Verwaltungsrecht

Verwirkung des Klagerechts gegen eine dienstliche Beurteilung

Aktenzeichen  3 ZB 19.1003

Datum:
12.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14673
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLlbG Art. 54

 

Leitsatz

Bei der Klage gegen eine Beurteilung können ein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten und ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens es rechtfertigen, die Anrufung eines Gerichts nach langer Zeit als unzulässig anzusehen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 18.2628 2019-04-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger sein Klagerecht gegen die ihm am 25. August 2015 eröffnete dienstliche Beurteilung vom 18. Juni 2015 verwirkt habe. Klage hiergegen habe er erst am 30. Mai 2018 erhoben.
a. Der Kläger führt aus, er habe bereits bei der Beurteilungseröffnung und dann „immer wieder“ bis 2018 kund getan, dass er mit der Beurteilung nicht einverstanden sei. Soweit das Verwaltungsgerichts ausführe, dass es äußerst widersprüchlich sei und ein gegen die eigenen Verlautbarungen gerichtetes Verhalten darstelle, wenn er einerseits schon bei der Eröffnung der dienstlichen Beurteilung vorgetragen habe, dass er sich mit dem Ergebnis der dienstlichen Beurteilung nicht abfinden wolle, und dennoch praktisch über die ganze neue Beurteilungsperiode von drei Jahren keine rechtliche Prüfung einleite, gehe dies fehl. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts habe der Kläger über diesen Zeitraum eben nicht nur einen „inneren Vorbehalt“ gegen die Beurteilung gehabt, sondern er habe diesen Vorbehalt nach außen kund getan und „immer wieder“ deutlich gemacht, dass er sich mit dem Ergebnis der Beurteilung nicht abfinden werde.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils werden damit nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat sehr wohl berücksichtigt, dass der Kläger sowohl bei der Beurteilungseröffnung 2015 wie 2018 (vgl. auch Sitzungsprotokoll vom 3.4.2019, S. 3) gesagt habe, dass er mit dem Beurteilungsergebnis nicht einverstanden sei. Entscheidend hat das Verwaltungsgericht jedoch darauf abgestellt, dass dem Kläger Mitte 2017 mitgeteilt worden sei, dass sich seine dienstliche Beurteilung 2018 wohl nochmals verschlechtern werde. Der Argumentation des Verwaltungsgerichts, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte sich dem Kläger aufdrängen müssen, gegen die streitgegenständliche Beurteilung vorzugehen, setzt die Zulassungsbegründung nichts entgegen.
b. Der Einwand, der Beklagte habe mit dem Hinweis Mitte 2017 (s.o.) und dem Beurteilungsgespräch vom April 2018 selbst Umstände gesetzt, aufgrund derer der Beklagte (wieder) damit habe rechnen müssen, dass der Kläger die Beurteilung 2015 doch angreifen werde, verfängt nicht. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass nicht erst auf das Beurteilungsgespräch vom April 2018 habe abgestellt werden dürfen. Denn dieses bilde den Abschluss einer Reihe von Hinweisen, die ausreichend Anlass gegeben hätten, gegen die Beurteilung 2015 vorzugehen. Zwar habe der Dienstherr Umstände gesetzt, die das alleinige Zeitmoment bei der Betrachtung der Verwirkung entwerteten. Maßgeblich sei aber die Reaktion des Klägers auf diese Hinweise. Obwohl der Kläger etwa zwei Jahre nach Eröffnung der dienstlichen Beurteilung 2015 der Auffassung gewesen sei, dass diese Auswirkungen auf die neu zu erstellende Beurteilung 2018 entfalte, sei er weiter untätig geblieben. Auch nach dem letzten Beurteilungsvorgespräch im April 2018 habe er mit der Erhebung der Klage bis zum vorletzten Tag der neuen Beurteilungsperiode abgewartet.
Auf diese Argumentation geht die Zulassungsbegründung nicht ein.
c. Soweit das Verwaltungsgericht berücksichtigt hat, dass die Anforderungen für das Einleiten einer rechtlichen Überprüfung einer dienstlichen Beurteilung gering seien und sich – jedenfalls nach dem gem. bayerischen Landesrecht stattfindenden Widerspruchsverfahrens in beamtenrechtlichen Angelegenheiten (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AGVwGO) – der Beamte keinerlei Kostenrisiko aussetzen müsse, handelt es sich nur um eine flankierende Überlegung, die sich weder für noch, wie der Kläger meint, gegen eine Verwirkung des Klagerechts anführen lässt.
d. Der Kläger trägt schließlich vor, es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte tatsächlich darauf vertraut habe, das Anfechtungsrecht werde nicht mehr ausgeübt und durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen. Das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, dass diese Voraussetzung der Verwirkung gegeben gewesen sei. Dies sei auch tatsächlich nicht der Fall.
Die Verwirkung, eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB), bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten oder bei einem Dritten daraus erwachsenden Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung muss längere Zeit verstrichen sein (Zeitmoment) und der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter – entweder der Dienstherr oder ein begünstigter Dritter – vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (stRspr, zuletzt BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – juris Rn. 12).
Ob eine Vertrauensbetätigung erforderlich ist, und wie sie im Einzelnen aussehen kann, lässt sich den höchstrichterlichen Entscheidungen nicht eindeutig entnehmen. In seinem Urteil vom 30. August 2018 (2 C 10.17 – juris Rn. 35) lässt es das Bundesverwaltungsgerichts damit bewenden, dass die dortige Beigeladene in einem Konkurrentenstreitverfahren nach einem Zeitraum von einem Jahr ab ihrer Ernennung auf deren Bestand vertrauen durfte (kritisch zum Vertrauensmoment bei Beförderungen: Stuttmann, NVwZ, 2018, 187). Ähnlich liegt der Fall auch hier. Das Vertrauensmoment folgt einem gewissen Automatismus allein aufgrund des Zeitablaufs (so auch BayVGH, B.v. 25.11.2019 – 3 CE 19.1926 – juris Rn. 8), der in der Regel eine Verschlechterung der Beweislage nach sich zieht, und dem Umstandsmoment. In diesem Zusammenhang ist auch berücksichtigen, dass nicht nur ein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten, sondern auch ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens es rechtfertigen können, die Anrufung eines Gerichts nach langer Zeit als unzulässig anzusehen (BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – juris Rn. 19). Auch dieses Argument ließe sich im vorliegenden Fall für das Vertrauensmoment anführen.
2. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG (wie Vorinstanz).
3. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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