Verwaltungsrecht

Verpflichtung zur Vorsprache bei einem Außentermin der sierra-leonische Botschaft, gesetzliche Betreuerin, gesundheitliche Bedenken

Aktenzeichen  M 12 S 21.5589

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34310
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 15
AufenthG § 82 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren M 12 S 21.5589 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein laut eigenen Angaben sierra-leonischer Staatsangehöriger, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine Verpflichtung zu einer persönlichen Vorsprache bei den Vertretern der sierra-leonischen Botschaft und die in diesem Zusammenhang angedrohte zwangsweise Vorführung.
Der Antragsteller, der sich nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere befindet, reiste am 10. November 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. Dezember 2016 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt trug er zu seinem Verfolgungsschicksaal vor, sein Onkel habe ihm im Zuge einer Grundstücksstreitigkeit gedroht, ihn mit der sog. „witchgun“ umzubringen.
Mit Bescheid vom 23. November 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutzes ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Abs. 1 AufenthG und drohte dem Antragsteller unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Abschiebung nach Sierra Leone oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die hiergegen erhobene Klage zum Verwaltungsgericht München wurde mit Urteil vom 16. November 2020 (Az.: M 30 K 17.49778) abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wurde u.a. das vom Antragsteller vorgebrachte Verfolgungsgeschehen als unglaubhaft bewertet. Auch wurde in Bezug auf die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung festgestellt, dass ein eine solche Störung auslösendes traumatisches Ereignis nicht glaubhaft gemacht werden konnte und in diesem Zusammenhang ebenfalls die vorgelegten fachärztlichen Atteste und Bescheinigung der Frau Dr. H als nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechend bewertet.
Mit Beschluss des Amtsgerichts A* … vom 11. August 2021 (Az. … …21) wurde für den Antragsteller eine gesetzliche Betreuung nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB eingerichtet. Die Betreuung umfasst u.a. die Aufgabenkreise „Angelegenheiten des Aufenthaltsrechts“ sowie „Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern“. Ein Einwilligungsvorbehalt wurde nicht verfügt. Zur Betreuerin wurde Frau M. bestellt.
Mit Schreiben des Landratsamts A* … vom 1. März 2017 wurde der Antragsteller zur Beschaffung und Vorlage von Identitätspapieren aufgefordert.
Mit Schreiben des Landratsamtes A* … vom 4. Februar 2021 wurde dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, sich innerhalb eines Monats zu äußern, ob Gründe gegen die persönliche Vorsprache vor der Botschaftsvertretung der Republik Sierra Leone vorliegen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid des Landratsamtes A* … vom 7. Oktober 2021 wurde der Antragsteller verpflichtet, zur Identitätsklärung und zur Beantragung eines Passersatzpapieres durch eine Expertendelegation aus der Republik Sierra Leone am … Oktober 2021 um … Uhr in den Räumlichkeiten des Bayer. Landesamtes für Asyl und Rückführungen, H.str. 51, Haus, 8… M. persönlich vorzusprechen (Nr. 1), ihm für den Fall, dass er diesen Verpflichtungen nicht nachkommt, die zwangsweise Vorführung zu einem weiteren Vorsprachetermin angedroht (Nr. 2) sowie die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheides angeordnet (Nr. 3).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung des persönlichen Erscheinens unter Nr. 1 des Bescheides stütze sich auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Danach könne angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitze, persönlich erscheine, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich sei. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Anordnung sei zur Vorbereitung und Durchführung einer anstehenden Aufenthaltsbeendigung gem. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sowie zur Identitätsklärung und Durchsetzung der allgemeinen Passpflicht notwendig, §§ 3, 48 AufenthG. Das Asylverfahren sei seit 29. Dezember 2020 bestandskräftig negativ abgeschlossen, die Aufenthaltsgestattung kraft Gesetzes erloschen. Die Ausreisefrist habe der Antragsteller ungenutzt verstreichen lassen. Die Abschiebungsandrohung sei vollziehbar. Die Verpflichtung, einen Pass, Passersatz oder ein anderes gültiges Reisedokument zu beantragen, ergebe sich unmittelbar aus dem Aufenthaltsgesetz. Einreise und Aufenthalt seien nur dann gestattet, wenn der Ausländer einen gültigen Pass oder Passersatz besitze (§ 3 AufenthG). Sei dies nicht der Fall, sei er verpflichtet, unverzüglich eigenständig einen Pass oder Passersatz zu beantragen (§ 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV). Da der Antragsteller keinen Pass oder Passersatz besitze, sei er außerdem verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken (§ 48 Abs. 3 AufenthG). Eigenständige Bemühungen zur Passbeschaffung seien bisher nicht erfolgt bzw. nicht erfolgreich gewesen. Aufgrund der fortwährenden Passlosigkeit sei es Aufgabe der deutschen Behörden, seine Identität zu klären und ein gültiges Heimreisedokument zu beschaffen. Ein solches könne jedoch nur erlangt werden, wenn er persönlich bei der Vertretung des vermuteten Heimatstaats vorstellig werde und dort die notwendigen Anträge stelle. Die Entscheidung in Nr. 1 entspreche auch pflichtgemäßem Ermessen. Dem Antragsteller sei mit Schreiben vom 4. Februar 2021 rechtliches Gehör gewährt worden. Die gesetzte Frist bis zum 19. März 2021 habe der Antragsteller nicht wahrgenommen, auch seitens der Ausländerbehörde seien keine Gründe erkennbar, die gegen eine Vorsprache vor der Botschaftsvertretung sprechen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 11. Oktober 2021 persönlich ausgehändigt.
Mit Schreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers an das Landratsamt A* … vom … Oktober 2021 wurde Letztere zunächst von der angeordneten Betreuung und der fehlenden Bekanntmachung des Bescheids gegenüber der Betreuerin in Kenntnis gesetzt. Weiter wurde ausgeführt, dem Antragsteller sei es gesundheitlich nicht möglich, den Termin ohne seine Betreuerin wahrzunehmen und in diesem Zusammenhang ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten von Frau H. vom 6. August 2021 vorgelegt.
Hieraufhin übersandte das Landratsamt A* … der Betreuerin des Antragstellers am 19. Oktober 2021 den Bescheid vom 7. Oktober 2021 (Bl. 787/788 d. BA), welche mit E-Mail vom 20. Oktober 2021 (Bl. 790/791 d. BA) den Empfang bestätigte.
Mit E-Mail vom 25. Oktober 2021 an die Bevollmächtigte sowie die Betreuerin teilte das Landratsamt A* … unter Berufung auf das LfAR mit, dass der Anhörungsraum temporär zur diplomatischen Vertretung Sierra Leones erklärt wurde und allein die Delegation entscheide, wer den Raum betreten dürfe. Die Anhörung solle ohne Beeinflussung durch Dritte stattfinden. Anwesenden Personen, die nicht Diplomaten Sierra Leones sind, sei es nicht gestattet, das Wort zu ergreifen. Selbst deutsche Polizisten dürften während der Anhörung nicht im Raum sein. Es handle sich um eine Anhörung zur Feststellung der Staatsangehörigkeit, nicht um eine Gerichtsverhandlung. Eine Vertretung sei daher nicht notwendig.
Mit Schriftsatz vom … Oktober 2021, am selben Tage per Telefax bei Gericht eingegangen, hat die Bevollmächtigte des Antragstellers hieraufhin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid des Landratsamtes A* … vom 7. Oktober 2021 aufzuheben.
Gleichzeitig hat sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen sowie dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen zunächst ausgeführt, der Antragsteller sei psychisch schwer erkrankt, leide unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit schweren Episoden mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F 33.3) sowie an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0). Er befinde sich seit April 2019 in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Frau H., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. In diesem Zusammenhang legte die Bevollmächtigte ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten von Frau H. vom 6. August 2021 sowie eine fachärztliche Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 vor. In dem fachärztlich-psychiatrischen Gutachten vom 6. August 2021 wurde eine rezidivierende depressive Störung mit schweren Episoden mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F 33.3) sowie eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0) diagnostiziert. In der im Hinblick auf die angeordnete Vorführung des Antragstellers erstellen Fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 wurde ausgeführt, der Antragsteller sei weder kognitiv noch emotional in der Lage, einen Vorführungstermin alleine wahrzunehmen. Weiter wurde ausgeführt, bei Angst und Anspannung sei mit suizidalen Handlungen zu rechnen, da der Antragsteller nicht in der Lage sei, Situationen adäquat einzuschätzen und zu Panikreaktionen neige. Vor allem Zwangsmaßnahmen und Anwendung körperlicher Gewalt würden mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung mit weiterer erheblicher Gesundheitsschädigung, stationärer Behandlungsbedürftigkeit und akuter Suizidalität verursachen. Im fachärztlichen Gutachten vom 6. August 2021 wiederum wurde ausgeführt, der Antragsteller verfüge für die Bereiche, für die eine Betreuerbestellung erforderlich ist, über eine freie Willensbildung, sofern ihm alle Angelegenheiten ausführlich und möglichst von einer Vertrauensperson erklärt werden, so dass er sie intellektuell erfassen kann. Wenn ihm die Zusammenhänge in Ruhe, ausführlich und geduldig erklärt würden, sei er in der Lage, Grund, Tragweite und Bedeutung intellektuell zu erfassen. Zudem sei er imstande, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln und die sich daraus ergebenden Schlüsse umzusetzen. Nach Auffassung der Bevollmächtigten könne gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG das persönliche Erscheinen eines Ausländers vor der Delegation einer Botschaft des Herkunftslandes angeordnet werden, jedoch müssten hierbei die Anforderungen des amtsgerichtlichen Beschlusses zur Betreuung beachtet werden. Ein persönliches Erscheinen könne damit nur angeordnet werden, sofern die Begleitung durch die gesetzliche Betreuerin sichergestellt sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Erschwerend käme vorliegend hinzu, dass erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen drohten, wenn der Antragsteller den Vorführungstermin alleine wahrnehmen müsste.
Mit Telefax vom 27. Oktober 2021 hat der Antragsgegner beantragt den Antrag abzulehnen.
Es wurde ausgeführt, der Antragsgegner halte, auch unter Berücksichtigung der fachärztlichen Stellungnahme weiter an dem Bescheid vom 7. Oktober 2021 fest. Zudem wurde zugesichert, die gesetzliche Betreuerin des Antragstellers über den Vorsprachetermin zu informieren und seitens des Antragsgegners eine Teilnahme zu ermöglichen. Eine ärztliche Begleitung hingegen könne nicht gestellt werden. Da die behandelnde Ärztin ihre Praxis jedoch in … habe, könne diese ebenfalls über den Vorsprachetermin informiert werden.
Mit Telefax ebenfalls vom … Oktober hat die Bevollmächtigte des Antragstellers hierauf nochmals erwidert und hierbei ausgeführt, Inhalt einer gesetzlichen Betreuung sei es nicht, den Betreuten zu einer Anhörung hinzufahren und selbst nicht daran teilzunehmen. Erfahrungsgemäß sei die Durchsetzung einer Begleitung vor Ort kaum möglich. Zudem dürfte die Betreuerin als Begleitperson keine Einwände machen oder Kommentare abgeben. Auch der Hinweis, die Ärztin könnte ebenfalls über den Vorsprachetermin informiert werden, führe nicht zum Ziel, wenn auch ihre Begleitung durch den Antragsgegner nicht sichergestellt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Über den Antrag entscheidet gemäß § 76 Abs. 4 AsylG der Einzelrichter, da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. HessVGH, B.v. 5.3.2004 – 12 ZU 3005/03 – juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Juni 2017, § 82 Rn. 101).
I. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere statthaft, da die aufschiebende Wirkung der Klage (M 12 K 21.5587) gegen den Bescheid des Landratsamts A* … vom 7. Oktober 2021 kraft Gesetzes (§ 75 AsylG, Art. 21a VwZVG) ausgeschlossen ist. Insofern geht die Anordnung des Sofortvollzugs ins Leere, ohne den Antragsteller in seinen Rechten zu verletzen. Er ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen hat. Entscheidendes Indiz für eine Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache.
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der Bescheid des Antragsgegners vom 7. Oktober 2021 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids.
1. Der Bescheid ist nicht schon mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung formell rechtswidrig und infolge dessen nicht (schwebend) unwirksam (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Bekanntgabe gegenüber der Betreuerin hätte erfolgen müssen. Denn die Behörde hat vorliegend den Bescheid nach Kenntniserlangung von der eingerichteten Betreuung am 19. Oktober 2021 mit Bekanntgabewille an die Betreuerin des Antragstellers übermittelt, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt eine wirksame Bekanntgabe des Bescheids vorliegt.
2. Die Anordnung der persönlichen Vorsprache erweist sich auch im Übrigen nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Anordnung ist § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG i.V.m. § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – 11 S 1592/00 – juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Juni 2017, § 82 Rn. 100).
Danach ist der Antragsteller verpflichtet, im Fall des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Unter einem Identitätspapier ist dabei nicht nur ein bloßes Ausweispapier, sondern auch ein Dokument zu verstehen, mit dessen Hilfe der Ausländer in sein Heimatland zurückgeführt werden kann (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – a.a.O.). Die Mitwirkungspflicht umfasst alle Rechts- und tatsächlichen Handlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapiers erforderlich sind und nur vom Asylbewerber persönlich vorgenommen werden können (OVG Hamburg, B.v. 29.9.2014 – 2 So 76/14 – juris). Dazu gehören auch die geforderte persönliche Vorsprache und Antragstellung bei der diplomatischen oder konsularischen Auslandsvertretung seines vermutlichen Herkunftsstaates.
Die Befugnis zum Erlass einer den Asylbewerber zu einer bestimmten Handlung verpflichtenden Verfügung lässt sich den Regelungen des § 15 AsylG zwar nicht unmittelbar entnehmen. Es ist indes anerkannt, dass eine ausdrückliche gesetzliche Regelung einer derartigen Ermächtigung nicht erforderlich ist. Vielmehr reicht es für den Erlass eines belastenden Verwaltungsakts aus, dass zwischen dem Träger hoheitlicher Gewalt, dem die Behörde angehört, und dem Adressaten des Verwaltungsakts hinsichtlich der fraglichen Angelegenheit ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, wie dies hier zwischen einem (abgelehnten) Asylbewerber und den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden der Fall ist. Die Behörden sind danach auch zum Erlass von Verwaltungsakten ermächtigt, mit denen die Mitwirkungspflichten im Einzelfall konkretisiert und eine Grundlage für Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung geschaffen werden sollen (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.12.00 – a.a.O.).
Eine Anordnung der persönlichen Vorsprache bei einer Auslandsvertretung darf zwar nicht ins Blaue hinein erfolgen in der Hoffnung, es werde vielleicht – zufällig – zu einer Klärung der Identität kommen (VG Karlsruhe, B.v. 12 10.2012 – A 9 K 2409/12 – juris). In entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach angeordnet werden kann, dass ein Ausländer bei der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach anderen ausländerrechtlichen Bestimmungen erforderlich ist, ist vielmehr auch im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG die Rechtmäßigkeit einer derartigen Anordnung daran zu knüpfen, dass der Ausländer vermutlich die Staatsangehörigkeit des Staates besitzt, dessen Vertretung er aufsuchen soll. „Vermutlich“ besitzt der Ausländer die in Rede stehende Staatsangehörigkeit, wenn sie in Betracht kommt (OVG Schleswig-Holstein, B.v. 23.11.2009 – 4 MB 111/09 – juris).
a) Die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung wird insbesondere nicht dadurch in Frage gestellt, dass eine Teilnahme der Betreuerin des Antragstellers an der Anhörung selbst durch den Antragsgegner nicht gewährleistet werden kann.
Beim persönlichen Erscheinen zur Identitätsfeststellung handelt es sich – soweit es die unmittelbare Anhörung des Antragstellers durch die Delegation betrifft – um eine durch den Antragsteller höchstpersönlich zu erbringende, einer Vertretung nicht zugängliche Mitwirkungshandlung. Die gerichtlich angeordnete Betreuung steht dem daher nicht entgegen. Sofern darüber hinaus die Vorlage von Dokumenten, das Stellen von Anträgen etc., sprich eine rechtliche Tätigkeit vergleichbar mit dem üblichen Verkehr mit deutschen Behörden erforderlich wird, ist eine Mitwirkung der Betreuerin vorliegend zudem nicht ausgeschlossen. Auch hat das Amtsgericht A* … im Beschluss vom 11. August 2021 gerade keinen Einwilligungsvorbehalt verfügt, so dass der Antragsteller somit neben der Betreuerin weiterhin zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig ist und darüber hinaus in der Vergangenheit auch Termine beim Antragsteller selbstständig wahrgenommen hat. Vielmehr soll vorliegend nur gewährleistet werden, dass die höchstpersönliche Befragung des Antragstellers nicht durch Einwirkung von Dritten „verfälscht“ wird.
b) Der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung steht auch nicht die in der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 enthaltene Ausführung, der Antragsteller sei kognitiv nicht in der Lage, einen Vorführungstermin alleine wahrzunehmen, entgegen.
Zwar ist eine Anordnung dann unzulässig, wenn von vorneherein feststeht, dass der mit dem persönlichen Erscheinen verfolgte Zweck, nämlich die Feststellung der Staatsangehörigkeit des Antragstellers und anschließende Ausstellung von Identitätspapieren, offensichtlich nicht erreicht werden kann, da der Antragsteller kognitiv nicht in der Lage ist, einem Gespräch oder Anweisungen zu folgen. Jedoch ist dies vorliegend nicht anzunehmen. Zum einen wird in der vorgelegten Stellungnahme nicht ausgeführt, auf welche Umstände sich die These, der Antragsteller sei kognitiv nicht in der Lage, den Termin alleine wahrnehmen zu können, genau gründet. Zudem hat die die Stellungnahme erstellende Ärztin in dem ebenfalls vorgelegten fachärztlich-psychiatrischen Gutachten vom 6. August 2021 noch ausgeführt, der Antragsteller verfüge für die Bereiche, für die eine Betreuerbestellung erforderlich ist, über eine freie Willensbildung, sofern ihm alle Angelegenheiten ausführlich und möglichst von einer Vertrauensperson erklärt würden, so dass er sie intellektuell erfassen könne, und dass dieser durchaus in der Lage sei, Grund, Tragweite und Bedeutung intellektuell zu erfassen, wenn ihm die Zusammenhänge in Ruhe, ausführlich und geduldig erklärt würden. Selbst wenn die Betreuerin des Antragstellers unmittelbar an der Anhörung selbst nicht teilnehmen können sollte, kann sie diesen- bis unmittelbar vor dem Termin – auf den Termin vorbereiten und ihm die Zusammenhänge ruhig und geduldig erklären. Insofern steht nicht von vorneherein fest, dass der Termin mangels intellektueller Auffassungsfähigkeit des Antragstellers sinnlos ist.
c) Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht erkennbar.
Insbesondere hat sich das Landratsamt A* … ausweislich des Telefaxes vom 27. Oktober 2021 im Wege einer zulässigen Ergänzung der Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit den nach Erlass des Bescheids vorgebrachten gesundheitlichen Bedenken auseinandergesetzt und sich entschieden, die getroffene Anordnung sowie die Androhung einer zwangsweisen Vorführung weiter aufrecht zu erhalten, und damit alle relevanten Gesichtspunkte ermittelt, berücksichtigt und in die Abwägung mit eingestellt.
Auch die hieraufhin getroffene Entscheidung der Behörde, die Anordnung trotz der geltend gemachten psychischen Erkrankungen des Antragstellers und der nicht sichergestellten Begleitung durch die Betreuerin während der unmittelbaren Anhörung dennoch aufrechtzuerhalten, ist ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig.
Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen des Antragstellers im Falle einer ohne Begleitung durch seine Betreuerin durchgeführten Anhörung nicht glaubhaft gemacht wurden. Zwar wurde in der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 ausgeführt, dass bezüglich des Antragsteller bei Angst und Anspannung mit suizidalen Handlungen zu rechnen sei, da der Antragsteller nicht in der Lage sei, Situationen adäquat einzuschätzen und zu Panikreaktionen neige. Hinsichtlich der nunmehr diagnostizierten andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung wird jedoch – wie bereits bei der für die Entscheidung über den Asylantrag bzw. etwaige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG und die damals in diesem Zusammenhang diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung -auf vom Antragsteller vorgebrachte, die Störung auslösende traumatische Ereignisse in der Vergangenheit abgestellt, die im Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. November 2020 bereits als unglaubhaft eingestuft wurden. Ob und weshalb die rezidivierende depressive Störung mit schweren Episoden mit psychotischen Symptomen diese Reaktion wahrscheinlich mache, erschließt sich aus der Stellungnahme nicht.
Davon abgesehen wurde – wie bereits oben ausgeführt – im fachärztlich-psychiatrischen Gutachten vom 6. August 2021 deutlich gemacht, dass der Antragsteller nach entsprechender Erklärung durch eine Vertrauensperson durchaus in der Lage sei, Zusammenhänge zu verstehen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Daher ist nach einer entsprechenden Vorbereitung auf den Termin durch seine Betreuerin grundsätzlich davon auszugehen, dass der Antragsteller den Termin ohne Panikattacken übersteht. Und selbst wenn es wider Erwarten zu Panikattacken kommen sollte, kann dem Antragsteller sowohl unmittelbar vor wie nach dem Termin seine Betreuerin zur Seite stehen. Zudem befindet sich der Antragsteller während der Anhörung in Gegenwart der Mitglieder der sierra-leonischen Delegation. Auch befindet sich die behandelnde Ärztin, Frau Dr. H. ebenfalls in …, so dass auch im worst-case eine rasche und fachgerechte medizinische Versorgung durch eine vertraute Person sichergestellt wäre.
d) Die materielle Rechtmäßigkeit wird schließlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsgegner nach der Begründung des Bescheids seine Anordnung auf § 82 Abs. 4 AufenthG und § 48 Abs. 3 AufenthG gestützt hat. Die Verwaltungsgerichte haben grundsätzlich umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht; hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.1989 – 4 C 40/88 – juris). Die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid genannter Normen ist dem Gericht nur dann verwehrt, wenn die anderweitige rechtliche Begründung zu einer Wesensveränderung des an-gefochtenen Bescheides führen würde (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.1989 – 9 C 28/89 – juris; OVG Münster, U.v. 22.2.2005 – 15 A 1065/04 – juris). Der Austausch einer unzutreffend angegebenen Ermächtigung führt nicht zu einer Wesensänderung, wenn er in der Sache die Ermessensgrundlage oder den Ermessensrahmen nicht verändert (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 45-69, beck-online). Dass die streitgegenständliche Verfügung hier durch den Austausch der Eingriffsnorm eine Wesensveränderung erfahren haben könnte, ist nicht ersichtlich. Die Erwägungen, die dem angegriffenen Verwaltungsakt zu Grunde liegen, tragen die Entscheidung auch auf der Grundlage der nunmehr herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 2 Nr. 3 und 6 AsylG.
3. Auch die in Nr. 2 des Bescheides ausgesprochene Androhung einer zwangsweisen Vorführung erweist sich nach summarischer Prüfung auch im Übrigen als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Androhung des Zwangsmittels in Nr. 2 des Bescheides sind Art. 36 und 34 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und vollstreckungsgesetz (VwZVG) i.V.m. § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
Die Androhung unmittelbaren Zwangs ist verhältnismäßig.
Ein Zwangsgeld als milderes Mittel i.S.v. Art. 34 VwZVG verspricht vorliegend keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg, da der Antragsteller mittellos ist und mangels rechtlicher Erlaubnis ein Erwerbseinkommen auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
Zwar wurde in der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 ausgeführt, dass vor allem Zwangsmaßnahmen und Anwendung körperlicher Gewalt mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung mit weiterer erheblicher Gesundheitsschädigung, stationärer Behandlungsbedürftigkeit und akuter Suizidalität verursachen würden. Abgesehen davon, dass gesundheitliche Gefahren, insbesondere eine Retraumatisierung angesichts nicht glaubhaft gemachter traumatischer Ereignisse nicht schlüssig sind (s.o.), kann dem – wie bereits oben ausgeführt – auch hier durch eine im Vorfeld durch die Betreuerin erfolgende Aufklärung und gegebenenfalls erfolgende Begleitung durch die Betreuerin entgegengewirkt werden. Der Antragsgegner hat mit Telefax vom 27. Oktober 2021 zugesichert, der Betreuerin u.a. auch im Falle einer zwangsweisen Vorführung die Möglichkeit einer Begleitung bis zur Übergabe an die sierra-leonische Delegation zu gewähren.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten hat für das Eilverfahren (M 12 S 21.5589) keinen Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – wie oben ausgeführt – keine hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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