Verwaltungsrecht

Verhältnis der Lehrfreiheit zu Prüfungsbewertungen

Aktenzeichen  7 ZB 16.1753

Datum:
28.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2017, 736
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1, Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Annullierung einer Modulprüfung im Rahmen eines Bachelorstudiengangs berührt die Lehrfreiheit eines Professors, der als Prüfer an der Bewertung der Prüfungsleistungen mitgewirkt hat, nur dann, wenn sie Rückwirkungen auf die inhaltliche und methodische Gestaltung seiner Lehrveranstaltungen hat.

Verfahrensgang

RN 3 K 15.1219 2016-07-12 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich dagegen, dass die Bewertung einer Modulprüfung in den Bachelorstudiengängen Maschinenbau, Automobil- und Nutzfahrzeugtechnik, Energie- und Leichtbautechnik, zum Modul „Grundlagen der Fertigungstechnik“ an der Hochschule L. im Sommersemester 2014, an der er als Prüfer mitgewirkt hat, annulliert und in der Folge die Prüfung wiederholt worden ist, wobei die Ergebnisse der Wiederholungsprüfung dem Leistungsnachweis zugrunde gelegt worden sind.
Die ursprüngliche Prüfung hatte einen Notendurchschnitt von 4,81 bei einer Durchfallquote von 84% ergeben. Eine Beurteilung der Prüfung und der Prüfungsbewertung durch einen an einer anderen Hochschule lehrenden Professor ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zahl der Prüfungsfragen deutlich zu hoch für die zur Verfügung stehende Zeit gewesen ist und der Prüfungsinhalt zu einem Großteil nicht der Modulbeschreibung entsprochen hat. Mit Schreiben an den Dekan der Fakultät Maschinenbau und den Vorsitzenden der Prüfungskommission hob der Präsident der Hochschule die Prüfung „Grundlagen der Fertigungstechnik“ des Sommersemesters 2014 in ihrer Gesamtheit auf, mit der Möglichkeit für jene Studierenden, die diese Prüfung bestanden haben, sie anerkennen zu lassen und ordnete an, die notwendigen Schritte einzuleiten, um den betroffenen Studierenden eine Wiederholungsprüfung zu ermöglichen. Die Prüfungswiederholung ergab einen Notendurchschnitt von 2,7, wobei alle Teilnehmer bestanden haben.
Nachdem der Kläger mit seiner Forderung, die Aufhebung der Prüfung zu begründen, und dem Verlangen, die entsprechende Veröffentlichung im Internet zu löschen, erfolglos geblieben war, hat er Klage mit dem Antrag erhoben, festzustellen, dass die Aufhebung der Teilprüfung „Grundlagen der Fertigungstechnik“ des Klägers aus dem Sommersemester 2014 durch den Präsidenten der Hochschule rechtswidrig war. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen:
Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Der in der Aufhebung der Prüfungsbewertungen in ihrer Gesamtheit bestehende Verwaltungsakt habe sich mit der Durchführung der Wiederholungsprüfung noch vor Klageerhebung erledigt. An der Feststellung habe der Kläger ein Rehabilitationsinteresse, weil der Vorgang im Internet nicht nur hochschulintern veröffentlicht worden sei. Seine Klagebefugnis ergebe sich aus seiner durch Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Lehrfreiheit. Allerdings sei die Klage unbegründet, weil unabhängig von formeller und materieller Rechtmäßigkeit der Prüfungsaufhebung das Recht des Klägers aus Art. 5 Abs. 3 GG hinter dem Grundrecht der Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG zurückzutreten habe. Das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere hinsichtlich des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gebiete, die Studierenden im Nachhinein nicht mit der Unsicherheit einer möglichen Rücknahme der Bewertung der Wiederholungsprüfung nach Art. 48 BayVwVfG zu belasten.
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. An der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung bestünden ernstliche Zweifel. Das Verwaltungsgericht hätte von einem Verwaltungsakt auch gegenüber dem Kläger ausgehen und die Klage als Anfechtungsklage behandeln müssen. Ferner hätte es bei der Abwägung zwischen der Lehrfreiheit des Klägers und der Freiheit der Berufswahl der Prüflinge zum Ergebnis kommen müssen, dass wegen der Doppelwirkung der Aufhebung der Prüfungsentscheidung die Rechte der Studierenden nicht tangiert würden, wenn die Prüfung zwar ihnen gegenüber, jedoch nicht gegenüber dem Kläger als aufgehoben gelte. Dabei könne die Frage offen bleiben, ob die Aufhebung der Prüfungsentscheidung gegenüber den Studierenden rechtmäßig war. Das Verwaltungsgericht könne auch nicht darlegen, weshalb das Grundrecht der Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein soll. Außerdem weise die Sache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und habe grundsätzliche Bedeutung.
Die Beklagte tritt dem entgegen. Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen eigenen Antrag, hält jedoch die angegriffene Entscheidung im Ergebnis für rechtmäßig, weil die Klage mangels Klagebefugnis des Klägers bereits unzulässig sei.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen im Ergebnis nicht.
Die Entscheidung über die Aufhebung der Prüfungsbewertung ist schon allein denkgesetzlich gegenüber allen Beteiligten gleichermaßen wirksam. Für den Erfolg einer Klage ist entscheidend, ob bzw. wie weit die Aufhebung der Prüfungsbewertung subjektive Rechte des klagenden Beteiligten berührt und diese gegebenenfalls verletzt. Im Hinblick auf den Kläger stellt sich die Frage, ob er in seinem Grundrecht auf Lehrfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt ist.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 24.5.1991 – 7 NB 5/90, Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 134; B.v. 22.8.2005 – 6 BN 1/05 – Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 263; die Entscheidungen betreffen zwar Normenkontrollanträge von Hochschullehrern gegen Prüfungsordnungen, treffen jedoch auch auf Prüfungsbewertungen im Einzelfall zu) ist geklärt, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Hochschullehrern einen gegen Eingriffe des Staates geschützten Freiraum verbürgt, der vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe umfasst. Sie müssen so frei wie möglich ihren wissenschaftlichen Auftrag erfüllen können. Nach der einfach-gesetzlichen Konkretisierung in § 4 Abs. 3 des Hochschulrahmengesetzes (HRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999 (BGBl S. 18), zuletzt geändert mit Gesetz vom 12. April 2007 (BGBl S. 506), umfasst die Freiheit der Lehre insbesondere die Abhaltung von Lehrveranstaltungen und deren inhaltliche und methodische Gestaltung sowie das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen Lehrmeinungen.
Die Frage nach dem Studienerfolg der Studierenden hingegen ist in erster Linie an dem Grundrecht der Studenten auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Zu einer Kollision mit dem Grundrecht der Hochschullehrer auf Lehrfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kommt es nur, soweit von Regelungen oder Anordnungen hinsichtlich der gestellten Leistungsanforderungen bei Prüfungen Rückwirkungen auf die inhaltliche und methodische Gestaltung der Lehrveranstaltungen ausgehen. Nur wenn derartige Rückwirkungen im konkreten Fall vorliegen, ist die Lehrfreiheit des Hochschullehrers berührt. Ein Recht des Prüfers an seinen Prüfungsbewertungen, auch wenn sie im Rahmen des dem Prüfer zustehenden prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums getroffen worden sind, außerhalb der Lehrfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht anerkannt (BayVGH, B.v. 6.3.1986 – 3 B 84 A.1062 zur Ungültigkeitserklärung einer Schulaufgabe an einem Gymnasium).
Rückwirkungen der Aufhebung der Prüfungsbewertung sowie der Anordnung der Prüfungswiederholung auf die Lehrfreiheit des Klägers in diesem Sinn, dass sie sich auf die inhaltliche und methodische Gestaltung seiner Lehrveranstaltungen auswirken, sind nicht erkennbar und können auch dem Gutachten von Prof. Dr. K. nicht entnommen werden. Anhaltspunkte dafür wurden auch in der Antragsbegründung nicht vorgetragen.
Die vom Kläger geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen damit entweder nicht vor oder sind nicht entscheidungserheblich. Die Frage, ob sich der Kläger auf das Grundrecht gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen kann, ist – wie ausgeführt – in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Darauf, ob die Prüfungsanforderungen zu hoch waren, kommt es nicht an, weil insoweit keine Rückwirkung auf die inhaltliche und methodische Gestaltung der Lehrveranstaltung des Klägers zu erkennen ist. Auf die Frage, welche Auswirkungen die Aufhebung der Prüfungsentscheidung auf die Teilnehmer hatte, die bestanden hatten, kommt es bei der Prüfung, ob Rechte des Klägers betroffen sind, ebenfalls nicht an. Im Übrigen war diesen Prüflingen die Möglichkeit eröffnet, es beim Ergebnis der bestandenen Modulprüfung vom 16. Juli 2014 zu belassen. Ebenso wenig ergeben sich aus der Frage, ob es sich bei der Prüfungsaufhebung um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung oder mit Doppelwirkung handelt, entscheidungserhebliche besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten.
Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Fragestellung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), ob die Abhaltung von Prüfungen unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG fällt bzw. unter welchen Voraussetzungen dieses Grundrecht gegenüber dem Schutz der Studierenden zurückzutreten hat, ist entsprechend den vorstehenden Ausführungen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Die Frage, inwieweit im konkreten Einzelfall die Prüfungsaufhebung auf die inhaltliche und methodische Gestaltung der Lehrveranstaltungen des Klägers zurückwirkt, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen. Die Fragestellungen, ob eine Klagebefugnis des Klägers als beteiligtem Dritten trotz der Aufhebung der Prüfungsentscheidung gegenüber den Studierenden besteht, und ob zwei Verwaltungsakte oder ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung oder Drittwirkung vorliegen, sind nach den vorstehenden Ausführungen nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben