Verwaltungsrecht

Vorhalte- und Verwertungsverbot, Verkehrskontrollen

Aktenzeichen  24 CS 22.163

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4451
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BZRG § 51 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 7 S 21.4077 2021-12-22 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.875, – € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Sofortvollzug u.a. des Widerrufs seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse und der Ungültigerklärung und Einziehung seines Jagdscheins.
Beim Antragsteller wurde bei drei Verkehrskontrollen Alkohol im Blut festgestellt (Blutalkoholkonzentration am 28. Juli 2020 etwa 0,96 Promille, am 18. November 2001 etwa 1,55 Promille und am 12. November 1994 mindestens 2,07 Promille).
Mit Schreiben vom 22. September 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis spätestens 30. Oktober 2020 ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Gutachten über seine Eignung zum Umgang mit Schusswaffen und Munition sowie zur Jagdausübung auf eigene Kosten vorzulegen. Da beim Antragsteller bereits bei drei Verkehrskontrollen Alkohol im Blut festgestellt worden sei, bestünden Zweifel an seiner persönlichen Eignung. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Landratsamt im Falle einer Weigerung zur Untersuchung oder einer nicht fristgerechten (d.h. aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen) Vorlage des geforderten Gutachtens bei seiner Entscheidung auf dessen Nichteignung schließen dürfe.
Dieser Aufforderung kam der Antragsteller auch nach mehrmaliger Fristverlängerung nicht nach und ließ über seine Bevollmächtigte mitteilen, die Strafbefehle vom 16. Januar 1995 und vom 15. Januar 2002 dürften ihm aufgrund des Verwertungsverbots des § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr vorgehalten werden.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2021 hörte das Landratsamt den Antragsteller u.a. zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarten an.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 30. Juni 2021 widerrief die Waffenbehörde unter anderem die Waffenbesitzkarten des Antragstellers. Hiergegen ließ der Antragsteller Anfechtungsklage erheben und gleichzeitig einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Zur Begründung trug er vor, die beiden seit etlichen Jahren getilgten Eintragungen dürften nach § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr zulasten des Antragstellers verwendet werden. Es bleibe nur die Ordnungswidrigkeit vom 28. Juli 2020 und die Alkoholisierung des Antragstellers an diesem Tag. Dies rechtfertige weder die Ungültigerklärung des Jagdscheins noch den Widerruf der Waffenbesitzkarten.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. Dezember 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab. Das behördliche Vorgehen sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Im Übrigen würde selbst bei offenen Erfolgsaussichten der Klage bei einer reinen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügungen das Interesse des Antragstellers überwiegen.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er trägt vor, der streitgegenständliche Bescheid sei offenkundig rechtswidrig, da er auf der Verwertung und Vorhaltung von Tatsachen beruhe, die dem Verwertungs- und Vorhalteverbot des § 51 BZRG unterlägen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. Dezember 2021 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. Juni 2021, dort Ziffern 1, 3, 4 und 6, wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und verteidigt den angegriffenen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben. Der Senat verweist auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses und macht sich diese zu eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
2. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt: Die Beschwerde macht geltend, entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sei der streitgegenständliche Bescheid offenkundig rechtswidrig. Er beruhe auf der Verwertung und Vorhaltung von Tatsachen, die dem Verwertungs- und Vorhalteverbot des § 51 BZRG unterlägen. Es sei nicht zulässig, aus dem Gesamtkomplex „Tat“ und dem dem Tatbegriff zugrundeliegenden Lebensvorgang einzelne Sachverhaltselemente herauszugreifen und diese isoliert zu verwerten bzw. dem Betroffenen vorzuhalten. Es sei straffrei, so viel Alkohol zu trinken, dass eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille erreicht werde. In gleicher Weise sei es straffrei, ein Auto zu führen. Beide Einzeltatsachen seien für sich genommen neutral. Da es aber strafbar sei, unter dem Einfluss einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille ein Kraftfahrzeug zu führen, seien beide für sich gesehenen neutralen Einzeltatsachen Bestandteil des geschichtlichen Lebensvorgangs, der einer Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zugrunde liege. Es könne nicht beliebig die eine oder anderer Tatsache herausgegriffen werden. Das Vorhalte- und Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasse die gesamte Tat im strafprozessualen Sinn und somit auch den gesamten vom Eröffnungsbeschluss betroffenen geschichtlichen Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände. Das Landratsamt sei daher daran gehindert gewesen, seiner Entscheidung vom 30. Juni 2021 die in den strafrechtlichen Verurteilungen vom 16. Januar 1995 und vom 15. Januar 2002 enthaltenen Blutalkoholkonzentrationen des Antragstellers zugrunde zu legen.
Mit den in der Beschwerde vorgetragenen Bedenken, die der Antragsteller auch bereits im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren geltend gemacht hat, hat sich das Verwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung umfassend und überzeugend auseinandergesetzt. Es hat in zulassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass allein in der Heranziehung von in der Vergangenheit amtlich festgestellten Promillewerten des Antragstellers noch kein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG zu sehen sei. Die Heranziehung solcher aus dem strafrechtlichen Kontext herausgelöster neutraler Einzeltatsachen könne weder zu einer Stigmatisierung des Betroffenen führen noch hafte diesen ein Strafmakel an, der geeignet wäre, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden. Allein die Tatsache, dass beim Antragsteller in der Vergangenheit ein bestimmter Promillewert amtlich festgestellt worden sei, lasse keinerlei Rückschlüsse auf einen zwingenden strafrechtlichen Bezug zu. Erst recht könne aus dieser Tatsache nicht auf eine konkrete begangene und abgeurteilte Straftat geschlossen werden.
Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden (§ 51 Abs. 1 BZRG). Das in § 51 Abs. 1 BZRG enthaltene umfassende Vorhalte- und Verwertungsverbot soll die betroffene Person als materiell-rechtliche Folge der Tilgung nach dem Willen des Gesetzgebers endgültig vom Strafmakel einer Verurteilung befreien. Um seine Resozialisierung zu fördern und zu manifestieren, verfolgt die Regelung das Ziel, dass der Betroffene grundsätzlich als unbestraft behandelt werden muss (BeckOK StPO/Bücherl BZRG § 51 Rn. 1-50). Ausgehend von Sinn und Zweck der Regelung ist dem Verwaltungsgericht daher darin zuzustimmen, dass in der Berücksichtigung allein in der Vergangenheit amtlich festgestellter Promillewerte des Antragstellers noch kein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG zu sehen ist.
Soweit der Antragsteller sich für seine Rechtsansicht auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 19.6.2017 – 1 S 846/17 – juris) stützt, verkennt er, dass dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Denn hier hatte die zuständige Behörde dem betreffenden Waffenbesitzer die Taten, nämlich die seinen strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Trunkenheitsfahrten, „vorgehalten“. Der Gutachter hatte hieran auch angeknüpft. Im vorliegenden Fall liegt ein Gutachten gerade nicht vor. Zudem hatte das Landratsamt auf den Einwand des Antragstellers hin, das Vorhalte- und Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG sei zu beachten, im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass es für die Eignungszweifel maßgeblich auf die jeweils amtlich festgestellte Blutalkoholkonzentration ankomme.
Die Entscheidung der Behörde, auf die Nichteignung des Antragstellers zu schließen, seine waffenrechtlichen Erlaubnisse zu widerrufen (§ 45 Abs. 2 Satz 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 WaffG, § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV) und seinen Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen (§ 18 Satz 1, § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 4 Abs. 1 Alt. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG), nachdem dieser das von der Behörde angeforderte, seine persönliche Eignung nachweisende Gutachten nicht beigebracht hatte, ist im Hinblick auf die vom Antragsteller vorgetragene Problematik des Vorhalte- und Verwertungsverbots nach § 51 BZRG im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zudem hat sich das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss selbstständig tragend darauf gestützt, dass selbst bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausginge (BA S. 24 ff.). Hiermit setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander und nennt keine Gründe, weshalb das Interesse des Antragstellers hier überwiegen würde.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5, 20.3 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben