Verwaltungsrecht

Vollstreckung bestandskräftiger Untersagung gewerblicher Krankenpflege – Nichtvollzugszugsage

Aktenzeichen  M 16 S 16.4715

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
GDVG GDVG Art. 18 Abs. 4
VwZVG VwZVG Art. 29

 

Leitsatz

Das Vollzugsinteresse an der Androhung unmittelbaren Zwangs zur Vollstreckung einer Untersagungsverfügung (betreffend die gewerbliche Krankenpflege) überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen, wenn das Gericht das Hauptsacheverfahren zeitgleich mit dem Eilverfahren verhandelt und entschieden hat und der Kläger erfolglos (siehe Klageverfahren: BeckRS 2016, 55276) geblieben ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine erneute Zwangsmittelandrohung in Bezug auf einen bestandskräftigen Bescheid, mit dem ihr das Anbieten und Erbringen krankenpflegerischer Tätigkeiten untersagt worden war.
Mit Bescheid des Landratsamts Freising (im Folgenden: Landratsamt) vom 26. Januar 2015 wurde der Antragstellerin auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 4 Satz 1 Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz – GDVG – die Ausübung der selbstständigen Tätigkeit „Versorgungsservicezentrale, Ambulante Alten- und Krankenpflege“ untersagt. Für den Fall, dass sie der Verpflichtung zur Betriebseinstellung nicht spätestens einen Monat nach Unanfechtbarkeit des Bescheids nachkomme, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht.
Die Antragstellerin erhob gegen diesen Bescheid Klage (M 16 K 15. 756). In der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2015 nahm sie die Klage zurück. Die Vertreter des Antragsgegners hatten zuvor zugesichert, für den Fall einer Klagerücknahme vorläufig aus dem Bescheid unter im Folgenden einzeln aufgeführten Voraussetzungen nicht zu vollstrecken.
Mit Schreiben vom 4. Mai 2016 forderte das Landratsamt die Antragstellerin auf, den Betrieb bis zum 15. Juli 2016 einzustellen, da sie ihren Verpflichtungen aus der Vereinbarung nicht nachgekommen sei. Ein Sanierungskonzept sei bislang nicht eingegangen. Das Landratsamt sei daher berechtigt, aus dem Bescheid zu vollstrecken. Die Antragstellerin reichte im Folgenden verschiedene Unterlagen ein. Das Landratsamt teilte ihr schließlich mit Schreiben vom 14. Juni 2016 mit, es müsse festgestellt werden, dass auch nach der am 3. Juni 2016 erfolgten gemeinsamen Besprechung die vereinbarten Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub nach wie vor nicht bzw. nur unzureichend erfüllt seien. Die Antragstellerin werde daher aufgefordert, den Betrieb bis spätestens 31. Juli 2016 einzustellen. Mit weiteren Schreiben vom 11. Juli 2016 und vom 12. Juli 2016 teilte das Landratsamt der Antragstellerin mit, dass es auch nach Vorlage weiterer Unterlagen bei der erfolgten Aufforderung zur Betriebseinstellung zum 31. Juli 2016 verbleibe.
Mit Bescheid vom 3. August 2016 drohte das Landratsamt erneut die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Betriebsschließung an, falls die Antragstellerin der Verpflichtung zur Einstellung des Betriebs ihres Unternehmens aus dem Bescheid vom 26. Januar 2015 nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig bis zum Ablauf des Tages der Zustellung dieses Bescheids nachkomme.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Kontrolle am 2. August 2016 habe ergeben, dass der Betrieb weiterhin durch die Antragstellerin geführt werde. Die Androhung unmittelbaren Zwangs stütze sich auf Art. 29, 30 Abs. 1 Satz 1, 20 Nr. 1, 34, 35 VwZVG. Da die Gewerbeuntersagung eine gebundene Entscheidung darstelle, verbleibe auch im Rahmen der Vollstreckungsmaßnahmen kein großer Spielraum. Vielmehr liege hier intendiertes Ermessen vor. Die Antragstellerin habe bis heute kein aussagekräftiges Betriebs- und Sanierungskonzept vorgelegt und damit den „Vergleich“ nicht eingehalten, so dass das Landratsamt an den Vollstreckungsaufschub nicht mehr gebunden sei. Da sie bislang trotz Einräumung mehrerer Fristen nicht in der Lage gewesen sei, die Anforderungen des „Vergleichs“ vollständig zu erfüllen, sei zudem davon auszugehen, dass sie auch künftig nicht in der Lage sein werde, eine ordnungsgemäße Betriebsführung ohne behördlichen Druck sicherzustellen.
Am 17. August 2016 erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage mit den Anträgen, den Bescheid aufzuheben sowie festzustellen, dass die Gewerbeuntersagung gegen die Antragstellerin angesichts des in der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht in München am 29. September 2015 Vereinbarten nicht vollstreckbar sei. Am 10. Oktober 2016 stellten sie zudem einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Androhung unmittelbaren Zwangs sei rechtswidrig, weil das Gewerbeamt im Wege der Selbstbindung der Verwaltung auf die Vollstreckung des Gewerbeuntersagungsbescheids verzichtet habe. Das Gewerbe sei zu keinem Zeitpunkt aus qualitativen Gründen bemängelt worden. Es dürfe unstreitig sei, dass die Antragstellerinn in fachlicher Hinsicht tadellose Dienstleistungen erbringe. Sie habe den vom Verwaltungsgericht angebotenen „Vergleich“ mit seinen „butterweich“ formulierten Bedingungen erfüllt. Einträge im Schuldnerverzeichnis seien allesamt gelöscht. Es habe stets Abzahlungsvereinbarungen bezüglich bestehender Schulden gegeben. Die Antragstellerin stehe in Verhandlungen mit dem Finanzamt bezüglich der Steuerschulden. Diese stünden nicht fest, seien also nicht vollstreckbar. Mit der AOK habe ebenfalls eine Abzahlungsvereinbarung erzielt werden können. Es mute auch ferner sachwidrig an, ein Pflegedienstleistungsgewerbe wegen (vermeintlicher) Geldschulden zu untersagen. Ein solches verwalte etwa kein Fremdvermögen, das veruntreut werden könnte. Es seien keine Gründe von der Behörde auch nur erwähnt, geschweige denn nachgewiesen, weshalb der Sofortvollzug aus Gründen der Gefahr für die Allgemeinheit notwendig wäre. Es sei eindeutig, dass die Antragstellerin den Anforderungen des gerichtlichen Vergleichs eindeutig genüge getan habe. Sie habe ihren finanziellen Status gesichert. Gefahr für ihre durch sie gepflegten Kunden bestehe nicht. Somit müsse sich die Behörde an dem Vergleich festhalten lassen.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hierzu wurde im Wesentlichen vorgetragen, das Sanierungskonzept bzw. Nachweise seien nicht innerhalb der Frist bis zum 31. März 2016 vorgelegt worden. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin sei rechtskräftig mit Bescheid vom 26. Januar 2015 festgestellt worden. Diese Frage sei somit nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens. Die Frage, ob die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen qualitativ zu beanstanden seien, sei für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit nicht von Relevanz. In diesem Verfahren sei ausschließlich die Frage zu klären, ob die vor dem Verwaltungsgericht geschlossene Vereinbarung seitens der Antragstellerin eingehalten worden und dadurch das Landratsamt an seine damals getroffene Zusage noch gebunden sei. Dies sei zu verneinen. Es sei ganz klar vereinbart worden, dass keine weiteren neuen Tatsachen bekannt werden dürften, aus denen sich eine Unzuverlässigkeit der Antragstellerin ergebe. Allein im Jahr 2016 seien dennoch drei neue Eintragungen im Schuldnerverzeichnis hinzugekommen. Bis heute habe die Antragstellerin kein aussagekräftiges Betriebs- und Sanierungskonzept vorgelegt und damit den Vergleich nicht eingehalten. Die Voraussetzungen für den Vollstreckungsaufschub lägen nicht vor, so dass das Landratsamt auch nicht mehr an die gerichtliche Vereinbarung gebunden sei.
In der mündlichen Verhandlung auch des Hauptsacheverfahrens vom 15. November 2016 änderte der Vertreter des Antragsgegners den Bescheid vom 3. August 2016 dahingehend ab, dass der Antragstellerin zur freiwilligen Erfüllung ihrer Verpflichtungen eine Frist „bis zum Ablauf des 16. Dezember 2016“ gewährt wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 16 K 16.3730 sowie im vorangegangenen Klageverfahren M 16 K 15.756, auf die Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheid das Landratsamts vom 3. August 2016 begehrt wird (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO; Art. 21a VwZVG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO).
Eine gesonderte Begründung des Sofortvollzugs war nicht erforderlich. Dies betrifft nur die Fälle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO (vgl. § 80 Abs. 3 VwGO).
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem durch das Gesetz vorgegebenen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Hier tritt das Aussetzungsinteresse der der Antragstellerin hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Zwangsmittelbescheids zurück, da das Hauptsacheverfahren zeitgleich mit dem Eilverfahren verhandelt und entschieden wurde und für die Antragstellerin erfolglos geblieben ist. Die Kammer hat die Klage mit Urteil vom 15. November (M 16 K 16.3730) abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.


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