Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Wiederaufgreifensantrag, Streitwertfestsetzung, Asylfolgeantrag, Mitwirkungspflichten, Persönliche Vorsprache, Vorläufiger Rechtsschutz, Asylverfahren, Heimreisedokument, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Prozeßbevollmächtigter, Abschiebungsverbot, Beschwerdeentscheidung, Einlegung der Beschwerde, Wert des Beschwerdegegenstandes, Antragstellers, Zwangsweise Vorführung, Begründungserfordernis, Anwaltsbeiordnung, Antragsgegner

Aktenzeichen  B 6 S 20.1383

Datum:
18.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4360
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 48 Abs. 3
AufenthG § 82 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Verpflichtung zur Beschaffung von Heimreisedokumenten.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge äthiopischer Staatsangehöriger, der im Jahr 2011 ins Bundesgebiet eingereist ist und dessen Asylerstantrag unanfechtbar abgelehnt wurde. Auch ein Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde bestandskräftig abgelehnt.
Am 08.02.2020 beantragte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) das Wiederaufgreifen des Asylverfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Zur Begründung wurde angeführt, dass dem Antragsteller eine Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der Heuschreckenplage und der mangelhaften Versorgung der Bevölkerung nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 11.11.2020 stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Vortrag des Antragstellers stelle zwar einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar, der Antragsteller habe jedoch in der Sache keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 03.12.2020 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erheben, die unter dem Aktenzeichen B 7 K 20.31290 anhängig ist.
Da er eigenen Angaben zufolge nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder sonstiger zur Einreise nach Äthiopien berechtigender Dokumente ist, verpflichtete der Antragsgegner ihn bereits mit Bescheid vom 04.11.2020, ein zur Einreise nach Äthiopien berechtigendes Dokument (z.B. Einreiseschein, Laissez-Passer, Reisepass) bei der Zentrale Ausländerbehörde Bamberg vorzulegen (Ziffer 1). Für den Fall, dass der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht bis 08.02.2021 nachkommt, wurde ihm die zwangsweise Vorführung bei der Auslandsvertretung Äthiopiens, bzw. sollten Vertreter oder ermächtigte Bedienstete des Staates Außentermine abhalten, am Ort des Außentermins, angedroht (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 3).
Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnung unter Ziffer 1 des Bescheids stütze sich auf §§ 46 Abs. 1, 48 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 49 Abs. 2 AufenthG. Es könne dem Antragsteller zugemutet werden, Kontakt mit der Auslandsvertretung seines Heimatlandes aufzunehmen, da das Bundesamt eine politische Verfolgung des Antragstellers verneint habe. Eine Gefährdung des Antragstellers durch die Verpflichtung zur Beantragung eines Heimreisedokuments sei daher nicht ersichtlich. Die hierfür gewährte Frist sei angemessen, zumal von seinem Wohnort aus täglich öffentliche Verkehrsmittel zur Botschaft nach Berlin oder zum Generalkonsulat nach Frankfurt verkehrten. Nach Kenntnisstand der Zentralen Ausländerbehörde könne der Antragsteller bei einer persönlichen Vorsprache sowohl einen Reisepass als auch ein sonstiges Heimreisedokument beantragen, welche ihm sodann auch zeitnah ausgestellt würden. Die Androhung der zwangsweisen Vorführung stütze sich auf § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 29, 34, 36 VwZVG. Die unter Ziffer 1 des Bescheids verlangte Handlung könne nur durch persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung erfüllt werden, da der Antragsteller eigenen Angaben zufolge nicht im Besitz von zur Einreise nach Äthiopien berechtigenden Dokumenten sei. Ein milderes Mittel zur zwangsweisen Vorführung sei nicht ersichtlich. Eine Zwangsgeldandrohung verspreche angesichts der Mittellosigkeit des Antragstellers keinen Erfolg. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids werde im besonderen öffentlichen Interesse angeordnet, da der Antragsteller bereits seit über 6 Jahren vollziehbar ausreisepflichtig sei und seiner Pflicht zur selbstständigen Beantragung eines Reisepasses fortlaufend nicht nachgekommen sei.
Gegen den Bescheid vom 04.11.2020 ließ der Antragsteller am 07.12.2020 Klage (B 6 K 20.1384) erheben mit dem Antrag, diesen Bescheid aufzuheben.
Zugleich ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sowie ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen Bevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Bescheid vom 04.11.2020 sei offensichtlich rechtswidrig. Die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Asylverfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten seien vom Bundesamt ausdrücklich bejaht worden. Damit habe das Bundesamt anerkannt, dass eine andere als die von ihm vorgenommene Bewertung nicht offensichtlich fern liege. Somit müsse der Ausgang des gegen den Bundesamtsbescheid anhängigen Klageverfahrens abgewartet werden. Die Beschaffung von Heimreisedokumenten solle nach dem Willen der Ausländerbehörde nicht lediglich vorsorglich erfolgen, sondern solle die Abschiebung ermöglichen. Letztere sei im Falle des Antragstellers, der zum Volk der Tigray gehöre, wegen der aktuellen Situation in Äthiopien jedoch offensichtlich rechtswidrig.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der von dem Antragsteller gestellte Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten, über den das Bundesamt zudem mittlerweile entschieden habe, suspendiere nicht die Mitwirkungspflichten gemäß § 48 Abs. 3 AufenthG bzw. § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG. Andernfalls könnte ein Ausländer allein durch fortwährendes Stellen von Asylfolgeanträgen vorbereitende Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung verhindern. Der Antragsteller habe im Übrigen zur Begründung des Wiederaufgreifensantrags nicht die Furcht vor staatlicher Verfolgung, welche eine persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung als unzumutbar erscheinen lassen könnte, angegeben, sondern die in Äthiopien herrschende Heuschreckenplage. Es sei nicht ersichtlich, welche Auswirkungen der Wiederaufgreifensantrag auf die aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten haben könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war abzulehnen. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO.
2. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist unbegründet.
2. 1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 3 des Bescheids vom 04.11.2020 genügt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat im Bescheid einzelfallbezogen ausgeführt, warum er im Fall des Antragstellers ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, das über das allgemeine Vollzugsinteresse hinausgeht, bejaht.
2.2. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, bei der die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage maßgeblich zu berücksichtigen sind, fällt zulasten des Antragstellers aus. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage wird nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben.
Das Gericht nimmt entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen in dem ausführlich begründeten Bescheid vom 04.11.2020 Bezug und folgt dieser Begründung. Ergänzend wird noch ausgeführt:
Die von dem Bevollmächtigten des Antragstellers vorgebrachten Argumente sind nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 04.11.2020 zu begründen. Denn dieser Bescheid dient letztlich dazu, die ohnehin kraft Gesetzes bestehende Passpflicht des § 3 AufenthG durchzusetzen, gegen welche der Antragsteller fortlaufend verstößt. Diese Passpflicht besteht unabhängig davon, ob dem Antragsteller eine Rückkehr nach Äthiopien zumutbar ist. Ohnehin sind zielstaatsbezogene Ausreisehindernisse nicht gegenüber dem Freistaat Bayern als Träger der zuständigen Ausländerbehörde, sondern gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen. Einen Verstoß des Antragsstellers gegen seine ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Identitätspapieren hat das Gericht im Übrigen bereits im Urteil vom 19.04.2017 (B 4 K 15.996 – Klage des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) bejaht.
Der Umstand, dass gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamts über den Wiederaufgreifensantrag eine Klage bei Gericht anhängig ist, suspendiert die aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten des Antragstellers nicht. Zwar ist es einem Ausländer, dessen Asylantrag Erfolg hatte oder der Abschiebungsschutz genießt, nicht zumutbar, in der Heimatvertretung einen Reisepass zu beantragen und damit im Ergebnis den Schutz des Verfolgerstaates in Anspruch zunehmen (BayVGH, B. v. 18.01.2011 – 19 B 10.2157 – juris Rn. 30-32; VG Bayreuth, B.v. 21.08.2018 – B 6 S 18.264 – BeckRS 2018, 53811 Rn. 60). Der Asylerstantrag des Klägers wurde jedoch bestandskräftig abgelehnt. Im Falle eines Asylfolgeantrags ist die Mitwirkung durch Vorsprache bei der Auslandsvertretung des Herkunftslandes allenfalls dann unzumutbar, wenn das Bundesamt entschieden hat, dass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (so BayVGH, B.v. 19.06.2006 – 24 C 06.975 – BeckRS 2006, 16071 Rn. 11; VG Regensburg, B.v. 10.05.2013 – RO 9 S 13.627 – BeckRS 2013, 50810) bzw. solange über die Durchführung eines weiteren Asylfolgeverfahrens noch nicht in vollziehbarer Weise entschieden wurde (so Möller in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 48 AufenthG Rn. 19; offenbar a.A. zu den besonderen Mitwirkungspflichten gem. § 60b Abs. 2 und 3 AufenthG: Hoppe in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 69).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedoch keinen Asylfolgeantrag i.S.d. § 71 AsylG gestellt, um etwa eine aufgrund veränderter tatsächlicher Umstände bestehende Furcht vor staatlicher Verfolgung geltend zu machen, sondern einen isolierten Wiederaufgreifensantrag bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten (sog. Folgeschutzgesuch). Über dieses Folgeschutzgesuch, auf welches nach wohl überwiegend vertretener Auffassung die Regelung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG zur vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung keine Anwendung findet (vgl. Dickten in BeckOK AuslR, Stand Oktober 2020, § 71 AsylG Rn. 41 m.w.N.), hat das Bundesamt zudem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits ablehnend entschieden. Dem Folgeschutzgesuch lag keine Furcht vor staatlicher Verfolgung zugrunde, sondern die schlechte Lebenssituation aufgrund der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage. Auch der nunmehrige Vortrag, dass dem Antragsteller als Angehörigem der Volksgruppe der Tigray die Rückkehr nach Äthiopien unzumutbar sei, führt zu keinem anderem Ergebnis. Abgesehen davon, dass die für Asylverfahren äthiopischer Staatsangehöriger zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts Bayreuth derzeit nicht von einer asylrelevanten politischen Verfolgung der Tigray ausgeht, begründet der Antragsteller die behauptete Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 04.11.2020 im vorliegenden Verfahren nicht mit der Unzumutbarkeit der Kontaktaufnahme zur Auslandsvertretung seines Heimatlandes als solcher, sondern mit der Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Äthiopien. Letztere ist, wie ausgeführt, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Verpflichtung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 04.11.2020 kann in rechtmäßiger Weise auf die von dem Antragsgegner angegebenen Rechtsgrundlagen gestützt werden. Auch die Zwangsmittelandrohung in Ziffer 2 des Bescheids begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Bescheid enthält nach Auffassung der Kammer den für die angedrohte zwangsweise Durchsetzung der Vorsprachepflicht erforderlichen Grundverwaltungsakt i.S.d. § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Aus den Ziffern 1 und 2 des Bescheidstenors in Verbindung mit der ausdrücklichen Feststellung in den Gründen des Bescheids (S. 4), dass die verlangte Handlung (Vorlage eines Heimreisedokumentes) nur durch persönliche Vorsprache bei der bezeichnenden Auslandsvertretung erfüllt werden und dass die Anordnung der persönlichen Vorsprache zwangsweise durchgesetzt werden könne, ergibt sich dieser Grundverwaltungsakt in hinreichend bestimmter Weise.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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