Verwaltungsrecht

verfristete Begründung eines Antrags auf Berufungszulassung, keine Wiedereinsetzung in vorigen Stand bei Organisationsverschulden des Rechtsanwalts

Aktenzeichen  22 ZB 21.1509

Datum:
23.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24959
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4
VwGO § 60 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 4 K 19.00848 2021-04-15 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
IV. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich mit seinem Antrag auf Berufungszulassung wie schon im erstinstanzlichen Verfahren gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
Mit Urteil vom 15. April 2021, das mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung erging, wies das Verwaltungsgericht Ansbach die Anfechtungsklage des Klägers gegen eine erweitere Gewerbeuntersagung (Bescheid vom 26. März 2019) ab. Laut Empfangsbekenntnis wurde das Urteil dem Bevollmächtigten des Klägers am 21. April 2021 zugestellt.
Am 19. Mai 2021 beantragte der Klägerbevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Ansbach die Zulassung der Berufung.
Am 21. Juni 2021 ging ebenfalls beim Verwaltungsgericht Ansbach per Telefax ein vom Klägerbevollmächtigten unterzeichneter Schriftsatz ein. Darin wird beantragt, „die Frist zur Berufungsbegründung, endend am 21.06.2021“ um einen Monat zu verlängern. Begründet wurde dies mit krankheitsbedingter Abwesenheit des Klägerbevollmächtigten, weshalb eine Besprechung mit der Mandantschaft zur Vorbereitung der Erwiderung noch nicht habe erfolgen können. Das Verwaltungsgericht Ansbach übermittelte den Schriftsatz noch am selben Tag dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Mit Schreiben vom 23. Juni 2021 teilte dieser dem Klägerbevollmächtigten mit, dass eine gesetzliche Frist wie diejenige zur Begründung eines Berufungszulassungsantrags nicht verlängerbar sei.
Mit beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am selben Tag eingegangenem Schriftsatz vom 23. Juli 2021 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete zugleich seinen Antrag auf Berufungszulassung. Zum Wiedereinsetzungsantrag wurde ausgeführt, dass eine Kanzleimitarbeiterin des Klägerbevollmächtigten ordnungsgemäß die Fristen zur Einlegung der „Zulassungsbeschwerde“ und zu deren Begründung notiert habe. Die Mitarbeiterin sei mit Unterbrechungen seit über 20 Jahren für den Klägerbevollmächtigten tätig und seit vielen Jahren auch für das Notieren und die Kontrolle von Fristen zuständig. Sie werde dabei regelmäßig vom Unterfertigten stichprobenartig kontrolliert; Fehler seien dabei nicht aufgefallen, sie arbeite zuverlässig. Am Tag des Fristablaufs zur Begründung des Zulassungsantrags sei der Klägerbevollmächtigte krank gewesen und habe nicht in seine Kanzlei kommen können. Daher habe seine Mitarbeiterin eine Blankounterschrift von ihm verwendet und den (o.g.) Schriftsatz vom 21. Juni 2021 an das Verwaltungsgericht gefertigt. Zur Glaubhaftmachung wurde eine diesem Vortrag entsprechende eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin vorgelegt. Zur Begründung des Zulassungsantrags selbst führte der Klägerbevollmächtigte aus, dass die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei und dem Verwaltungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen sei, weil es versäumt habe, bestimmte Aspekte des Sachverhalts durch Partei- und Zeugeneinvernahme weiter aufzuklären bzw. zu ermitteln.
Die Beklagte äußerte sich im Zulassungsverfahren nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, da er nicht innerhalb der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hierfür eröffneten Zweimonatsfrist nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet wurde und insoweit auch keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand geboten war.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde nicht fristgerecht begründet, insbesondere konnte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Die Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Antragsbegründung wurde vorliegend nicht eingehalten. Sie begann mit der am 21. April 2021 ordnungsgemäß bewirkten Zustellung des angefochtenen Urteils an den Bevollmächtigten des Klägers (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB) zu laufen und endete mit Ablauf des 21. Juni 2021 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB).
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung sind glaubhaft zu machen.
Der Klägerbevollmächtigte hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden gehindert war, den Zulassungsantrag bis Ablauf des 21. Juni 2021 zu begründen.
Soweit er vorträgt, dass er am 21. Juni 2021 krank gewesen sei bzw. angesichts der Erkrankung noch keinen Besprechungstermin mit dem Kläger wahrnehmen habe können, vermag dies – mangels spezifischer Angaben etwa zum Zeitraum der Erkrankung – bereits nicht zu erklären, warum der Klägerbevollmächtigte zuvor bzw. insgesamt (für den Zeitraum ab 21. April 2021) verhindert gewesen sein soll, seinen Mandanten zu konsultieren, um anschließend eine Begründung anzufertigen.
Unabhängig davon war die Verhinderung bzw. die Fristversäumnis jedenfalls nicht unverschuldet. Verschulden i.S.v. § 60 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.5.2021 – 9 ZB 20.2993 – juris Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 – juris Rn. 5 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen. Ein schuldhaftes Handeln von Hilfspersonen des Rechtsanwalts, insbesondere von Büropersonal, ist als solches dem bevollmächtigten Rechtsanwalt und damit auch der Partei nicht zurechenbar, da eine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift über die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen im Prozessrecht fehlt. Allerdings können Fehler von Hilfspersonen auf eine in der eigenen Verantwortungssphäre des bevollmächtigten Rechtsanwalts liegende Ursache zurückzuführen sein, im Hinblick auf die diesen unter dem Gesichtspunkt des sog. Organisationsverschuldens ein eigener Schuldvorwurf treffen kann. In dem Wiedereinsetzungsantrag ist deshalb darzulegen, dass kein schuldhaftes Handeln des Prozessbevollmächtigten vorliegt, sondern dieser hinreichende organisatorische Maßnahmen getroffen hat (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2021 – 9 ZB 20.2993 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 18.2.2021 – 19 ZB 20.2436 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Den Klägerbevollmächtigten trifft vorliegend ein solches Organisationsverschulden bzw. hat er nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er hinreichende organisatorische Maßnahmen zur Einhaltung der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags getroffen hat. Denn es gehört zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Nach gefestigter Rechtsprechung zählt zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung, dass bei Rechtsmittelbegründungen außer dem Datum des Fristablaufs eine Vorfrist von grundsätzlich etwa einer Woche notiert werden muss. Die Vorfrist dient dem Zweck, dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu ermöglichen, sich rechtzeitig auf die vorstehende Fertigung der Rechtsmittelbegründung einzustellen und den für die Bearbeitung der Rechtsmittelbegründung erforderlichen Zeitraum zu gewährleisten (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2019 – 2 B 1.19 – juris Rn. 9; zur Kontrolle von derart eingetragenen Fristen anlässlich der Fertigung des Zulassungsantrags selbst vgl. auch BayVGH, B.v. 29.5.2020 – 3 ZB 19.2432 – juris Rn. 9). Aus der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin und dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten ergibt sich gerade nicht, dass eine solche Vorfrist notiert wurde. Hätte es eine solche Vorfrist gegeben, wäre es auch kurzfristig noch möglich gewesen, fristwahrend eine Antragsbegründung zu erstellen, gegebenenfalls auch durch einen Vertreter des Klägerbevollmächtigten. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welche auch auf die vorliegende verwaltungsgerichtliche Konstellation zu übertragen ist, muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen u.a. dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen treffen (vgl. BGH, B.v. 19.2.2019 – VI ZB 43/18 – juris Rn. 7 m.w.N.). Insbesondere ist es insofern nicht ausreichend – unabhängig davon, dass die Frist vorliegend ohnehin nicht verlängerbar war – dass der Klägerbevollmächtigte seiner Mitarbeiterin vorsorglich eine Blankounterschrift für derartige Konstellationen zur Verfügung stellt (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BGH, B.v. 11.5. 2011 – IV ZB 2/11 – juris Rn. 11).
Mangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist damit die am 23. Juli 2021 vorgelegte Antragsbegründung nicht fristwahrend erfolgt. Im Übrigen hätte diese Begründung dem Antrag auch in der Sache nicht zum Erfolg verholfen. Soweit der Klägerbevollmächtigte die aus seiner Sicht grundsätzliche Frage aufwirft, ob das Verwaltungsgericht bei der Überprüfung eines Gewerbeuntersagungsbescheids (Anfechtungsklage) auch die Voraussetzungen einer Wiedergestattung der Gewerbeausübung zu berücksichtigen habe, ist dies (verneinend) bereits seit langem in der Rechtsprechung geklärt (vgl. bereits BVerwG, B.v. 16. 6.1995 – 1 B 83/95 – juris Rn. 4 m.w.N.). Soweit ein Verfahrensfehler in Form von mangelnder Sachverhaltsaufklärung (Amtsermittlung) dargelegt wird, ist ein solches Ermittlungsdefizit anhand der Aktenlage jedenfalls nicht erkennbar. Zudem hat der Klägerbevollmächtigte auf mündliche Verhandlung verzichtet, weshalb er sich auf mangelnde Aufklärung angesichts einer seiner Ansicht nach notwendigen, aber unterbliebenen Partei- und Zeugeneinvernahme nicht berufen kann (vgl. für eine ähnliche Konstellation – unterlassener Antrag auf mündliche Verhandlung nach Gerichtsbescheid – BayVGH, B.v. 12.5.2016 – 22 ZB 16.549 – juris Rn. 22).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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