Verwaltungsrecht

Unzulässiger Eilrechtsschutzantrag eines bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat anerkannten Flüchtlings gegen eine Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  AN 17 S 18.50665

Datum:
21.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1765
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 58 Abs. 2, § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36, § 37, § 38, § 74, § 75

 

Leitsatz

1. In den Fällen des § 36 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. § 35 AsylG, in denen ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz erhalten hat und dorthin abgeschoben werden soll, kommt der Klage gegen die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung zu, sodass sich ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als statthaft erweist. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Weist das Bundesamt in der Rechtsmittelbelehrung statt auf die Wochenfrist nach §§ 36 Abs. 3 S. 1, 74 Abs. 1 Alt. 2 AsylG auf die Zwei-Wochen-Frist nach § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG hin, ist die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft mit der Folge, dass für die Klageerhebung nach § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist gilt. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Einem gegen eine Abschiebungsandrohung gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, wenn die dem Betroffenen gesetzte Ausreisfrist erst 30 Tage nach Bestandskraft der Entscheidung über die gleichzeitig mit dem Eilantrag erhobenen Klage abläuft. Mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in diesem Fall kein anderer oder längerer Abschiebungsschutz erreicht werden. (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 37 Abs. 1 S. 1 AsylG unwirksam, zwingt dies nicht zu einer inhaltlichen Prüfung des Asylantrags im nationalen Verfahren, sondern verpflichtet das Bundesamt lediglich dazu, das Verfahren in dem Stadium fortzuführen, in dem es sich vor der Ablehnung befunden hat. (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Greift das Bundesamt zur Vermeidung einer “Endlosschleife” anstatt der in § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehenen Wochenfrist auf die 30-tägige Ausreisfrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens nach § 38 Abs. 1 AsylG zurück, erweist sich dies als objektiv rechtswidrig. Ein Schutzsuchender wird hierdurch jedoch nicht in seinen Rechten verletzt (BVerwG BeckRS 2019, 2301). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Antragsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der mit Schreiben vom 5. September 2018 erhobene, bei dem Gericht per Fax am selben Tag eingegangene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der mit gleichem Schriftsatz erhobenen Klage (Az.: AN 17 K 18.50666) gegen die Abschiebungsandrohung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 27. August 2018 bleibt ohne Erfolg. In Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung – im Fall der Klageerhebung 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens – zu verlassen, drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung insbesondere nach Griechenland an und stellte fest, dass der Antragsteller nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe. Dem Bescheid beigefügt war die Rechtsbehelfsbelehrung:dahingehend, dass gegen diesen Bescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage erhoben werden kann.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig. Zwar ist er statthaft und fristgerecht erhoben. Ihm fehlt jedoch jedenfalls das Rechtschutzbedürfnis, da eine Abschiebung aufgrund des antragsgegenständlichen Bescheids bis zum Ablauf der in Ziffer 3 des Bescheids genannten Ausreisefrist nicht in Frage kommt und ein weitergehendes Ziel mit dem Eilverfahren nicht durchgesetzt werden kann.
Nach § 75 Abs. 1 AsylG kommt asylrechtlichen Klagen nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 und §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung zu. Fälle gemäß § 36 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. nach § 35 AsylG, also die Konstellation, dass ein Asylbewerber in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz erhalten hat und er dorthin abgeschoben werden soll, gehören nicht dazu. Um einen solchen Fall der Abschiebungsandrohung nach Griechenland handelt es sich vorliegend richtigerweise. Der Klage kommt damit keine aufschiebende Wirkung zu. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher statthaft.
Er ist auch fristgerecht innerhalb der Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO erhoben worden. Diese gilt, da die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides im Hinblick auf die genannte Frist fehlerhaft war (vgl. VG Ansbach, B.v. 27.11.2018 – AN 14 S 18.50864 – juris, U.v. 19.9.2019 – AN 17 K 50504 – nicht veröffentlicht). Richtigerweise galt die Wochenfrist nach §§ 36 Abs. 3 Satz 1, 74 Abs. 1 Alt. 2 AsylG, nicht aber die Zwei-Wochen-Frist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG.
Dem Antrag fehlt jedoch jedenfalls das allgemeine Rechtschutzbedürfnis, weil er dem Antragsteller keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt, auf den er sich im Eilverfahren berufen kann. Eine Abschiebung des Antragstellers vor Abschluss des Klageverfahrens kommt nach dem angefochtenen Bescheid vom 27. August 2018 nicht in Betracht. Vor Ablauf der in Ziffer 3 des Bescheids festgesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen nach Rechtskraft der Entscheidung über die Klage darf der Antragsteller nicht abgeschoben werden. Eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO bedarf es zur Erreichung von – vorübergehendem – Abschiebungsschutz nicht. Mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann kein anderer oder längerer Abschiebungsschutz erreicht werden. Es ist auch weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass das Bundesamt für …. (Bundesamt) in Verkennung dieser Rechtslage von der Möglichkeit einer Abschiebung vor Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung ausgeht. Vielmehr hat das Bundesamt die Frist wohl bewusst abweichend von § 36 Abs. 1 AsylG festgesetzt und will vor Ablauf dieser Frist auch nicht vollstrecken (vgl. ebenso VG Ansbach, B.v. 28.11.2019 – AN 18 S 19.50363 – juris; B.v. 8.5.2018 – AN 17 S 18.50410 – juris Rn. 18).
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist weiter auch nicht mit Blick auf die Regelung des § 37 Abs. 1 AsylG zulässig. Danach wird die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die Abschiebungsandrohung unwirksam und das Asylverfahren ist durch das Bundesamt fortzuführen, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischenzeitlich geklärt, dass eine Unwirksamkeit nach § 37 AsylG nicht zu einer inhaltlichen Prüfung des Asylantrages im nationalen Verfahren zwingt, sondern das Bundesamt nur verpflichtet, das Verfahren in dem Stadium fortzuführen, in dem es sich vor der Ablehnung befunden hat. Bei dieser Fortführung muss sich das Bundesamt mit den vom Verwaltungsgericht im Eilverfahren geäußerten ernstlichen Zweifeln auseinandersetzen, ist aber an dessen Bewertung nicht gebunden. So ist auch eine erneute Unzulässigkeitsentscheidung möglich. Zwar ist der Ansatz des Bundesamtes, einer „Endlosschleife“ im Verfahren damit zu begegnen, dass unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG eine 30-tägige Ausreisefrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens anstatt der im Fall der Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gesetzlich vorgeschriebenen Wochenfrist nach § 36 Abs. 1 AsylG gesetzt ist, objektiv rechtswidrig (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris). Ein Schutzsuchender wird hierdurch jedoch nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 51/18 – juris 21; Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2019 Anm. 6). Einen dauerhaften Rechtsvorteil kann der Antragsteller aus der Umgehung der Regelung des § 37 Abs. 1 AsylG nicht ziehen (vgl. auch VG Ansbach, U.v. 12.9.2019 – AN 17 K 18.50204 – juris Rn. 40), denn der asylrechtliche Eilrechtschutz ist nach der gesetzlichen Konzeption auf die Verhinderung der Vollziehung der Abschiebung beschränkt. Auf die mittelbare Folge, die sich aus Art. 37 Abs. 1 AsylG ergibt, kann sich der Asylbewerber im Eilrechtsverfahren nicht berufen (vgl. auch: VG Ansbach, B.v. 28.11.2019 – AN 18 S 19.50363 – juris; B.v. 8.5.2018 – AN 17 S 18.50410 – juris Rn. 19). Weitere Gründe, aus denen dennoch ein Rechtschutzbedürfnis hergeleitet werden könnte, sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Da der Antragsteller nach oben Gesagtem bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in Deutschland verbleiben kann, besteht kein Bedürfnis auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der auf das Eilverfahren bezogene Prozesskostenhilfeantrag bleibt ohne Erfolg, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Die Entscheidung ist insgesamt nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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