Verwaltungsrecht

Verpflichtung zur Ruhestandsversetzung eines dienstunfähigen Beamten

Aktenzeichen  3 ZB 14.920

Datum:
14.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 52326
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 26 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 45
RL 2003/88/EG Art. 7
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1-3

 

Leitsatz

1 Beamtinnen und Beamte sind in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig sind. Diese Verpflichtung ist umgehend zu erfüllen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die dem Dienstherrn obliegende Fürsorgepflicht kann nicht zu Maßnahmen verpflichten, durch die gesetzliche Vorschriften verletzt würden. Im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung noch vorhandene Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitausgleich wegen Mehrarbeit können nicht dazu führen, dass ein späterer Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung veranlasst ist.   (redaktioneller Leitsatz)
3 Das durch § 26 Abs. 1 S. 3 BeamtStG eröffnete Ermessen ist nicht darauf gerichtet, einen dienstunfähigen Beamten im Dienst zu belassen.  (redaktioneller Leitsatz)
4 Aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG folgt kein Recht auf ein unbegrenztes Sammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die gegebenenfalls auszugleichen wären. Bei der Berechnung der dem Beamten zustehenden Urlaubstage kommt es nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Beamte im konkreten Jahr genommen hat.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 12.1710 2014-03-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Soweit der Kläger über die im Bescheid des Beklagten vom 28. November 2013 festgesetzte Urlaubsabgeltung hinaus eine Urlaubsabgeltung auch für das Jahr 2010 begehrt, wird das Verfahren gemäß § 93 S. 2 VwGO abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen 3 ZB 16.1858 fortgeführt. Gleiches gilt in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf Mehrarbeitsausgleich.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
IV.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 23.349,48 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i. S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a) In Bezug auf den Hauptantrag, die Ruhestandsversetzungsverfügung vom 15. März 2012 aufzuheben, erschöpft sich der Sachvortrag des Klägers darin zu behaupten, ein exakter Zeitpunkt für die Ruhestandsversetzung werde durch § 26 Abs. 1 S. 1 BeamtStG nicht vorgeschrieben. Es sei in der Praxis durchaus nicht unüblich, beim Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung flexibel vorzugehen – und nicht in der Art eines „automatischen Fallbeils“.
Damit verkennt die Klagepartei, dass Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit nach der genannten Vorschrift in den Ruhestand zu versetzen sind, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, besteht die Verpflichtung, Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen (Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Kommentar § 26 BeamtStG Rn. 6). Wenn der Kläger meint, in der soeben angegebenen Kommentarstelle (a.a.O Rn. 5 und 6) werde in diesem Zusammenhang die Interessenkollision behandelt und ausführlich die Frage der Fürsorgepflicht erörtert, unterschlägt er den Einleitungssatz der Kommentierung, die dahin lautet, dass der Gesetzgeber die im folgenden dargestellten Interessenlagen des Dienstherrn, des Beamten und der Kollegen des Beamten zu berücksichtigen habe. Auch nach Auffassung des Kommentarverfassers hat die Gewährleistung des § 26 BeamtStG mit der Zielsetzung, dienstunfähige Beamte aus dem aktiven Dienst zu entfernen, erste Priorität. Dem Kläger kann mithin nicht darin gefolgt werden, dass die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die in § 45 BeamtStG angesprochen ist, es diesem verbiete, bestehende Ansprüche (Urlaub und Mehrarbeitsausgleich) durch eine „vorzeitige“ Ruhestandsversetzung zu vernichten. Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 BeamtStG für eine Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit vorliegen, kann von einer vorzeitigen Ruhestandsversetzung nicht gesprochen werden. Der Senat hält weiter daran fest, dass die dem Dienstherrn obliegende Fürsorgepflicht nicht zu Maßnahmen verpflichten kann, durch die gesetzliche Vorschriften verletzt würden (ebenso Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, a. a. O. § 45 BeamtStG Rn. 195 nunmehr unter Verweis auf den Beschluss des Senats vom 23.4.2013 – 3 CE 13.366 – juris). Die Verpflichtung, einen dienstunfähigen Beamten in den Ruhestand zu versetzen, ist umgehend zu erfüllen. Das durch § 26 Abs. 1 S. 3 BeamtStG eröffnete Ermessen ist nicht darauf gerichtet, einen dienstunfähigen Beamten im Dienst zu belassen (v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 26 Rn. 181).
b) Soweit der Kläger nunmehr geltend macht, ihm stehe eine Urlaubsabgeltung für das Jahr 2009 in Höhe von sechs Tagen zu, unterliegt das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ebenfalls keinen ernstlichen Zweifeln. Der Kläger rügt insoweit, es sei nicht berücksichtigt worden, dass er mit Schreiben vom 18. Oktober 2010 einen Antrag auf Übertragung gemäß § 11 UrlV gestellt habe, dem stattzugegeben gewesen wäre. Auch wenn man für diese „Ansparung“ lediglich die europarechtlichen Grundsätze zugrunde lege, ergebe sich der geltend gemachte Anspruch.
Damit kann der Kläger nicht durchdringen. Das Verwaltungsgericht musste beim Umfang des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG aus dem Urlaubsjahr 2009 stammende Urlaubstage, die der Kläger im Jahr 2010 ausweislich der Urlaubskarte sämtlich genommen hat, nicht berücksichtigen. Bei der Berechnung der dem Beamten zustehenden Urlaubstage kommt es nach dem Zweck des Art. 7 RL 2003/88/EG nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Beamte im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, U.v. 31.3.2013 – 2 C 10/12 – juris Rn. 23). Die ausweislich des vorgelegten Schreibens vom 18. Oktober 2010 beantragte Urlaubsübertragung von „Erholungsurlaub für 2010“ hätte mithin auch im Falle ihrer – unterstellten – Genehmigung keine Auswirkung. Aus Art. 7 RL 2003/88/EG folgt kein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub (vgl. EuGH, U.v. 22.11.2011 – Rs. C-214/10 – juris Rn. 30, 43 f.; BVerfG, B.v. 15.5.2014 a. a. O. Rn. 12), die ggf. auszugleichen wären. Der unionsrechtlich gewährleistete Mindesturlaub aus dem Jahr 2009 ist – ohne dass es auf die Frage der Länge der Verfallsfrist (15 oder 18 Monate) ankäme – verfallen.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Insoweit verweist der Senat ebenso wie der Bevollmächtigte des Klägers auf seine Ausführungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel.
3. Die Rechtssache hat auch nicht die ihr vom Kläger zugemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die aufgeworfene Frage – „Sind bei dem Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung noch vorhandene Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitausgleich wegen Mehrarbeit in der Form zu berücksichtigen, dass ein späterer Zeitpunkt veranlasst ist?“ – ist nicht klärungsbedürftig. Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 38). Die hier gestellte Frage lässt sich anhand der Bestimmung des § 26 Abs. 1 S. 1 BeamtStG verneinen. Auf die Ausführungen oben 1. wird Bezug genommen. Soweit die Klagepartei in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. März 2013 (W 1 K 12.455) rekurriert, ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern dieses insoweit einschlägig sein soll.
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 40, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 GKG (spätere Ruhestandsversetzung: Halbjahresbetrag aus A 11 Stufe 10 gemäß der zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung geltenden Anlage 3 zum BayBesG zuzüglich 6 Tage Urlaubsabgeltung für 2009 ).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts – mit Ausnahme des abgetrennten Streitgegenstands Urlaubsabgeltung – rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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