Verwaltungsrecht

Verlängerung der Sicherungshaft

Aktenzeichen  14 XIV 91/21

Datum:
29.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53159
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 62
FamFG § 420 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Gegen den Betroffenen wird die mit Beschluss des AG Erding vom 12.03.2021 angeordnete Sicherungshaft verlängert, § 62 AufenthG.
2. Die Haft endet nunmehr spätestens am 31.05.2021.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
4. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
D. Betroffene ist ukrainischer Staatsangehöriger.
Er reiste erstmals am 19.08.2014 zusammen mit seiner Tochter J. R. und seiner Ehefrau R. Z. in die Bundesrepublik ein. Sein am 06.11.2014 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 18.03.2015 (BAMF-Az. …) als unzulässig abgelehnt. Die Abschiebung nach Ungarn wurde angeordnet. Gegen die Ablehnung wurde sowohl Klage als auch ein Antrag nach S. 80 VwGO gestellt. Mit Beschluss vom 10.04.2015 wurde der Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage abgelehnt. Am 07.10.2015 wurde der Betroffene mit seiner Familie nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens rücküberstellt. Das Gerichtsverfahren wurde deshalb am 01.12.2015 eingestellt.
Nach der Abschiebung reiste er mit seiner Familie am 18.01.2016 erneut in das Bundesgebiet ein.
Am 02.03.2016 wurde von dem Betroffenen Folgeantrag gestellt. Mit Entscheidung vom 28.04.2017 wurde auch dieser Antrag abgelehnt. Mit genanntem Bescheid lehnte das BAMF den Antrag auf Asylanerkennung ab und erkannte weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus an. Das BAMF stellte in diesem Bescheid fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen und drohte dem Betroffenen die Abschiebung in die Ukraine an. Für den Fall der Abschiebung befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 1 1 Abs. 1 des AufenthG auf 0 Monate ab dem Tag der Abschiebung. An diese Entscheidung ist die Ausländerbehörde gebunden (S. 42 Satz 1 AsylG).
Mit diesem Bescheid wurde er über seine Anzeigepflicht hinsichtlich des Wechsels des Aufenthaltsortes (S. 50 Abs. 4 AufenthG) und die Abschiebungshaftgründe (S. 62 Abs. 3 AufenthG) in einer ihm verständlichen Sprache aktenkundig belehrt. Eine erneute Belehrung erfolgte im Rahmen einer Vorsprache bei der Zentralen Ausländerbehörde Oberfranken am 19.02.2019 und 18.02.2020. Herr R. erhielt die Belehrung jeweils auf Russisch. Er gab an, die Belehrungen verstanden zu haben.
Am 16.05.2017 wurde beim Verwaltungsgericht (VG) Klage (Az.: B 5 K 17.31815) erhoben. Das VG Bayreuth hat die Klage mit Urteil vom 28.10.2019 abgewiesen.
Bestandskraft trat am 30.11.2019 ein. Der Betroffene ist daher seit 31.12.2019 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.
Mit Bescheid vom 22.03.2021 wurde der Betroffene aus der Bundesrepublik ausgewiesen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 3 Jahre ab dem Zeitpunkt der Abschiebung bzw. Ausreise befristet.
Am 23.03.2021 wurde ein weiterer Folgeantrag beim BAMF gestellt (Az.: 8392698-166). Mit Bescheid vom 26.03.2021 wurde der Antrag jedoch abgelehnt. Hierbei wurde nun ebenfalls durch das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. S. 1 1 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet.
Die dem Betroffenen vom BAMF eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise (Ausreisefrist) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt fruchtlos verstrichen. Etwaige Bemühungen zum freiwilligen Verlassen des Bundesgebiets während der ihm eingeräumten Ausreisefrist waren nicht erkennbar bzw. wurden im Übrigen auch nicht anderweitig geltend gemacht.
Aufgrund der seit 31.12.2019 vollziehbaren Ausreisepflicht und der Weigerung des Betroffenen, der Ausreisepflicht nachzukommen, sowie die mehrfache Vereitelung geplanter Abschiebemaßnahmen durch vorheriges Untertauchen ist der Betroffene abzuschieben.
Tatsächlich stellt es sich so dar, dass der Betroffene nicht nur keine Bemühungen zur freiwilligen Ausreise anstellte, sondern zuletzt am 26.11.2020 nur vorgetäuscht hatte, freiwillig auszureisen, um die Aufenthaltsdauer in missbräuchlicher Weise zu verlängern.
Durch die vorangegangenen gescheiterten Abschiebungen hat er gezeigt, dass er sich hartnäckig der Vollziehung der Abschiebungsandrohung durch Untertauchen widersetzen wird.
Zwei Monate nach Ablauf der Ausreisefrist gab er bei dem Ausreisegespräch am 18.02.2020 zunächst an freiwillig ausreisen zu wollen. Er sprach bei der Zentralen Rückkehrberatung vor und unterzeichnete den Antrag auf Förderung der freiwilligen Ausreise. Eine entsprechende Belehrung, in welcher ihm die Abschiebung für den Fall der Verweigerung einer freiwilligen Ausreise angedroht wurde, erhielt er bei dem bei dem Ausreisegespräch am 18.02.2020 mit entsprechender Übersetzung durch einen Dolmetscher. Es wurde im Rahmen des Gespräches eindringlich auf die Notwendigkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen und die Konsequenz einer andernfalls zu vollziehenden Abschiebung erklärt. Die Vorsprache bei der ZRB sowie die Antragsunterzeichnung hinsichtlich der Fördermittel erfolgte jedoch nur deshalb, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verzögern. Insbesondere wurde zu keiner Zeit die Niederschrift zur freiwilligen Ausreise wurde unterzeichnet.
Nach Bewilligung der Ausreiseförderung und der Aufhebung der durch die Corona-Pandemie entstandenen Reisebeschränkungen wurde ein Flug für den 17.08.2020 gebucht. Es wurde für den Betroffenen und seine Ehefrau jeweils eine Grenzübertrittsbescheinigung sowie die jeweiligen persönlichen Dokumente bereitgelegt. Jedoch wurden weder die erforderlichen Dokumente abgeholt noch der Flug zurück in die Ukraine angetreten. Stattdessen wurde unter anwaltlicher Vollmachtsanzeige ein Duldungsantrag eingereicht.
Bei dem Abschiebeversuch am 24.11.2020 konnten der Betroffene bei dem geplanten Zugriff nicht in der Unterkunft angetroffen werden. Die Abschiebung scheiterte erstmals.
Am 03.12.2020 erklärte der Betroffene und dessen Ehefrau, dass sie spätestens bis zum 13.12.2020 ausreisen würden. So wurden erneut die Reisepässe von der Zentralen Ausländerbehörde und Grenzübertrittsbescheinigungen bereitgestellt und direkt an den Münchner Flughafen versandt. Doch entgegen ihrer Ausreiseerklärung erschienen die Betroffenen wieder nicht. Es erfolgte keine freiwillige Ausreise.
So wurde ein neuer Abschiebeflug für den 18.12.2020 gebucht. Im Vorfeld wurde der Zentralen Ausländerbehörde vom Sozialamt der Stadt Coburg mitgeteilt, dass sich die Betroffenen öfters unberechtigt bei der Tochter in München aufhielten würden. Nach der Mitteilung, dass Herr R. erneut untergetaucht ist und sich nicht in der zugewiesenen Unterkunft aufhielt wurde ein Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht München für die Wohnung der Tochter beantragt und am 17.12.2020 stattgegeben.
Bei der Hausdurchsuchung am 17.12.2020 konnte der Betroffene von den Polizeibeamten der PI München nicht angetroffen werden. Es stellte sich durch Ermittlungen der Polizei sowie der Ausländerbehörde heraus, dass sich Herr R. mit seiner Ehefrau bereits seit Anfang Dezember in der Wohnung der Tochter in der … in … München versteckt hielt, um einen behördlichen Zugriff der PI Coburg für die geplante Abschiebemaßnahme am 18.12.2020 zu verhindern. Die Tochter gab vor der Polizei an, dass der Betroffene und dessen Ehefrau aus der zugewiesenen Unterkunft geflüchtet waren, um nicht von der Polizei aufgegriffen und abgeschoben zu werden. Nachdem die Tochter unter Beisein der Beamten den Betroffenen kontaktiert hatte, teilte dieser mit, dass sie nach Österreich geflüchtet sind. Ein konkreter Aufenthaltsort konnte jedoch nicht ermittelt werden.
Der Betroffene war seit spätestens 07.12.2020 unbekannten Aufenthaltes und hat sich zielgerichtet und wissentlich jeglichen Zugriffs der Ausländerbehörde entzogen. Herr R. sollte am 18.12.2020 im Rahmen einer Sammelabschiebung zusammen mit seiner Ehefrau in die Ukraine abgeschoben werden. Die Maßnahme scheiterte, da er von der mit dem Transport zum Flughafen beauftragen PI Coburg nicht aufgegriffen werden konnte.
Eine entsprechende Fahndungsausschreibung zur Festnahme beim Bayerischen Landeskriminalamt erfolgte unmittelbar nach Kenntniserlangung des Untertauchens am 21.12.2020 durch die Zentrale Ausländerbehörde Oberfranken.
Der Betroffene wurde zusammen mit seiner Ehefrau R. Z. nach Rücküberstellung aus Österreich am 12.03.2021 durch Beschluss des AG Erding in Sicherungshaft genommen und befindet sich seit dem in der Abschiebehaftanstalt der JVA Eichstätt. Sicherungshaft wurde aufgrund der geplanten Abschiebung am 29.03.2021 bis einschließlich 30.03.2021 bewilligt.
Für den Fall, dass gegen den Betroffenen die Verlängerung der Sicherungshaft angeordnet wird, steht in der JVA Eichstätt nach telefonischer Rückfrage auch weiterhin ein Haftplatz zur Verfügung. Die JVA Eichstätt erfüllt die Voraussetzungen des § 62a AufenthG.
Weitere notwendige Schritte zur Durchführung der Abschiebung werden ebenfalls unverzüglich eingeleitet. Insbesondere wird für Herrn R. die Genehmigung zur Luftabschiebung bei dem Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) beantragt. Weitere notwendige Schritte sind, sollte der Betroffene in Abschiebehaft verbleiben, die Übermittlung der Schubmappe am Tag vor der Abschiebung an die mit der Zuführung beauftragte Polizeiinspektion Eichstätt und die Zuführung zum Abflughafen durch die schon erwähnte Polizeiinspektion Eichstätt.
Der Reisepass des Herrn R. liegt der zuführenden PI Eichstätt bereits vor. Er ist seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb der gesetzten Ausreisepflicht nachgekommen, sondern stattdessen untergetaucht. Überdies ist er mittellos, was ebenfalls eine Überwachung der Abschiebung rechtfertigt (§ 58 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG). Die Ausreise ist daher gem. § 58 Abs. 3 Nr. 2 und 4 AufenthG überwachungsbedürftig.
Aufgrund der Vollziehbarkeit der Ausreiseverpflichtung, der Überschreitung der Ausreisefrist sowie des missbräuchlichen Hinauszögerns aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch falsche Angaben zur freiwilligen Ausreise und den vorangegangenen gescheiterten Abschiebemaßnahmen wurde Herr R. zur Sammelabschiebung in die Ukraine angemeldet.
Die ZAB Bayreuth hat keine Kenntnis über von Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet eingeleitete Ermittlungsverfahren. Bei Bekanntwerden solcher Ermittlungsverfahren wird die erforderliche Zustimmung umgehend eingeholt werden.
Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte nunmehr am 29.03.2021 gegen d. Betroffenen gemäß §§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3a Nr. 3 und Nr. 5 AufenthG die Verlängerung der Abschiebehaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch bis zum 31.05.2021 anzuordnen. Hinsichtlich der Haftdauer wird auf den Verlängerungsantrag verwiesen.
II.
Die Anhörung erfolgte ausnahmsweise nicht vor Ort persönlich, sondern als VideoAnhörung.
1. Allgemeine rechtliche und tatsächliche Erwägungen hierzu:
Gemäß § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung grundsätzlich „persönlich“ anzuhören. Von dieser Pflicht zur persönlichen Anhörung sieht § 420 Abs. 2 FamFG gewisse Ausnahmen vor. Diese sind hier gegeben, da der Betroffene an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.
Zwar hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg mit Beschluss vom 28.11.2011 im Beschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 52 T 3723/11 die Auffassung vertreten, dass § 420 Abs. 1 FamFG eine Anhörung durch Videokonferenz nicht zulasse. Begründet wurde dies unter anderem mit den speziellen und sehr engen Ausnahmeregelungen in § 420 Abs. 2 FamFG.
Dieser Rechtsauffassung ist jedoch zum einen § 24 Abs. 1 AsylG entgegenzuhalten. Auch in § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG ist nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass das zuständige Bundesamt den Ausländer „persönlich“ anzuhören hat. Für diese Vorschrift hat der Deutsche Bundestag aber Anhörungen mithilfe von Videokonferenztechnik ausdrücklich als zulässig angesehen (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6735; 03.08.2011). Hierin kommt ein gesetzgeberischer Wille zum Ausdruck, der auch auf § 420 Abs. 1 FamFG anzuwenden ist.
Zudem sieht auch das FamFG bei den allgemeinen Vorschriften unter § 32 Abs. 3 FamFG ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass das Gericht in „geeigneten Fällen“ die Sache mit den Beteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung erörtern kann. Auch das FamFG kennt somit die Möglichkeit einer Videokonferenz. Dass es sich hier um einen „geeigneten Fall“ im Sinne dieser Vorschrift handelt, ergibt sich aus den unter Ziffer II. 2 dargestellten Einzelfallerwägungen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass sich seit der Entscheidung des Landgerichts Augsburg im Jahre 2011 die Qualität moderner Videokonferenztechniken deutlich erhöht hat und längst den gleichen „persönlichen“ Eindruck ermöglicht wie die Anhörung einer anwesenden Person.
In der Rechtsprechung wird die audiovisuelle Anhörung für die „persönliche“ Anhörung nach §°420 Abs. 1 FamFG teilweise auch mit der Begründung abgelehnt, eine solche Anhörung sei im Rahmen eines Freiheitsentziehungsverfahrens nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit eines Betroffenen beurteilen zu können und deshalb generell unzulässig. Dem kann indes nicht gefolgt werden. In Abschiebungshaft-Verfahren ist nahezu immer die Beiziehung eines Dolmetschers erforderlich. Somit kann die Glaubwürdigkeit eines Betroffenen ohnehin nur mittelbar beurteilt werden. Die Mimik und Gestik des Betroffenen bei seinen Äußerungen und bei Vorhalten kann dagegen im Rahmen einer audiovisuellen Übertragung in gleichgelagerter Weise beobachtet werden wie bei seiner Anwesenheit im Gerichtssaal. Sie ist sogar eindeutig besser, als wenn der Betroffene, wie aktuell unabhängig von seiner Einstufung als Kontaktperson I in jedem Fall erforderlich, bei der persönlichen Anhörung eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müsste. Die Verschaffung eines unmittelbaren Eindrucks vom Betroffenen ist daher grundsätzlich auch bei einer audiovisuellen Übertragung möglich. Zudem kann im Rahmen einer Videokonferenz dem Betroffenen gerade auch dann umfassendes rechtliches Gehör gewährt werden, wenn er wegen einer Erkrankung, einer ansteckenden Infektion oder wie hier wegen einer Quarantäne-Regelung nicht vor Gericht erscheinen kann.
Dieser Auffassung steht auch der Beschluss des BGH vom 14.10.2020 im Betreuungsverfahren mit dem Aktenzeichen XII ZB 235/20 (BeckRS 2020, 30352) nicht entgegen. Zum einen geht es gerade nicht darum, von einer (persönlichen) Anhörung gänzlich abzusehen. Zum anderen handelt es sich im vorliegenden Fall nicht nur um eine „abstrakte Infektionsgefahr“, sondern um eine sehr konkrete Gefahr. Der Betroffene hatte nämlich vor kurzem unmittelbaren Kontakt mit einer positiv auf das Coronavirus getesteten Person und wurde deshalb vom zuständigen Gesundheitsamt als Kontaktperson I eingestuft. Zumindest während der angeordneten Quarantänezeit geht deshalb von dem Betroffenen eine nicht nur abstrakte Infektionsgefahr aus. Wegen der Eilbedürftigkeit in Abschiebehaftsachen kann dieser Infektionsgefahr auch nicht mit irgendwelchen anderen Schutzmaßnahmen entgegengewirkt werden. So müsste wohl der Betroffene in einen Ganzkörperschutzanzug gehüllt werden, was dann erst recht die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit durch Beobachtung seiner Gestik und Mimik nahezu unmöglich machen würde. Auch aus diesem Grund ist einer Videoanhörung der Vorzug zu geben.
Auch wenn grundsätzlich der Anhörung unmittelbar vor dem erkennenden Gericht der Vorzug zu geben ist, kann jedenfalls bei der vorliegenden Sachlage dem Betroffenen im Rahmen einer audiovisuellen Vernehmung mindestens in gleicher Güte, wenn nicht sogar besser rechtliches Gehör verschafft werden.
2. Ergänzende fallbezogene Erwägungen hierzu:
Der Betroffene wurde am 26.03.2021 positiv auf das Coronavirus getestet. Von daher war es weder den Vorführbeamten noch dem unterzeichnenden Richter zuzumuten bzw. ohne Verstoß gegen die Quarantäne-Anordnung überhaupt möglich, den Betroffenen von der Abschiebehaftanstalt zum Gericht bringen zu lassen bzw. an sonstiger Stelle persönlich anzuhören.
Um nun gleichwohl dem Umstand, dass die persönliche Anhörung zu den wesentlichen Verfahrensgarantien aus Art. 104 GG gehört, Rechnung zu tragen, hat das Gericht den Betroffenen am 29.03.2021 per Video angehört.
3. Konkreter Ablauf der Videoanhörung:
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist dem Betroffenen vorab per Fax überlassen worden. Der Antrag ist heute zu Beginn dieser Video-Anhörung dem Betroffenen in einer ihm verständlichen Sprache übersetzt und ihm damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Der Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den der Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er bereits aufgrund der vorangegangenen polizeilichen und auch gerichtlichen Vernehmungen Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zu Grunde gelegt hat.
Bei der Video-Anhörung am 29.01.2021 erklärte der Betroffene:
Am 9. September 2020 wurde ich operiert und ich erhielt eine „Duldung“ für etwa einen Monat, um mich von den Folgen der Operation zu erholen. Danach sollte ich freiwillig Deutschland verlassen. Ich habe dann ein ärztliches Attest vorgelegt, in dem stand, dass ich mindestens 6°Monate lang (bis zu einem Jahr) nicht abgeschoben werden dürfe. Eine Reaktion der Ausländerbehörde habe ich nicht erhalten. Statt dessen erging ein Beschluss, dass ich abgeschoben werden soll.
Auf konkrete Frage:
Es ist richtig, dass ich 3.12.2020 gemeinsam mit meiner Frau erklärt habe, dass ich bis spätestens 13.12.2020 freiwillig ausreisen wolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch nur noch wenig Geld zur Verfügung und so konnten wir uns nur noch ein Bayernticket für 32 Euro für die Fahrt nach Österreich leisten. An die Ausländerbehörde habe ich mich deshalb nicht gewandt, weil ich aufgrund eines „bedrohlichen Briefes“ vor der Ausländerbehörde Angst hatte. Deshalb sind wir nach Österreich, um auch dort Asylantrag zu stellen.
Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
III.
1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.
Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, §§ 425 Abs. 3, 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3-5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).
Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.
Insbesondere hat die Ausländerbehörde auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Verlängerung der Sicherungshaft erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).
Sie trägt hierzu plausibel vor:
Es war geplant, Herrn R. am 29.03.2021 zusammen mit seiner Ehefrau aus der Abschiebehaft um 10:00 Uhr (Flug …) vom Flughafen München nach Kiew abzuschieben. Die Abschiebung heute scheiterte jedoch, da am 15.03.2021 bekannt wurde, dass der Betroffene positiv auf das SARS.Cov.2-Virus getestet wurde. Bei einer erneuten Testung am 26.03.2021 wurde der Betroffene weiterhin positiv getestet, sodass die Abschiebung nicht vollzogen werden konnte.
Da seine Frau negativ auf Covid-19 getestet wurde, konnte eine Familientrennung durchgeführt werden.
Herr R. ist für die nächste Sammelschubmaßnahme in die Ukraine im Mai 2021 eingeplant.
Die Rückführung in die Ukraine ist im Rahmen der Sammelabschiebung rechtlich und tatsächlich möglich. Das notwendige Reisedokument liegt in Form eines gültigen Reisepasses vor.
Herr R. wurde heute unmittelbar zur Einplanung in der nächstmöglichen Sammelschubmaßnahme an das LfAR gemeldet. Er wird daher in der nächsten Sammelabschiebung in die Ukraine (voraussichtlich KW 21) abgeschoben werden.
Es wird demnach Sicherungshaft bis einschließlich 31.05.2021 beantragt.
Die Dauer der angeordneten Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Abschiebung in die Ukraine notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.
Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, d. Betroffenen unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist nicht erforderlich (§ 72 Abs. 4 AufenthG).
2. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen vor.
Aufgrund der unter Ziffer I festgestellten vollziehbaren Ausreisepflicht besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG. 14 XIV 91/21 – Seite 9 – Es besteht der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.
Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen d. Betroffenen voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass d. Betroffene beabsichtigt unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH vom 03.05.2012, Az V ZB 244/11; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rz 76).
Aufgrund des Verhaltens des Betroffenen ist der Tatbestand der vorgenannten Vorschrift hinreichend erfüllt. Ausschlaggebend hierbei ist ausschließlich der Wille des Betroffenen, die Abschiebung durch eigene Handlung zu verhindern, nicht auch die Realisierbarkeit. Weder ist auf eine gewisse noch auf eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Abschiebung ohne vorherige Haft nicht durchgeführt werden kann, abzustellen. Maßgeblich ist ausschließlich der begründete Verdacht der Entziehungsabsicht. Der Versuch ist ausreichend.
Die bereits im Beschluss des AG Erding vom 12.03.2021 berücksichtigten Haftgründe gem. §°62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG liegen über die angeordnete Haftdauer hinaus bis 31.05.2021 vor.
Der Betroffene ist in Sicherungshaft zu nehmen, da weiterhin der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG vorliegt, die Sicherungshaft verhältnismäßig ist und Abschiebehindernisse nicht vorliegen.
Rechtsgrundlagen für die Verlängerung der Sicherungshaft ergeben sich aus § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr.°1, Abs. 3a Nr. 3, Abs. 5 AufenthG.
Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn Fluchtgefahr besteht, folglich der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung durch Flucht entziehen will.
Gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG wird Fluchtgefahr im Sinne von Abs. 3 S. 1 Nr. 1 vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift zu geben, unter der er erreichbar ist.
Der Betroffene ist seit 31.12.2019 vollziehbar ausreisepflichtig. Er wurde schriftlich mit Zustellung des BAMF-Bescheids vom 28.04.2017 über die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG und die Haftgründe belehrt.
Obwohl er sich seiner Ausreiseverpflichtung und der Mitteilungspflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG bewusst war, tauchte er erneut spätestens am 07.12.2020 unter und entzog sich somit zielgerichtet und willentlich wiederum dem behördlichen Zugriff.
Aufgrund der widersprüchlichen Angaben, des mehrfachen Untertauchens und Vereitelns von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie der erheblichen Überschreitung der Ausreisefrist ist die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht keinesfalls gesichert.
Aufgrund der immer wieder verzögerten Ausreisevorhaltungen des Betroffenen, des Verstreichenlassens bereits gebuchter Flüge ohne Rücksprache, ständiger Revidierung gemachter Zusagen und aufgrund der zuletzt gescheiterten Abschiebemaßnahmen besteht konkrete Fluchtgefahr.
Der Betroffene verließ seine Unterkunft spätestens am 07.12.2020 ohne der Ausländerbehörde seinen Aufenthaltsort gem. § 50 Abs. 4 AufenthG mitzuteilen und war seitdem untergetaucht. Damit war er unbekannten Aufenthaltes und für die Ausländerbehörde nicht mehr erreichbar und konnte nur durch Kontrollen der Polizei aufgegriffen werden.
Er hat damit bewiesen, dass er sich auch nicht für eine Abschiebung in der ihm zugewiesenen Unterkunft zur Verfügung halten wird. Vielmehr hat er sich bereits jeweils am 24.11.2020 und 18.12.2020 aktiv einer Abschiebung durch Untertauchen entzogen. Es muss auch zukünftig damit gerechnet werden, dass er sich nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhalten wird.
Die Voraussetzungen für die Verlängerung der Sicherungshaft des Betroffenen liegen vor. Die Anordnung der Sicherungshaft ist gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG geboten. Die beantragte Freiheitsentziehung ist zum Zwecke der gebotenen Abschiebung geeignet, erforderlich und angemessen. Aufgrund der dargelegten Haftgründe ist kein milderes Mittel ersichtlich, um die Ausreisepflicht der Betroffenen durchzusetzen.
Es wurden zu keiner Zeit ernsthafte Bemühungen zur freiwilligen Ausreise nachgewiesen. Aufgrund des erkennbar fehlenden Willens tatsächlich freiwillig die Ausreisepflicht erfüllen zu wollen, wurde der Betroffene für die nächste Sammelabschiebung eingeplant.
Im Gegensatz zu einer Einzelschubmaßnahme sind für eine Sammelabschiebung durch das LfAR keine einzeln aneinanderzureihenden Bearbeitungsschritte durchzuführen.
Im hier vorliegenden Fall der Sammelabschiebung in die Ukraine wird Herr R. alsbald erneut bei den ukrainischen Behörden angemeldet. Darüber hinaus muss der konkrete Termin mit der Bundespolizei, welche bei der Durchführung des Flugs beteiligt ist, abgestimmt werden. Die jeweilige Bearbeitungsdauer dieser Abstimmungen hängen von den beteiligten Stellen und Ländern ab. Für die Durchführung der Maßnahme wird ein Charterflug gebucht und die Begleitung des Abschiebeflugs wird durch die Bundespolizei übernommen, weshalb auch dies zunächst abgestimmt werden muss.
Die Genehmigung zur Luftabschiebung wird erneut bei der zuständigen Stelle des LfAR beantragt. Darüber hinaus werden die Schubunterlagen an die mit der Zuführung beauftragte PI Eichstätt übermittelt, welche am Tag der Abschiebung sodann den Transport zum Flughafen übernehmen wird.
Die Anmeldung zur nächstmöglichen Sammelabschiebung in die Ukraine im Mai 2021 erfolgt unverzüglich am 29.03.2021.
Die Anordnung der Abschiebehaft bis zum 31.05.2021 ist daher erforderlich, um die Durchführung der Abschiebung für die Sammelschubmaßnahme endgültig zu sichern, insbesondere falls es bezüglich des Abflugs zu zeitlichen Verzögerungen kommt. Die Abschiebehaft wird aber auf den frühestmöglichen Abschiebetermin beschränkt.
3. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. §§ 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Im Übrigen liegen Abschiebungshindernisse nicht vor. Ob die Abschiebung nach Pakistan zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen – mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH aaO) – zu entscheiden.
Umstände, die einer Durchführung der Abschiebung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen, die d. Betroffene nicht zu vertreten hat, entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§ 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG). Hierbei ist eine Prognose, gerechnet ab dem Zeitpunkt der ersten Haftanordnung, anzustellen (Renner u.a. § 62 AufenthG Rz 115). Die Maximalfrist des § 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist mit der hier festgelegten Haftanordnung noch nicht überschritten.
4. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
IV.
Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420 und 421 FamFG. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG. Eine Kostenentscheidung war im Hinblick auf § 23 Nr. 15 GNotKG entbehrlich. Der Geschäftswert war gemäß § 36 Abs. 3 GNotKG auf 5.000 € festzusetzen.


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