Verwaltungsrecht

Unzulässiger Normenkontrollantrag einer Verbandsgemeinde gegen die Ausbaubeitragssatzung einer verbandsangehörigen Ortsgemeinde wegen fehlendem Rechtsschutzinteresse und unzulässiger Rechtsausübung

Aktenzeichen  6 C 11276/21

Datum:
10.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:OVGRLP:2022:0510.6C11276.21.00
Normen:
§ 42 Abs 1 GemO RP
§ 42 Abs 2 GemO RP
§ 68 Abs 1 S 2 Nr 1 GemO RP
§ 69 Abs 2 GemO RP
§ 70 Abs 2 GemO RP
§ 47 Abs 2 S 1 Alt 1 VwGO
§ 47 Abs 2 S 1 Alt 2 VwGO
§ 42 Abs 1 GemO RP
§ 42 Abs 2 GemO RP
§ 68 Abs 1 S 2 Nr 1 GemO RP
§ 69 Abs 2 GemO RP
§ 70 Abs 2 GemO RP
§ 47 Abs 2 S 1 Alt 1 VwGO
§ 47 Abs 2 S 1 Alt 2 VwGO
§ 242 BGB
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Für den Normenkontrollantrag einer grundsätzlich antragsbefugten Verbandsgemeinde gegen die Beitragssatzung einer verbandsangehörigen Ortsgemeinde fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da aufgrund der Verpflichtung des Bürgermeisters der Verbandsgemeinde, gemäß § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 der Gemeindeordnung (GemO; juris: GemO RP) als gesetz- oder rechtswidrig erkannte Satzungsbeschlüsse auszusetzen, ein anderer und zudem gesetzlich zwingend vorgegebener Weg zur Überprüfung der angegriffenen Satzung eröffnet ist.(Rn.18)

2. Des Weiteren steht dem Rechtsschutzinteresse der Verbandsgemeinde das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitete, auch im öffentlichen Prozessrecht geltende Verbot unzulässiger Rechtsausübung entgegen, soweit die angegriffene Satzung in Übereinstimmung mit einer von der Verbandsgemeindeverwaltung gemäß § 70 Abs. 2 GemO (juris: GemO RP) erstellten Beschlussvorlage nebst Satzungsentwurf erlassen worden ist.(Rn.28)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand


Die Antragstellerin, eine Verbandsgemeinde, wendet sich gegen die Satzung der verbandsangehörigen Antragsgegnerin über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen nach § 10a des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetzes für straßenbauliche Maßnahmen (Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge – ABS –) vom 27. Oktober 2020. Darin wird das Ermittlungsgebiet in drei Abrechnungseinheiten aufgeteilt, in denen jeweils sämtliche zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen eine einheitliche öffentliche Einrichtung bilden. Die Gemeindeanteile werden in den Abrechnungseinheiten 1 („B. Stadtbereich“), 2 („B. – S.”) und 3 („B. – H…”) jeweils mit 30 v.H. festgelegt.
Mit ihrem am 25. Oktober 2021 eingegangenen Normenkontrollantrag macht die Antragstellerin geltend, sie sei als Behörde, die die Ausbaubeitragssatzung zu vollziehen habe, und als Eigentümerin von Grundstücken in der „Abrechnungseinheit 1: B. Stadtbereich“ antragsbefugt. Ferner bestehe ein Rechtsschutz- bzw. Kontrollinteresse. Dieses entfalle nämlich nicht, wenn eine Behörde Aufsichtsbefugnisse gegenüber dem Normgeber bzw. die Befugnis zur inzidenten Verwerfung einer Norm besitze, am Normerlass durch deren Genehmigung mitgewirkt habe oder ihr die Rechtsmacht zustehe, den Normerlass durch eine Untersagungsverfügung zu verhindern. Daher spreche gegen ein Rechtsschutzinteresse auch nicht die Möglichkeit der Aufhebung der Satzung aufgrund des Aussetzungsrechts ihres Bürgermeisters. Eine hierauf gestützte Verneinung des Rechtsschutzinteresses verzögere nur die gerichtliche Klärung, da es bei einer solchen Aussetzung meist zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Entscheidung der Aufsichtsbehörde und damit auch über die Rechtmäßigkeit der Norm komme. Der Normenkontrollantrag habe auch in der Sache Erfolg; insbesondere sei die Konstituierung der Abrechnungseinheiten mit der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Kommunalabgabengesetzes nicht vereinbar.
Die Antragstellerin beantragt,
die Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 2020 für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin regt an,
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
Nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung hält sie den Normenkontrollantrag für unbegründet, insbesondere sei die Aufteilung des Ermittlungsgebiets in drei Abrechnungseinheiten rechtmäßig erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Akten der Antragsgegnerin verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe


Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.
I. Der rechtzeitig innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – gestellte Antrag ist zwar gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung statthaft. Denn er zielt auf die Überprüfung der Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 2020 und damit einer im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift ab.
II. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterscheidet zwischen – einerseits – natürlichen und juristischen Personen und – andererseits – Behörden als möglichen Antragstellern eines Normenkontrollverfahrens. Nur natürliche und juristische Personen, nicht auch Behörden müssen zur Darlegung ihrer Antragsbefugnis geltend machen, dass sie durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten haben. Die Antragstellerin ist als (Gebiets-)Körperschaft des öffentlichen Rechts juristische Person. Sie ist als Verbandsgemeinde aber auch Behörde i.S.v. § 2 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 15. März 1989 – 4 NB 10.88 –, juris Rn. 13, zu einer Gemeinde als Antragstellerin eines Normenkontrollverfahrens).
1. Gemessen hieran ist die Antragstellerin zunächst aufgrund ihrer Behördeneigenschaft als Verbandsgemeinde unter erleichterten Voraussetzungen antragsbefugt gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Behörden können die gerichtliche Prüfung von Rechtsvorschriften betreiben, ohne einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO darlegen zu müssen. Für die Antragsbefugnis der Antragstellerin als Behörde ist insoweit ausreichend, dass die von der Antragsgegnerin erlassene Ausbaubeitragssatzung auf dem Gebiet der Verbandsgemeinde gilt und von der Antragstellerin bei der Wahrnehmung der ihr gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 der Gemeindeordnung – GemO – übertragenen Verwaltungsgeschäfte zu beachten ist. Nach dieser Regelung führt die Verbandsgemeindeverwaltung die Verwaltung der gemeindlichen Abgaben im Namen ihrer Ortsgemeinden und in deren Auftrag (zu den Grundsätzen der Organleihe vgl. auch OVG RP, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 10 A 11254/20.OVG –, juris Rn. 5). Dies betrifft hier etwa die Anwendung der angegriffenen Ausbaubeitragssatzung bei dem Erlass von Beitragsbescheiden.
2. Daneben ist die Antragstellerin ungeachtet ihrer fehlenden Grundrechtsberechtigung als Eigentümerin der in der „Abrechnungseinheit 1: B. Stadtbereich“ gelegenen Grundstücke in der Gemarkung B., Flur …, Flurstücke …/. und …/. (L… Straße …, Verbandsgemeindeverwaltung nebst Parkplatz) antragsbefugt gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO. So wie dem Fiskus als Steuerpflichtigem die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden werden müssen wie jedem anderen Steuerpflichtigen (BFH, Urteile vom 9. Oktober 1985 – II R 204/83 –, juris Rn. 4, und 18. November 2004 – V R 66/03 –, juris Rn. 10), hat auch die Antragstellerin als Beitragsschuldnerin grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Beitragspflichtige (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 9 C 2.18 –, juris Rn. 11 f., zur Anfechtungsklage einer gemeindeeigenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegen einen Beitrag für die Herstellung einer Entwässerungsanlage). Sie kann daher grundsätzlich geltend machen, durch die absehbare Anwendung der angegriffenen Satzung in ihrem Recht verletzt zu werden, keinen rechtswidrigen Straßenausbaubeiträgen zu unterliegen.
III. Der Antragstellerin steht jedoch kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Normenkontrolle zu.
1. Auch eine Behörde ist nicht schlechthin, sondern nur dann antragsbefugt, wenn ihr ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht (BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 1989 – 4 NB 10.88 –, juris Rn. 15, und 3. Januar 2017 – 6 BN 2.16 –, juris Rn. 8).
a) Ein behördliches Rechtsschutzinteresse für einen Normenkontrollantrag ist zunächst stets gegeben, wenn die Behörde nur mit der Ausführung der von ihr beanstandeten Norm befasst ist, ohne selbst über die Norm verfügen – insbesondere sie aufheben oder ändern – zu können (BVerwG, Beschluss vom 15. März 1989 – 4 NB 10.88 –, juris Rn. 15). Ist das Rechtssetzungsverfahren – wie hier – abgeschlossen und der Rechtssatz entstanden, kann nur noch der Rechtssatz selbst rückgängig gemacht oder aufgehoben werden. Der durch Normgebung gesetzte Rechtsschein ist durch einen Gegenakt der Normsetzung zu beseitigen. Hierzu ist aber nicht die Antragstellerin, sondern – abgesehen von der gerichtlichen Nichtigerklärung im Normenkontrollverfahren – primär der Stadtrat der Antragsgegnerin berufen (§ 24 Abs. 2 und 4 GemO).
b) Allerdings entfällt hier gleichwohl das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin, da aufgrund der Verpflichtung ihres Bürgermeisters, gemäß § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 GemO als gesetz- oder rechtswidrig erkannte Satzungsbeschlüsse auszusetzen, ein anderer und zudem gesetzlich zwingend vorgegebener Weg zur Überprüfung der angegriffenen Satzung eröffnet ist.
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde ist nach § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 GemO verpflichtet („hat“), die Ausführung eines Beschlusses des Stadtrats auszusetzen, der nach seiner Ansicht gesetz- oder rechtswidrig ist, und die Gründe hierfür dem Stadtrat spätestens in der nächsten Sitzung mitzuteilen. Verbleibt der Stadtrat bei seinem Beschluss, so hat der Bürgermeister die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GemO). Gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann der Stadtrat durch einen von ihm Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht erheben (§ 42 Abs. 2 Satz 2 GemO). Von diesem gesetzlich zwingend vorgegebenen Weg der Aussetzung, für die gesetzlich keine Frist vorgegeben ist (vgl. OVG RP, Urteil vom 6. Februar 1979 – 7 A 79/77 –, UA S. 8 f.), hat der Bürgermeister der Antragstellerin indes keinen Gebrauch gemacht.
aa) Der bereits hieraus folgenden Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags steht nicht die Rechtsprechung entgegen, wonach ein Rechtsschutzbedürfnis auch dann besteht, wenn die antragstellende Behörde es unterlässt, den Erlass einer Norm aufgrund in ihr Ermessen gestellter Eingriffsbefugnisse zu untersagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 – 4 CN 4.10 –, juris Rn. 21, wonach ein Verzicht auf Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 Landesplanungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern unterschiedliche Gründe haben könne) oder im Wege der Kommunalaufsicht gegen deren Erlass einzuschreiten (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 4 BN 65.20 –, juris Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 6. Juni 2005 – 10 D 145/04.NE –, juris Rn. 40; BayVGH, Urteil vom 16. November 1992 – 14 N 91.2258 –, juris Rn. 51).
Zum einen steht die Aussetzung des Satzungsbeschlusses bei der Annahme einer Gesetz- oder Rechtswidrigkeit gemäß § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 GemO im Gegensatz zum Beanstandungs-, Anordnungs- und Aufhebungsrecht der Aufsichtsbehörde (vgl. §§ 121 ff. GemO) nicht im Ermessen des Bürgermeisters. Zum anderen wird zwar vertreten, dass die bundesrechtliche Regelung nach § 47 VwGO und die landesrechtlichen Regelungen über die Aufsichtsbehörden und deren Beanstandungs- und Aufhebungsbefugnisse (vgl. §§ 121 und 123 GemO) unterschiedliche Anwendungsbereiche haben, die unabhängig voneinander bestehen (vgl. dazu: BayVGH, Urteil vom 16. November 1992 – 14 N 91.2258 –, und OVG NRW, Urteil vom 6. Juni 2005 – 10 D 145/04.NE –, jeweils a.a.O.). Anders als die Rechtsaufsicht, welche die Prüfung und gegebenenfalls Korrektur fremden Handelns bedeutet (BayVGH, Urteil vom 1. April 1982 – 15 N 81 A.1679 –, BayVBl. 1982, 654 [655]), dient das Aussetzungsverfahren aber der innergemeindlichen eigenverantwortlichen Selbstkontrolle (vgl. auch OVG RP, Urteil vom 12. September 1995 – 6 A 11146/95.OVG –, NVwZ-RR 1996, 524 [525] = AS 25, 192 [193], zu § 42 und § 117 ff. GemO als zwei selbständigen Verfahren unterschiedlicher Art). Das verpflichtende Verfahren nach § 42 GemO soll zur Selbstkorrektur führen und möglichst ein aufsichtsbehördliches Einschreiten entbehrlich machen (Stamm, in: Praxis der Kommunalverwaltung, GemO, Stand: Januar 2022, § 42 Erl. 1). Erst recht soll damit ein gerichtliches Verfahren vermieden werden. Dies rechtfertigt es aber, den Bürgermeister der Antragstellerin darauf zu verweisen, statt der Normenkontrolle den Weg des Aussetzungsverfahrens zu beschreiten.
bb) Ein anderes Ergebnis folgt zudem nicht aus der Rechtsprechung, die ein behördliches Rechtsschutzinteresse für einen Normenkontrollantrag auch dann anerkennt, wenn die antragstellende Behörde die angegriffene Satzung selbst genehmigt und somit gleichsam an ihrem Erlass mitgewirkt hat (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 11. August 1989 – 4 NB 23.89 –, juris Rn. 7). Dem Einwand fehlenden Rechtsschutzinteresses steht insoweit zwar der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entgegen, mit dem es unvereinbar wäre, die (Genehmigungs-)Behörde zu zwingen, Recht anzuwenden, von dessen Ungültigkeit sie aufgrund besserer Erkenntnis oder im Lichte einer unter Umständen nach der Genehmigung ergangenen Rechtsprechung überzeugt ist (dazu: BayVGH, Urteil vom 1. April 1982 – 15 N 81 A.1679 –, BayVBl 1982, 654 [655]). Die Aussetzung nach § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 GemO stellt sich jedoch, anders als eine vor Abschluss des Rechtssetzungsverfahrens erforderliche Genehmigung, als ein innergemeindliches Kontrollrecht dar, das auch nach dem Normerlass zum Tragen kommt (zur zeitlichen Begrenzung vgl. OVG RP, Urteil vom 6. Februar 1979 – 7 A 79/77 –, UA S. 9, m.w.N.).
c) Des Weiteren steht dem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitete, auch im öffentlichen Prozessrecht geltende Verbot unzulässiger Rechtsausübung entgegen (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2002 – 2 BvR 957/99 –, juris Rn. 2; BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2001 – 3 C 7.00 –, juris Rn. 28; HessVGH, Beschluss vom 4. Januar 1994 – 4 N 1793/93 –, juris Rn. 39).
aa) Der Normenkontrollantrag stellt sich als unzulässige Rechtsausübung in Gestalt eines institutionellen Rechtsmissbrauchs dar, weil die Antragstellerin das Verfahren allein auf Initiative der Antragsgegnerin in Gang gesetzt hat ((1)), der ein derartiges Antragsrecht selbst nicht zusteht ((2)), sich die Antragsgegnerin vielmehr im Grunde der Antragstellerin bedient, um das prozessuale Hindernis fehlender Antragsbefugnis zu umgehen, und nachvollziehbare Umstände für das nachträgliche Entstehen rechtlicher Bedenken der Antragstellerin gegen die Ausbaubeitragssatzung weder ersichtlich noch dargelegt sind ((3)). Bei einem institutionellen Rechtsmissbrauch geht es darum, dass die sich aus einer Rechtsnorm scheinbar ergebenden Rechtsfolgen zurücktreten müssen, wenn diese zu einem mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbaren Ergebnis führen (BayVGH, Beschluss vom 13. September 2013 – 3 ZB 11.1692 –, Rn. 7, juris). Dies ist hier in Bezug auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu Lasten der Antragstellerin der Fall.
(1) Die Initiative für das vorliegende Normenkontrollverfahren geht nach Aktenlage allein auf eine dahingehende Absprache im Stadtrat der Antragsgegnerin zurück. So wird in der Niederschrift über die Ratssitzung vom 27. Oktober 2020 zur Beratung und Beschlussfassung über die angegriffene Beitragssatzung (Tagesordnungspunkt 4.1) ausgeführt, im Haupt-, Wirtschaftsförderungs-, Planungs- und Bauausschuss sei vereinbart worden, dass die Satzung im Hinblick auf die Bildung von drei Abrechnungseinheiten oder einem Abrechnungsgebiet in einem geplanten Normenkontrollverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht überprüft werden soll (Blatt 26 der Verwaltungsakte). Diese Vereinbarung beruht wiederum auf einer entsprechenden Anregung des von der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Satzungserstellung beauftragten Rechtsberaters in der fraglichen Ausschusssitzung vom 20. Oktober 2020, wonach sich eine solche Klärung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens auch in anderen Kommunen bewährt habe und durchaus üblich sei; zudem bringe das Verfahren keine Verzögerung in der Umsetzung der Satzung mit sich, sondern werde parallel durchgeführt (vgl. die Niederschrift zu TOP 2, Blatt 23 f. der Verwaltungsakte). Zuvor hatten sich die Ausschussmitglieder von zwei der vier Ratsfraktionen dafür ausgesprochen, das gesamte Stadtgebiet entgegen der Beschlussvorlage als eine einzige Abrechnungseinheit festzulegen. Hat sich die Antragstellerin aber vor diesem Hintergrund darauf eingelassen, die vor Erlass der Ausbaubeitragssatzung ratsintern bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die zu bildenden Abrechnungseinheiten gerichtlich klären zu lassen, steht hinter dem Normenkontrollantrag letztlich der Stadtrat der Antragsgegnerin, der sich hierfür der Antragstellerin bedient.
(2) Die Antragsgegnerin ist aber nicht befugt, einen Antrag auf Nichtigerklärung ihrer eigenen Satzung nach § 47 VwGO zu stellen. Dies wäre ein unzulässiger Insichprozess, für dessen Anerkennung kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Zwar existiert im Verwaltungsprozessrecht kein generelles Verbot von Insichprozessen (dazu: BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1974 – IV C 17.72 –, juris Rn. 17 f.). Mit Rücksicht auf die Gliederung öffentlich-rechtlicher Körperschaften in verschiedene Organe und den horizontalen und vertikalen Behördenaufbau sowie infolge der in der öffentlichen Verwaltung bestehenden Weisungsbefugnisse und Weisungsfreiheiten sind nämlich der Einheitlichkeit der Willensbildung in der einzelnen Körperschaft Grenzen gesetzt. Daraus kann sich in bestimmten Konstellationen ein Bedürfnis für die Zulassung von Insichprozessen ergeben. Angesichts dessen ist ihre Zulässigkeit auf der Grundlage der Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Auslegung der einschlägigen Bestimmungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juni 1974 – IV C 17.72 –, Rn. 18, und 6. November 1991 – 8 C 10.90 –, juris Rn. 12). Hiervon ausgehend verstößt es jedoch gegen den Zweck des behördlichen Antragsrechts nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO, mit dem eine allgemeinverbindliche Klärung der Gültigkeit von untergesetzlichen Normen erreicht werden soll (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO), wenn die Initiative für ein gerichtliches Normenkontrollverfahren gegen eine gemeindliche Satzung – wie hier – vom Gemeinde- bzw. Stadtrat als dem satzungsgebenden Organ ausgeht, das die beanstandete Norm selbst beschlossen hat und im Fall rechtlicher Bedenken selbst über sie verfügen, insbesondere sie ändern oder aufheben kann.
(3) Ist das gerichtliche Vorgehen der Antragstellerin somit wie beschrieben mit dem Stadtrat der Antragsgegnerin abgestimmt, belegt dies die Absicht, auf diese Weise das prozessuale Hindernis fehlender Antragsbefugnis der Antragsgegnerin zu umgehen und der Stadt der Sache nach ein ihr nicht zustehendes Antragsrecht zu verschaffen. Dem entspricht es auch, dass die Antragsgegnerin dem Normenkontrollantrag der Antragstellerin nicht schriftsätzlich entgegengetreten ist. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin den Normenkontrollantrag aufgrund eigener rechtlicher Erwägungen zu dem Zweck gestellt hätte, ihr eigenes Verwaltungshandeln gesetzmäßig einzurichten. Denn es ist weder erkennbar noch dargelegt, aufgrund welcher nach Erlass der Ausbaubeitragssatzung eingetretenen Umstände die Antragstellerin entgegen der früheren Einschätzung ihrer Verbandsgemeindeverwaltung zu der von dieser selbst erstellten und – mit Ausnahme einer Änderung hinsichtlich des Vollgeschosszuschlags – auch vom Stadtrat angenommenen Beschlussvorlage nebst Satzungsentwurf nunmehr zu der Auffassung gelangt ist, die in Rede stehende Ausbaubeitragssatzung sei unwirksam. Dieser nunmehrigen Überzeugung der Antragstellerin liegt weder eine bessere Erkenntnis noch eine nach Satzungserlass ergangene Rechtsprechung zugrunde (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28. Mai 2001 – 1 N 1/98 –, juris, zur Antragsbefugnis eines Bürgermeisters für die Normenkontrolle gegen eine Beitragssatzung bei erst nach jahrelanger Anwendung aufgeworfenen Fragen zu deren Wirksamkeit).
bb) Darüber hinaus setzt sich die Antragstellerin mit ihrem Normenkontrollbegehren in einen unlösbaren, nach Treu und Glauben nicht hinnehmbaren und bereits normativ aufgrund der kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen über ihre Beratungs- und Unterstützungspflicht (§ 70 Abs. 2 GemO) angelegten Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 – 5 C 51.90 –, juris Rn. 22, m.w.N.) und macht daher auch deshalb von ihrem behördlichen Antragsrecht in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebrauch. Denn die verbandsangehörige Antragsgegnerin hat die Ausbaubeitragssatzung im Wesentlichen in inhaltlicher Übereinstimmung mit der von der Verbandsgemeindeverwaltung erstellten Beschlussvorlage nebst Satzungsentwurf erlassen.
Gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 GemO berät und unterstützt die Verbandsgemeindeverwaltung die Ortsgemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Nach § 70 Abs. 2 Satz 2 GemO haben die Ortsgemeinden sich vor allen wichtigen Entscheidungen, insbesondere mit finanziell erheblichen Auswirkungen, der fachlichen Beratung durch die Verbandsgemeindeverwaltung zu bedienen. Das Ergebnis dieser obligatorischen Beratung und Unterstützung war im vorliegenden Fall die von der Verbandsgemeindeverwaltung erstellte und vom Stadtrat der Antragsgegnerin auch inhaltlich überwiegend angenommene Beschlussvorlage nebst Satzungsentwurf. Dass sich die Verbandsgemeindeverwaltung hierbei das Ergebnis einer von der Antragsgegnerin eingeholten Rechtsberatung zu eigen gemacht haben mag, ändert nichts daran, dass sie insoweit ihrer eigenen Beratungs- und Unterstützungspflicht aus § 70 Abs. 2 Satz 1 und 2 GemO nachgekommen ist. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GemO ist die Verbandsgemeindeverwaltung bei der Führung der Verwaltungsgeschäfte der Ortsgemeinden wiederum an die Beschlüsse der Ortsgemeinderäte gebunden. Mit dieser Bindung an den Willen des Satzungsgebers hinsichtlich der Geltung der von der Verbandsgemeindeverwaltung mit der Beschlussvorlage selbst in das Normaufstellungsverfahren eingebrachten Satzungsregelungen steht es in nicht aufzulösendem Widerspruch, wenn die Antragstellerin nunmehr die Unwirksamkeit der Ausbaubeitragssatzung rügt, deren Inhalt ihre – nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebundene – Verwaltung selbst maßgeblich (mit) zu verantworten hat. Ohne das Auftreten besonderer Umstände (z.B. bessere Erkenntnis oder eine nach Satzungserlass ergangene Rechtsprechung) ist jedenfalls nicht erklärlich, warum die Antragstellerin nunmehr der Sache nach geltend macht, die ursprüngliche Einschätzung ihrer Verbandsgemeindeverwaltung sei rechtswidrig gewesen.
2. Der Antragstellerin fehlt auch in ihrer Eigenschaft als grundsätzlich antragsbefugte juristische Person (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO) das für die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags erforderliche Rechtsschutzinteresse.
a) Dies folgt bereits aus den vorstehenden Erwägungen zum behördlichen Rechtsschutzinteresse, insbesondere dem Umstand, dass der Bürgermeister der Antragstellerin nicht von dem gesetzlich zwingend vorgegebenen Weg des Aussetzungsverfahrens nach § 42 GemO Gebrauch gemacht hat (vgl. Abschnitt III. 1. b)). Dieses Verhalten des Bürgermeisters muss sich die Antragstellerin auch in ihrer Eigenschaft als Beitragsschuldnerin zurechnen lassen. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Aussetzung als ein innergemeindliches Kontrollrecht darstellt, das ausschließlich im öffentlichen Interesse zur Wahrung der objektiven Rechtsordnung eingerichtet ist. Der Bürgermeister hat zwar eine zweifache Funktion als Organ mit der Aussetzungsbefugnis nach § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 GemO einerseits und als Vertreter der Verbandsgemeinde in ihrer Eigenschaft als Beitragsschuldnerin andererseits. Liegen die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 GemO vor und besteht somit eine Verpflichtung zur Aussetzung eines Satzungsbeschlusses, vermag der Bürgermeister hiervon aber nicht unter Hinweis auf ein Antragsrecht der Verbandsgemeinde im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO (hier: als Beitragsschuldnerin) abzusehen. Ihm steht insoweit kein Wahlrecht zwischen seiner unbedingten gesetzlichen Handlungsverpflichtung und der Nutzung der einem Beitragspflichtigen grundsätzlich zustehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zu. Auch ein sonstiger Beitragsschuldner, der über vergleichbare Handlungsmöglichkeiten prozessualer Art verfügen würde, müsste sich diese Handlungspflichten entgegenhalten lassen.
b) Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin als grundsätzlich antragsbefugte juristische Person entfällt ferner ebenfalls aus den obigen Erwägungen zum Verbot unzulässiger Rechtsausübung.
Zum einen ist der berechtigte Vorwurf des institutionellen Rechtsmissbrauchs (vgl. dazu Abschnitt III. 1. c) aa)) unabhängig davon begründet, ob sich die Antragsbefugnis der Antragstellerin auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 oder 2 VwGO stützt.
Zum anderen verhält sich die Antragstellerin auch insoweit rechtsmissbräuchlich, als sie sich für ein Antragsrecht als Gebietskörperschaft auf ihre Eigenschaft als Beitragsschuldnerin beruft. Abweichendes folgt insbesondere nicht aus der Erwägung, dass dem Fiskus als Steuerpflichtigem die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden werden müssen wie jedem anderen Steuerpflichtigen. Dieser Ansatz gilt zwar uneingeschränkt, soweit sich die öffentliche Hand im Bereich der Fiskalverwaltung betätigt und dadurch mit den anderen Subjekten der Rechtsordnung in Konkurrenz tritt (vgl. BFH, Urteil vom 9. Oktober 1985 – II R 204/83 –, zur Klage eines Bundeslandes gegen Einheitswertfeststellungsbescheide für diesem gehörenden Grundbesitz, sowie Urteil vom 18. November 2004 – V R 66/03 –, zur Klage der Bundesrepublik Deutschland als Erbin eines Steuerpflichtigen; zum Beitragsrecht: BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 9 C 2.18 –, zur Anfechtungsklage einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer gemeindeeigenen GmbH). Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den eine Beitragspflicht der Antragstellerin begründenden Grundstücken jedoch um den Sitz der Verbandsgemeindeverwaltung und daher um verbandsgemeindliches Eigentum, das Gegenstand und Grundlage zur Erfüllung kommunaler Aufgaben ist (vgl. dazu auch OVG RP, Urteil vom 24. März 2010 – 8 C 11202/09.OVG –, juris Rn. 25). Von anderen Beitragspflichtigen unterscheidet sich die Antragstellerin daher dadurch, dass ihr Grundstück der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient und die hieraus folgende Rechtsstellung nicht in einen unauflösbaren Widerspruch zu ihrer sonstigen hoheitlichen Aufgabenerfüllung gebracht werden darf. Dies ist in Bezug auf die Beratungs- und Unterstützungspflicht der Antragstellerin nach § 70 Abs. 2 GemO gegenüber der Antragsgegnerin aber der Fall (vgl. dazu Abschnitt III. 1. c) bb)).
IV. Soweit der Senat in seiner Rechtsprechung in der Vergangenheit Anträge von Verbandsgemeinden im Rahmen von Normenkontrollen gegen die Beitragssatzung einer verbandsangehörigen Ortsgemeinde in Einzelfällen für zulässig erachtet hat (vgl. etwa Urteil vom 20. April 2021 – 6 C 10799/20.OVG –, UA S. 4, m.w.N.), wird hieran nicht festgehalten. Die früheren Entscheidungen verhalten sich ausschließlich zur Antragsbefugnis einer Verbandsgemeinde in vergleichbaren Konstellationen, ohne die Aspekte des Rechtschutzinteresses und des Vorliegens einer unzulässigen Rechtsausübung in den Blick zu nehmen, die sich im vorliegenden Verfahren in besonderer Weise aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).


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