Verwaltungsrecht

Verfahreneinstellung wegen Versäumnisses eines Termins zur erkennungsdienstlichen Behandlung

Aktenzeichen  B 4 S 17.30034

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 105488
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 32, § 33, § 34

 

Leitsatz

Soweit die Vermutungsvoraussetzungen des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG, dass der Asylsuchende das Verfahren nicht betreibet, nicht vorliegen, hat das Eilverfahren gegen die Einstellung des Asylverfahrens sowie gegen die Abschiebungsandrohung, die auf § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG beruhen, Erfolg. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebenden Wirkung der Klage vom 05.01.2017 (B 4 K 17.30035) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.12.2016 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller, guineischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 06.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte mit Schreiben vom 05.01.2016 des Betreuungsvereins des Diakonischen Werks Hof, der mit Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 28.12.2015 als Vormund für den Antragsteller bestellt worden war, einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), dessen Eingang am 07.01.2016 das Bundesamt mit Schreiben vom 18.04 2016 bestätigte.
Mit Schreiben vom 18.11.2016 teilte das Bundesamt dem Antragsteller mit, dass ein Termin zur (erneuten) erkennungsdienstlichen Behandlung am 06.12.2016 um … Uhr in Bayreuth anberaumt worden sei. Das Schreiben enthält die Aufforderung, diesen Termin unbedingt wahrzunehmen, sowie den Hinweis, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gelte, wenn der Antragsteller zu diesem Termin nicht erscheine, und dass das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage über das Vorliegen von Abschiebungsverboten entscheide, wenn im Falle des Nichterscheinens kein Nachweis über die Hinderungsgründe vorgelegt werden könne. Laut Zustellungsurkunde wurde das Schriftstück am 19.11.2016 zugestellt, indem es die Postbedienstete in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten einlegte.
Mit Bescheid vom 21.12.2016 wurden vom Bundesamt
1.festgestellt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist,
2.festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen,
3.der Antragsteller unter Fristsetzung von einer Woche und Abschiebungsandrohung nach Guinea oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zur Ausreise aufgefordert und
4.das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
In der Begründung heißt es unter anderem, der Antragsteller sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen, daher werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG nicht betreibe. Das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse drohende Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Heimatland zweifelhaft erscheinen. Deshalb sei dies ein deutliches Indiz dafür, dass der Antragsteller bislang keinen derartigen Gefahren im Herkunftsland ausgesetzt gewesen sei und ihm derartige Gefahren auch bei einer Rückkehr nicht drohten.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller mit einem Begleitschreiben vom 23.12.2016 zugestellt.
Am 05.01.2017 hat der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Bescheid vom 21.12.2016 erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung macht er geltend, er habe den Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung am 06.12.2016 wahrgenommen. Er sei um … Uhr erschienen und um … Uhr von dem zuständigen Mitarbeiter wieder entlassen worden, nachdem Fingerabdrücke genommen und ein Foto gemacht worden seien. Als Beweis lege er die Kopie des am 06.12.2016 gültigen Bayern-Tickets vor. Die Beklagte habe daher erneut über den Asylantrag zu entscheiden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Bundesamtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 05.01.2017 (B 4 K 17.30035), über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheidet, ist zulässig (1.1) und begründet (1.2).
1.1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Einstellung des Asylverfahrens (Ziffer 1 des Bescheides vom 21.12.2016) und die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheides vom 21.12.2016) ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Abs. 1 AsylG statthaft. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 sowie der §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Hier geht es weder um Widerruf und Rücknahme (§§ 73, 73b und 73c AsylG), noch liegt ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor, sondern ein Fall des § 38 Abs. 2 AsylG, in dem die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche beträgt, weil das Bundesamt den Rücknahmefiktionstatbestand des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG als erfüllt ansieht.
Die in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung, für einen Eilantrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO fehle regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis, da mit dem an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes zur Verfügung stehe (Hailbronner, AuslR, 98. Aktualisierung Oktober 2016, § 33 AsylG Rn. 66 m.w.N.), ist abzulehnen. Die Feststellungen nach § 33 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 32 AsylG und die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG verletzen den Antragsteller in seinen Rechten, wenn sie rechtswidrig sind. Mit der verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ist es daher nicht vereinbar, den Antragsteller auf die Inanspruchnahme des § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG zu verweisen.
1.2 Der Antrag ist begründet. Zwar hat das Bundesamt die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG auch im Fall der Verfahrenseinstellung nach § 32 AsylG zu erlassen (BVerwG, Urteil vom 17.12.2009 – 10 C 27/08, Rn. 11 und 12, juris). Das gilt auch, wenn das Verfahren nach § 33 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 32 AsylG eingestellt wird. Die Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG wird sich im Hauptsacheverfahren aber möglicherweise als rechtswidrig erweisen mit der Folge, dass auch über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht gemäß § 32 AsylG nach Aktenlage hätte entschieden werden dürfen. In diesem Fall wäre auch die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG rechtswidrig.
Nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein, wenn der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 oder Abs. 3 AsylG als zurückgenommen gilt. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Wird das Erfordernis der schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen nicht eingehalten, so sind die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nicht gegeben (Hailbronner, a.a.O., § 33 AsylG Rn. 61).
Die Vermutungsvoraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Die Begründung des Bescheides vom 21.12.2016 ist falsch, soweit die Einstellung des Asylverfahrens auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gestützt wird, weil der Antragsteller mit Schreiben vom 18.11.2016 nicht zu einer Anhörung gemäß § 25 AsylG, sondern zur erkennungsdienstlichen Behandlung geladen wurde. Diese Ladung erfüllt nicht den Tatbestand einer „Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG“ im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG. Angesichts der gesetzlichen Beschränkung der Vermutungsregelung auf die „Vorlage von Informationen“ ist es nicht zulässig, über den gewöhnlichen Wortsinn hinausgehend sonstige Kooperationspflichten, wie etwa die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG vorgesehene Pflicht, die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden, in den Anwendungsbereich des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG einzubeziehen (Hailbronner, a.a.O. § 33 AsylG Rn. 33). Im Falle der Nichterfüllung dieser Duldungspflicht wird daher das Nichtbetreiben des Verfahrens nicht vermutet, sondern ist gemäß § 33 Abs. 1 AsylG unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles zu prüfen.
Die Fragen, ob der Antragsteller den Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung am 06.12.2016 versäumt und gegebenenfalls dadurch gemäß § 33 Abs. 1 AsylG das Verfahren nicht betrieben hat, lassen sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht abschließend beantworten. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist daher offen.
Das Vorbringen des Antragstellers, er habe den Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung, wenn auch nicht pünktlich um … Uhr, sondern mit einer halben Stunde Verspätung um … Uhr, wahrgenommen, sieht das Gericht noch nicht als erwiesen an. Das für den 06.12.2016 vorgelegte Bayern-Ticket, welches im Übrigen an diesem Tag, einem Dienstag, erst ab 9.00 Uhr galt, sagt nichts über den Benutzer und den Zielort der Fahrt aus. Das in der Bundesamtsakte befindliche INPOL-Ergebnis vom 06.12.2016 09:08:35 ermöglicht keine eindeutige Schlussfolgerung. Danach wird der Antragsteller in INPOL unter Personalien geführt, die dem Ergebnis einer erkennungsdienstlichen Behandlung am 25.10.2015 durch die Dienststelle Rosenheim entsprechen. Eine zweite erkennungsdienstliche Behandlung durch die Dienststelle Bayreuth, die hinsichtlich der Schreibweise des Vornamens (Voussouf – Youssouf) und des Geburtsortes (Conakry – Bela) von der ersten abweicht (die Angabe von Papua-Neuguinea als Geburtsland dürfte in beiden Fällen wohl ein Versehen sein), ist eingetragen, es fehlt aber im Unterschied zur ersten der „Vermerk“ einer Personenkennziffer und des BAMF-Aktenzeichens. Letzteres und der Umstand, dass der Antragsteller in INPOL noch unter den zuerst erhobenen Personalien geführt wird, spricht für die Annahme, dass der zweite Eintrag nur bedeutet, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung am 06.12.2016 vorgesehen war, aber nicht stattgefunden hat. In diesem Fall stellt sich jedoch die Frage, wie die abweichenden Angaben (Vorname: Youssouf, Geburtsort: Bela) Eingang in die zweite INPOL-Eintragung und in die Bundesamtsakte gefunden haben. Dort wird der Antragsteller mit dem Vornamen … und Geburtsort Bela geführt. Die Schreibweise des Vornamens ergibt sich aus dem Asylantrag, nicht hingegen der Geburtsort.
Solange nicht verbindlich geklärt ist, ob der Antragsteller den Termin am 06.12.2016 wahrgenommen hat oder nicht, kann – mangels einer Einlassung des Antragstellers zu den Gründen seiner eventuellen Säumnis – im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auch nicht abschließend beurteilt werden, ob dieses Verhalten gegebenenfalls die Annahme begründet, der Antragsteller habe das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 AsylG nicht betrieben.
Offene Erfolgsaussichten der Klage rechtfertigen aber, da kein Fall des § 36 Abs. 4 AsylG vorliegt, die Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung.
Ob die Belehrung in der Ladung vom 18.11.2016 den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG entspricht (Empfangsbestätigung? Belehrung in einer dem Antragsteller verständlichen Sprache? Inhaltlich fehlerhaft wegen des Hinweises auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG?) kann unter diesen Umständen dahinstehen.
2. Nach alledem wird dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, stattgegeben. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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