Verwaltungsrecht

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Ausweisungsinteresse, fehlende Regelerteilungsvoraussetzung, Zugrundelegung des strafgerichtlichen Urteils, falsche Angaben bei Antrag auf Aufenthaltserlaubnis, Beratungspflicht der Ausländerbehörde

Aktenzeichen  10 CS 21.1706

Datum:
2.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10613
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a, Nr. 9
AufenthG § 82 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 25 S 21.719 2021-05-18 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller, ein kosovarischer Staatsangehöriger, verfolgt mit der Beschwerde seinen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängigen Klage (M 25 K 21.718) gegen den Bescheid des Landratsamts München vom 11. Januar 2021 weiter, mit dem die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden ist. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Mai 2021 abgelehnt.
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat – ebenso wie die Ausländerbehörde – einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV wegen des Fehlens der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verneint. Im Fall des Antragstellers bestehe ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil er am 15. September 2020 wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen verurteilt worden sei. Es handele sich um eine vorsätzlich begangene Straftat, die kurz nach der ersten – für sich genommen geringfügigen – Verurteilung vom 17. Januar 2020 zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis begangen worden sei und daher nicht mehr nur vereinzelt oder geringfügig sei. Das Ausweisungsinteresse sei auch noch aktuell, weil die Tilgungsfristen gemäß dem Bundeszentralregistergesetz noch lange nicht abgelaufen seien. Es liege auch kein atypischer Ausnahmefall vor, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gebieten würde. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geboten sei; die Familie des Antragstellers lebe aber im Kosovo. Auch der Einwand, das Strafurteil vom 15. September 2020 sei erkennbar unrichtig, führe nicht zur Annahme eines atypischen Ausnahmefalls. Auch sei der Antragsteller über die Folgen von Falschangaben im Antragsformular hinreichend deutlich belehrt worden.
a) Der Antragsteller bringt zum einen unter ausführlicher Darlegung seiner Argumentation vor, die strafgerichtliche Verurteilung vom 15. September 2020 sei offensichtlich unrichtig, kann damit aber nicht durchdringen.
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte an strafrechtliche Urteile und die darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen zwar rechtlich nicht gebunden. Sie können diese aber ihrer Entscheidung in der Regel zugrunde legen und brauchen daher nicht nachzuprüfen, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Hinsichtlich der tatsächlichen Umstände der abgeurteilten Tat kann lediglich in Sonderfällen anderes gelten, wenn die Ausländerbehörde oder das Verwaltungsgericht ausnahmsweise in der Lage sind, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären, etwa indem sie über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen, oder ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 10 ZB 20.2140 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 5.9.2018 – 10 ZB 18.1121 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 8.12.2015 – 18 A 2462/13 – juris Rn. 9 ff.).
Hier besteht kein Anlass, das strafgerichtliche Urteil in diesem Sinne in Frage zu stellen. Das Amtsgericht hat seine tatsächlichen Feststellungen auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung mit der Einlassung des Angeklagten (des Antragstellers) und der Vernehmung zweier Zeugen getroffen. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, diese Beweisaufnahme quasi nachzuvollziehen, um die Tragfähigkeit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu überprüfen. Erst recht nicht kann es – worauf die umfangreichen strafrechtsdogmatischen Darlegungen in der Beschwerdebegründung abzielen – das strafgerichtliche Urteil einer eigenen strafrechtlichen Überprüfung und Bewertung unterziehen. Der Antragsteller hat sich mit der Zurücknahme der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts selbst der Möglichkeit begeben, dieses auf dem hierfür vorgesehenen Instanzenzug im Hinblick auf seine Einwendungen gegen die Tatsachenfeststellungen und die rechtliche Bewertung überprüfen zu lassen und muss das rechtskräftige Urteil gegen sich gelten lassen.
b) Zum anderen wird in der Beschwerdebegründung geltend gemacht, die Ausländerbehörde habe durch eine schwerwiegende Verletzung ihrer Beratungs-, Hinweis- und Berichtigungspflicht aus § 82 Abs. 3 AufenthG, § 25 VwVfG bei dem offenkundig sprachunkundigen Antragsteller selbst in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass es zu der Straftat überhaupt gekommen sei. Da der Sachbearbeiterin bei seiner Vorsprache das Strafverfahren bekannt gewesen sei, hätte sie nachfragen und auf die Berichtigung der insoweit unzutreffenden Angaben des Antragstellers auf dem Antragsformular hinwirken müssen.
Damit kann aber weder ein Wegfall des Ausweisungsinteresses noch eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründet werden.
Ein Ausländer ist im Rahmen der Beantragung eines Aufenthaltstitels dazu verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, verwirklicht er ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG) und erfüllt den Tatbestand einer Straftat (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die Ausländerbehörden bei Entscheidungen über die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels in vielen Fällen auf wahrheitsgemäße Angaben des Ausländers über seine persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände angewiesen sind, da sie selbst diese in der Regel nur unter großem Aufwand ermitteln könnten. Auch ist der Ausländer nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig und bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse unverzüglich beizubringen. Der Antragsteller ist gemäß § 82 Abs. 3 AufenthG ausführlich auf seine diesbezüglichen Pflichten sowie die Rechtsfolgen unrichtiger oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden und hat mit seiner Unterschrift versichert, die Angaben in dem Formular zur Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis „nach bestem Wissen und Gewissen und vollständig“ gemacht zu haben (Blatt 5 des Formulars vom 15.2.2020, Seite 334 der Behördenakte). Die Beratungspflicht der Behörde in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG (§ 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) ändert an diesen Vorschriften nichts. Es mag zwar möglicherweise für die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde nahegelegen haben, den Antragsteller die bei den Akten befindliche polizeiliche Strafanzeige vom 20. Dezember 2019 (Seite 307 der Behördenakte) vorzuhalten und ihm Gelegenheit zu weiteren Erklärungen zu geben, doch bleibt es bei der dem Antragsteller obliegenden Wahrheitspflicht. Wenn er laut dem strafgerichtlichen Urteil vom 15. September 2020 (Seite 4 des Urteils, Blatt 440 der Behördenakte) davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Strafbefehl vom 17. Januar 2020 „wohl nur um eine Art Ordnungswidrigkeit“ gehandelt habe, hätte es für ihn nahegelegen, dessen Existenz offenzulegen und sich zu erkundigen, ob dieser Umstand für den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels von Relevanz sei. Indem er dies unterlassen hat, hat er nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts billigend in Kauf genommen, dass es zu Falschangaben kommen könnte (Seite 5 des Urteils vom 15.9.2020, Seite 441 der Behördenakte). Da § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist (vgl. Kretschmer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigrR, Stand 15.4.2022, AufenthG § 95 Rn. 46; Gericke in Münchner Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2018, AufenthG § 95 Rn. 106, jeweils m.w.N.), war damit sein Tatbestand erfüllt; ein Vorhalt seitens der Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde hätte daran nichts mehr geändert.
c) Soweit der Antragsteller noch darauf hinweist, dass er sich nach wie vor um die Umschreibung seiner kosovarischen Fahrerlaubnis bemühe, ist dies im vorliegenden Verfahren nicht von Belang. Die Rechtskraft des Strafbefehls vom 17. Januar 2020 und in der Folge des Strafurteils vom 15. September 2020 wird dadurch nicht berührt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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