Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren

Aktenzeichen  15 C 14.1592

Datum:
10.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 485 Abs. 2
VwGO VwGO § 98

 

Leitsatz

1. Ein selbstständiges Beweisverfahren ist nur dann zulässig, wenn die Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Einholung des Sachverständigenbeweises haben. Am rechtlichen Interesse fehlt es, wenn die vom Sachverständigen zu treffenden Feststellungen für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten offenkundig ohne Bedeutung sind. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein  Antrag, der auf einen Ausforschungsbeweis gerichtet ist, der erst Anhaltspunkte für einen Tatsachenvortrag liefern soll, ist auch im selbstständigen Beweisverfahren grundsätzlich unzulässig. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 X 13.2108 2014-06-02 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Der Beigeladene trägt seine im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO i.V.m. § 98 VwGO) zum Zweck der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu Fragen des Brandverhaltens und der Standsicherheit einer „Vormauerung samt aufliegendem Balkon“ auf dem benachbarten Grundstück des Beigeladenen.
Das Verwaltungsgericht hat mit streitgegenständlichem Beschluss vom 2. Juni 2014 den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt. Das Beweisthema sei auf eine „Ausforschung ins Blaue hinein“ gerichtet. Die Beweiserhebung sei im Verhältnis zur Antragsgegnerin zudem „nutzlos“. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses verwiesen.
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens ihr Rechtsschutzziel weiter. Das Beweisthema sei hinreichend konkretisiert und das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Gegenstand der Beweiserhebung könne auch die Frage sein, ob der Zustand einer Sache den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche. Vorliegend handle es sich deshalb nicht um eine bloße „Ausforschung“. Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt und gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen, weil es keine Hinweise zu einer „Umformulierung“ des erstinstanzlichen Antrags gegeben und seiner Entscheidung einseitig einen im Zivilprozess (vor dem Amtsgericht) ergangenen Schriftsatz der Antragsteller vom 11. Juli 2013 zu Grunde gelegt habe. Auch sei die Kostenentscheidung zu beanstanden, weil sich eine solche im selbständigen Beweisverfahren „verbiete“. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 16. Juni 2014, 3. Juli 2014 und 24. September 2014 verwiesen.
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene (ohne Antragstellung) widersetzen sich der Beschwerde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO i.V.m. § 98 VwGO) nicht gegeben sind. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:
a) Entgegen der Ansicht der Antragsteller kommt es – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – im Verhältnis zur Antragsgegnerin nicht darauf an, ob die streitgegenständliche „Vormauerung samt aufliegendem Balkon“ auf dem benachbarten Grundstück des Beigeladenen hinsichtlich des Brandverhaltens und der Standsicherheit allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht oder nicht.
Das hier allein nach Maßgabe des § 485 Abs. 2 ZPO in Betracht kommende selbständige Beweisverfahren ist nur dann zulässig, wenn die Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Einholung des Sachverständigenbeweises haben. Wegen des Schlichtungszwecks des selbständigen Beweisverfahrens kann dies zwar nicht bedeuten, dass die Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen bereits zweifelsfrei feststehen muss. Am rechtlichen Interesse fehlt es jedoch dann, wenn die vom Sachverständigen zu treffenden Feststellungen für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten offenkundig ohne Bedeutung sind (vgl. hierzu z.B. VGH BW, B.v. 6.2.2004 – 8 S 2185/03 – juris Rn. 2 m.w.N.; Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Rn. 39 zu § 98). Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Antragsteller haben keinen Sachverhalt vorgetragen, nach dem wenigstens nachvollziehbar erscheint, dass ihnen Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zustehen könnten, falls die unter Beweis gestellten Tatsachen vorliegen bzw. nicht vorliegen.
Im Hinblick auf den seit Jahrzehnten bestehenden – und von der Antragsgegnerin als zuständigen Bauaufsichtsbehörde jedenfalls seit dem Jahr 2008 ausdrücklich geduldeten – baulichen Zustand auf dem Nachbargrundstück, bezüglich dessen die Antragsteller seit längerem ein bauaufsichtliches Einschreiten der Antragsgegnerin begehren, genügt auch die geltend gemachte etwaige Verletzung nachbarschützender öffentlich-rechtlicher Vorschriften allein nicht, um einen Anspruch der Antragsteller auf bauaufsichtliches Einschreiten der Antragsgegnerin gegen den Beigeladenen zu begründen (vgl. hierzu Dirnberger in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Rn. 95 ff. zu Art. 54). Insoweit ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – die von den Antragstellern begehrte Beweiserhebung tatsächlich „nutzlos“, weil sie die von der Antragsgegnerin bereits getroffene Entscheidung, den baulichen Zustand auf dem Grundstück des Beigeladenen auch weiterhin zu dulden, nicht ohne weiteres in Zweifel zu ziehen vermag. Es kommt in diesem Zusammenhang dabei entgegen der Ansicht der Antragsteller weder darauf an, ob Gegenstand der Beweiserhebung auch die Frage sein kann, ob der Zustand einer Sache den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht, noch darauf, dass die Antragsteller ihr Beweisthema im Beschwerdeverfahren konkretisiert haben. Vielmehr ist dem Verwaltungsgericht insoweit zuzustimmen, als es ausführt, dass die Antragsteller vorliegend einen Ausforschungsbeweis begehren, der erst Anhaltspunkte für einen Tatsachenvortrag liefern soll und der auch im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich unzulässig ist. Das Vorbringen der Antragsteller, sie würden auf einen Rechtsstreit mit der Antragsgegnerin verzichten, wenn die Beweiserhebung mit einem bestimmten Ergebnis ende, ist demgegenüber allein nicht geeignet, das rechtliche Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zu begründen.
b) Entgegen der Ansicht der Antragsteller hat das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren weder den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Für das Verwaltungsgericht bestand weder Anlass zu Hinweisen für eine „Umformulierung“ des erstinstanzlich gestellten Antrags noch hat es seiner Entscheidung den im Zivilprozess (vor dem Amtsgericht) ergangenen Schriftsatz der Antragsteller vom 11. Juli 2013 tatsächlich zu Grunde gelegt. Wie den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seite 8 der erstinstanzlichen Entscheidung ausdrücklich zu entnehmen ist, ist der Schriftsatz der Antragsteller vom 11. Juli 2013 für die gerichtliche Entscheidung vielmehr unerheblich.
c) Schließlich ist auch die vom Verwaltungsgericht getroffene Kostenentscheidung nicht zu beanstanden. Die Tatsache, dass die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens gehören, wirkt sich vorliegend nicht aus, weil ein selbständiges Beweisverfahren tatsächlich nicht durchgeführt wird. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht über die von den Antragstellern zu tragenden Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens entschieden (vgl. hierzu z.B. Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Rn. 39 zu § 98).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene hat seine im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst zu tragen, weil er keinen Antrag gestellt und sich im Beschwerdeverfahren damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO).
3. Die Festsetzung des Streitwerts im Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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