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (vgl. Erwägungsgrund 3 der Dublin-II-VO). Vorliegend wurde das Asylverfahren jedoch bereits durch die erfolgte Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes in Italien beendet. Auch besteht infolge der vollumfassenden Schutzgewährung für den Kläger keine Möglichkeit eines Folge- oder Zweitantrages mehr. Mithin steht schon kein zulässiger Asylantrag mehr im Raum, so dass sich die im Rahmen des Dublin-Regimes zu klärende Frage, welcher Mitgliedstaat für dessen Prüfung zuständig ist, bereits nicht stellt.
Ein Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16.10.1980. Zwar gilt nach Art. 2 dieses Übereinkommens die Verantwortung für einen Flüchtling nach Ablauf von zwei Jahren des tatsächlichen und dauernden Aufenthalts im Zweitstaat mit Zustimmung von dessen Behörden oder zu einem früheren Zeitpunkt als übergegangen, wenn der Zweitstaat dem Flüchtling gestattet hat, entweder dauernd oder länger als für die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises in seinem Hoheitsgebiet zu bleiben. Jedoch ist entgegen der Rechtsauffassung des Klägerbevollmächtigten die tatbestandliche Voraussetzung eines zweijährigen erlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet nicht erfüllt. Da das Europäische Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge Schwierigkeiten bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Genfer Konvention beseitigen will, ist deshalb ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zu Art. 28 GFK und die §§ 6 und 11 des Anhanges zur Genfer Konvention veranlasst. Danach reicht es nicht aus, wenn sich der betreffende Ausländer faktisch im Hoheitsgebiet des Zweitstaats aufhält, vielmehr ist erforderlich, dass er sich auch „rechtmäßig“ niederlässt. Diese Formulierung taucht sowohl in Art. 28 Abs. 1 GFK wie auch in § 11 Anhang zur Genfer Konvention und Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.09.1954 auf. Nach ständiger Rechtsprechung beinhaltet ein solcher „rechtmäßiger“ Aufenthalt eine besondere Beziehung des Betroffenen zum Staat durch eine mit dessen Zustimmung begründete Aufenthaltsverfestigung. Die bloße Anwesenheit des Ausländers und eine etwaige faktische Unmöglichkeit der Abschiebung genügt dabei nicht (vgl. hierzu BVerwG in ständiger Rechtsprechung, InfAusR 1991, 305; BVerwGE 101, 295; BayVGH, Beschluss vom 27.10.2004, Az. 10 CS 04.2158). Die dem Kläger vorliegend etwaig erteilten Duldungen vermögen einen derartigen rechtmäßigen Aufenthalt nicht zu vermitteln. Nach § 60a Abs. 1 AufenthG handelt es sich bei einer Duldung nämlich lediglich um die zeitweilige Aussetzung der Abschiebung, die nach § 60a Abs. 3 AufenthG die Ausreisepflicht unberührt lässt. Mit der Erteilung einer Duldung wird lediglich nach außen dokumentiert, dass die Behörde Zwangsmaßnahmen unterlässt, um den betreffenden Ausländer zur Ausreise zu zwingen; hierin ist jedoch keine Maßnahme zu sehen, die geeignet sein könnte, dem Aufenthalt die Rechtmäßigkeit zu verleihen. Mit dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge sollte auch nicht die Entscheidungsfreiheit der Vertragsstaaten darüber, ob sie einen aus einem anderen Vertragsstaat eingereisten Flüchtling dauerhaft aufnehmen wollen oder nicht, beschnitten werden (vgl. BayVGH v. 27.10.2004 a.a.O. m.w.N.).
Darüber hinaus setzt die Entscheidung der Beklagten, dass der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wird, keine Aufnahmeverpflichtung bzw. -bereitschaft des Rückführungsstaates voraus. Denn die Frage, ob eine Rückführung in einen sicheren Drittstaat möglich ist, betrifft nicht die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides getroffene Unzulässigkeitsentscheidung, sondern vielmehr die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsandrohung. Insoweit wird auf den Wortlaut der als Rechtsgrundlage für die Androhung herangezogenen Bestimmung des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verwiesen, wonach das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Ob Italien zur Rücknahme des Klägers verpflichtet bzw. bereit ist, ist somit (erst) im Rahmen der Entscheidung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu klären.
Schließlich war es der Beklagten auch unbenommen, die Tenorierung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig zu wählen, obwohl auch die Möglichkeit bestanden hätte, gemäß § 26a AsylG i.V.m. § 31 Abs. 4 AsylG nur festzustellen, dass dem Ausländer aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Der Kläger ist aus Italien, einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Da es sich bei Italien um einen sicheren Drittstaat handelt, ist aufgrund des vom Bundesverfassungsgericht zu eben dieser Drittstaatenregelung entwickelten Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention wie auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 14.05.1996, Az. 2 BvR 1938/93).
Zwar können die Lebensbedingungen für Personen mit zuerkannter Flüchtlingseigenschaft in Italien schwierig sein. Weder ist aber eine Verletzung der in Art. 26ff. der Richtlinie 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote erkennbar, noch herrschen in Italien derart handgreiflich eklatante Missstände, die die Annahme rechtfertigen, anerkannte Flüchtlinge würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Eine solche Behandlung muss vielmehr ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten. Dieses Mindestmaß erreichen die Verhältnisse, denen anerkannte Flüchtlinge in Italien ausgesetzt sind, nicht. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht etwa dazu, Schutzberechtigte finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard einschließlich eines gewissen Niveaus medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Generell genügt die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat nicht, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten (vgl. EGMR, Beschluss vom 02.04.2013, Az. 27725/10).
Mit ihrer Anerkennung erhalten Schutzsuchende in Italien ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht und freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Gesundheitsfürsorge ist für alle Ausländer mit Aufenthaltsstatus gewährleistet; es existiert ein kostenfreier Zugang zu sämtlichen öffentlichen medizinischen Leistungen, wofür aber eine Registrierung erforderlich ist; Ausländer sind den italienischen Staatsangehörigen insoweit gleichgestellt. Entsprechendes gilt für weitere Fürsorgeleistungen. Dem italienischen System ist es dabei zu eigen, dass auch italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen haben; insoweit müssen sich Ausländer, wie Italiener auch, in der Praxis selbst um Unterkunft bemühen. Zwar mag die soziale Situation der Schutzberechtigten damit oftmals härter sein als die der Asylsuchenden, da mit dem Abschluss des Asylverfahrens das Anrecht auf die Aufnahme in einem Aufnahmezentrum für Asylsuchende entfällt. Die Erlangung von Unterkunft und Arbeit hängt für überstellte Personen mit Schutzstatus somit in erster Linie von Eigeninitiative und der Hilfestellung von Nichtregierungsorganisationen ab, so dass ein Abgleiten in die Obdachlosigkeit zwar generell möglich, aber keineswegs zwingende Folge ist. Insgesamt bestehen damit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach seiner Rückführung in Italien Lebensbedingungen ausgesetzt wäre, die für ihn auf unabsehbare Zeit eine Lage existenzbedrohender (extremer) materieller Armut befürchten ließe (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2015, Az. 17 L 3027/14.A; VG Ansbach, Urt. v. 25.06.2015, Az. AN 3 K 14.30864 m.w.N.). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der mit ärztlicher Bescheinigung vom 05.11.2012 attestierten Diabetes mellitus Typ I Erkrankung des Klägers. Zwar benötigt der Kläger demnach eine antidiabetische Behandlung zur Zeit in Form einer intensivierten konv. Insulintherapie, streng diätetischem Eßverhalten und stetiger Kontrolle des Blutzuckers auch durch Selbstmessung sowie eine Betreuung durch eine diabetisch spezialisierte Praxis. Auch schilderte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass es ihm in Italien (nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) nicht möglich gewesen sei, einen Arzt zu konsultieren und dass Medikamente für ihn nur eingeschränkt erhältlich gewesen seien. Eine Gesundheitskarte, die zum Arztgang berechtigt, habe er nicht besessen, da diese nur bei festem Wohnsitz ausgestellt würde. Jedoch legte der Kläger bereits nicht dar, dass er in Italien versucht hätte, die erforderlichen Dokumente bei den Behörden zu erhalten. Zudem sind anerkannte Flüchtlinge in Italien nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften des Auswärtigen Amtes in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Demnach ist die Anmeldung beim Servizio Sanitario Nazionale (Nationales Gesundheitssystem) obligatorisch und ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, in Ambulanzen und bei Spezialisten oder zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Zum Erhalt dieses Gesundheitsausweises würden Flüchtlinge ihren Aufenthaltstitel, ihren Codice Fiscale (Steuernummer – erhältlich bei der Agenzia della Entrate / Einreise-Agentur) sowie eine feste Adresse (eigene Angabe reicht) benötigen. Mit dieser Registrierung hätten alle Zugang zu einem Allgemeinarzt und kostenloser Behandlung. Überweisungen an Spezialisten bzw. Fachärzte würden nach Registrierung ebenfalls kostenlos übernommen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Wiesbaden vom 26.03.2013, Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 26.02.2015, Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Gießen vom 15.11.2012). Dieser Einschätzung tritt auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe für die Situation in Rom bei. Demnach bestünden in der italienischen Hauptstadt diverse Möglichkeiten zur fiktiven Wohnsitznahme, um einen Gesundheitsausweis zu erhalten. Flüchtlinge könnten sich insoweit an das Centro Astalli/Jesuitenflüchtlingsdienst und einige andere Einrichtungen wenden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bewegungsfreiheit für mittellose Personen mit Schutzstatus v. 04.08.2014, S. 5). Nach alledem ist davon auszugehen, dass die gesundheitliche Versorgung des Klägers jedenfalls in Rom (der für ihn nach den ausgestellten Papieren zuständigen Questra) durch die Möglichkeit der fiktiven Wohnsitznahme gesichert ist. Aufgrund der eben benannten Auskünfte verfügt das Gericht im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung anerkannter Flüchtlinge in Italien bereits über eine hinreichende Erkenntnisgrundlage, so dass eine weitere Beweiserhebung insoweit nicht angezeigt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.


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