Verwaltungsrecht

Unzulässiger Zweitantrag eines nigerianischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  W 8 S 20.30019

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 326
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1, § 36 Abs. 3, Abs. 4, § 71a, § 77 Abs. 2
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1. Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG nicht vor, ist ein Zweitantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG als unzulässig abzulehnen. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Für einen jungen nigerianischen Asylbewerber ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen besteht in den zahlreichen Großstädten Nigerias interner Schutz auch gegenüber einer Verfolgung durch Private. Es ist ihm zuzumuten, im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sich dorthin zu begeben und eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften (vgl. VG München BeckRS 2019, 33926). (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG BeckRS 2007, 20389). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, verließ sein Heimatland nach eigenen Angaben im Jahr 2014 und hielt sich mehrere Jahre in Italien auf. In Italien wurde sein Asylantrag abgelehnt. Am 27. März 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag in Deutschland. Zur Begründung seines Asylantrags brachte er im Wesentlichen vor: Ein Onkel habe seinen Vater in Nigeria wegen eines Stück Landes im Februar 2014 umbringen lassen. Da der Antragsteller der älteste Sohn sei, habe der Onkel auch ihn töten wollen.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Der Antragsteller habe keine neuen Gründe und Beweismittel vorgelegt. Er habe sich nur auf die Sachverhalte berufen, die er schon in Italien vorgebracht habe. Außerdem habe das Vorbringen des Antragstellers nicht überzeugen können. Der Antragsteller habe sich nicht an die Polizei gewandt. Außerdem sei es ihm zuzumuten, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen. Der Antragsteller habe auch schon in der Vergangenheit gearbeitet und für seinen Unterhalt gesorgt. Es gebe außerdem Hilfseinrichtungen sowie auch Rückkehr- und Starthilfen sowie Reintegrationsprogramme. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Auch soweit der Antragsteller gesundheitliche Probleme geltend mache, sei nicht ersichtlich, dass bei einer Abschiebung nach Nigeria eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existenziellen Gesundheitsgefahr drohe. Den vorgelegten ärztlichen Unterlagen sei nichts Dahingehendes zu entnehmen.
Am 8. Januar 2020 ließ der Antragsteller zu Protokoll der Urkundsbeamtin im Verfahren W 8 K 29.30018 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragenen Gründe und führte weiter aus: Er leide immer noch an Magenschmerzen. Er sei in Italien operiert worden. Er sei in Deutschland in ärztlicher Behandlung und nehme Schmerzmittel.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 9. Januar 2020,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Des Weiteren teilte die Antragsgegnerin mit, dass im Hinblick auf die höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des EuGH vom 19. Juni 2018 ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert werde: “Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Ablehnungsantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.” Die zuständige Ausländerbehörde sei informiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.30018) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 2. Januar 2020 begehrt.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 3 und 4 AsylG). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Entscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Wiederaufgreifens- und Asylgründe bei der hier gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil er nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, liegen nicht vor.
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes decken sich mit den vorliegenden Erkenntnissen.
Das Bundesamt hat schon zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller keine neuen relevanten Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht hat, sondern vielmehr die Gründe vorgebracht hat, die er auch schon in seinem erfolglosen Asylverfahren in Italien angegeben hatte, und zwar Probleme mit seinem Onkel, der seinen Vater getötet habe und ihn jetzt nun mit dem Tod bedrohe. Dem Antragsteller sei vorzuwerfen, dass er sich nicht an die Polizei in Nigeria gewandt habe.
Des Weiteren und vor allem ist dem Antragsteller möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen, in welchem er auch vor seinen privaten Verfolgern sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller kann sich beispielsweise in einer der zahlreichen Großstädte Nigerias, insbesondere in der Hauptstadt Abuja, oder im christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise in Lagos oder in einer anderen Stadt niederlassen. Er genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn der Antragsteller seinen Heimatort meidet und auch nicht Kontakt zu seinem Onkel aufnimmt, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit (seit dem Jahr 2014) außerhalb seiner Heimatregion aufgefunden würde, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 m² aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt. Grundsätzlich besteht nach der Erkenntnislage in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dem Antragsteller ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 12.4.2019, S. 46 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: Oktober 2018, vom 10.12.2018, S. 16, 21). Der Antragsteller könnte jedoch im Fall der Rückkehr nach Nigeria – wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch ohne solche Bindungen als relativ junger Mann ohne gravierende gesundheitlichen Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er sich auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Er hat beruflich Erfahrungen gesammelt und ist auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann (VG München, B. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – BeckRS 2019, 33926; ebenso schon VG Würzburg, B.v. 20.12.2019 – W 10 S 19.32023).
Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht im Hinblick auf die vom Antragsteller vorgetragenen gesundheitlichen Probleme. Auch insofern kann das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides Bezug nehmen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die geltend gemachten Erkrankungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen und schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Dass dem Antragsteller solche Gefahren drohen, ist weder vorgebracht, noch den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen zu entnehmen, noch sonst ersichtlich.
Eine derartige extreme Gesundheitsgefahr hat der Antragsteller insbesondere nicht durch qualifizierte Atteste im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG glaubhaft gemacht. Nach den vorliegenden Berichten des Krankenhauses St. Josef vom 17. Juli 2019 und vom 6. September 2019 sind die Operation (Diagnose: Narbenhernie bei Zustand nach offener Nabelheriotomie) und der postoperative Verlauf vielmehr komplikationslos und unproblematisch gewesen. Abgesehen von der Einnahme von Schmerzmitteln hat der Antragsteller selbst keinen weitergehenden Behandlungsbedarf vorgebracht. Im Übrigen ist der Antragsteller gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 12.4.2019, S. 48 ff. u. 51 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: Oktober 2018, vom 10.12.2018, S. 21 ff.) auszuschöpfen. Gegebenenfalls kann er auch auf private Hilfemöglichkeiten oder Hilfsorganisationen sowie auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückzugreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Nigeria etwa auch Medikamente besorgen könnte. Abgesehen davon könnten dem Antragsteller bei Bedarf für eine Übergangszeit auch Medikamente mitgegeben werden.
Das Gericht verkennt nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Schließlich ist die mit der Antragserwiderung vom 9. Januar 2020 erfolgte Änderung zum Beginn der Ausreisefrist, wonach der Antragsteller nunmehr aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen, nicht zu beanstanden und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, sondern erfolgt zu seinen Gunsten.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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