Verwaltungsrecht

Verhältnis der Kostenerstattungsregelungen nach  § 89d Abs. 1 S. 1, Abs. 3 SGB VIII und Art. 7 AufnG

Aktenzeichen  RO 4 K 15.1005

Datum:
3.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII SGB VIII § 89d Abs. 1 S. 1, Abs. 3
AufnG § 7

 

Leitsatz

Art. 7 AufnG ist die speziellere Erstattungsnorm zu § 89 d Abs. 1 Satz 1 Abs. 3 SGB VIII. Art. 7 AufnG bringt Anspruch aus § 89 d Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB VIII nicht zum Erlöschen (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Fall …, geb. … 2000, in der Zeit vom 1.9.2012 bis 31.10.2012 entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von 10.094,57 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Entscheidung erfolgt mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Die zulässige Klage ist begründet, der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der begehrten Leistung.
Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Kostenerstattung ist § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 des Sozialgesetzbuches VIII (SGB VIII). Der Beklagte wurde hier mit Schreiben des Bundesverwaltungsamtes vom 21.3.2011 als überörtlicher Träger für die Kostenerstattung nach § 89 d Abs. 3 SGB VIII bestimmt. Die Kostentragungspflicht des Beklagten ist nicht dadurch erloschen, dass die im Rahmen der Jugendhilfe angefallenen Kosten für den unbegleiteten Minderjährigen bis zum 31.8.2012 durch den Freistaat Bayern aufgrund des Art 7 des Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz -AufnG) in der damals gültigen Fassung übernommen wurden. Nach Ansicht des Gerichts bestanden die Ansprüche des Jugendhilfeträgers (hier des Klägers) aus Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung gegen den Freistaat Bayern und aus § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII gegen den Bezirk Oberpfalz parallel zueinander, wobei der Kläger den Anspruch aus § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII nicht geltend machen konnte, solange er die Kostenerstattung über Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung vom Freistaat Bayern erhalten hat. Solange die Anspruchsvoraussetzungen des Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung und des § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII zeitgleich bestanden, wurde nämlich der Anspruch nach § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII durch die speziellere Erstattungsnorm des Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung verdrängt (so auch Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil vom 22.2.2010, Az.: B 3 K 09.986- juris). Mit dem Wegfallen der Anspruchsvoraussetzungen des Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung kam allerdings der Erstattungsanspruch aus § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII wieder zum Tragen, so dass der Kläger gegenüber dem Beklagten den eingeklagten Kostenerstattungsanspruch geltend machen konnte.
Das Gericht weicht bei seiner Entscheidung nicht von dem oben genannten Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth, das durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde (Beschluss vom 12.4.2011, Az.: 12 ZB 10.804- juris), ab. Der vom Verwaltungsgericht Bayreuth entschiedene Sachverhalt entspricht nicht dem hier streitgegenständlichen Sachverhalt. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth lag eine Konstellation zugrunde, bei dem Ansprüche aus Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung nicht realisiert werden konnten, weil die seitens des Jugendhilfeträgers bei diesem Erstattungsverfahren einzuhaltenden Fristen nicht eingehalten wurden. Im hier streitgegenständlichen Fall konnte der Kläger seine Kostenerstattungsansprüche nicht mehr auf Art 7 AufnG stützen, weil dessen Anspruchsvoraussetzungen geendet haben. Der unbegleitete Minderjährige war ab August 2012 nicht mehr Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nachdem der Anspruch nach der spezielleren Kostenerstattungsregelung geendet hat, konnte der Kläger seine Ansprüche wieder auf die allgemeinere Erstattungsvorschrift des § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII stützen (a.A. Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 9.4.2013, Az.: AU 3 K 12.1468- juris). Dieser bundesrechtlich geregelte Erstattungsanspruch war aufgrund des Anspruches aus Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung nach Ansicht des Gerichts nämlich nicht erloschen, sondern wurde von diesem nur verdrängt. Würde man sich der Ansicht des Beklagten, dass nach Wegfall der Voraussetzungen des Art 7 AufnG in der damals gültigen Fassung kein Rückgriff mehr auf die Kostenerstattungsregelung des § 89 d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VIII möglich ist, anschließen, würde dies den Kläger schlechter stellen als er stünde, wenn ihm nach § 89 d Abs. 3 SGB VIII ein außerbayerischer Kostenträger zugewiesen worden wäre. Dies würde der Regelung des § 89 d Abs. 3 SGB VIII, die für eine bundesweit gleichmäßige Lastenverteilung sorgen soll, zuwider laufen. Auch durch die zum 1.11.2012 erfolgte Änderung des Art 7 Aufnahmegesetzes wird die Auffassung des Beklagten nicht gestützt. Die Änderung erfolgte nur, um es Bayern zu ermöglichen, die für unbegleitete Minderjährige entstandenen Jugendhilfekosten, in den bundesweiten Belastungsvergleich mit einfließen lassen zu können. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte seine Rechtsauffassung hier auch nicht konsequent umgesetzt hat. Er hätte dann nämlich auch ab November 2012 gegenüber dem Kläger die Jugendhilfekosten für die Unterbringung des unbegleiteten Minderjährigen nicht mehr erstatten dürfen. Der aus Sicht des Beklagten erloschene Anspruch würde ja nicht aufgrund der Gesetzesänderung wieder aufleben.
Rechtsgrundlage für die Verzinsung der durch den Beklagten zu erstattenden Kosten ab Rechtshängigkeit ist § 291 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern sind nicht gerichtskostenfrei (§ 188 Satz 2 2.Hs.VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg zu stellen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg).
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen (Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 340148, 80098 München).
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, 2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, 3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.
Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.094,57 € festgesetzt, § 52 Abs. 3 GKG.


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