Verwaltungsrecht

Verneinung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit von “Reichsbürgern”

Aktenzeichen  M 7 K 17.2172

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14411
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
BJagdG § 17 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Für die Prognose der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Personen, die der „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit iSv § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für eine glaubhafte Distanzierung ist zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des im vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Umstand allein, dass sich eine Person in bestimmten, ihr opportun erscheinenden Situationen in Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorgaben und somit quasi „unauffällig“ verhält, kann keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit begründen, wenn sie ihre Bindung an die Rechtsordnung durch Wort und Tat unter Vorbehalt stellt und auf diese Weise Zweifel weckt, ob sie waffenrechtliche Vorschriften auch dann noch einhält, wenn sie ihr nicht (mehr) opportun erscheinen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Der Bescheid vom 18. April 2017 in seiner zuletzt gültigen Fassung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Bescheidsaufhebung, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (dazu 1.1), noch auf Verpflichtung des Beklagten zur Verlängerung (Erteilung) seines Jagdscheines,
§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (dazu 1.2).
1.1 Der in Nr. 1 des Bescheids vom 18. April 2017 verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarten und des Kleinen Waffenscheins des Klägers ist rechtmäßig gemäß § 45 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG sind waffenrechtliche Erlaubnisse – vorliegend die Waffenbesitzkarten nach § 10 Abs. 1 WaffG und der Kleine Waffenschein nach § 10 Abs. 3 Satz 4 WaffG – zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 51). Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 a.a.O; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14 mit Hinweis auf stRspr des BVerwG z.B. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08 – juris sowie B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – Buchholz 402.5 WaffG Nr. 71).
Im konkreten Fall rechtfertigen die Tatsachen, die dem Gericht vorliegen, eine Annahme bzw. Prognose, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein in § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG beschriebenes Verhalten zeigen wird und somit nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügt. Der Kläger hat vorliegend durch sein Verhalten Tatsachen geschaffen, die die Annahme rechtfertigen, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht.
Personen, die der „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300; B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339; B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519; B.v. 12.3.2018 – 21 CS 17.1678; B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – alle juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes (S. 90) beschreibt die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als organisatorisch und ideologisch äußerst heterogen, zersplittert und vielschichtig. Sie besteht überwiegend aus Einzelpersonen ohne strukturelle Anbindung, aber auch aus Kleinst- und Kleingruppen, virtuellen Netzwerken und überregional agierenden Personenzusammenschlüssen. Verbindendes Element der Szeneangehörigen ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 175 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 185 ff.). Es besteht die Besorgnis, dass die Betroffenen – mitunter massive – Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes, S. 93).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964 – juris Rn. 15 m.w.N.). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen – auch wesentlichen – Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. OVG RhPf, B.v. 3.12.2018 – 7 B 11152/18 – juris Rn. 23).
Im Hinblick auf den Kläger liegen Tatsachen vor, die – auch wenn sich der Kläger selbst nicht unmittelbar der Reichsbürgerbewegung zugehörig fühlt – jedenfalls die Annahme rechtfertigen, dass er die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet und sich so die Ideologie der „Reichsbürger“ als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau bzw. -würdigung der vom Kläger getätigten Äußerungen gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft Neuburg a.d. Donau, dem Landratsamt wie auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
Die Schreiben des Klägers vom 23. August 2016, vom 5. September 2016 und vom 24. Oktober 2016 an die Verwaltungsgemeinschaft Neuburg a.d. Donau enthalten eine Vielzahl von reichsbürgertypischen Formulierungen und Aussagen.
So hat der Kläger im Schreiben vom 23. August 2016 ausgeführt, dass die Verkehrsüberwachung der Stadt Neuburg rechtlich nicht für Verwarngelder zuständig sei, da das Ordnungswidrigkeitengesetz infolge der Aufhebung des Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz aufgehoben worden sei, womit für sämtliche Ordnungswidrigkeiten kein rechtliche Grundlage mehr existiere. Zudem sei am 25. April 2006 § 5 zu OWiG, ZPO, StPO und GVG aufgehoben worden, der die räumliche Zuordnung der Gesetze geregelt habe und infolgedessen mangels territorialer Zuordnung kein Gesetz gelte. Der Kläger hat hiermit für die „Reichsbürgerbewegung“ typische Verhaltens- und Ausdrucksweisen eindeutig zu erkennen gegeben. Denn „Reichsbürger“ überziehen regelmäßig Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z.B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren zu entziehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 181). Zudem führte der Kläger aus, dass sich die Stadt mit ihrer Forderung an die „BRD-GmbH“ mit eingetragener D-U-N-S® Nummer: 341611478 oder an die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur Gesellschaft mit beschränkter Haftung D-U-N-S® Nummer: 314802591 wenden solle. Der Kläger hat damit eine weitere für die „Reichsbürgerbewegung“ typische Argumentationslinie zum Ausdruck gebracht. Denn „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diese z.T. als „Firma BRD“ (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 180). In diesem Kontext ist auch die Passage am Ende des Schreiben („Natürliche Person mit Familiennamen und Vornamen nach BGB, Buch 1, (1) §§ 1,2 ff und im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten, kein Mitglied oder Anhänger irgendeiner verlogenen PARTEI, RELIGION, SEKTE usw. oder Verfechter ideologischer, demagogischer oder sonstiger … Ideen. Nicht links, nicht rechts oder antisemitisch, nur der WAHRHEIT, dem RECHT, der AUFKLÄRUNG und der RECHTSCHAFFENHEIT verpflichtet. PS.: Beachten sie bei weiteren Entscheidungen auch, dass Sie wegen aufgehobener Staatshaftung wie als Privatperson handeln.“) zu sehen. Auch hierin kommt die Ablehnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat zum Ausdruck. Ebenfalls zeigt sich darin die in Kreisen der „Reichsbürger“ bzw. „Selbstverwalter“ vorzufindende Verhaltensweise, Bediensteten staatlicher Stellen in Schreiben mit haltlosen Schadensersatzforderungen zu drohen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes, S. 92; Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 181). Der Kläger hat seine, in den dargelegten Äußerungen und Verhaltensweisen zum Ausdruck kommende, innere Einstellung auch nach außen hin zu erkennen gegeben. Denn wer gegenüber einer Behörde dem Gedankengut der sog. „Reichsbürger“ entlehnte Äußerungen in der „reichsbürgertypischen Weise“ trifft und entsprechende Verhaltensweisen zeigt, geht davon aus und beabsichtigt gerade, seine ablehnende Haltung gegenüber der Rechtsordnung sozusagen amtlich und ernsthaft einer Behörde gegenüber kund zu tun (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519 – juris Rn. 19).)
Im Schreiben vom 5. September 2016 greift der Kläger diese Aspekte erneut auf, indem er sich erneut als „Selbstverwaltung“ beschreibt, die Zuständigkeit der Sachbearbeiter negiert und wiederum auf den fehlenden territorialen Geltungsbereich der einschlägigen gesetzlichen Regelungen verweist. Ebenfalls reichsübertypisch sind die Ausführungen zur drohenden persönlichen Haftbarkeit und der damit angeblich zusammenhängenden „Amtsanmaßung“. Insbesondere der (in diesem Schreiben erstmals erwähnte) Verweis auf Art. 9 der UN-Resolution A/RES/56/83 folgt offensichtlich einer gängigen, in vielen einschlägigen reichbürgertypischen/-nahen Internetauftritten und auch sonstigen Dokumenten bzw. Einlassungen zu findenden (gerichtsbekannten) Argumentation, wonach sie daraus die Möglichkeit ergeben solle, sich unter „Selbstverwaltung“ zu stellen.
Im Schreiben vom 24. Oktober 2016 greift der Kläger ein weiteres Mal diese reichbürgertypischen Argumentationslinien auf. Wiederum wird mit Amtsanmaßung gedroht, den einschlägigen Rechtsgrundlagen die Gültigkeit abgesprochen, die Bundesrepublik Deutschland als BRiD-GmbH bezeichnet und eine drohende private Haftung der Sachbearbeiter erwähnt. Auch der Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 und (u.a.) die Bezeichnung der Polizei als eingetragene Firma sind häufig anzutreffende (gerichtsbekannte) Argumentationen der Reichsbürgerideologie (s.o.).
Die Schreiben belegen, dass der Kläger diese Überzeugung bzw. Ideologie für sich als verbindlich erachtet und nach außen vertreten hat, und nicht nur, wie er vorgibt, unreflektiert Verhaltenstipps von Bekannten und Internetvorlagen gefolgt ist. Weder die schriftlichen Ausführungen des Klägers, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, noch seine Einlassungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vermögen dies zu widerlegen. Die Ausführungen sind teilweise in sich widersprüchlich bzw. wenig plausibel, bleiben – trotz mehrfacher Nachfrage – meist oberflächlich wie detailarm und laufen der allgemeinen Lebenserfahrung zuwider. Der Kläger hat sich somit letztendlich insgesamt weitgehend unglaubwürdig gemacht.
So gab der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, dass er nach Auskunft eines Anwalts beim Stammtisch im Internet recherchiert habe und dort auf das vom Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 vorgelegte Schreiben „Selbstverwaltung Lothar Günther“ bzw. auf eine entsprechende Seite gestoßen sei. Er habe bei seinen ersten beiden Schreiben die dort gefundenen Schreiben komplett abgeschrieben. Zum dritten Schreiben sei es gekommen, weil der Rechtsanwalt ihm gesagt hätte, dass er eine Strafanzeige gegen den Beamten stellen solle. Auf Frage bzw. Vorhalt des Gerichts, wie es zu den Passagen im Schreiben vom 23. August 2016 gekommen ist, welche nicht in der angeblichen Vorlage „Selbstverwaltung Lothar Günther“ enthalten sind (bspw. die Passage „Die Forderung von 10,- EUR dürfe an die „BRD-GmbH“ mit eingetragener D-U-N-S Nummer: 341611478 […] gewendet werden“), erklärte der Kläger, dass der Anwalt ihm den Inhalt dieser Passagen gesagt hätte. Er habe dem Anwalt insoweit blind vertraut; eine „DUNS-Nummer“ sage ihm gar nichts. Weiter gab der Kläger an, dass er die Schreiben selbst formuliert bzw. abgeschrieben, insbesondere Auskünfte der Rechtsanwalt übernommen habe.
Dieser Vortrag des Klägers ist in sich widersprüchlich und wenig kongruent, da der Kläger zunächst angibt, die Vorlage vollständig übernommen zu haben, nur um unmittelbar anschließend auf Vorhalt des Gerichts einzuräumen, dass er doch eigene Inhalte zusätzlich zur Vorlage ergänzt hat. Damit macht sich der Kläger unglaubwürdig. Die eigenen Ergänzungen des Klägers widerlegen insoweit auch die Behauptung, dass der Kläger die Vorlage bzw. darin enthaltene Aussagen übernommen habe, ohne darüber nachzudenken. Es erscheint wenig plausibel und widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, wenn jemand einerseits ohne inhaltliche Auseinandersetzung und unreflektiert Vorlagen aus dem Internet übernommen haben will, diese aber andererseits um sehr spezifische Angaben ergänzt. Entweder übernimmt man eine Vorlage unreflektiert – dann aber eben zwingend ohne weitere Ergänzungen/Änderungen – oder man befasst sich näher mit ihr und beginnt mit inhaltlichen Ergänzungen. Gerade die Passage mit der D-U-N-S-Nummer (in dieser speziellen Schreibeweise mit dem Symbol „®“) im Schreiben vom 23. August 2016 wie auch der Verweis auf die drohende Privathaftung sind weitere spezifische reichsbürgertypische Elemente, die man letztendlich, ohne sich mit der Thematik zu befassen, in dieser Form gar nicht tätigen könnte. Die Einlassung des Klägers, er habe diese Passagen vom Anwalt übernommen, ändert nichts an diesem Eindruck. Gerade wenn der Kläger die Vorlage aus dem Internet unreflektiert übernommen haben will, macht eine Rücksprache mit seinem angeblichen Berater wenig Sinn. Ebenso wenig plausibel erscheint die vom Kläger dargelegte Entstehung des dritten Schreibens vom 24. Oktober 2016. Der Kläger will insoweit ebenfalls seinen Bekannten konsultiert und Stichpunkte mitgeschrieben haben, um daraus das Schreiben vom 24. Oktober 2016 zu formulieren. Es erschließt sich aber nicht, warum der Bekannte dem Kläger empfohlen haben will, dass dieser dem Sachbearbeiter ein aufklärendes Gespräch über das System anbieten solle. Vielmehr ist der Wortlaut dieser Passage ein deutliches Indiz, dass der Kläger die Ideologie der Reichsbürger derart verinnerlicht und sich zu eigen gemacht hat, dass er auch Dritte davon überzeugen möchte. Davon abgesehen kann, sollte der Vortrag des Klägers insoweit zutreffend sein, von einem „unreflektierten oder blinden Übernehmen“ ohnehin nicht mehr die Rede sein, wenn sich der Kläger Stichpunkte notiert, um daraus selbst ein detailliertes Schreiben u.a. mit dem Zitat einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung inkl. korrekter Schreibweise des Aktenzeichens zu entwickeln.
Folglich ist auch keine glaubhafte Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ im Fall des Klägers festzustellen. Hinsichtlich der Anforderungen an eine glaubhafte Distanzierung kann aufgrund der identischen sicherheitsrechtlichen Schutzrichtung – Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – die ausländerrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – entsprechend herangezogen werden (vgl. VG München, Gerichtsbescheid v. 17.10.2018 – M 7 K 17.750 – juris Rn. 39). Dementsprechend ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2018 – 1 B 11/18 – juris Rn. 12). Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des im vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 53). Eine diesen Anforderungen genügende, glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ lässt sich nicht feststellen. Hinreichende äußerlich feststellbare Umstände, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kläger seine innere Einstellung verändert hat, sind nicht erkennbar. Der Kläger bestreitet nach wie vor, jemals die Ideologie bzw. das Gedankengut der „Reichsbürgerbewegung“ verinnerlicht bzw. sich verbindlich zu eigen gemacht zu haben, was wie eben dargelegt nicht glaubhaft erscheint.
Daher bedurfte es zu dieser Frage auch keiner Beweiserhebung in Form von Zeugeneinvernahmen, so dass dem vom Klägerbevollmächtigten gestellten bedingten Beweisantrag nicht stattzugeben war. Die vom Klägerbevollmächtigten angesprochene Tatsache, dass die benannten Zeugen „auch keinen Hinweis auf reichsbürgerliches Denken in der mittlerweile vergangenen Zeit“ beim Kläger zu erkennen vermögen, kann zudem als wahr unterstellt werden (vgl. dazu den Rechtsgedanken des § 244 Abs. 3 Satz 2 Alt. 7 StPO). So kann der Umstand allein, dass sich eine Person in bestimmten, ihr opportun erscheinenden Situationen in Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorgaben und somit quasi „unauffällig“ verhält, keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit begründen, wenn sie ihre Bindung an die Rechtsordnung, wie hier, durch Wort und Tat unter Vorbehalt stellt und auf diese Weise Zweifel weckt, ob sie waffenrechtliche Vorschriften auch dann noch einhält, wenn sie ihr nicht (mehr) opportun erscheinen (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17). Es mag durchaus sein, dass sich der Kläger gegenüber – ohnehin von ihm benannten – Freunden, Bekannten und seinem Arbeitgeber einwandfrei verhält und im beruflichen wie privaten Umfeld nicht als Reichsbürger aufgefallen ist. Daraus lassen sich aber keine zwingenden Rückschlüsse auf seine innere Einstellung („innere Tatsache“), insbesondere in einem gänzlich anderen Kontext (Verbindlichkeit des Waffengesetzes), ableiten (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 21 CS 17.2459 – juris Rn. 27).
1.2 Vor diesem Hintergrund hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verlängerung bzw. erneute Erteilung seines Jagdscheins, da ihm – auch zum insoweit relevanten Stand der letzten mündlichen Verhandlung – die waffenrechtliche Zuverlässigkeit fehlt, § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Wir eben dargelegt hat sich der Kläger bisher nicht glaubhaft von der Ideologie der Reichsbürgerbewegung distanziert. Solange der Kläger aber – quasi als erster Schritt – nicht eine Veränderung seiner inneren Einstellung nach außen dokumentiert, indem er einräumt oder zumindest nicht bestreitet, in der Vergangenheit der Reichsbürgerideologie nahegestanden zu seien (diese als für sich verbindlich erachtet bzw. sie sich zu eigen gemacht zu haben), besteht jedenfalls derzeit kein Anlass, von der Wiedererlangung der waffenrechtlichen Zulässigkeit des Klägers auszugehen. Daher bedarf es auch insoweit weder der vom Klägerbevollmächtigten beantragten Beweiserhebung (s.o.) noch einer konkreten Entscheidung, ab wann bzw. nach welcher Frist (in Anlehnung an die in § 5 WaffG ausgeprägten, unterschiedlich gestaffelten Fristen) von einer solchen Wiedererlangung der Zuverlässigkeit frühestens ausgegangen werden kann.
1.3 Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Bescheid im Übrigen ausgesprochenen Nebenverfügungen (in ihrer zuletzt gültigen Fassung und soweit diese nicht ohnehin durch den Beklagten aufgehoben wurden) sind weder ersichtlich noch vorgetragen; insoweit wird gem. § 117 Abs. 5 VwGO auf dessen und die Gründe des Änderungsbescheids vom 2. August 2017 Bezug genommen.
2. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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