Verwaltungsrecht

Vorläufige Aussetzung einer Abschiebung wegen Unvereinbarkeit der Abschiebung mit der Eheschließungsfreiheit

Aktenzeichen  M 9 E 17.4630

Datum:
4.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GG GG Art. 6
BGB BGB § 1309 Abs. 2
EGBGB EGBGB Art. 13 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kommt in Fällen, in denen vom Standesamt kein Termin für eine Eheschließung bestimmt wird, grds. nur dann in Betracht, wenn die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits so weit vorangeschritten sind, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die vom Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird und jedenfalls dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (BayVGH BeckRS 2016, 55749). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei der Feststellung der Voraussetzungen des Befreiungsantrags nach § 1309 Abs. 2 BGB ist, dass die Staatsangehörigkeit des Antragstellers geklärt sein muss und keine Zweifel an seiner Identität bestehen; die Überprüfung obliegt dem Präsidenten des Oberlandesgerichts (Amtsermittlung) im Wege freier Beweiswürdigung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses auszusetzen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je ½.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500 festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller möchte mittels seiner nach § 123 Abs. 1 VwGO gestellten Anträge erreichen, bis zu einer beabsichtigen Eheschließung nicht abgeschoben zu werden.
Der Antragsteller ist laut eigener Aussage bzw. laut von ihm vorgelegter Dokumente Staatsangehöriger Afghanistans. Er reiste am 21. Juni 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Asylantrag wurde mit Bescheid vom 10. Januar 2012 abgelehnt; die Entscheidung ist seit dem 9. November 2012 bestandskräftig. Der Antragsteller ist seither vollziehbar ausreisepflichtig und wurde nur aufgrund fehlender Reisedokumente gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG geduldet (Bl. 833 d. Behördenakts – i.F.: BA –). In der Folge wurde der Antragsteller wiederholt (von 2013 bis 2015) von den jeweils für ihn zuständigen Ausländerbehörden aufgefordert, einen Pass oder Passersatz zu beantragen oder an Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken. Der Antragsteller erklärte dazu, keinen Pass beantragt zu haben und dies auch nicht vorzuhaben, da er beabsichtige, die Schule zu besuchen und eine Ausbildung zu machen. 2013 blieb er einem im Rahmen eines Verfahrens zur Beschaffung eines Passersatzpapiers angesetzten Termin zur Vorsprache beim afghanischen Generalkonsulat unentschuldigt fern; ein 2015 angestrengtes Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers blieb ebenso erfolglos, da der Antragsteller zwischenzeitlich ohne Mitteilung seinen Aufenthaltsort gewechselt hatte. Einer erneuten Aufforderung zur Passbeschaffung vom 25. Oktober 2016 leistete der Antragsteller ebenfalls keine Folge. Bei alledem trat er jeweils als G. H. (Nachname), Tamim (Vorname) auf, laut eigener Aussage geboren am 1. Januar 1995. Noch unter dem 30. Mai 2017 (Bl. 747 d. BA) und unter dem 26. Juni 2017 (Bl. 774 d. BA) bestätigte er dies auch gegenüber der nunmehr für ihn zuständigen Regierung von Oberbayern, Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern (i.F.: ROB, ZAB) und gab weiter an, keinen Reisepass oder Passersatz zu besitzen. Der Antragsteller wurde im Zeitraum von 2014 bis 2016 mehrmals straffällig, u.a. wegen Erschleichens von Leistungen, wegen Körperverletzung und wegen eines BtmG-Verstoßes (vgl. Seite 4 d. Antragserwiderung).
Am 26. Juli 2017 sprach er beim Standesamt K. vor, da er beabsichtige, mit der deutschen Staatsangehörigen (vgl. Bl. 63 d. Gerichtsakts) Frau S. (Nachname), A. (Vorname) die Ehe einzugehen. Dabei legte er u.a. einen Reisepass, ausgestellt auf B. (Nachname), Tamim (Vorname), geboren am 1. Januar 1994, vor und übergab ein vom afghanischen Supreme Court ausgestelltes „Celibacy Certificate“ (d.h. eine Ledigkeitsbescheinigung) und eine afghanische Tazkira (Bl. 797ff. d. BA). Die zuständige Standesbeamtin wies in ihrem an die ROB, ZAB gerichteten Schreiben vom selben Tag darauf hin, dass eine Überprüfung der Urkunden durch afghanische Behörden nach Merkblatt der Botschaft in Kabul derzeit nicht durchgeführt werden könne, weswegen sie um Mitteilung bitte, ob bei der ROB, ZAB bereits überprüfte Urkunden/ein überprüfter Pass vorlägen bzw. ob Anhaltspunkte für gefälschte Dokumente bestünden (Bl. 796 d. BA). Am selben Tag beantragte der Antragsteller bei der ROB, ZAB die Verlängerung seiner Duldung; dabei legte er den o.g. Reisepass vor, der einbehalten wurde (Bl. 820 d. BA).
Unter dem 31. August 2017 wurde der Antragsteller von der ROB, ZAB aufgefordert, zur Klärung seines Aufenthaltsstatus und seiner Identität vorzusprechen (Bl. 769 d. BA). Am 27. September 2017 wurde der Antragsteller daraufhin u.a. dazu befragt, ob er weitere Identitätsdokumente dabei habe (1.), wann er den Pass beantragt habe (2.), woher er die dafür erforderlichen Dokumente (Tazkira etc.) gehabt habe (3.) und wie er die abweichenden Namensangaben erklären könne (4., zum Ganzen Bl. 775 d. BA). Der Antragsteller erklärte hierzu, eine Tazkira in Kopie dabei zu haben (1.), den Pass vor ca. drei Monaten beantragt zu haben (2.), dazu eine alte Tazkira seines Vaters und eine über seinen Onkel in Afghanistan vor ca. fünf Monaten beschaffte eigene Tazkira dabei gehabt zu haben (3.) und dass er gedacht habe, in Deutschland gebe man, wie in Afghanistan, den Vornamen des Vaters als Familiennamen an; sein eigentliches Geburtsdatum habe er aus seiner Tazkira erfahren (4.).
Bei seiner Vorsprache beantragte er auch die Verlängerung der zuletzt unter dem 28. August 2017 ausgehändigten Duldung, gültig bis zum 28. September 2017. Diese wurde vonseiten der ROB, ZAB daraufhin als erloschen gestempelt und dem Antragsteller so wieder ausgehändigt (vgl. die Kopien auf Bl. 782f. d. BA). Eine Grenzübertrittsbescheingung oder ein sonstiges (Ausweis-) Dokument erhielt er nicht.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat unter dem 28. September 2017 Eilantrag gestellt. Sie beantragt,
1.einstweilen festzustellen, dass die am 28. August 2017 ausgestellte Duldung nicht erloschen ist;
2.den Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Eheschließung auszusetzen;
3.eine vorläufige Regelung durch Beschluss des Gerichts (Hängebeschluss), dass der Antragsteller vor einer gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren nicht abgeschoben wird.
Die Duldung sei nicht erloschen; dem Antragsteller sei kein Abschiebe- oder Ausreisetermin mitgeteilt worden. Das Feststellungsinteresse resultiere daraus, dass der Antragsteller ansonsten ohne gültiges Ausweisdokument sei. Hinsichtlich des Antrags unter Ziff. 2 gelte, dass die Abschiebung wegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auszusetzen sei. Zwar sei noch kein Termin für die Eheschließung bestimmt, der Antragsteller und seine Verlobte hätten jedoch alle für die Eheschließung erforderlichen Dokumente vorgelegt. Es fehle nur noch die Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses. Die Entscheidung hierüber durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts München sei bislang noch nicht erfolgt. Es sei aber davon auszugehen, dass diese Entscheidung aus Gründen, die nicht in die Sphäre des Antragstellers fallen, nicht erfolge. Die Identität des Antragstellers sei durch Vorlage des Nationalpasses geklärt. Die Namensunstimmigkeit habe er hinreichend aufklären können, Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Täuschung ergäben sich hieraus nicht. Nach Informationen des Bundesinnenministeriums bestünden in Afghanistan keine gesetzlichen Vorschriften über den Familiennamen eines Kindes; es stehe dem Vater nach Gewohnheitsrecht frei, dem Kind einen beliebigen Namen zu geben, es sei nicht erforderlich, dass überhaupt ein Familienname gewählt werde. Die Tazkira zeige, dass der Vater des Antragstellers den Nachnamen „G. H“. trage. Der neue Pass habe bei den Vorsprachen am 30. Mai 2017 und am 26. Juni 2017 noch nicht vorgelegen. Dass seine Familie im afghanischen Register offiziell unter „B.“ (Nachname) geführt werde, habe der Antragsteller erst mit Aushändigung des noch unter „G. H.“ (Nachname) beantragten Passes erfahren; diesen Umstand habe er der ROB, ZAB umgehend mitgeteilt. Dass der Antragsteller vorab und ohne Pass eine Namensänderung hätte herbeiführen können, sei praxisfern, da eine deutsche Behörde die Personaldaten eines Ausländers lediglich gegen Vorlage eines Passes ändere. Die Bevollmächtigte habe im Übrigen beim Standesamt den Sachstand abgefragt. Demnach scheitere die Entscheidung des Oberlandesgericht München daran, dass die gesamten Akten noch nicht übermittelt worden seien. Dies könne aber nicht zulasten des Antragstellers gehen. Die Familie des Antragstellers lebe seit Jahren im Iran. Es sei daher äußerst schwierig, Kontaktpersonen ausfindig zu machen, welche für ihn in seiner Heimatprovinz Dokumente, bspw. eine Tazkira beschaffen könnten. Der Antragsteller habe für die absehbare Dauer des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München einen Duldungsanspruch. Die Straffälligkeit des Antragstellers dürfe im hiesigen Verfahren keine Rolle spielen. Zudem seien die Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller überwiegend eingestellt worden und es handele sich insgesamt um Jugendsünden. Weiter sei darauf hinzuweisen, dass die deutsche Botschaft in Kabul bis auf weiteres geschlossen sei. Eine Wiedereröffnung sei in nächster Zukunft nicht ersichtlich. Die Wiedereinreise zur Eheschließung mittels Visums könne derzeit nicht erfolgen; es würden seitens der deutschen Botschaft eine Warteliste über Islamabad oder Neu Delhi geführt und erst die Altanträge vor Zerstörung der Botschaft abgearbeitet. Deswegen müsse aufgrund gegebener besonderer Umstände gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Visumsverfahren abgesehen werden: Die Nachholung des Visumsverfahrens sei unzumutbar, wenn – wie hier – eine deutsche Auslandsvertretung nicht mehr bestehe oder wenn die deswegen notwendige Durchreise in ein anderes Gebiet – vorliegend: Islamabad – mit Gefahren für Leib und Leben verbunden sei. Der Antragsteller sei schließlich kein schwerer Straftäter und die Eheschließung mit einer Deutschen stehe kurz bevor; die Nachholung des Visumsverfahrens sei daher aufgrund mehrerer Aspekte unzumutbar. Als weit milderes Mittel als eine Abschiebung könne die Entscheidung des Oberlandesgerichts abgewartet werden; soweit dieses einer Heirat nicht zustimme, könne der Antragsteller jederzeit abgeschoben werden oder freiwillig ausreisen. Eilbedürftigkeit sei gegeben, weil die Nachfrage der Bevollmächtigten, ob und wann eine Abschiebung beabsichtigt sei, unbeantwortet geblieben sei.
Der Antragsgegner nahm mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2017 erstmals Stellung zur Streitsache. Er beantragt,
den Antrag zu 1. und zu 2. abzulehnen.
Die Duldung sei durch Zeitablauf erloschen und nicht mehr verlängert worden, da die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorlägen. Eine Abschiebung sei aufgrund des vorgelegten afghanischen Reisepasses nicht mehr tatsächlich unmöglich. Nach dem Abschiebemoratorium der Bundesregierung seien Abschiebungen bei Personen, die entweder als Straftäter, hartnäckige Mitwirkungsverweigerer oder Gefährder zu qualifizieren seien, weiterhin beabsichtigt. Auch bestehe kein rechtliches Abschiebungshindernis. Die Voraussetzungen einer Duldung wegen unmittelbaren Bevorstehens der Eheschließung seien nicht gegeben. Es sei kein Termin für die Eheschließung bestimmt noch bestimmbar. Ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung könne deswegen ausnahmsweise nur noch dann in Betracht kommen, wenn das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen nachweislich erfolgreich abgeschlossen sei. Einen Nachweis darüber habe der Antragsteller nicht erbracht. Eine Mitteilung des Standesamts nach § 13 Abs. 4 PStG liege nicht vor. Nach Rücksprache mit der zuständigen Sachbearbeiterin beim Standesamt seien die vom Antragsteller vorgelegten Dokumente noch nicht an das Oberlandesgericht München weitergeleitet worden, da das Standesamt wegen der Widersprüchlichkeit der Angaben zunächst eine Überprüfung der Echtheit der Dokumente durch die Botschaft in Kabul vornehmen wolle (Seite 8 der Antragserwiderung) bzw. da diese noch nicht auf ihre Echtheit hin überprüft worden seien (Seite 3 der Antragserwiderung). Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung könne dann nicht ausgegangen werden, wenn eine Terminfestsetzung oder die Entscheidung des Oberlandesgerichts ausbleibe, weil noch aus der Sphäre des Antragstellers stammende Unklarheiten oder Zweifel bestünden. Der Antragsteller habe etwaige Verzögerungen bei der Überprüfung der Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente zu verantworten. Die Ausstellung eines afghanischen Reisepasses nehme ca. drei Monate in Anspruch. Der Pass sei seit 14. Juli 2017 gültig. Dennoch habe der Antragsteller weder im Rahmen seiner Duldungsverlängerung am 30. Mai 2017 noch am 26. Juni 2017 in Anwesenheit seiner deutschen Verlobten die Angaben hinsichtlich seiner Identität korrigiert, obwohl er die neuen Personalien aufgrund der Passbeantragung zumindest mittlerweile habe kennen müssen. Auch habe er nicht angegeben, einen Reisepass beantragt zu haben. Aufgrund dessen und angesichts seines langen Aufenthalts in Deutschland bestünden gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller bewusst so gehandelt habe, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu erschweren. In einem derartigen Fall sei der Ausländer auch nicht schutzwürdig, da er die Verzögerungen hinsichtlich seiner Identitätsklärung zu verschulden habe. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts sei auch keine reine Formalie. Wenn sie noch ausstehe und der Betroffene unterschiedliche Angaben über seine Identität mache, könne nicht angenommen werde, dass die Eheschließung sicher erscheine. Es bedürfe weiterer Aufklärung des Sachverhalts durch das Oberlandesgericht, gegebenenfalls unter Beiziehung der Ausländerakte und weiterer Untersuchungen durch den Präsidenten des Oberlandesgericht. Mit einem positiven Abschluss des standesamtlichen Eheschließungsverfahrens sei erst dann zu rechnen, wenn die erforderliche Sachverhaltsaufklärung erfolgt und die Befreiungs- und/oder Anerkennungsentscheidungen nach § 1309 Abs. 2 BGB bzw. § 109 FamFG ergangen seien. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die Ehe in den nächsten 4-6 Wochen geschlossen werden könne.
Die Kammer hat den Antragsgegner mit (Hänge-) Beschluss vom 2. Oktober 2017 verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung des Gerichts im hiesigen Verfahren auszusetzen und eine Bescheinigung hierüber zu erteilen. Dies gründete sich darauf, dass ohne Vorlage der Behördenakten und angesichts dessen, dass auch telefonische Nachfragen beim Antragsgegner ergebnislos blieben, eine fundierte Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich war.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag zu Ziff. 2 hat im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen bleiben die Anträge erfolglos.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach ein Anordnungsgrund – also: die Eilbedürftigkeit der Sache – sowie ein Anordnungsanspruch – mithin: der zu sichernde materielle Anspruch in der Hauptsache. Anordnungsgrund und -anspruch sind nach § 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
1. Ein Anordnungsgrund bzw. die dafür erforderlichen Tatsachen wurden geltend und hinreichend glaubhaft gemacht. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass dem Antragsteller weder mitgeteilt wurde (und wird), ob er abgeschoben wird noch, wann eine Abschiebung terminiert ist.
2. Auch ein Anordnungsanspruch, mithin: ein materieller Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, über dessen Bestehen im Eilverfahren in der Sache vollumfänglich entschieden wird (vgl. VG München, B.v. 4.5.2017 – M 9 E 17.1561 – juris m.w.N.), ist im tenorierten Umfang gegeben bzw. die dafür erforderlichen Tatsachen wurden geltend und hinreichend glaubhaft gemacht.
Ein Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG (Vorwirkung) wegen Unvereinbarkeit der Abschiebung mit der Eheschließungsfreiheit ist gegeben, wenn der Antragsteller alles Erforderliche für die Eheschließung getan hat, diese somit unmittelbar bevorsteht. Da kein Termin für die Eheschließung bestimmt oder bestimmbar ist, kommt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits so weit vorangeschritten sind, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die vom Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird und jedenfalls dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris).
a) Der Antragsteller hat alles in diesem Sinne Erforderliche getan, um die Eheschließung vorzubereiten. Am 26. Juli 2017 wurde nach Aktenlage die Eheschließung beim zuständigen Standesamt angemeldet und (über das Standesamt) der Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses gestellt. U.a. mit dem Nationalpass, der Tazkira und der Ledigkeitsbescheinigung wurden zudem alle notwendigen Unterlagen vorgelegt. Folgerichtig wurde die Vollständigkeit der Unterlagen durch die Standesbeamtin auch nicht moniert.
Auch dass die Standesbeamtin Zweifel an der Echtheit des Passes anmeldete, ändert nichts. Nach dem Vortrag der ROB, ZAB nahm die Standesbeamtin Anstoß an der Namensunstimmigkeit. Dazu ist nach Aktenlage festzuhalten, dass diese Unstimmigkeit bei einer Befragung des Antragstellers durch die ROB, ZAB nachvollziehbar aufgelöst wurde, wovon aber die Standesbeamtin nach Aktenlage nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Dem Anspruch stünden die Zweifel der Standesbeamtin aber ohnehin nicht entgegen. Zwar kann von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung dann nicht ausgegangen werden, wenn aus in der Sphäre des Verlobten liegenden Gründen der Standesbeamte einen Termin zur Eheschließung nicht festsetzen oder der Präsident des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses nicht abschließend entscheiden kann, weil es noch an Unterlagen fehlt oder sonst Zweifel oder Unklarheiten bestehen (dazu OVG SH, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189/17 – juris). In dieses Stadium ist der Befreiungsantrag, um den es an diesem Punkt der Prüfung tragend geht (vgl. § 1309 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. Art. 13 Abs. 1 EGBGB), vorliegend aber noch nicht gelangt, da die Unterlagen ausweislich der Antragserwiderung vom 4. Oktober 2017 weder durch die ROB, ZAB noch durch das Standesamt an das Oberlandesgericht München weitergeleitet worden sind. Die Antragserwiderung enthält mehrere Aussagen dazu, wieso das noch nicht geschehen sei: Das Standesamt wolle die Echtheit der Dokumente nach Rücksprache mit der ROB, ZAB über die Behörden in Afghanistan überprüfen lassen (Seite 8 der Antragserwiderung). Diese Aussage ist von vorn herein nicht nachvollziehbar, da das Standesamt der ROB, ZAB unter dem 26. Juli 2017 (Bl. 796 d. BA) bereits mitgeteilt hat, dass eine Überprüfung durch die Botschaft in Kabul nicht in Betracht komme, da die Überprüfungen laut Merkblatt derzeit eingestellt seien. Zum anderen sei die Weiterleitung unterblieben, da die Dokumente noch nicht auf ihre Echtheit hin überprüft worden seien (Seite 3 der Antragserwiderung). Damit kann aber von vorn herein nur gemeint sein, dass die vom Standesamt um Überprüfung ersuchte ROB, ZAB die Prüfung noch nicht vorgenommen habe und deswegen die Unterlagen zurückhalte.
Diese Vorgehensweise – Zurückhalten der Dokumente, während gleichzeitig die Abschiebung des Antragstellers betrieben wird – ist kein rechtlich zulässiges Verhalten. Der Präsident des Oberlandesgerichts München ist im hier relevanten Zusammenhang, d.h. für die Befreiung nach § 1309 Abs. 2 BGB und damit für die Feststellung einer Voraussetzung des Duldungsanspruchs, für die Überprüfung der Echtheit der Dokumente zuständig. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei der Feststellung der Voraussetzungen des Befreiungsantrags ist, dass die Staatsangehörigkeit des Antragstellers geklärt sein muss und keine Zweifel an seiner Identität bestehen; die Überprüfung obliegt dem Präsidenten des Oberlandesgerichts (Amtsermittlung) im Wege freier Beweiswürdigung (BeckOK BGB, Stand: 43. Ed. 15.6.2017, § 1309 Rn. 16 und 24; OLG Rostock, FamRZ 2009, 1324). Dafür ist wiederum Voraussetzung, dass er den Befreiungsantrag und die notwendigen Unterlagen überhaupt erhält. Dies erkennt auch die ROB, ZAB an (Seite 10 der Antragserwiderung). Dass die Unterlagen dennoch nicht weitergeleitet wurden, ist dann aber umso weniger verständlich. Auch der weitere Schluss, dass aufgrund der Komplexität dieser Überprüfung nicht davon auszugehen sei, dass die Ehe in den nächsten 4-6 Wochen geschlossen werde, ist bei dieser Sachlage nicht nachvollziehbar. Es ist reine Spekulation, ob das Oberlandesgericht München an den vorgelegten Dokumenten überhaupt Anstoß nehmen und wie lange eine Überprüfung dauern würde, da die Unterlagen überhaupt noch nicht vorgelegt wurden.
b) Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene seine wahre Identität gegenüber der Ausländerbehörde nur anlässlich der Eheschließung offenbart hat, obwohl ihm ein Pass schon viel früher ausgestellt worden ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris). Der Pass wurde unverzüglich nach Erhalt vorgelegt. Auch hat der Antragsteller nach Aktenlage keine nachgewiesene Identitätstäuschung begangen. Der Vortrag dazu, wieso als Nachname zunächst G. H. und später B. angegeben wurde, ist nachvollziehbar. Die Angaben in der Tazkira, in der Ledigkeitsbescheinigung und im Pass sowie die Aussagen des Antragstellers in der Befragung durch die ROB, ZAB am 27. September 2017 stimmen diesbezüglich überein. Die ROB, ZAB wäre auch nicht daran gehindert gewesen, zu versuchen, beim afghanischen Konsulat in Bonn, der ausstellenden Passbehörde, die Aussagen dazu, dass die Familie des Antragstellers im afghanischen Register offiziell unter „B.“ (Nachname) geführt werde, was der Antragsteller erst mit Aushändigung des noch unter „G. H.“ (Nachname) beantragten Passes erfahren habe, zu verifizieren. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem Antragsteller der Umstand, dass er jahrelang an Verfahren zur Passersatzbeschaffung nicht mitgewirkt hat, im Kontext des streitgegenständlichen Anspruchs nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Für die Beurteilung des Anspruch auf Duldung wegen Vorwirkung der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG kommt es darauf gegenwärtig nicht mehr an.
c) Der Antragsteller hat dringende Gründe, die das Erfordernis seiner ununterbrochenen Anwesenheit im Bundesgebiet begründen, zumindest mit Blick auf sein Heimatland Afghanistan hinreichend dargetan. Aktuell besteht auch unter Berücksichtigung des Schutzbereichs des Art. 6 GG Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens. Es ist völlig unklar, wann überhaupt in Afghanistan ein Visumsantrag gestellt werden kann. Die deutsche Auslandsvertretung in Afghanistan ist geschlossen und das Verfahren über die von der Vertretung in Islamabad geführte Warteliste mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Abschiebung im Übrigen ist nicht erkennbar. Der Antragsteller hat auch nach dem Vortrag der ROB, ZAB keine schwerwiegenden Delikte verwirklicht, die Anlass zum sofortigen Vollzug geben würden. Dies umso mehr, als die Straftaten schon länger zurückliegen. Zudem hält sich der Antragsteller bereits seit 2011 im Bundesgebiet auf; angesichts dessen und in Anbetracht der nunmehr beantragten Eheschließung kann die Dringlichkeit des Verfahrens nicht nachvollzogen werden.
d) Andererseits war der Antragsgegner nach Ansicht der Kammer aber auch nicht zu verpflichten, die Abschiebung bis zur Eheschließung auszusetzen. Vielmehr ist in erster Linie die Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München abzuwarten; deren Maßgeblichkeit führt auch die Bevollmächtigte selbst an. Fällt sie positiv aus, steht die Eheschließung unmittelbar bevor, die Abschiebung ist dann (weiter) auszusetzen. Fällt sie negativ aus, ist kein Grund für eine weitergehende Duldung ersichtlich.
Die mit Ziff. 1 begehrte Feststellung dagegen bleibt von vorn herein erfolglos und ist angesichts des unter Ziff. 2 gestellten Antrags überflüssig. Die Duldung ist durch Zeitablauf erloschen, da sie nicht verlängert wurde. Eine Sicherung im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO ist hier nicht angezeigt.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Angesichts der Ablehnung eines Hauptantrages und der nur teilweisen Stattgabe hinsichtlich des anderen Hauptantrages waren die Kosten hälftig zu teilen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 Streitwertkatalog.


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