Verwaltungsrecht

Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Aktenzeichen  6 ZB 18.2115

Datum:
27.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32479
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 44 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

Schwere Bewegungsstörungen mit Fallneigung stehen einer weiteren dienstlichen Verwendung wegen einer erheblich erhöhten Unfallgefahr im Dienstbetrieb entgegen, wenn diese auch nicht mit in der Praxis realisierbaren Hilfen ausreichend abgemildert werden können. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 17.2010 2018-06-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2018 – M 21 K 17.2010 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 38.884,20 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 2). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin, eine Beamtin im Statusamt einer Fernmeldehauptsekretärin (Besoldungsgruppe A 8), wendet sich gegen ihre Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Seit dem 25. September 2014 ist die Klägerin ununterbrochen dienstunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 13. November 2015 wurde sie wegen dauernder Dienstunfähigkeit im Sinn des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG mit Ablauf des 30. November 2015 in den Ruhestand versetzt. Den von ihr erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 zurück. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom 29. Juni 2018 abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als (dauernd) dienstunfähig nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG anzusehen und nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BBG anderweitig verwendbar ist. Die mit dem Zulassungsantrag vorgebrachten Einwände der Klägerin überzeugen nicht und bedürfen keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ist eine Beamtin auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. In den Ruhestand wird nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist (§ 44 Abs. 1 Satz 3 BBG). Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von der Beamtin zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen die Beamtin amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt der Beamtin zugeordnet und gesundheitlich für sie geeignet ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 5). Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit der Beamtin kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 – ZBR 2015, 379 ff.).
Die Versetzung einer Beamtin in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit setzt die Feststellung ihrer krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen voraus. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnis, über die nur ein Arzt verfügt. Den Gesundheitszustand der Beamtin feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist (BVerwG, U.v. 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn 63). Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf die Beamtin erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit der Beamtin, ihren dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (vgl. BVerwG, U.v.19.3.2015 – 2 C 37.13 – NVwZ-RR 2015, 625 Rn. 12 m.w.N.). Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 6; U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Dienstherr im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10 m.w.N.) – also bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2017 – bei der Klägerin eine Dienstunfähigkeit nach der Vermutungsregel des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG annehmen konnte. Dies ergibt sich aus der seit dem 25. September 2014 andauernden ununterbrochenen Erkrankung der Klägerin in Verbindung mit der amtsärztlichen Stellungnahme zum Widerspruchsverfahren vom 7. November 2016, ergänzt durch die Stellungnahmen vom 28. November 2016 und vom 20. Februar 2017. Dort führt die Amtsärztin aus, dass die Klägerin aufgrund der fachärztlichen Untersuchungsergebnisse in Verbindung mit eigenen Untersuchungsergebnissen dienstunfähig erkrankt sei und auch keine Teildienstfähigkeit gegeben sei. Die – fachärztlich bestätigten – schweren Bewegungsstörungen der Klägerin mit Fallneigung stünden einer weiteren dienstlichen Verwendung zwangsläufig entgegen. Dies gründe sich auf eine erheblich erhöhte Unfallgefahr im Dienstbetrieb, welche auch nicht mit in der Praxis realisierbaren Hilfen einer Dienststelle ausreichend abgemildert werden könne. Allein deshalb könne aus Fürsorgegründen eine dienstliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden. Des Weiteren bestünden massive Einschränkungen in der Feinmotorik, die z.B. Bildschirmarbeit, aber auch andere im normalen Arbeitsalltag notwendige manuelle Verrichtungen im erforderlichen Mindestumfang einer Arbeitsstelle ausschlössen.
Auch wenn einzelne Begründungselemente des verwaltungsgerichtlichen Urteils überflüssig sein mögen, begründen die von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen keine auf das Ergebnis durchschlagenden ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, die der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen. Auf die von der Klägerin vorgetragene Kritik an dem vorhergehenden amtsärztlichen Gutachten vom 29. Juli 2015 und die Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu (S. 12) kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil im Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 wie auch im angefochtenen Urteil (S. 13) maßgeblich auf die spätere amtsärztliche Stellungnahme vom 20. Februar 2017 abgestellt worden ist. Diese Stellungnahme ist entgegen der Auffassung der Klägerin weder unsubstantiiert noch unzureichend, sondern genügt den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn. 63). Die Klägerin hält der amtsärztlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2017 lediglich ihre eigene Würdigung der als unzureichend angesehenen medizinischen Feststellungen und Bewertungen entgegen, ohne damit aber Gesichtspunkte aufzuzeigen, die Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung begründen. Ihr Einwand, dass sie eine sitzende Tätigkeit ausführe und dabei keine erhöhte Unfallgefahr im Dienstbetrieb vorliege, berücksichtigt schon nicht, dass die sitzende Tätigkeit etwa durch Pausen unterbrochen wird und die Amtsärztin darüber hinaus auch massive Einschränkungen in der Feinmotorik festgestellt hat, die z.B. Bildschirmarbeit ausschließen.
Ebenfalls keinen Bedenken begegnet die gerichtliche Feststellung, dass bei der Klägerin aufgrund der krankheitsbedingten körperlichen Einschränkungen kein ausreichendes Restleistungsvermögen vorhanden sei, um nach Maßgabe von § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BBG weiterbeschäftigt zu werden (S. 14 bis 16 des Urteils). Auch diese Wertung begegnet unter Berücksichtigung der amtsärztlichen Begutachtung in Verbindung mit der langjährigen Dienstunfähigkeit der Klägerin keinen Zweifeln. Aus der letzten amtsärztlichen Stellungnahme ergibt sich, dass infolge der schweren Bewegungsstörungen mit Fallneigung schon aus Fürsorgegründen „eine weitere dienstliche Tätigkeit“ nicht mehr ausgeübt werden kann und wegen der massiven Einschränkungen in der Feinmotorik notwendige manuelle Verrichtungen im erforderlichen „Mindestumfang einer Arbeitsstelle“ ausgeschlossen sind. Dies umfasst auch dienstliche Tätigkeiten im Sinn des § 44 Abs. 2 bis 4 und § 45 BBG. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt damit nicht vor.
Der Änderungsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 6. Juli 2018, mit dem bei der Klägerin ab 2. Mai 2018 der Grad der Behinderung von 30 auf 60 erhöht wurde, konnte naturgemäß im vorher ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 29. Juni 2018 noch nicht berücksichtigt werden. Er ändert auch nichts an der bei der Klägerin amtsärztlich festgestellten und seit mehr als vier Jahren fortdauernden Dienstunfähigkeit. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung wurde vor Erlass des Widerspruchsbescheids nachgeholt. Die Gesamtschwerbehindertenvertretung hat mit Schreiben vom 30. März 2017 mitgeteilt, dass gegen die Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens der Klägerin gemäß § 44 Abs. 1 BDG keine Einwendungen erhoben werden. Die von der Klägerin im Zulassungsantrag genannte Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 46 ff.).
Dass der Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 2017 eine mittels fiktiver Fortschreibung gefertigte dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis 31. August 2016 zugesandt worden ist, ändert nichts an der bei ihr objektiv bestehenden Dienstunfähigkeit und begründet keinerlei Vertrauensschutz. Das gleiche gilt für die ihr mit Schreiben vom 1. September 2017 zugesandte Einladung zum 40-jährigen Dienstjubiläum.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben