Verwaltungsrecht

Verhältnis von Zwangsmitteln der Ersatzvornahme und des Zwangsgeldes – juristische Person des öffentlichen Rechts

Aktenzeichen  M 2 S 16.2955

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwZVG Art. Art. 29, Art. 32
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
WVG WVG § 72, § 76
WBVS § 12, § 17, § 21

 

Leitsatz

Nach Art. 32 Satz 2 BayVwZVG ist eine Ersatzvornahme zwar grundsätzlich nur zulässig, wenn ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Anwendung von Verwaltungszwang gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts einen Ausnahmefall darstellt (vgl. Art. 29 Abs. 4 BayVwZVG,)und nach Art. 29 Abs. 3 BayVwZVG das jeweilige Zwangsmittel in angemessenem Verhältnis zu seinem Zweck stehen muss und möglichst so zu bestimmen ist, dass der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2012 Verbandsvorsteher des Wasserbeschaffungsverbands … (nachfolgend: WBV), dessen satzungsmäßige Aufgabe es ist, für seine Mitglieder Trink- und Brauchwasser zu beschaffen. Er wendet sich gegen eine aufsichtliche Anordnung des Antragsgegners gegenüber dem Wasserbeschaffungsverband.
Bereits seit mehreren Jahren befasst sich der WBV – nach Darstellung des Antragsgegners ohne greifbare Ergebnisse – u. a. mit Planungen für einen notwendigen neuen Hochbehälter mit einem erheblichen Investitionsvolumen und mit notwendigen Anpassungen des Satzungsrechts des WBV. Ausweislich eines dem Landratsamt … vorliegenden Schreibens des Antragstellers vom 16. November 2015 habe dieser sich „entschlossen, das Ehrenamt als Vorstandssprecher des Wasserbeschaffungsverbands mit sofortiger Wirkung niederzulegen“. Ohne Rückhalt innerhalb der Vorstandschaft und ohne Verständnis dafür, dass die Geschäftsführung dem Verbandsvorsteher obliege, sei die weitere Amtsausübung nicht möglich. Der Antragsteller werde das Amt kommissarisch bis zur Neuwahl im Januar 2016 weiterführen.
Mit Schreiben des Landratsamts vom 25. November 2015 und 29. Januar 2016 wurde der WBV aufgefordert, die für das Jahr 2015 noch nicht durchgeführte jährliche Verbandsversammlung abzuhalten. Im Schreiben vom 29. Januar 2016 wurde hierfür eine Frist bis 15. März 2016 gesetzt und Hinweise zur Abfassung des Einladungsschreibens gegeben.
In einer Verbandsversammlung am 15. März 2016 erklärten nach Darstellung des Antragsgegners (dem keine Niederschrift über die Versammlung vorliegt) sechs der sieben Vorstandsmitglieder ihren „Rücktritt“ und legten ihr Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Zur Begründung sei angeführt worden, dass eine Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht mehr möglich sei. Der Antragsgegner führt an, er habe sich bei der Verbandsversammlung mit dem Antragsteller dahingehend geeinigt, dass kurzfristig eine neue Verbandsversammlung einberufen werde. Ein entsprechendes Schreiben des Landratsamts erging am 5. April 2016. Darin wurde dem WBV ein Vorschlag für die Tagesordnung übermittelt. Es wurde darum gebeten, rechtzeitig zur Verbandsversammlung einzuladen und diese durchzuführen. Mit E-Mail des Landratsamts vom 2. Mai 2016 wurde der Antragsteller nochmals gleichlautend aufgefordert. Hierauf antwortete der Antragsteller nach Aktenlage mit E-Mail vom 1. Juni 2016: „Auch für mich gibt es so was wie Urlaub. Schicken Sie mir daher einfach Ihre Wünsche zur Vorgehensweise, dann berücksichtige ich das.“
Mit Bescheid vom 6. Juni 2016 ordnete das Landratsamt … gegenüber dem WBV Folgendes an: In Ziffer 1. des Bescheids wird der Verbandsvorsteher des WBV angewiesen, bis spätestens 15. Juli 2016 eine Verbandsversammlung des WBV durchzuführen. Die Vorgaben der aktuell gültigen Satzung des WBV insbesondere hinsichtlich der Einberufung zur Verbandsversammlung seien dabei einzuhalten. Der Termin sei mit dem Landratsamt und der Gemeinde … abzustimmen. Es werde „empfohlen“, die Tagesordnung für die Verbandsversammlung aus dem beiliegenden Vorschlag zu übernehmen, Änderungen seien ggf. vorab mit dem Landratsamt abzustimmen. In Ziffer 2. des Bescheids wird die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. des Bescheids angeordnet. Falls der Verbandsvorsteher der Anweisung nach Ziffer 1. nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht nachkomme, werde das Landratsamt als Aufsichtsbehörde die Verbandsversammlung auf Kosten des WBV durchführen; die Ersatzvornahme werde hiermit angedroht. Der Kostenbeitrag der Ersatzvornahme werde vorläufig auf 400,00 € veranschlagt; dieser Betrag sei am 18. Juli 2016 zur Zahlung fällig (Ziffer 3.). Nach Ziffer 4. des Bescheids gelte der Sofortvollzug der Ziffer 3. kraft Gesetzes. Der Bescheid erging kostenfrei (Ziffer 5.). In den Gründen des Bescheids wird ausgeführt: Nach § 12 Abs. 2 der Verbandssatzung müsse eine Verbandsversammlung ohne Verzug einberufen werden, wenn es beispielsweise die Aufsichtsbehörde verlange. Nachdem in der Verbandsversammlung am 15. März 2016 von sechs Vorstandsmitgliedern der Rücktritt erklärt worden sei, die Abberufung durch die Verbandsversammlung nicht zeitgleich habe erfolgen können und nunmehr über das weitere Schicksal des WBV beschlossen werden müsse (Neuwahlen bzw. Wahl von Ersatzmitgliedern bzw. Auflösung des WBV) sei eine kurzfristige Durchführung einer neuen Verbandsversammlung zwingend notwendig. Nach § 17 Abs. 2 der Verbandssammlung seien, wenn ein Vorstandsmitglied vor dem Ablauf der Amtszeit ausscheide, für den Rest der Amtszeit Ersatzmitglieder zu wählen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate könne nicht davon ausgegangen werden, dass die erforderliche Verbandsversammlung kurzfristig durchgeführt werde. Die außerordentlich wichtigen Aufgaben eines Wasserbeschaffungsverbands ließen aber keinen Verband ohne geregelte Vorstandschaft zu. Die Androhung der Ersatzvornahme beruhe auf § 76 WVG. Deren sofortige Vollziehung liege im besonderen öffentlichen Interesse. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass im Zeitraum bis zur Rechtskraft des Bescheids die Verbandstätigkeit vollständig zum Erliegen komme. Bei einem Unternehmen, das seine Mitglieder mit ordnungsgemäßem Trink- und Brauchwasser zu versorgen habe, sei dies nicht vertretbar.
Am 6. Juli 2016 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid (die unter dem Aktenzeichen M 2 K 16.2962 beim Verwaltungsgericht München anhängig ist). Im vorliegenden Verfahren beantragte der Antragsteller zuletzt,
I.
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage bezüglich Ziffer 1. des Bescheids wiederherzustellen und bezüglich Ziffer 3. des Bescheids anzuordnen;
II.
die Vollzugsfolgen in Form der durchgeführten Einladung dadurch rückgängig zu machen, dass die Einladung aufgehoben wird, § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
Zur Begründung des Antrags wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig, weshalb die Klage in der Hauptsache aller Voraussicht nach Erfolg haben werde. Schon deshalb überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Im WBV gebe es seit einiger Zeit Streitigkeiten der Verbandsmitglieder untereinander, aber auch mit der Gemeinde … Es herrsche insbesondere Unstimmigkeit über die Frage, wer für die Kosten der ausreichenden Versorgung mit Löschwasser verantwortlich sei. Nach Auffassung des Antragstellers handle es sich dabei nicht um eine Aufgabe des WBV. Den „Rücktritt“ von sechs Verbandsräten in der Verbandsversammlung am 15. März 2016 habe das Landratsamt zum Anlass für den streitgegenständlichen Bescheid genommen. Auch der Antragsteller habe in einer internen Vorstandssitzung seinen Rücktritt angeboten, dieser sei aber mit Stimmengleichheit abgelehnt worden. Der Antragsteller selbst sei klage- und antragsbefugt, da nach der Rechtsprechung auch einem Bürgermeister das Recht zugebilligt werde, sich persönlich gegen eine rechtsaufsichtliche Beanstandung, die das Ziel der Einberufung einer Gemeinderatssitzung habe, zur Wehr zu setzen. Auch der Verbandsvorsteher des WBV, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, sei mit eigenen Rechten ausgestattet. Nach § 12 der Verbandssatzung berufe der Verbandsvorsteher die Verbandsversammlung ein und teile die Tagesordnung mit. Die Rechtsbeeinträchtigung des streitgegenständlichen Bescheids betreffe mithin den Antragsteller allein, weil es um Aufgaben gehe, die er zu erfüllen habe. Zwar könne nach § 12 Abs. 2 Satz 2 der Verbandssatzung auch die Aufsichtsbehörde eine Einberufung der Verbandsversammlung verlangen. Nach Sinn und Zweck dieser Regelung handle es sich dabei aber um eine Ausnahme, die nur dann eingreifen könne, wenn es einen wichtigen Grund für die Durchführung einer derartigen Sitzung gebe. Die angenommene fehlende Handlungsfähigkeit des WBV entspreche jedoch nicht den satzungsrechtlichen Regelungen: Entscheidend sei vor allem § 17 Abs. 3 der Verbandssatzung, wonach ausscheidende Vorstandsmitglieder bis zum Eintritt neuer Vorstandsmitglieder im Amt blieben. Sitzungen könnten mithin nach wie vor durchgeführt werden, die Vorstandsmitglieder seien verpflichtet, entsprechenden Ladungen Folge zu leisten. Auch gebe es derzeit weder eine besondere Problematik noch eine besonders eilbedürftige anstehende Entscheidung, die eine dringliche Sitzung erforderlich machten. Soweit der angegriffene Bescheid eine Tagesordnung vorgebe, fänden sich darin Beschlussvorschläge, die rechtlich nicht vorgesehen seien. Dies betreffe den TOP 4, da eine Abberufung von Vorstandsmitgliedern in der Satzung nicht vorgesehen sei, diese seien vielmehr aus ihrem Amt zu entlassen, wenn Nachfolger gewählt würden. Auch die in TOP 5 vorgesehene „Vertrauenserklärung“ gebe es satzungsgemäß nicht. Die Aufsichtsbehörde mische sich ohne rechtlichen Grund in die Eigenverantwortlichkeit des WBV ein. Im Übrigen bestehe aber auch keine Eilbedürftigkeit, die eine Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen würde. Die Behörde übersehe, dass der WBV gerade nicht handlungsunfähig sei, die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben sei nach wie vor gewährleistet, da die zurückgetretenen Verbandsräte ihr Amt so lange ausüben müssten, bis Nachfolger gewählt worden seien. Auch habe bereits im März dieses Jahres die jährliche Sitzung des WBV stattgefunden, weshalb keine Veranlassung für eine weitere Sitzung schon im Juli bestehe. Anzuzweifeln sei auch, ob die sofortige Androhung der Ersatzvornahme unter den Aspekten der Verhältnismäßigkeit und der vorrangigen Anordnung eines Zwangsgelds ordnungsgemäß ist.
Mit Schreiben des Landratsamts … vom 11. Juli 2016 wurde für den 28. Juli 2016 im Wege der Ersatzvornahme zu einer außerordentlichen Verbandsversammlung des WBV eingeladen. Als Tagesordnungspunkte sind danach u. a. vorgesehen: „Abberufung der zurückgetretenen Vorstandsmitglieder incl. Beschlussfassung“, „Vertrauenserklärung für den Verbandsvorsteher bzw. Abberufung des Verbandsvorstehers incl. Beschlussfassung“, „Neuwahlen (Neuwahl für die ausgeschiedenen/zurückgetretenen Vorstandsmitglieder)“.
Mit Schriftsätzen vom 13. und 18. Juli 2016 teilte der Antragsteller unter Verweis auf das Schreiben vom 11. Juli 2016 mit, der Antragsgegner versuche vollendete Tatsachen zu schaffen. Dem Antragsgegner und der Gemeinde … sei daran gelegen, den Antragsteller als Verbandsvorsteher abzulösen, damit den Behörden niemand mehr im Wege stehe, um auf Kosten der angeschlossenen Grundstückseigentümer Einrichtungen zu schaffen, die nicht den Aufgaben des WBV entsprächen. Von daher müssten durch den Antrag gemäß Ziff. II. auch die Vollzugsfolgen dadurch rückgängig gemacht werden, dass diese Einladung aufgehoben werde.
Am 15. Juli 2016 erwiderte der Antragsgegner auf den Antrag und beantragte sinngemäß,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Wenn ein Vorstandsmitglied oder ein stellvertretendes Vorstandsmitglied vor dem Ablauf der Amtszeit ausscheide, so seien für den Rest der Amtszeit Ersatzmitglieder zu wählen. Dieser Fall sei beim WBV eingetreten. Auch wenn die ausscheidenden Vorstandsmitglieder bis zum Eintritt der neuen Vorstandsmitglieder im Amt blieben, so könne mit den Neuwahlen nicht bis zum Ende der förmlichen Amtszeit (Juli 2018) abgewartet werden. Die sechs zurückgetretenen Vorstandsmitglieder hätten bei der Verbandsversammlung im März 2016 sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen würden. Der WBV sei aber nur mit einer ordnungsgemäßen Vorstandschaft handlungsfähig. Eine Verbandsversammlung müsse ohne Verzug einberufen werden, wenn es die Aufsichtsbehörde unter Angabe des Zwecks verlange. Die Notwendigkeit einer weiteren Verbandsversammlung sei von den Vertretern des Landratsamts bei der Versammlung im März 2016 deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Der Antragsteller habe dies bei der Versammlung auch zugesagt. Nachdem er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei die Durchführung mittels Bescheid angewiesen worden. Die gleichzeitig erfolgte Androhung der Ersatzvornahme stehe in angemessenem Verhältnis zu ihrem Zweck. Die Androhung eines Zwangsgelds hätte ihren Zweck verfehlt. Der Sofortvollzug sei angeordnet worden, da der aktuelle Zustand einer unvollständigen Vorstandschaft bzw. einer Vorstandschaft, die aufgrund unüberbrückbarer Differenzen nicht mehr zu einer Zusammenarbeit imstande ist, für die Arbeit eines Verbandes, der für die Wasserversorgung einer Gemeinde zuständig ist, nicht mehr vertretbar sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den vom Antragsgegner übermittelten Aktenauszug verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Die Anträge bleiben ohne Erfolg.
I.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage bezüglich Ziffer 1. des Bescheids vom 6. Juni 2016 wieder herzustellen und bezüglich Ziffer 3. des Bescheids anzuordnen, ist jedenfalls unbegründet.
1. Im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aufschubinteressen der Beteiligten vor. Gegenstand der Abwägung sind das durch den Antragsteller geltend gemachte Aufschubinteresse einerseits sowie das vom Antragsgegner angeführte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids des Landratsamts vom 6. Juni 2016 andererseits. Dabei kann das Gericht seine vorläufige Einschätzung im Eilverfahren nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage treffen (vgl. hierzu: Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 80 Rn. 399). Von Bedeutung hierfür sind zunächst die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren. Soweit keine verlässliche Abschätzung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens (im Sinne einer Evidenzkontrolle) möglich erscheint, etwa wegen der besonderen Dringlichkeit der gerichtlichen Entscheidung oder der Komplexität der inmitten stehenden Sach- und Rechtsfragen, nimmt das Gericht eine eigene Interessenabwägung vor (vgl. insgesamt hierzu: BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1/10 u. a. – juris Rn. 13).
2. Im Bescheid des Landratsamts … vom 6. Juni 2016 wurde in formell nicht zu beanstandender Weise die sofortige Vollziehung der rechtsaufsichtlichen Anweisung angeordnet (nachfolgend a)). Gemessen an der Antrags und Klagebegründung werden der Klage im Hauptsacheverfahren nach summarischer Bewertung keine überwiegenden Erfolgsaussichten beigemessen (nachfolgend (b)). Jedenfalls aber überwiegen bei einer reinen Abwägung zwischen den Interessen am Sofortvollzug des Bescheids und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers die Interessen am Fortbestand des Sofortvollzugs (nachfolgend c)).
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids ist in formeller Hinsicht (§ 80 Abs. 3 VwGO, vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1/10 u. a. – juris Rn. 12; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 80 Rn. 233 ff., 247) nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat in noch ausreichender Weise besondere, auf den konkreten Fall bezogene Gründe dafür angegeben, die das Landratsamt dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt hinsichtlich der rechtsaufsichtlichen Anweisung auszuschließen. Mit der Herausstellung des Erfordernisses der Handlungsfähigkeit bei einem Verband, dem die ordnungsgemäße Trink- und Brauchwasserversorgung seiner Mitglieder obliegt, liegt auch keine lediglich formelhafte Begründung vor.
b) Der Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren werden, gemessen an der Antrags- und Klagebegründung, keine überwiegenden Erfolgsaussichten beigemessen.
aa) Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage im Hauptsacheverfahren erscheint sehr fraglich, ob der Antragsteller selbst überhaupt befugt ist, sich gerichtlich gegen die gegenüber dem WBV ergangenen rechtsaufsichtlichen Anordnungen zu wehren. Zwar hat der Bevollmächtigte des Antragstellers insoweit auf die wohl vergleichbare Sachlage in einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 20.10.2011 – 4 CS 11.1927 – juris Rn. 5) hingewiesen, wonach auch „wehrfähige Innenrechtspositionen“ eine Antragsbefugnis begründen könnten. Ob dieser Rechtsauffassung jedoch generell und insbesondere in der vorliegenden Fallkonstellation zu folgen ist, bleibt einer vertieften Überprüfung im ggf. durchzuführenden Hauptsacheverfahren vorbehalten.
bb) Die rechtsaufsichtliche Anordnung in Ziffer 1. des Bescheids vom 6. Juni 2016, bis spätestens 15. Juli 2016 eine Verbandsversammlung durchzuführen, bei der Einberufung die satzungsmäßigen Vorgaben zu beachten und den Termin und ggf. vorgenommene Änderungen der Tagesordnung gegenüber der empfohlenen Fassung mit dem Landratsamt abzustimmen, wird sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.
Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 WVG (s.a. § 40 der Satzung des WBV vom 4. November 1997 i. d. F. der Änderungssatzung vom 16. Januar 2013 (nachfolgend: WBVS)) obliegt dem Landratsamt … die Rechtsaufsicht über den WBV. Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WBVS muss eine Verbandsversammlung „außerdem“, d. h. auch wenn bereits eine nach Satz 1 dieser Satzungsbestimmung jährlich verpflichtende Versammlung stattgefunden hat, „ohne Verzug“ einberufen werden, wenn es die Aufsichtsbehörde „unter Aufgabe des Zwecks oder der Gründe“ verlangt. Eine bestimmte Gewichtigkeit der Gründe oder des Zwecks oder eine zeitliche Dringlichkeit setzt diese Satzungsbestimmung nach ihrem klaren Wortlaut nicht voraus. Dem Verlangen der Aufsichtsbehörde wäre deshalb nach dieser Satzungsbestimmung allenfalls in einem – hier eindeutig nicht gegebenen – Fall von Willkür eine Grenze gesetzt. Vorliegend hat das Landratsamt bereits im Schreiben vom 5. April 2016 hinreichend deutlich den Grund und Zweck der geforderten weiteren Verbandsversammlung benannt („…für die aufgrund des Rücktritts der fast kompletten Vorstandschaft notwendig gewordene weitere Verbandsversammlung…“). Der Verbandsvorsteher (vgl. § 12 Abs. 1 WBVS) war deshalb verpflichtet, unverzüglich (was die konkrete Fristsetzung 15. Juli 2016 zweifellos deckt) eine Verbandsversammlung einzuberufen. Nachdem er dieser Verpflichtung nicht nachkam, durfte das Landratsamt den WBV hierzu im Wege der Rechtsaufsicht anweisen (vgl. zu dem aus § 76 WVG gefolgerten Anweisungsrecht der Rechtsaufsicht: König in Reinhardt/Hasche, Wasserverbandsgesetz, 1. Aufl. 2011, § 76 Rn. 5).
Im Übrigen liegt entgegen der Auffassung des Antragstellers – ohne dass es für die Rechtmäßigkeit des Verlangens des Landratsamts entscheidungserheblich darauf ankäme – auch ein wichtiger Grund für die unverzügliche Einberufung einer Verbandsversammlung vor: Nachdem in der Verbandsversammlung vom 15. März 2016 sechs von sieben Vorstandsmitgliedern den „Rücktritt“ von ihrem Amt erklärten, „sind“ nach § 17 Abs. 2 WBVS zwingend für den Rest der Amtszeit Ersatzmitglieder zu wählen. Selbst wenn nach § 17 Abs. 3 WBVS die ausscheidenden Vorstandsmitglieder bis zum Eintritt der neuen Vorstandsmitglieder im Amt bleiben, weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass bei einem Rücktritt aller Vorstandsmitglieder außer dem Verbandsvorsteher mit der Begründung, dass eine Zusammenarbeit mit dem Verbandsvorsteher nicht (mehr) möglich sei, die Handlungsfähigkeit des Verbands gefährdet erscheint. Es widerspräche evident dem allen Verbandsmitgliedern obliegenden Gebot, im Interesse der Erfüllung der Verbandsaufgabe die Handlungsfähigkeit der Verbandsorgane bestmöglich zu gewährleisten, einen nahezu vollständig „zurückgetretenen“ Verbandsvorstand trotz der Möglichkeit zur Wahl von Ersatzmitgliedern über einen längeren Zeitraum gegen seinen erklärten Willen nach § 17 Abs. 3 WBVS an der Amtsausübung festzuhalten. Auch wenn der Antragsteller als Verbandsvorsteher nach § 21 Abs. 1 WBVS allein zu bestimmten Geschäften ermächtigt ist, belegen bereits die diesbezüglichen Einschränkungen (Verpflichtung zur Information der anderen Vorstandsmitglieder, Verpflichtung des Vorstehers, den Rat der anderen Vorstandsmitglieder bei „wichtigen Geschäften“ zu hören, Anforderungen nach § 21 Abs. 2 WBVS an für den Verband verpflichtende schriftliche Erklärungen) dass die sachgerechte Erfüllung des Verbandszwecks eine funktionsfähige Besetzung des Hauptexekutivorgans des WBV durch weitere Vorstandsmitglieder erfordert, die zur Zusammenarbeit mit dem Verbandsvorsteher grundsätzlich bereit sind. Angemerkt sei schließlich, dass der Darstellung des Antragstellers, es liege derzeit auch „weder eine besondere Problematik noch eine besonders eilbedürftige anstehende Entscheidung“ vor, jedenfalls nach Aktenlage angesichts der langjährigen, bislang wohl ergebnislosen Planung für einen erforderlichen neuen Hochbehälter und der diesbezüglichen Finanzierungs- und Satzungsfragen nicht gefolgt werden kann. Vor allem aber liegt auf der Hand, dass bei einem für die Trinkwasserversorgung einer Gemeinde verantwortlichen Verband auch durch äußere, nicht vorhersehbare Einflüsse jederzeit eine Situation eintreten kann, die im Interesse der Mitglieder des Verbands eine unverzügliche und uneingeschränkt handlungsfähige Aufgabenerfüllung erfordert.
Die weiteren Maßgaben in Ziffer 1. des Bescheids vom 6. Juni 2016 begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken: Dass der Verbandsvorsteher bei der Einberufung die satzungsmäßigen Vorgaben zu beachten hat, stellt rechtlich eine Selbstverständlichkeit dar, auf die das Landratsamt wohl aufgrund der nach Aktenlage ersichtlichen Erfahrungen aus der Vergangenheit hingewiesen hat. Die weiteren Maßgaben, den Termin der Versammlung und ggf. vorgenommene Änderungen der Tagesordnung gegenüber der empfohlenen Fassung mit dem Landratsamt abzustimmen, sind als Modalitäten der einzuberufenden Verbandsversammlung ebenfalls vom Weisungsrecht der Rechtsaufsichtsbehörde gedeckt.
Die Kritik des Antragstellers an der inhaltlichen Fassung der vorgeschlagenen Tagesordnung durch das Landratsamt verhilft seinem Antrag schließlich ebenfalls nicht zum Erfolg. Unbeschadet der Tatsache, dass das Landratsamt insoweit ausdrücklich eine – vom Antragsteller nicht in Anspruch genommene – Abstimmung der Tagesordnung ermöglicht hätte, ist nach der Tagesordnung nicht zwingend eine Beschlussfassung zu jedem der vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte erforderlich. Die vorrangig notwendigen Wahlen können jedenfalls unter dem vorgeschlagenen TOP 6 satzungskonform durchgeführt werden.
cc) Auch die Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 3. des Bescheids vom 6. Juni 2016 (von deren Erledigung trotz Durchführung der Ersatzvornahme im vorliegenden Eilverfahren nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 7 C 5/08 – juris Rn. 13), begegnet bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach § 76 WVG kann die Aufsichtsbehörde anstelle des Verbands das Erforderliche anordnen und auf dessen Kosten selbst oder durch einen anderen durchführen, wenn der Verband einer Anweisung der Aufsichtsbehörde, die diese aufgrund ihrer Aufsichtsbefugnis erlässt, nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt; die Verwaltungs-Vollstreckungsgesetze der Länder finden entsprechende Anwendung. Insbesondere aus der Verweisung auf das Bayerische Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz folgt, dass die Ersatzvornahme anzudrohen ist (König in Reinhardt/Hasche, Wasserverbandsgesetz, 1. Aufl. 2011, § 76 Rn. 4, 7).
Die Argumentation der Antragstellerseite, die Rechtmäßigkeit der Androhung sei unter den Aspekten der Verhältnismäßigkeit und der vorrangigen Anordnung eines Zwangsgelds anzuzweifeln, teilt das Gericht bei summarischer Bewertung nicht: Nach Art. 32 Satz 2 BayVwZVG ist eine Ersatzvornahme zwar grundsätzlich nur zulässig, wenn ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt (was auch der Fall sein kann, wenn bereits vor der Androhung eines Zwangsgelds Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass Zwangsgeld nicht zum Erfolg führen wird, BayVGH, B.v. 29.7.2002 – 20 ZB 02.1265 – juris Rn. 9). Diese Bestimmung ist jedoch zum einen vor dem Hintergrund zu sehen, dass gegenüber dem diese Vorschrift vor allem betreffenden Verwaltungszwang gegenüber Privatpersonen die Anwendung von Verwaltungszwang gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts einen Ausnahmefall darstellt (vgl. Art. 29 Abs. 4 BayVwZVG) und dass § 76 f. WVG ein Zwangsgeld als Zwangsmittel (anders als die Ersatzvornahme und die Bestellung eines Beauftragten) gerade nicht anführt. Zum anderen, dass der im Gesetz grundsätzlich vorgesehene Vorrang des Zwangsmittels Zwangsgeld vor dem Zwangsmittel Ersatzvornahme auch aus der Überlegung resultiert, dass die Durchführung einer Ersatzvornahme regelmäßig höhere Kosten verursacht als die eigenständige Erfüllung durch den Pflichtigen selbst. Berücksichtigt man ferner den in Art. 29 Abs. 3 BayVwZVG festgeschriebenen allgemeinen Grundsatz, wonach das jeweilige Zwangsmittel in angemessenem Verhältnis zu seinem Zweck stehen muss und dabei das Zwangsmittel möglichst so zu bestimmen ist, dass der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden, so zeigt sich vorliegend: Die Fälligstellung eines Zwangsgelds hätte vorliegend vorrangig eine finanzielle Belastung der Verbandsmitglieder bewirkt; dafür, dass sich der Antragsteller – anders als durch die angedrohte Ersatzvornahme – gerade hierdurch zu satzungsgemäßem Handeln hätte bewegen lassen können, ist nichts ersichtlich. Die Kosten der Ersatzvornahme (im Wesentlichen Material- und Portokosten der Einladung) werden indes denjenigen Aufwand, den auch der WBV bei ordnungsgemäßem Vorgehen gehabt hätte, nicht wesentlich übersteigen. Vor diesem Hintergrund erscheint vorliegend nach Sinn und Zweck der § 76 WVG, Art. 29 Abs. 3, Art. 32 Satz 2 BayVwZVG die Androhung der Ersatzvornahme ohne vorherige Androhung eines Zwangsgelds gerechtfertigt.
c) Jedenfalls aber überwiegen bei einer reinen Abwägung zwischen den Interessen am Sofortvollzug der rechtsaufsichtlichen Anordnungen und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers die Interessen an der sofortigen Vollziehung.
Die rechtsaufsichtliche Verpflichtung, eine Verbandsversammlung mit den vorgeschlagenen Tagesordnungspunkten abzuhalten, stellt weder für den Verbandsvorsteher persönlich noch für den WBV einen schwerwiegenden Eingriff in die Belange und die Eigenverantwortung der Körperschaft dar. Dem Verbandsvorsteher bleibt es unbenommen, bei der Verbandsversammlung seine Sicht der Dinge darzustellen und die Verbandsmitglieder argumentativ dahingehend zu überzeugen, Beschlüsse in seinem bzw. im dem von ihm angenommenen Interesse des WBV zu fassen. Die Geschäftsführung des Verbands durch den Vorstand bzw. den Verbandsvorsteher erfolgt nicht zum Selbstzweck der Vorstandsmitglieder, sondern dazu, im Interesse der Verbandsmitglieder die bestmögliche Aufgabenerfüllung zu gewährleisten. Sich bei dieser Aufgabenerfüllung – und sei es auf rechtsaufsichtliche Anordnung hin – einem Votum der Verbandsversammlung zu stellen, stellt keinen schwerwiegenden Eingriff in das Verbandsgeschehen, sondern eine demokratische Selbstverständlichkeit dar. Jedenfalls wiegt dieser Vorgang aber wesentlich geringer als die auf der Hand liegenden Beeinträchtigungen und sogar Gefahren für die effektive Aufgabenwahrnehmung des WBV, welche durch den Fortbestand eines Verbandsvorstands entstehen können, dessen sechs von sieben Mitgliedern eine Zusammenarbeit mit dem Verbandsvorsteher ablehnen und die gegen ihren Willen zur Fortführung ihres Amtes bis zur Durchführung von Neuwahlen zu einem bislang vom Antragsteller nicht bestimmten Zeitpunkt gezwungen werden müssten.
II.
Der Antrag, die Vollzugsfolgen in Form der durchgeführten Einladung dadurch rückgängig zu machen, dass die Einladung aufgehoben wird, ist als Annexverfahren zu dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zwar – vorbehaltlich der bereits aufgeworfenen Frage der Antragsbefugnis des Antragstellers – zulässig, aber nicht begründet.
Denn die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kommt nur in Betracht, wenn ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolgreich ist (BayVGH, B.v. 15.1.2013 – 10 CS 12.1922 – juris Rn. 15), was aus den unter I. genannten Gründen nicht der Fall ist.
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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