Verwaltungsrecht

Vermittlungstätigkeit für einen Versicherungsvertreter als (unerlaubte) entgeltliche Nebentätigkeit eines Soldaten

Aktenzeichen  6 ZB 20.2302

Datum:
9.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36171
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 11, § 12, § 17 Abs. 2, § 20, § 55 Abs. 5
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a, § 152 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine ernstliche, die Entlassung eines Soldaten rechtfertigende Gefährdung der militärischen Ordnung ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich erfolgt und unmittelbar die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr beeinträchtigt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb des militärschen Kernbereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich bei der Dienstpflichtverletzung um eine Straftat von erheblichem Gewicht handelt, wenn eine Wiederholungsgefahr der Dienstpflichtverletzung besteht oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit mit Nachahmungsgefahr handelt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Vermittlungstätigkeit eines Soldaten gegenüber Versicherungsvertretern besteht Nachahmungsgefahr, weil es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die, wie aus anderen Fällen bekannt, um sich zu greifen droht und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr darstellt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21b K 19.4196 2020-07-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juli 2020 – M 21b K 19.4196 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 14.171,49 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist, greifen nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die innerhalb der ersten vier Dienstjahre erfolgte, auf § 55 Abs. 5 SG gestützte fristlose Entlassung des Klägers aus seinem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit im Rang eines Hauptgefreiten rechtmäßig ist. Aufgrund der Vernehmung des Klägers und der Zeugenaussagen stehe fest, dass der Kläger im Zeitraum Oktober bis Dezember 2018 wiederholt für den Versicherungsmakler P. und dessen Angebote geworben und hierfür mehrere hundert Euro erhalten habe, womit er insbesondere das Verbot der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten aus § 20 SG, die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten – auch außer Dienst – nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, die Pflicht zur Kameradschaft aus § 12 SG sowie die Gehorsamspflicht des § 11 SG schuldhaft verletzt habe. Der Kläger sei sowohl am 3. April 2017 als auch am 4. Juli 2017 u.a. über das Verbot von Handel und Gewerbeausübung im Bereich der Bundeswehr und dabei auch über die Pflicht zur Genehmigung von – jedenfalls entgeltlichen – Nebentätigkeiten belehrt worden. Er habe damit seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt, da sein Verhalten geeignet gewesen sei, sowohl die Achtung seiner Kameraden als auch seiner Vorgesetzten erheblich zu beeinträchtigen. Der weitere Verbleib des Klägers in seinem Dienstverhältnis gefährde die militärische Ordnung und auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich. Bei einzelfallbezogener Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzungen bestehe jedenfalls eine Nachahmungsgefahr. Im Übrigen belege die schon per se auf Wiederholung ausgelegte Natur der Dienstpflichtverletzungen, aber auch der Umstand ihrer tatsächlich über mehrere Monate fortgesetzten Begehung eine Wiederholungsgefahr durch den Kläger.
An der Richtigkeit dieser Entscheidung zeigt der Kläger keine beachtlichen Zweifel auf.
Er vertritt zunächst unter Hinweis auf eine Eilentscheidung des VG Oldenburg (B.v. vom 19.2.2019 – 6 B 4453/18, bestätigt durch NdsOVG, B.v. 2.5.2019 – ME 69/19), die Auffassung, dass seine Dienstpflichtverletzungen nicht so schwerwiegend seien. Auch eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, weil er nunmehr die Kenntnis erlangt habe, dass seine Tätigkeit als Tippgeber verboten sei. Die Beklagte habe nicht ausreichend geprüft, ob die Entlassung durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden könne. Er habe bisher keine Dienstpflichtverletzungen begangen und seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Er sei entgegen dem Vorwurf im Entlassungsantrag ein Mannschaftssoldat ohne Vorgesetztenstellung. Das Verwaltungsgericht stütze sich ferner ausschließlich auf Zeugenaussagen und seine eigene Aussage. Die genauen Hintergründe (für wen er tätig gewesen sei, Höhe der Provision, Anzahl der Tipps) seien von der Beklagten nicht ermittelt worden. Dies sei aber bei einer Abwägung, ob eine Entlassung oder eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen sei, zu berücksichtigen. Eine solche Abwägung habe gar nicht stattgefunden, auch entlastende Gründe seien nicht ermittelt worden.
Damit kann der Kläger nicht durchdringen.
Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen.
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann. Dies hat die Rechtsprechung im Falle von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion des Soldaten angenommen, also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeit zu werten war (BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 2 C 17.91 – juris Rn. 15).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinn des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 16.8.2010 – 2 B 33.10 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 6 ZB 15.758 – juris Rn. 8 ff. m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist die Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten, wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, gerechtfertigt.
Der Kläger ist wiederholt entgeltlich als Tippgeber für einen Versicherungsvertreter aufgetreten und hat damit seine Dienstpflichten, insbesondere das Verbot der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten (§ 20 Abs. 1 SG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), schuldhaft verletzt.
Die Dienstpflichtverletzung als solche bestreitet der Kläger nicht. Aufgrund der Einlassung des Klägers bei seiner Vernehmung und der Aussagen verschiedener Zeugen steht fest, dass der Kläger wiederholt auf den Tippnehmer hingewiesen und hierfür auch Geld erhalten hat. Die Regelung in § 20 Abs. 1 Satz 1 SG bestimmt unmissverständlich, dass Zeitsoldaten zur Ausübung jeder entgeltlichen Nebentätigkeit der vorherigen Genehmigung bedürfen. Die vom Kläger unterzeichnete Belehrung weist ausdrücklich darauf hin, dass im Bereich der Bundeswehr jeglicher Handel und Gewerbeausübung, u.a. Werbung, verboten ist und Soldaten auf Zeit einer vorherigen Genehmigung des Disziplinarvorgesetzten bedürfen, wenn sie eine entgeltliche Nebentätigkeit ausüben wollen. Das Gesetz und die Belehrung erfassen die vom Kläger ausgeübte Nebentätigkeit so eindeutig, dass entgegen der Auffassung des Klägers weder eine eindeutigere Belehrungspflicht erforderlich ist noch glaubhaft ist, dass er sich über die Unrechtmäßigkeit seines Handelns nicht im Klaren war.
Dem Antragsteller ist zwar keine Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich anzulasten. Sein Verhalten war aber geeignet, sowohl die Achtung seiner Kameraden als auch das Vertrauen seiner Vorgesetzten erheblich zu beeinträchtigen. So hatten mehrere Kameraden aufgrund der Vermittlungstätigkeit des Klägers Kontakt mit dem Versicherungsvertreter und wurden zum Teil von diesem in unangenehme Situationen gebracht (z.B. Anrufe/Whatsapp wegen der Vernehmungen zu diesem Verfahren und von den Betroffenen als „komisch/suspekt“ empfundene Beratungen: Vernehmungen T.S./ S.G./B.O./J.B.).
Bei einer einzelfallbezogenen Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzungen besteht jedenfalls eine Nachahmungsgefahr, weil es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die um sich zu greifen droht, und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr darstellt. Für die Bundeswehr besteht ein wesentliches Interesse daran, entgeltlichen und ungenehmigten Nebenbeschäftigungen entgegen zu treten, um eine Nachahmungsgefahr zu mindern. Die Beklagte tritt dem auch regelmäßig, wie dem Senat aus anderen Fällen bekannt ist, mit der Entlassung des Soldaten entgegen. So hat die Beklagte nach ihren Angaben seit 2015 45 Soldaten aus dem Dienstverhältnis entlassen, weil sie einer ungenehmigten Nebentätigkeit für Versicherungen oder Finanzdienstleister nachgegangen sind. Dies bestätigt im Übrigen auch der Kläger mit seinem Vorbringen zur grundsätzlichen Bedeutung seines Falles als Zulassungsgrund. Auf eine Wiederholungsgefahr beim Kläger kommt es daher nicht an.
Eine Vorgesetzteneigenschaft des Klägers wurde dem Entlassungsbescheid nicht zugrunde gelegt, sondern seine Zulassung als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere. Die Berücksichtigung dieses Umstandes durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Weitere Ermittlungen waren angesichts des festgestellten Ausmaßes der Dienstpflichtverletzungen nicht geboten. Welche entlastenden Umstände die Beklagte ohne Vorbringen durch den Kläger hätte ermitteln können, legt auch der Zulassungsantrag nicht dar. Insbesondere handelt es sich nicht um eine geringfügige spontane Dienstpflichtverletzung ohne Nachahmungsgefahr. Auf eine Disziplinarmaßnahme als milderes Mittel brauchte der Dienstherr angesichts der Sachlage und der gesetzlichen Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 55 Abs. 5 SG nicht zurückzugreifen.
2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat der Kläger nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Um diesen Zulassungsgrund darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – juris Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Diesen Darlegungsanforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht, er formuliert bereits keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer geltend gemachten Divergenz im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Bei den vom Kläger genannten Gerichten handelt es sich nicht um divergenzfähige Gerichte im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47‚ § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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