Verwaltungsrecht

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung

Aktenzeichen  9 ZB 20.32183

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32799
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2

 

Leitsatz

Unterlässt es ein in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwesender Prozessbevollmächtigter, einen Terminsverlegungsantrag zu stellen, so kann er sich nicht auf die Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren, berufen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.45730 2020-09-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 11. September 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Soweit sich der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruft, liegt bereits kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund vor (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 9 ZB 20.30794 – juris Rn. 3). Soweit dem Zulassungsvorbringen die Geltendmachung von Verfahrensmängeln (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) entnommen werden kann, liegen solche nicht vor.
1. Das Zulassungsvorbringen sieht einen Verstoß gegen das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör, weil das Verwaltungsgericht den Sachverhalt aufgrund des Nichterscheinens des Klägers zur mündlichen Verhandlung nicht ausreichend aufgeklärt habe. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Kläger wurde hier ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf die Folgen des § 102 Abs. 2 VwGO hingewiesen; ein persönliches Erscheinen (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 VwGO) war nicht angeordnet. Mit seinem Vorbringen im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sich das Verwaltungsgericht in den Urteilsgründen umfangreich auseinandergesetzt.
Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers, dass er sämtliche ihm verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerwG, B.v. 29.6.2015 – 10 B 66.14 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 14 ZB 19.30242 – juris Rn. 13). Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr haben es der Kläger bzw. sein in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwesender Prozessbevollmächtigter unterlassen, einen Terminsverlegungsantrag zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2019 – 14 ZB 18.33117 – juris Rn. 6 m.w.N.).
2. Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe gegen anerkannte Denkgesetze verstoßen, weil er staatlicher Verfolgung ausgesetzt sei, er auf Fahndungslisten stehe und mit Haftbefehl gesucht werde, weshalb er bei einer Rückkehr in geordneten Bahnen erkannt und ergriffen werde und ihm keine inländische Fluchtalternative offenstehe, zeigt dies keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör auf. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Die bloße Behauptung durch das Zulassungsvorbringen, dass ein solcher Mangel vorliege, genügt jedoch nicht. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Klägers als kaum glaubhaft und auf Vermutungen beruhend bewertet hat, setzt es sich umfangreich mit dem Vorbringen des Klägers im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren auseinander und stützt sich bei seiner Bewertung auf eingeführte Erkenntnismittel. Hieraus ist kein Verstoß gegen anerkannte Denkgesetze abzuleiten, zumal das Zulassungsvorbringen dem nichts entgegensetzt. Der Kläger wendet sich vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, was keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsyG).


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