Verwaltungsrecht

Verpflichtung zur Vorsprache bei einem Außentermin der nigerianischen Botschaft.

Aktenzeichen  M 12 S 21.6040

Datum:
22.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37344
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylGAsylG § 15
AufenthGAufenthG § 82 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren M 12 S 21.6040 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine nigerianische Staatsangehörige, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die ihr gegenüber angeordnete persönliche Vorsprache bei Vertretern der nigerianischen Botschaft.
Die am … geborene Antragstellerin reiste am 2. August 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. August 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. April 2017 vollumfänglich abgelehnt, zugleich das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Abs. 1 AufenthG verneint sowie der Antragstellerin unter Setzung einer mittlerweile abgelaufenen Ausreisefrist die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht wurde. Die hiergegen erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München wurde mit Urteil vom 5. August 2020 (Az.: M 9 K 19.33028), rechtskräftig seit 26. August 2018, abgewiesen. Auch die Asylanträge der Kinder der Antragstellerin sowie des Vaters der Kinder wurden unanfechtbar abgelehnt.
Die Antragstellerin ist laut Angaben des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d. Ilm seit Mitte Juli 2018 nicht mehr im Besitz gültiger Ausweispapiere. Der der Antragstellerin am 18. Juli 2013 in Rom ausgestellte nigerianischen Reisepass verlor seine Gültigkeit mit Ablauf des 17. Juli 2018. Trotz mehrfacher Aufforderungen in deutscher sowie englischer Sprache, sich entsprechende Passpapiere zu beschaffen, bereits seitens des Bundesamtes im Rahmen des Asylverfahrens am 23. April 2019, am 24. Juli 2019 sowie am 12. September 2019, wie auch später durch die Ausländerbehörde am 29. September 2020, am 29. Oktober 2020, am 22. März 2021 sowie am 7. Juni 2021, legte die Antragstellerin bis heute weder einen gültigen Reisepass oder ein sonstiges Reisedokument vor, noch konnte sie nachweisen, ob bzw. welche Anstrengungen sie bisher unternommen hat, sich entsprechende Dokumente zu beschaffen. So gab die Antragstellerin gegenüber der Ausländerbehörde zwar am 23. Mai 2019 an, sie habe die Verlängerung bereits beantragt, konnte hierfür keinerlei Nachweise vorlegen. Im Juni 2019 teilte die Antragstellerin der Ausländerbehörde mit, dass sie einen gültigen Pass noch in selbigen Monat abholen könne, legte jedoch laut Angaben des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d.Ilm bis heute weder einen gültigen Pass, noch den bereits abgelaufenen, ihr zur Verlängerung Ihres Reisepasses überlassenen alten Pass vor. Auch seitens des Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde nicht Anderslautendes vorgetragen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 4. November 2021, welcher der Antragstellerin, nicht jedoch dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt wurde, wurde die Antragstellerin verpflichtet, zum Zwecke der Ausstellung eines Passes, Passersatzes oder eines anderen gültigen Reisedokuments, das die Antragstellerin zur Rückkehr ich ihr Heimatland berechtigt, am Dienstag, den … November 2021 um … Uhr bei der zuständigen Vertretung ihres vermuteten Herkunftslandes Nigeria im Bayerischen Landesamt für Asyl und Flüchtlinge, … persönlich vorzusprechen und ein entsprechendes Reisedokument zu beantragen sowie darüber hinaus die zur Personenidentifizierung und Ausstellung eines Reisedokuments erforderlichen Angaben zu ihrer Person zu machen und die ihr vorliegenden Personenstandsurkunden auf Verlangen auszuhändigen, des Weiteren gegebenenfalls erforderliche Antragsformulare vollständig und wahrheitsgemäß auszufüllen und zu unterschreiben (Nr. 1.Buchst. a). Auf Seite 2 des Bescheides sowie in den Allgemeinen Hinweisen zu dem Bescheid auf den Seiten 6 bis 7 des Bescheides wurde hierzu ergänzend ausgeführt, dass an o.g. Tag die Botschaft der Republik Nigeria in den Räumlichkeiten des Landesamtes für Asyl und Rückführungen unter o.g. Adresse einen Außentermin für Personen ohne gültige Identitätsnachweise abhält und mit dieser zu o.g. Uhrzeit für die Antragstellerin ein Termin vereinbart wurde. Des Weiteren wurde die Antragstellerin verpflichtet, das ihr ausgestellte Reisedokument unverzüglich, spätestens jedoch drei Tage nach Erhalt, der örtlichen Ausländerbehörde des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d.Ilm zu übergeben (Nr. 1 Buchst. b). Für den Fall dass die Antragstellerin der Verpflichtung nach Nr. 1 Buchst. a) des Bescheids nicht nachkommen sollte, wurde ihr die zwangsweise Vorführung bei der bezeichneten Auslandsvertretung oder, sollten Vertreter oder ermächtigte Bedienstete dieses Staates in Bayern oder einem anderen Bundesland Außentermine abhalten, am Ort des Außentermins statt am Sitz der Landesvertretung, zu einem anderen Termin angedroht (Nr. 2). Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 des Bescheids angeordnet (Nr. 3).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen zunächst ausgeführt, die vollziehbar ausreisepflichtige Antragstellerin sei nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere und habe trotz mehrfacher Aufforderung, sich entsprechende Dokumente zu beschaffen, keinerlei entsprechende Anstrengungen zur Beschaffung unternommen. Die Antragstellerin würde mittels wahrheitswidriger Angaben über ihre Absicht sowie dem Stand der Passbeschaffung eine Mitwirkung lediglich vortäuschen, in Wahrheit aber die Mitwirkung verweigern, um eine Abschiebung zu verhindern. Aufgrund der seitens der Antragstellerin bisher gemachten Angaben gehöre Nigeria zu den vermuteten bzw. möglichen Herkunftsländern.
Hinsichtlich des ihr gesetzlich eingeräumten behördlichen Ermessens führte das Landratsamt u.a. aus, es seien keinerlei Gründe ersichtlich, die einem persönlichen Kontakt mit Vertretern der Republik Nigeria entgegenstünden, insbesondere eine Gefährdung der Antragstellerin während der Vorsprache nicht zu erwarten, da das Vorliegen einer politischen Verfolgung im Heimatstaat seitens des Bundesamtes verneint worden sei und darüber hinaus die Antragstellerin im Mai 2019 selbst vorgebracht habe, eigenständig bei der nigerianischen Botschaft in Berlin einen Termin beantragt zu haben. Auch stünde der Antragstellerin bis zum o.g. Termin ausreichend Zeit zur Verfügung, um die notwendigen Reisevorbereitungen zu treffen, zudem würden die Fahrtkosten durch den zuständigen Sozialleistungsträger übernommen.
Hinsichtlich der Androhung einer zwangsweisen Vorführung wurde ausgeführt, ein gleichgeeignetes milderes stünde vorliegend nicht zur Verfügung. Da die Antragstellerin laut eigenen Angaben mittellos und angesichts fehlender rechtlicher Erlaubnis zur Vornahme einer Erwerbstätigkeit ein selbstständiges finanzielles Einkommen auch in Zukunft nicht zu erwarten sei, sei vorliegend die Verhängung eines Zwangsgeldes kein zweckentsprechendes Mittel. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die zwangsweise Vorführung von Ausländern bei den zuständigen Auslandsvertretungen besonderen Bedingungen unterliegen würden: So wären diese u.a. nur nach vorheriger Terminabsprache möglich, entsprechende Termine würden jedoch nur selten und in unregelmäßigen Abständen durchgeführt, zudem seien die Kapazitäten begrenzt, so dass jeweils nur wenige Personen für eine Vorsprache angemeldet werden könnten. Das – auch angesichts der fehlenden Mitwirkung in der Vergangenheit – bestehende Risiko eines etwaigen, gegebenenfalls sogar mehrfachen Fehlschlagens angesetzter Vorsprachetermine, sei weder unter Effizienzgesichtspunkten noch im Interesse am grundsätzlichen Fortbestand des mit den Auslandsvertretungen vereinbarten Verfahrens hinzunehmen.
Mit Schriftsatz vom … November 2021, am selben Tage bei Gericht eingegangen, hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin hiergegen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d.Ilm vom 4. November 2021 aufzuheben.
Gleichzeitig hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen oder anzuordnen.
sowie der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde zunächst vorgetragen, der Bescheid sei entgegen § 14 VwVfG nur der Antragstellerin, nicht aber dem Bevollmächtigten zugestellt worden, obwohl dieser die Antragstellerin bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren vertreten habe. Des Weiteren wurde vorgetragen, die Ordnungsverfügung sei entgegen § 37 VwVfG bzw. Art. 37 BayVwVfG unter zweierlei Gesichtspunkten nicht hinreichend bestimmt: So sei zum einen nicht klar, bei wem die Antragstellerin beim Bayerischen Landesamt vorsprechen soll und welche bevollmächtigten Vertreter des vermuteten Heimatlandes beim Termin anwesend sein sollen. Auch sei Sitz der nigerianischen Botschaft in Berlin, nicht im Landesamt für Asyl in München. Des Weiteren sei nicht klar, was mit einem „anderen gültigen Reisedokument, das zur Rückkehr in das Heimatland berechtigt“ gemeint sei. Nach der Allgemeinverfügung zu § 71 Abs. 6 AufenthG gebe es für Nigerianer kein anerkanntes Passersatzpapier. Eine Erläuterung / Begründung, warum was genau von der Antragstellerin verlangt werden, enthalte der Bescheid nicht. Darüber hinaus habe eine Ermessensentscheidung nicht stattgefunden. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass sich die Behörde mit den Interessen der Antragstellerin und deren Kinder auseinandergesetzt habe. Ferner wurde vorgetragen, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nur formelhaft begründet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Über den Antrag entscheidet gemäß § 76 Abs. 4 AsylG der Einzelrichter, da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. HessVGH, B.v. 5.3.2004 – 12 ZU 3005/03 – juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Juni 2017, § 82 Rn. 101).
I. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere statthaft, da die aufschiebende Wirkung der Klage (M 12 K 21.6039) gegen den Bescheid des Landratsamtes Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 4. November 2021 kraft Gesetzes (§ 75 AsylG, Art. 21a VwZVG) ausgeschlossen ist. Insofern geht die Anordnung des Sofortvollzugs ins Leere, ohne die Antragstellerin in ihren Rechten zu verletzen. Er ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen hat. Entscheidendes Indiz für eine Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache.
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Klage der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der Bescheid des Antragsgegners vom 4. November 2021 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids.
1. Der Bescheid ist nicht schon mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung formell rechtswidrig und infolge dessen nicht (schwebend) unwirksam (§ 1 Abs. 3 VwVfG i.Vm. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
Diesbezüglich konnte vorliegend dahinstehen, ob vorliegend die speziellen Vorgaben des § 8 Abs. 1 Satz 3 VwZVG Anwendung finden oder nur die allgemeinen Vorgaben des Art. 41 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BayVwVfG.
Zwar sind gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG Zustellungen zwingend an den Bevollmächtigten zu richten, wenn er schriftlich Vollmacht vorgelegt hat. Jedoch gilt gemäß Art. 9 VwZVG selbst im Falle eines Verstoßes hiergegen das Dokument als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Bevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist, wie vorliegend der Fall.
Art. 41 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG wiederum stellt klar, dass dem Bekanntgabeerfordernis nach Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG auch durch Bekanntgabe an den Bevollmächtigten genügt werden kann. Anders als etwa im Verwaltungsprozess (siehe § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO) oder bei der Zustellung nach vorgelegter Vollmacht nach § 8 Abs. 1 Satz 3 VwZG (s.o.) folgt daraus jedoch keine Verpflichtung zur Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten. Vielmehr wird es – in Abweichung von § 14 Abs. 3 BayVwVfG, wonach sich die Behörde grundsätzlich an den Bevollmächtigten wenden „soll“ – ins Ermessen der Behörde gestellt, ob sie an den Betroffenen bzw. dessen gesetzlichen Vertreter oder an dessen Bevollmächtigten bekanntgibt („kann“). Zwar wird nach pflichtgemäßem Ermessen in der Regel eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten vorzunehmen sein, wenn dieser auch im Übrigen im Verwaltungsverfahren tätig war. Die Behörde darf den Beteiligten selbst also nicht überraschen, wenn sie davon ausgehen muss, dass dieser mit einer Bekanntgabe an ihn selbst nicht rechnet. Jedoch führt auch eine etwaige diesbezüglich fehlerhafte Ermessensausübung nicht zur Unwirksamkeit des Bescheides und bleibt vielmehr die Bekanntgabe gegenüber den Adressaten – unbeschadet der Frage, ob sich (etwa für den Lauf von Rechtsbehelfsfristen bzw. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) aus der verfahrensfehlerhaften Vorgehensweise Rechte für den Adressaten ergeben, wenn im konkreten Fall Schutzgüter beeinträchtigt werden, die gerade durch die Bekanntgabe an den Bevollmächtigten geschützt werden sollen – selbst geeignet, um die Bekanntgabewirkung herbeizuführen (OVG Münster, U.v. 28.11.1995 – 15 A 72/93 – NVwZ-RR 1997, 77).
2. Die in Nr. 1 des Bescheides verfügte Anordnung der persönlichen Vorsprache erweist sich auch im Übrigen nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Anordnung ist § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG i.V.m. § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – 11 S 1592/00 – juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Juni 2017, § 82 Rn. 100).
Danach ist der Asylbewerber verpflichtet, im Fall des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Unter einem Identitätspapier ist dabei nicht nur ein bloßes Ausweispapier, sondern auch ein Dokument zu verstehen, mit dessen Hilfe der Ausländer in sein Heimatland zurückgeführt werden kann (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – a.a.O.). Die Mitwirkungspflicht umfasst alle Rechts- und tatsächlichen Handlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapiers erforderlich sind und nur vom Asylbewerber persönlich vorgenommen werden können (OVG Hamburg, B.v. 29.9.2014 – 2 So 76/14 – juris). Dazu gehören auch die geforderte persönliche Vorsprache und Antragstellung bei der diplomatischen oder konsularischen Auslandsvertretung seines vermutlichen Herkunftsstaates.
Die Befugnis zum Erlass einer den Asylbewerber zu einer bestimmten Handlung verpflichtenden Verfügung lässt sich den Regelungen des § 15 AsylG zwar nicht unmittelbar entnehmen. Es ist indes anerkannt, dass eine ausdrückliche gesetzliche Regelung einer derartigen Ermächtigung nicht erforderlich ist. Vielmehr reicht es für den Erlass eines belastenden Verwaltungsakts aus, dass zwischen dem Träger hoheitlicher Gewalt, dem die Behörde angehört, und dem Adressaten des Verwaltungsakts hinsichtlich der fraglichen Angelegenheit ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, wie dies hier zwischen einem (abgelehnten) Asylbewerber und den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden der Fall ist. Die Behörden sind danach auch zum Erlass von Verwaltungsakten ermächtigt, mit denen die Mitwirkungspflichten im Einzelfall konkretisiert und eine Grundlage für Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung geschaffen werden sollen (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – a.a.O.).
Eine Anordnung der persönlichen Vorsprache bei einer Auslandsvertretung darf zwar nicht ins Blaue hinein erfolgen in der Hoffnung, es werde vielleicht – zufällig – zu einer Klärung der Identität kommen (VG Karlsruhe, B.v. 12 10.2012 – A 9 K 2409/12 – juris). In entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach angeordnet werden kann, dass ein Ausländer bei der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach anderen ausländerrechtlichen Bestimmungen erforderlich ist, ist vielmehr auch im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG die Rechtmäßigkeit einer derartigen Anordnung daran zu knüpfen, dass der Ausländer vermutlich die Staatsangehörigkeit des Staates besitzt, dessen Vertretung er aufsuchen soll. „Vermutlich“ besitzt der Ausländer die in Rede stehende Staatsangehörigkeit, wenn sie in Betracht kommt (OVG Schleswig-Holstein, B.v. 23.11.2009 – 4 MB 111/09 – juris).
a) Die vorliegend in Nr. 1 des Bescheides ausgesprochene Anordnung genügt den Anforderungen des in § 1 Abs. 3 VwVfG i.V.m. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG normierten Bestimmtheitsgebots. Der Einwand des Bevollmächtigten der Antragstellerin, die verfügte Anordnung sei nicht hinreichend bestimmt, da zum einen unklar sei, bei wem die Antragstellerin vorzusprechen habe, zumal sich die nigerianische Botschaft in Berlin und nicht beim Landesamt für Asyl befände, des Weiteren nicht klar sei, was unter einem „anderen gültigen Reisedokument“ zu verstehen sei, greift nicht durch.
Das Landratsamt hat auf Seite 2 des Bescheides sowie in den Allgemeinen Hinweisen zu dem Bescheid auf den Seiten 6 bis 7 des Bescheides dargelegt, dass die Botschaft der Republik Nigeria am … November 2021 in den Räumlichkeiten des Landesamtes für Asyl und Rückführung unter der in Nr. 1 des Bescheides genannten Adresse einen Außentermin für Personen ohne gültige Identitätsnachweise abhält und im Vorfeld für die Antragstellerin zu der in Nr. 1 des Bescheides genannten Uhrzeit bei dieser für die Antragstellerin ein Termin zur persönlichen Vorsprache vereinbart wurde. Die Räumlichkeiten des Landesamtes, in welchem die Vorsprache stattfindet, werden gemäß dem zwischen Ausländerbehörden und Auslandsvertretung abgestimmten Verfahren insoweit für die Dauer der persönlichen Vorsprache temporär zum Hoheitsgebiet des jeweiligen ausländischen Staates, quasi zu einer Art temporären Botschaft. Wie seitens des Landratsamtes ausgeführt, „buchen“ die Ausländerbehörden vorab einen entsprechenden Termin für einzelne Ausländer. Der genaue Ablauf der Anhörung zur Prüfung der Identität / Staatsangehörigkeit sowie des ggf. daran anschließenden Verfahrens zur Ausstellung entsprechender Nachweisdokumente, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, liegt grundsätzlich außerhalb des Einflussbereichs des Antragsgegners, wird vielmehr ausschließlich durch die jeweilige Auslandsvertretung bestimmt und muss daher im Rahmen der Anordnung nicht detailliert vom Antragsgegner prognostiziert werden (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.3.2021 – OVG 3 S 18/21 – BeckRS 2021, 6146). Dies betrifft u.a. Fragen wie etwa, welche Personen seitens der ausländischen Delegation teilnehmen, welche Erklärungen der jeweilige Ausländer konkret abzugeben hat oder welche Dokumente der jeweilige Staat zum Zwecke der Heimreise seiner Staatsangehörigen ausstellt.
Aufgrund der Angaben in den, dem Bescheid beigefügten, in englischer Sprache abgefassten Merkblättern kann die …-jährige Antragstellerin vorliegend in ausreichendem Maße erkennen, welche Anforderungen sie wann und wo aufgrund aufenthaltsrechtlicher Vorgaben zum Nachweis ihrer Identität sowie zur Beschaffung eines Passes oder eines sonstigen Dokumentes, das ihr die Heimreise in ihr mutmaßliches Heimatland Nigeria gestattet, tun muss. Insbesondere kann sie daraus erkennen, dass sie hierzu gegenüber Vertretern der nigerianischen Botschaft Erklärungen abgeben und Unterlagen vorlegen muss, mittels derer ihre Identität festgestellt werden kann, damit ihr anschließend Dokumente ausgehändigt werden, mittels derer sie nach Nigeria zurückkehren kann, einen Pass oder ein vergleichbares Dokument. Um welche Dokumente es sich genau handelt und welche Personen Teil der Delegation sind, erfährt sie während der Anhörung und muss darüber nicht vorab durch den Antragsgegner im Rahmen der Anordnung in Kenntnis gesetzt werden.
b) Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht erkennbar.
Relevante Ermessensfehler im Hinblick auf die Entscheidungsfindung liegen insbesondere dann vor, wenn die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen entweder gar nicht ausgeübt hat, da sie die Einräumung nicht erkannt oder sich im vorliegenden Fall irrtümlicherweise für gebunden hält (sog. Ermessensnichtgebrauch) bzw. ihr Ermessen zwar ausübt, es aber nicht voll ausschöpft (sog. Ermessensunterschreitung). Des Weiteren, wenn die Behörde nicht alle Gesichtspunkte, die nach dem Zwecke der Ermächtigung, insbesondere aufgrund unionsrechtlicher oder grundrechtlicher Vorgaben, zu berücksichtigenden sind, in ihrer Entscheidung einstellt und gewichtet (sog. Ermessensdefizit) oder umgekehrt Gesichtspunkte berücksichtigt, die dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechen (sog. Ermessensmissbrauch). In Bezug auf den Inhalt der getroffenen Entscheidung (sprich: die seitens der Behörde gewählte Rechtsfolge) sind Ermessensfehler insbesondere gegeben, wenn die Behörde sich für eine Rechtsfolge entscheidet, die außerhalb ihres Ermessensspielraums liegt (sog. Ermessensüberschreitung), etwa weil sie im konkreten Fall einen unverhältnismäßigen Eingriff in (freiheits) grundrechtliche geschützte subjektive Rechte des Betroffenen darstellt, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG.
Vorliegend hat das Landratsamt im Rahmen der Begründung des angegriffenen Bescheids auf Seite 4 hinreichend dargelegt, dass und wie sie ihr Ermessen ausgeübt hat sowie welche Gesichtspunkte sie hierbei berücksichtigt hat.
Diese Ausführungen zu Grunde gelegt, hat das Landratsamt im Rahmen seiner Ermessensausübung sämtliche relevanten öffentlichen Interessen hinsichtlich der Anordnung der persönlichen Vorführung sowie die durch eine solche Anordnung etwaig berührten privaten Belange der Antragstellerin und etwaig weiterer Familienangehöriger in den Abwägungsprozess eingestellt und zutreffend gewichtet. Insbesondere hat sich das Landratsamt mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Antragstellerin (und damit – zumindest mittelbar – auch deren Kinder, deren Existenz das Landratsamt auf Seite 2 des Bescheides noch einmal erwähnt) – etwa vor dem Hintergrund politischer Verfolgung in ihrem mutmaßlichem Heimatland Nigeria – im Rahmen einer persönlichen Vorsprache vor Vertretern der Republik Nigeria etwaigen Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch hat sich das Landratsamt damit auseinandergesetzt, inwieweit die Antragstellerin die Reise und sonstige in diesem Zusammenhang notwendigen Vorkehrungen zur persönlichen Vorsprache organisieren und finanzieren kann. Weitere, für die Ermessensentscheidung vorliegend relevanten, jedoch nicht berücksichtigten Gesichtspunkte sind weder ersichtlich noch seitens des Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragen worden.
Auch dass das Landratsamt in Ausübung ihres Ermessens zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das öffentliche Interesse an der Anordnung einer persönlichen Vorsprache überwiegt, ist vorliegend – insbesondere angesichts der Tatsache, dass eine Gefährdung der Antragstellerin durch unmittelbaren persönlichen Kontakt mit Vertretern der nigerianischen Botschaft, wie seitens des Landratsamtes zutreffend ausgeführt, nicht zu erwarten ist – nicht zu beanstanden.
c) Die materielle Rechtmäßigkeit wird schließlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsgegner nach der Begründung des Bescheids seine Anordnung auf § 82 Abs. 4 AufenthG und § 48 Abs. 3 AufenthG gestützt hat. Die Verwaltungsgerichte haben grundsätzlich umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht; hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.1989 – 4 C 40/88 – juris). Die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid genannter Normen ist dem Gericht nur dann verwehrt, wenn die anderweitige rechtliche Begründung zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.1989 – 9 C 28/89 – juris; OVG Münster, U.v. 22.2.2005 – 15 A 1065/04 – juris). Der Austausch einer unzutreffend angegebenen Ermächtigung führt nicht zu einer Wesensänderung, wenn er in der Sache die Ermessensgrundlage oder den Ermessensrahmen nicht verändert (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 45-69, beck-online). Dass die streitgegenständliche Verfügung hier durch den Austausch der Eingriffsnorm eine Wesensveränderung erfahren haben könnte, ist nicht ersichtlich. Die Erwägungen, die dem angegriffenen Verwaltungsakt zu Grunde liegen, tragen die Entscheidung auch auf der Grundlage der nunmehr herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 2 Nr. 3 und 6 AsylG.
3. Auch die in Nr. 2 des Bescheides ausgesprochene Androhung einer zwangsweisen Vorführung erweist sich nach summarischer Prüfung auch im Übrigen als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Androhung des Zwangsmittels in Nr. 2 des Bescheides sind Art. 36 und 34 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und vollstreckungsgesetz (VwZVG) i.V.m. § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
Die Androhung unmittelbaren Zwangs ist verhältnismäßig.
Ein Zwangsgeld als milderes Mittel i.S.v. Art. 34 VwZVG verspricht vorliegend keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg, da die Antragstellerin mittellos und mangels rechtlicher Erlaubnis ein Erwerbseinkommen auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten hat für das Eilverfahren (M 12 S 21.6039) keinen Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – wie oben ausgeführt – keine hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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