Verwaltungsrecht

Verletzung der Aufklärungspflicht bei Erforschung des Zugangs zur angemessenen Gesundheitsversorgung im Heimatland

Aktenzeichen  11 ZB 19.30219

Datum:
21.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 999
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 112, § 116 Abs. 2, § 117 Abs. 4 S. 2, § 138 Nr. 1

 

Leitsatz

Kommt in einem Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts und in dem darauf folgenden Schreiben an das Auswärtige Amt eine Frage klar zum Ausdruck, auf die aber im Gutachten dann nicht ausdrücklich eingegangen wird, muss sich eine nochmalige Nachfrage beim Auswärtigen Amt nicht aufdrängen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 17.33371 2018-09-05 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung, auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren werden abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Anträge auf Zulassung der Berufung, auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Anwaltsbeiordnung haben keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Die Klägerin lässt hierzu vortragen, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil sich ihm eine weitere Erforschung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen, um festzustellen, ob die Klägerin in ihrem Heimatland Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung habe. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei nach der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amts davon auszugehen, dass keine Probleme zu erwarten seien, könne nicht gefolgt werden.
a) Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; Berlit, GK-Asyl, Stand November 2018, § 78 Rn. 272, 274). Sie verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 261). Kommt das Verwaltungsgericht Anregungen eines Verfahrensbeteiligten zur Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung nicht nach, setzt eine Aufklärungsrüge regelmäßig die substantiierte Darlegung voraus, welche tatsächlichen Umstände aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und erforderlich gewesen wären, weshalb sich die unterbliebene Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen oder auf welche Weise, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Aufklärungsmaßnahme hingewirkt worden ist, welches Ergebnis die Aufklärung voraussichtlich gebracht hätte und inwiefern das angefochtene Urteil darauf beruhen kann (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2016 – 1 B 60.16 – juris Rn. 8; B.v. 19.8.2010 – 10 B 22.10 u.a. – juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist die prozessrechtliche Frage, ob das erstinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts aus zu beurteilen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.6.2013 – 10 B 8.13 – juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 48 m.w.N.). Von vornherein nicht geeignet ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem Ziel, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhaltes einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 262).
b) Gemessen daran haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2016 beschlossen, durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts Beweis zu erheben zur Frage, ob die Klägerin als tschetschenische Volksangehörige, deren Familie sich wegen der Ermordung des Ehemanns der Klägerin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt hat, bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ohne zeitliche Verzögerung Zugang zum dortigen Gesundheitssystem und insbesondere zu einer kostenlosen Krankenversicherung hat, auch wenn sie keine Beiträge zu einer Krankenversicherung geleistet haben sollte, weil sie in der Russischen Föderation nicht gearbeitet hat. Aufgrund der hierzu übermittelten Auskunft der Deutschen Botschaft in Moskau vom 20. Oktober 2017 ist das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Klägerin Anspruch auf kostenfreie medizinische Grundversorgung habe und weder wegen ihrer Herkunft aus Tschetschenien noch wegen des Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Probleme im Hinblick auf ihre Gesundheitsversorgung zu erwarten hätte. Es hat dabei auch den Einwand der Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Schriftsatz vom 5.12.2017, Ausführungen in der mündlichen Verhandlung am 28.8.2018) zur Kenntnis genommen und berücksichtigt, dass sich die Auskunft der Botschaft nicht ausdrücklich mit der tschetschenischen Volkszugehörigkeit der Klägerin und dem Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte befasst. Das Verwaltungsgericht hat diesen Einwand sowohl im Tatbestand seines Urteils (UA S. 5) zitiert als auch in den Gründen ausgeführt, angesichts der eindeutigen Fragestellung des Beweisbeschlusses könne daraus, dass die Auskunft zu diesen Punkten keine näheren Ausführungen enthalte, nicht gefolgert werden, dass solche Probleme zu erwarten wären.
Damit ist dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge getan. Auch nach Auffassung des Senats kam die Frage nach Schwierigkeiten für die Klägerin wegen ihrer Herkunft aus Tschetschenien oder wegen des Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts sowie im hierzu ergangenen Schreiben vom 12. Dezember 2016 an das Auswärtige Amt so klar zum Ausdruck, dass sich trotz des Umstands, dass die Deutsche Botschaft auf diese Punkte nicht ausdrücklich eingegangen ist, eine nochmalige Nachfrage des Gerichts beim Auswärtigen Amt nach Eingang der Antwort oder eine (von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 28.8.2018 auch nicht beantragte) weitere Beweisaufnahme nicht aufdrängen musste. Soweit die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts beanstanden, die Klägerin sei auch auf die Unterstützung durch ihrer Familie, insbesondere auch durch ihre beiden ebenfalls ausreisepflichtigen Söhne, zu verweisen, sind die Voraussetzungen des § 138 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht erfüllt, weil es sich hierbei um nicht entscheidungserhebliche Erwägungen handelt („Im Übrigen …“).
2. Die Berufung ist auch nicht zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO).
a) Die vorschriftsmäßige Besetzung setzt voraus, dass die Geschäftsverteilungspläne des Gerichts und der Kammer im Voraus abstrakt-generell die Zuständigkeit hinreichend klar festlegen (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 19 m.w.N.). Die Besetzungsrüge kann aber nur Erfolg haben, wenn der erkennende Richter seine Zuständigkeit willkürlich, d.h. aufgrund einer durch sachliche Erwägungen nicht mehr gerechtfertigten Anwendung oder Auslegung der Geschäftsverteilung angenommen hat (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 235.1).
b) Eine in diesem Sinne fehlerhafte oder gar willkürlich angenommene Zuständigkeit des entscheidenden Richters ist hier nicht gegeben.
Das nach dem Beweisbeschluss vom 7. Dezember 2016 zum Ruhen gebrachte Verfahren wurde nach Eingang der Auskunft der Deutschen Botschaft in Moskau vom 20. Oktober 2017 wieder aufgenommen (Schreiben des Gerichts vom 7.11.2017) und bis zu seinem Abschluss unter dem Aktenzeichen B 5 K 17.33371 geführt. Aus dem Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ein Schreiben der Geschäftsstelle vom 9. November 2018 erhalten zu haben, wonach das Verfahren nun von der neu gebildeten neunten Kammer des Verwaltungsgerichts unter dem Aktenzeichen B 9 K 17.33371 bearbeitet werde, ergibt sich keine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts. Abgesehen davon, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Schreiben nicht vorgelegt haben und dass es auch in den Gerichtsakten nicht enthalten ist, kann die Besetzungsrüge schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die schriftlichen Entscheidungsgründe zwar erst am 11. Dezember 2018 zugestellt wurden, das zugrunde liegende Urteil jedoch am 5. September 2018 ergangen ist und der Urteilstenor noch am selben Tag bei der Geschäftsstelle niedergelegt wurde (§ 116 Abs. 2, § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Das Urteil ist – § 112 VwGO entsprechend – von dem Richter gefällt worden, der als zuständiger Einzelrichter die Verhandlung geleitet hat. Die gebotene Identität zwischen verhandelndem und entscheidendem Richter (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 3 B 28.17 – juris Rn. 18 m.w.N.) ist damit gewahrt. Ein Richterwechsel zwischen dem Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung und der Fällung des Urteils mit der Folge, dass das Gericht bei der Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen wäre (vgl. BVerwG, B.v. 26.8.2013 – 9 B 13.13 – juris Rn. 8; Kraft in Eyermann, VwGO, § 112 Rn. 11), hat nicht stattgefunden.
Es liegt auch kein Besetzungsverstoß dahingehend vor, dass an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hätte, der hierzu nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts (§ 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 21e GVG) oder nach der kammerinternen Verteilung der Geschäfte (§ 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 21g GVG) nicht berufen gewesen wäre. Die neunte Kammer wurde beim Verwaltungsgericht Bayreuth erst am 18. Oktober 2018 und damit nach der Niederlegung des Urteilstenors gebildet (Präsidiumsbeschlüsse vom 4., 8. und 18.10.2018). Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin genannte Mitteilung der Geschäftsstelle vom 9. November 2018 über ein neues Aktenzeichen (9. statt 5. Kammer) dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die vollständig abgefasste Entscheidung zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag. Eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts bei der Entscheidung über die Klage kann sich daraus jedoch nicht ergeben.
3. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf Zulassung der Berufung ist auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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